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Zwerg-Sagen

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Autor: Johann Karl Christoph Nachtigal
unter dem Pseudonym Otmar
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Titel: Ueber die Hühnen- und Zwerg-Sagen
Untertitel:
aus: Volcks-Sagen, S. 313-358
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1800
Verlag: Wilmans
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Erscheinungsort: Bremen
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Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Ueber die Hühnen- und Zwerg-Sagen.

Die Hühnen- und die Zwerg-Sagen haben ohnstreitig, unter allen ächten nordischen Volks-Sagen, die allerältesten Beziehungs- und Bildungs-Perioden, obgleich die letzteren jetzt schwer zu bestimmen sind.

Die meisten der übrigen uns erhaltenen norddeutschen Volks-Sagen beziehen sich auf die Räuber- und Fehde-Scenen des 11ten bis 15ten Jahrhunderts. Als Beziehungs-Periode der Hühnen- und Zwerg-Sagen aber können wir wohl nur (wenn es uns um die Auffindung einer denkbaren Veranlassung zu thun ist) den frühern Zeitraum annehmen, in dem, in mehreren Ländern Europa’s, und auch in dem Hartingau, zwei, an Größe und Körperstärke verschiedene, Nationen wohnten; von denen die größere allmählig die kleinere unterjochte, und sie zwang, sich in Hölen und unzugängliche Felsklüfte zu verstecken, und endlich, bis auf einzelne Individuen, auszuwandern.

Die meisten dieser Sagen scheinen sich auf das fünfte bis zehnte Jahrhundert unserer Zeitrechnung zu beziehen, und gehen also um mehrere Jahrhunderte über den Zeitraum hinaus, in welchem auch in Nord-Deutschland nur eine Nation sich darstellt; welche aber, in den Sagen aus dem Mittelalter, (so wie das griechische Volk bei Homer) in zwei Klassen unterschieden erscheint. Diese Klassen derselben Nation sind: die der Unterdrücker, welche, durch Jagd und Raub gepflegt und gestärkt, sich zu einer auszeichnenden Größe erhoben, und die der Unterdrückten, welche, zu lebenswierigen harten Arbeiten, bei dürftiger Pflege und Kost, gezwungen, sich erst nach mehreren Revolutionen, aus der Sklaverei allmählig loswinden konnten.

Wer die norddeutschen Volks-Sagen in historischer Hinsicht benutzen, oder sie auch nur nach der Zeitfolge ordnen will, muß diese verschiedene Lagen, in denen sich fast alle Nationen, auf ihren Bildungs-Stuffen befanden, nicht übersehen, und sich nicht durch scheinbare Aehnlichkeiten irre leiten lassen. Denn, wenn auch, in den mittleren Sagen, der Unterschied körperlicher Größe der Edeln und der Unedeln bei derselben Nation, oft dichterisch vergrößert ist, so daß jene zu Riesen emporzusteigen, und diese zu Zwergen zusammenzuschrumpfen scheinen; so athmet doch, in jenen ältern Sagen, welche auf zwei verschiedene Völker, die dasselbe Land zugleich bewohnten, hindeuten, ein anderer Geist.

Erläuternde Beispiele von zwei an Größe und Körperbau, so wie gemeiniglich an Sitten und Sprache, ganz verschiedenen Völkerstämmen, als Bewohnern desselben Landes, bieten uns, in Absicht der neuern Periode, viele Beschreibungen der Küsten vom südlichen Asien, und der benachbarten Inseln, dar. Und, die Darstellungen griechischer Dichter von den Centauren, Cyklopen, Lästigoniern, den Himmel stürmenden Giganten, und von den Pygmäen, zeigen uns, wie, schon vor Jahrtausenden, sich, aus den Ueberlieferungen solcher Bemerkungen, Sagen und Mythen bildeten.

Die ächten alten Zwerg-Sagen des Nordens erinneren an ein Zwerg-Volk, das wesentlich verschieden ist von den, durch Zufall oder absichtlich, verkrüppelten Zwerg-Menschen, welche in den Romanen des Mittelalters, vor den Burgen stehen, oder bei Prunkmahlen aufwarten, und welche noch im 16ten und 17ten Jahrhundert zum Hofgepränge gerechnet wurden.

Daß die eigentlichen Zwerg-Sagen, in ihrem unterscheidenden Charakter, z. B. dem Verschwinden und dem plötzlichen Erscheinen der Zwerge, und ihrem Auffenthalt in Hölen und unterirdischen Wohnungen, schon vor dem zwölften Jahrhundert vorhanden waren, sehn wir besonders aus den Gedichten des schwäbischen Zeitraums, wo sich mehrere Spuren von dem bald verschwindenden, bald sichtbar werdenden Zwerg-Volk finden. So führt uns, unter andern, das „Heldenbuch“ von Wolfram von Eschenbach und Heinrich von Ofterdingen vor: „den bald sichtbaren bald unsichtbaren Zwerg-König Elberich, der mit der Königin der herrschenden Nation einen Sohn erzeugt“ und an einer andern Stelle: „den kleinen, oder Zwerg-König Laurin, der sich durch eine Nebelkappe unsichtbar machen konnte, welcher mit vielen andern Zwergen in einem ausgehohleten Berge, der viele Schätze und Kostbarkeiten verbirgt, wohnt, mit mehreren edeln Rittern mannhaft kämpft, eine schöne Jungfrau aus der Oberwelt entführt und zu seiner Gemahlin macht“ u. s. w.

Daß die Verschiedenheit der Körpergröße der beiden in demselben Lande wohnenden Völker, in den Sagen, mit solcher Uebertreibung ausgemahlt wird, erklären wir uns wohl am besten, theils aus der Jugendkraft der ungezügelten Phantasie eines sich emporarbeitenden Volks,[1] und theils als Versuche, die Aufthürmung mancher Felsenmassen zu erklären, welche zum Theil durch Kunst geordnet scheinen, und doch von fünf- bis sechsfüssigen Menschen nicht bewegt werden können. Zu manchen dichterischen Ausmahlungen gaben auch vielleicht die Dunstgestalten Veranlassung, welche die Wolken in Gebirgs-Gegenden, in höchst sonderbaren Carrikaturen, zeigen. Viele Stellen in Oßians Gedichten, und mehrere Schilderungen von den Erscheinungen der nordischen Götter deuten sichtbar auf Nebel- und Wolken-Phänomene. Man denke, um das Entstehen solcher Darstellungen sich zu erklären, z. B. an das Phänomen, welches das Brocken-Gespenst bildete, an die Geister erschlagener Helden, bei den ersischen Dichtern, welche in Berghohen Gestaltungen erscheinen, unabsehbare Speere aufbäumen, und unermeßliche Wunden zeigen, denke an Homers Beschreibung vom Orion:

„Der einher wandelt auf der Erde
Und sein Haupt in den Wolken verbirgt“
Und wie der ungeheure Schatten desselben
„Drängende Thier’ hinscheuchet hinab die Asfodelos-Wiese,
Die er selber getödtet auf einsam bewanderten Bergen,
Seine Keul’ in den Händen, von Erz unzerbrechlich geschmiedet.“

Daß eine nationelle Verschiedenheit von einigen Zollen leicht, in dem Munde des größern Volks, zu verächtlichen Schilderungen des kleinern Volks, und zu Uebertreibungen Veranlassung geben konnte, lernen wir z. B. aus Cäsar, der uns erzählt:[2] „Das die Celten beständig über die Römer, wegen ihrer kleinen Figur, lachten und spotteten, und, unter andern fragten: woher solche Zwerge die Hände und Kräfte nehmen wollten, die erbauten Thürme fortzubewegen?“ u. s. w. Und doch betrug der Unterschied der nationellen Größe zwischen den Celten und Römern, schwerlich über 6-9 Zoll.

Denken wir uns nun ein Volk von ausgezeichneter Körper-Größe, das ein kleineres Volk aus seinem Lande verdrängt hatte; sollte nicht den Enkeln der Sieger die besiegte und zurückgedrängte Nation, deren Ueberreste kaum an das Tageslicht zu kommen wagten, als ein Zwerg-Volk, die Sieger aber als Riesen erscheinen? Sehn wir doch wohl noch jetzt, auf den Denkmahlen der Vorzeit, den besiegten Wittekinn kaum die Knie seines Siegers Karl erreichen. Und so wird es uns nicht befremden, die Sagen, welche die Jugendkraft der Phantasie schuf, etwas stark abweichend von der prosaischen Darstellung zu finden, welche in einem viel spätern Zeitraum die herrschende wurde.

Wir werden bei den Zwergen des Nordens an die Sagen und Darstellungen aus der griechischen Vorwelt denken, wie die Pygmäen mit Kranichen förmliche Kriege führten, und bald siegten, bald besiegt wurden; bei den Rossen der Hühnen, welche tausendfüßige Abgründe überspringen, an Homers Schilderungen von den Rossen der Götter, „die in einem Sprung den Raum überschreiten, den ein Mann, sitzend auf dem vorragenden Fels und ausschauend auf das Meer, überblickt“[3] und bei den hundertfüßigen Hühnen und Hühninnen[4] in den nordischen Sagen, an die hundertfüßigen Titanen in den alten griechischen Mythen, und an Homers Schilderung des Otos und Efialtes:

– „Im neunten Jahr, da maß neun Ellen die Breite
Ihres Rumpfs, und die Höhe des Haupts neun mächtige Klaftern.
Ja die Unsterblichen selbst bedroheten beid’, auf Olympos
Feindlichen Kampf zu erregen, und tobendes Schlachtengetümmel,

[323]

Oßa zu höhn auf Olympos gedachten sie, aber auf Oßa
Pelions Waldgebirg’, um hinauf in den Himmel zu steigen,
Und sie hättens vollbracht, wenn der Jugend Ziel sie erreichet.
Aber sie traf Zeus Sohn, den die lockige Eos geboren,
Beide mit Tod, eh’ ihnen die Erstlingsblum’ an den Schläfen
Aufgeblüht, und ihr Kinn sich gebräunt von schönem Gekräusel.“[5]

In dem dichterischen Zeitraum, der einige Jahrhunderte nach dem allmähligen Verschwinden der Periode des Despotismus und der blutigen Fehden einzutreten pflegt, mahlt die aufgeregte Phantasie ausgezeichneter Köpfe unter den Enkeln der Sieger, die historisch-poetischen Ueberlieferungen der Vorzeit ins Große aus. Dann schaft sie Riesen, welche mehrere

der gewöhnlichen Menschen, auf ihre Speere gereiht, forttragen, wie aufgereihete Fische; dann Cyklopen, „deren Haupt gleicht waldbewachsenen Vorgebirgen, welche Berge schleudern, die das Meer aufschwellen machen;“[6] dann schaft sie Hühnen, welche gewöhnliche Menschen wie Insekten zusammendrücken, und ganze Heere von Zwergen wegblasen mit ihrem Horn, oder mit ihrem Hauche verwehen. Und eben diese Phantasie verwandelt die kleinere Menschenrace in unsichtbare, und doch dabei mächtige und furchtbare, Zwerge.

Das hohe Alter dieser Gattung von Sagen macht es erklärbar: warum gerade diese so auffallend viel Unzusammenhangendes, und der jetzigen Bildung Wiederschprechendes haben? und, warum das Volk sie nur in ganz vertrauten Cirkeln zu erzählen wagt?

Von den Hühnen-Sagen sind oben schon mehrere dargelegt, auf welche ich hier verweise, z. B. vom Roßtrapp, vom Mägdesprung, vom Hühnenblut. Nun mögen noch einige Zwerg-Sagen aus dem Hartingau, oder vielmehr Bruchstücke derselben, hier folgen, um das Obenangedeutete näher darzustellen, und wegen der historischen Ansicht, welche sie darbieten.


I. Zwerg-Sagen auf der Süd-Seite des Harzes.

1) „Die kleinen Hölen in den Felsen (welche man in einigen Gegenden der Grafschaft Hohenstein häufig findet, und die größtentheils so niedrig sind, daß erwachsene Menschen nur hineinkriechen können, zum Theil aber einen geräumigen Auffenthalt für größere Gesellschaften darbieten), waren einst von Zwergen bewohnt, und heißen von ihnen noch jetzt Zwerg-Löcher.“

2) „Zwischen Walkenried und Neuhof (in der Grafschaft Hohenstein) hatten einst die Zwerge zwei Königreiche.“

3) „Einst bemerkte ein Bewohner jener Gegend, daß seine Feldfrüchte alle Nächte beraubt wurden, ohne daß er die Thäter entdecken konnte. Endlich ging er, auf den Rath einer weisen Frau, bei einbrechender Nacht, an seinem Erbsenfelde auf und ab, und schlug mit einem dünnen Stabe über dasselbe in die Luft. Es dauerte nicht lange, so standen einige Zwerge leibhaftig vor ihm. Er hatte ihnen die Nebelkappen abgeschlagen, die sie unsichtbar machen. Zitternd fielen die Zwerge vor ihm nieder, und bekannten: daß ihr Volk es sey, welches die Felder der Landesbewohner beraube, wozu aber die äußerste Noth sie zwänge.“

„Die Nachricht von den eingefangenen Zwergen brachte die ganze Gegend in Bewegung. Das Zwerg-Volk erbot sich endlich durch Abgeordnete, sich und seine gefangnen Brüder zu lösen, und dann auf immer das Land zu verlassen. Doch, die Art des Abzuges erregte neuen Streit. Die Landesbewohner wollten die Zwerge nicht mit ihren gesammelten und versteckten Schätzen abziehen lassen, und das Zwerg-Volk wollte bei seinem Abzuge nicht gesehen seyn. Endlich kam man dahin überein, daß die Zwerge über eine schmale Brücke bei Neuhof ziehen, und daß jeder von ihnen, in ein dorthin gestelltes Gefäß, einen bestimmten Theil seines Vermögens, als Abzugs-Zoll, werfen solle, ohne daß einer der Landesbewohner zugegen wäre. Dies geschah. Doch einige Neugierige hatten sich unter der Brücke versteckt, um den Abzug der Zwerge wenigstens zu hören. Und so hörten sie denn viele Stundenlang das Getrappel der kleinen Menschen; es war ihnen, als wenn eine sehr große Heerde Schaafe über die Brücke ging.“

4) „Seit dieser letzten großen Auswanderung des Zwerg-Volks, lassen sich nur selten einzelne Zwerge sehen. Doch, zu den Zeiten der Elterväter, stahlen zuweilen einige in den Berghölen zurückgebliebene Zwerge, aus den Häusern der Landesbewohner, kleine kaum geborne Kinder, die sie mit Wechselbälgen vertauschten.“

5) „Auch an den Sümpfen, den kleinen unterirrdischen Seen,[7] Erdfällen u. s. w., wohnten sonst kleine Menschenähnliche Gestalten. Sie hießen Nixe.“

„Einst holte ein Nix des Nachts die Hebamme aus einem Dorfe, und brachte sie, unter großen Versprechungen, zu der Wasservertiefung, wo er mit seinem Weibe wohnte. Er führte sie in seine unterirrdische Behausung herab; und die Hebamme verrichtete ihr Amt. Der Nix belohnte sie reichlich. – Ehe sie aber wegging, winkte ihr die Kindbetterin, und klagte ihr heimlich, mit einem Thränenstrom, daß der Nix das neugeborne Kind erwürgen würde. Und wirklich sahe die Hebamme, einige Minuten nachher, auf der Oberfläche des Wassers, einen blutrothen Strahl. Das Kind war ermordet.“


II. Zwerg-Sagen auf der Nord-Seite des Harzes.

1) „Einst wohnten viele tausend Zwerge in den Fels-Klüften, und in den noch vorhandenen Zwerg-Löchern[8]. Aber, nur selten erschienen sie den Landesbewohnern in sichtbarer Gestalt; gewöhnlich wandelten sie, durch ihre Nebelkappen geschützt, ungesehen und ganz unbemerkt unter ihnen umher.“

„Manche dieser Zwerge waren gutartig, und den Landesbewohnern, unter gewissen Umständen, sehr behülflich; die z. B. bei Hochzeiten und Kindtaufen, mancherlei Tischgeräthe aus den Hölen der Zwerge erborgten. Nur durfte sie niemand zum Zorn reizen; sonst wurden sie tückisch und bösartig, und thaten dem, der sie beleidigte, allen möglichen Schaden.“

2) „In dem Thal zwischen Blankenburg und Quedlinburg bemerkte einst ein Becker, daß ihm immer einige der gebacknen Brodte fehlten; und doch war der Dieb nicht zu entdecken. Dieser beständig fortdauernde geheime Diebstahl, machte, daß er allmählich verarmte. Endlich kam er auf den Verdacht, daß die Zwerge Ursach an seinem Unglück seyn könnten. Er schlug also mit einem Geflechte von schwanken Reisern so lange um sich her, bis er die Nebelkappen einiger Zwerge traf, die sich nun nicht mehr verbergen konnten. Es wurde Lärm. Man ertappte bald noch mehrere Zwerge bei Diebereien, und nötigte endlich den ganzen Ueberrest des Zwerg-Volks auszuwandern.“

„Um aber die Landeseinwohner einigermaßen für das Gestohlne zu entschädigen, und zugleich die Zahl der Auswandernden überrechnen zu können, wurde auf dem jetzt sogenannten Kirchberg, bei dem Dorf Thale, wo sonst Wendhausen lag, ein großes Gefäß hingestellt, worin jeder Zwerg ein Stück Geld werfen mußte. Dieses Faß fand sich, nach dem Abzuge der Zwerge, ganz mit alten Münzen angefüllt. So groß war ihre Anzahl.“

3) „Das Zwerg-Volk zog, über Wahrnstedt (ein Dorf unweit Quedlinburg) immer nach Morgen zu. Seit dieser Zeit sind die Zwerge aus dieser Gegend verschwunden. Nur selten ließ sich seit dem, hier und da, ein einzeler Zwerg sehen.“


So sind die Zwerg-Sagen dieser Gegend beschaffen, welche aber nicht bloß auf die genannten Orte sich einschränken, sondern auch an andern Orten erzählt werden, mit kleinen lokalen Verschiedenheiten, doch so, daß jene Grundzüge von dem Verhältniß des Zwerg-Volks zu den eigentlichen Landesbewohnern, von seinem versteckten Auffenthalt in dem Lande, und der Auswanderung desselben in einer sehr entfernten Periode, immer durchschimmern. – Zur Vergleichung mögen noch ein Paar Zwerg-Sagen aus Dardesheim, einem Städtchen zwischen Halberstadt und Braunschweig, hier stehen.

„Dicht an der nordöstlichen Seite des Städtchens ist ein Quell des schönsten Wassers, welcher der Smans (Leßmans) Born heißt, und aus einem Berge hervorquillt, in dem in der Vorzeit die Zwerge wohnten. – Wenn die ehmaligen Einwohner der Gegend ein Feierkleid, oder an einem Familienfest ein seltneres Geräthe gebrauchten, so gingen sie vor diesen Zwerg-Berg, klopften dreimal an, und sagten mit deutlicher und vernehmlicher Stimme ihr Anliegen. Und – „Frühmorgens, eh die Sonn’ aufgeht, Schon alles vor dem Berge steht.“ – Die Zwerge fanden sich hinlänglich belohnt, wenn ihnen etwas von den festlichen Speisen vor dem Berg hingesetzt wurde.“

„Den Zwerg-Berg zieht, auf der östlichen Seite, ein Stück Acker hinan. Dieses Feld hatte einst ein Schmidt, Namens Riechert, mit Erbsen bestellt. Er bemerkte, als sie am wohlschmeckendsten waren, daß sie häufig ausgepflückt wurden. Um dem Erbsendieb aufzulauern, baute sich Riechert ein Hüttchen auf seinen Acker und wachte Tags und Nachts dabei. Am Tage entdeckte er keine Veränderung. Aber alle Morgen sah’ er, daß, seines Wachens unerachtet, in der Nacht sein Feld bestohlen war. Voll Verdruß über seine mißlungene Mühe, beschloß er, seine noch übrigen Erbsen auf dem Acker auszudreschen. Mit Tages-Anbruch begann Schmidt Riechert seine Arbeit. Aber, noch hatte er nicht die Hälfte der Erbsen ausgedroschen, so hörte er ein klägliches Schreien. Beim Nachsuchen fand er auf der Erde, unter den Erbsen, einen der Zwerge, dem er mit seinem Dreschflegel den Schädel eingeschlagen hatte, und der nun sichtbar war, da er seine Nebelkappe verloren hatte. – Der Zwerg floh’ eilends in den Berg zurück.“

„Doch störten dergleichen kleine Streitigkeiten das gute Vernehmen des Zwerg-Volks und der Landeseinwohner nur auf kurze Zeit. Aber die Zwerge wanderten endlich doch aus, weil ihnen die neckenden Spöttereien mancher Landesbewohner unerträglich waren, so wie der Undank bei manchen erwiesenen Gefälligkeiten. – Seit der Zeit sieht und hört man keine Zwerge mehr.“


Doch genug der Beispiele dieser nordischen Zwerg-Sagen, welche, auf den ersten Anblick, kaum Beachtung verdienen, oder als Spiele einer verschrobenen Phantasie betrachtet werden könnten. Aber auch diese sonderbaren Sagen können dem Forscher wichtig seyn, und vielleicht, hier und da, eine Lücke in der Urgeschichte unsers Vaterlandes ausfüllen, wo uns schriftliche Nachweisungen verlassen. Versuchen wir also, ob sich nicht eine denkbare Auflösung dieser so ganz isolirt dastehenden Sagen darbietet.

Die historischen Data, welche sich aus diesen Zwerg-Sagen, nach Wegdenkung dessen, was sich dem Forscher als dichterische, oder doch willkührliche, Einkleidung darstellt, errathen lassen, scheinen mir folgende zu seyn.

1) In einer sehr entfernten Periode der Vorzeit waren die südlichen Grenzen des Harz-Gebirges, eine Zeitlang, von einer Nation bewohnt, die sich von dem nachmals als herrschend dastehenden Volk, durch Kleinheit des Körperbaus und verhältnißmäßig mindere Stärke, auszeichnete. – Diese „Kleinheit und mindere Stärke“ muß aber in nationeller, nicht individueller Beziehung gedacht werden; so daß auch dem kleinern Volk seine ausgezeichneten Helden verbleiben, welche den Kriegern des größern Volks ohne Furcht entgegentreten konnten. Denn, wir finden zuweilen die Führer des Zwerg-Volks, in den alten deutschen Rittergedichten, mit den Hühnen im Kampf, und nicht immer als Besiegte.

2) Diese kleinere Menschenart wurde von der größern besiegt, unterjocht, und zuletzt immer mehr in die Gebirgsthäler zurückgedrängt, und genötigt, sich hinter Felsen, in Hölen, Erdschluchten, an unterirrdischen, von Felsengewölben überdeckten, kleinen Seen, u. s. w. zu verstecken. Nur des Nachts, und in der Dämmerung des Nebels (darauf scheinen die in diesen Sagen so oft vorkommenden Nebelkappen hinzudeuten) wagten es endlich diese Zurückgedrängten ihre Schlupfwinkel zu verlassen, um für ihre Bedürfniße zu sorgen. Ihre bedrängte Lage machte sie zu Dieben und zu nächtlichen Räubern. Vielleicht verwilderten einzelne Mitglieder dieses Völkerstamms so weit, daß sie selbst Kinderräuber und Kindermörder wurden.

3) Die herrschende größere Nation trieb endlich die Ueberreste dieses kleinern Völkerstamms über das Harzgebirge herüber, oder ließ sie, der Bedrängungen müde, entwischen, doch so, daß sie den größten Theil ihres Vermögens zurücklassen mußten.

4) Auf der Nord-Seite des Harzes fand das verdrängte Volk auch nicht lange ruhige Wohnsitze, und es wurde bald genöthigt, Morgenwärts weiter zu ziehen.

Nur einzelne Mitglieder dieses Volks von kleinerer Organisation blieben zurück, und lebten, hier und da, in ziemlich freundschaftlichen Verbindungen mit einzelnen Mitgliedern der herrschenden Nation. – Doch, da die meisten der Zurückgebliebenen auf ähnliche Art lebten, wie die spätern Zigeuner (die noch jetzt in vielen Ländern Europa’s in Wäldern umherschleichen, und mehr des Nachts als am Tage sich den Häusern der Landesbewohner nahen,) nämlich von heimlichen Diebereien; so machte dies, theils, daß sie ihren Auffenthalt möglichst versteckten, und sich selten am Tage sehen ließen, theils, daß das herrschende Volk, das ihnen Bösartigkeit und Verstecktheit zuschrieb, auch diese Ueberreste des Zwerg-Volks, hier durch spöttische Behandlung, dort durch immer größere Bedrängung und selbst durch Gewaltthat, zwang, weiter zu wandern.


Noch ein Wort über den muthmaßlichen Zusammenhang der Nixen- und Zwerg-Sagen. Die Aehnlichkeit der Darstellung spricht für ihren Zusammenhang. Die Nixe schildert die Volks-Sage, wie die Zwerge, als Menschenähnliche Wesen, doch von kleinerer, auch wohl unförmlicher Gestalt, die größtentheils ungesehen, an Sümpfen und unterirrdischen Seen sich aufhalten, boshaft und schadenfroh sind, und besonders den Kindern der Landesbewohner nachstellen.

Vielleicht erklärt sich die Sage von den Nixen, welche auf den ersten Anblick kaum einen Schimmer von Wahrheit zeigt, und jene häufig an Kinder gerichtete Warnung, sich vor den Wasserbewohnern, die in den Abgrund ziehen, in Acht zu nehmen, am besten, bei genauer Betrachtung solcher, zum Theil mit Wasser angefüllten, Hölen, als die bekannte und oft besuchte Kelle,[9] unweit Elrich, ist.

In einem schauernden Gehölz, das schon durch eine Menge tiefer Craterförmiger Erdfälle, die Aufmerksamkeit des Wanderers auf sich zieht, und Staunen, auch wohl Aengstlichkeit veranlaßt, steigt man eine mehrere hundert Fuß tiefe und steile Schluft mühsam herab, und steht dann, von einem hohen Felsengewölbe, dessen Trümmern in jedem Augenblick herabzustürzen drohen, überdeckt, an einem kleinen unterirrdischen See, dessen Wasser, wie man jetzt, bei dem, durch die zum Theil eingestürzte obere Decke der Höle, von oben einfallenden Tageslicht sieht, sehr rein und durchsichtig, und, bei einer nicht genau zu bestimmenden Ausdehnung in die Länge, von einer nicht sehr beträchtlichen Breite, und sehr ungleichen Tiefe ist. Jenseits des Wasserspiegels zeigt sich ein ziemlich geräumiger, jetzt von herabgestürzten Felsenmassen überdeckter, freier Platz, der einst, als die Höle von oben überwölbt war, einen völlig dunkeln und unentdeckten Zufluchtsort darbot.

Konnten nun nicht manche der zurückgedrängten Menschen sich in solchen Hölen, in welchen theils die graunvolle Dunkelheit, theils ein vorliegender Wasserstrom sie gegen jede Nachforschung sicherte, sich und ihren Raub verbergen? Und wenn nun diese Nachtmenschen allmählig so verwilderten, daß sie zum Theil bis zu Menschenfressern herabsanken, wenn sie zuweilen einzelne Kinder der Landesbewohner, oder Wanderer, die sich in dem unwegsamen Gebirge verirrt hatten, in die dunkeln Hölen schleppten, wo sie verschwanden; konnten dann nicht die seltsamen Nixen-Sagen sich bilden, die jetzt so ohne allen Zusammenhang dastehen? Jenes Verschwinden einzelner Kinder konnte übrigens sehr selten seyn, und doch in der ganzen Gegend Angst und Schrecken verbreiten, und die Phantasie zu wundersamen Dichtungen aufregen.


Nun ein kleiner Versuch einer historischen Enthüllung dieser Zwerg- und Hühnen-Sagen, nach der obigen Darstellung.

Das herrschende, den andern Völkerstamm von kleinerer Körpergröße allmählig zurückdrängende, Volk ist, der Wahrscheinlichkeit nach, das der Sachsen, deren Nachkommen noch jetzt den Hartingau bewohnen. Diese Sachsen, so streitig auch ihre Urgeschichte und selbst der Ursprung ihres Namens seyn mögen, zeichneten sich durch körperliche Größe und Stärke aus, und waren, im fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung, aus den nördlichen Theilen von Nieder-Deutschland weiter nach Süden vorgedrungen, wo, durch die Wanderungen der Franken, und anderer deutschen Völkerstämme, Wohnplätze erledigt waren. Im Anfangs des sechsten Jahrhunderts nahmen sie das Land auf beiden Seiten des Harzes, und Nord-Thüringen, bis an die Unstrut, in Besitz; nachdem sie, auf die Einladung des ostfränkischen Königs Thiderich, die Thüringer bekriegt, und Schiedungen, Hermansfrieds Burg, erobert hatten.

Aber bald nachher zogen zwanzigtausend Sachsen, mit Aldoin, König der Langobarden, nach Italien; noch mehrere von ihnen verbreiteten sich in den Rheingegenden und im südlichen Deutschland.

Dies gab Veranlassung, daß andere Völker in die Besitzungen der Sachsen auf beiden Seiten des Harzes eindringen konnten. Die zurückgebliebenen, und zum Theil zurückkehrenden, Sachsen konnten geraume Zeit sie nicht von ihren Grenzen abhalten, ob sie gleich, gegen sie, mehrere Vesten, z. B. die Sachsenburg, auf dem Sachsenstein, zwischen Wieda und Neuhof, im Stift Walkenried, und die Sachsenburg an der Unstrut, erbauten. Der Kampf zwischen diesen Völkern dauerte mehrere Jahrhunderte; bis endlich die Sachsen obsiegten, und jene Völker verdrängten.

Zu welcher Nation aber gehörte der Völkerstamm von kleinerer körperlichen Constitution, der den Nachkommen dieser Sachsen als ein Zwerg-Volk erschien?

Entweder (so kann der Forscher, der, wenn Gewißheit nicht zu erreichen ist, das Wahrscheinlichste zusammenordnet, antworten) waren es Sueven. – Für diese Hypothese könnte man als Beweise anführen: 1) daß wirklich, nach dem Abzuge der Sachsen nach Italien, Sueven einen Theil der sächsischen Länder in Besitz nahmen. Daher der Schwaben-Gau (pagus Suevon) zwischen der Bode, Saale und Unstrut. 2) Die schwäbische, oder oberdeutsche Mundart, wodurch noch jetzt die Bewohner einzelner Ortschaften in der Grafschaft Hohenstein sich auszeichnen. 3) Die Namen mehrerer Orte in dieser Grafschaft und in der daran gränzenden goldnen Aue, welche, durch ihre Endungen auf „ingen“ und „ungen“ auf oberdeutschen Ursprung deuten, z. B. Bohdungen, Wechsungen, Haferungen, Pitzlingen, Kleysingen, Hörningen u. s. w.

Oder, noch wahrscheinlicher waren es Wenden, deren nationelle Größe, wie bekannt ist, der nationellen Größe der ächten Sachsen beträchtlich (d. h. in Prosa, um mehrere Zolle) nachsteht.

Die Slavischen und Wendischen Völker erscheinen schon im vierten Jahrhundert an Deutschlands Grenzen, und sie breiteten sich, bei der Wanderung mehrerer deutschen Nationen, bald über Schlesien, Böhmen, die Lausitz, und über den größten Theil des jetzigen Obersachsens aus – Im sechsten und in den folgenden Jahrhunderten finden wir Sorben-Wenden auf beiden Seiten der Elbe, und sie in beständigem Handgemenge mit den Sachsen, welche ihnen die eingenommenen Wohnsitze streitig machten. So bekriegten z. B. Gero, im achten, und Heinrich der Finkler, im zehnten Jahrhundert, die Sorben-Wenden.

Daß die Zwerg-Sagen am Harz auf diese Wenden deuten, ist wahrscheinlich:

1) Weil das Volk in Niederdeutschland die alten Begräbnißplätze, welche sich, durch aufgerichtete oder in die Erde eingerammte Felsenstücke, auszeichnen, häufiger „Heiden- und Wenden-Kirchhöfe“ als Steinbetten, Hühnenbetten, Hühnengräber u. s. w. nennt. – Diese sogenannten Heiden[10] oder Wenden-Kirchhöfe setzt das Volk in Verbindung mit den Zwerg-Sagen, theils, durch den nachmals vorkommenden Namen: „der Kirchhof der kleinen Leute“ theils dadurch, daß es die in jenen Grabmahlen gefundenen Urnen Zwerg-Töpfe nennt.

2) Weil, nach der Erzählung der Chronikenschreiber des Mittelalters, Karl, den die Franken den Großen nannten, nebst verschiedenen sächsischen Heerführern, gegen die Sorben-Wenden, welche die von ihm besiegten und in Schutz genommenen Sachsen zu verdrängen suchten, zu Felde zog, und sie unweit des Harzflusses, die Bode, schlug.

3) Weil mehrere örtliche Benennungen an den ehemaligen Auffenthalt der Wenden auf beiden Seiten des Harzes erinnern; z. B. auf der Süd-Seite, Groß-Wenden und Klein-Wenden, in der Grafschaft Hohenstein, und auf der Nord-Seite, Wende-Fuhrt, unweit Blankenburg, wo, der Sage nach, die Wenden durch die Bode gingen. Eine halbe Meile von da lag ehedem Wend-Haus[11] und Wend-Thal, deren Fluren jetzt den Bewohnern des Dorfs Thale gehören.

4) Weil sich Ueberreste dieses Völkerstamms, in der Nachbarschaft des Hartingaus, selbst bis auf unsre Zeiten, erhalten haben, z. B. die Halloren in Halle. – Auch in andern Gegenden Niedersachsens, wo keine abgesonderten Stämme der Wenden sich durch eigenthümliche Sprache u. s. w. auszeichnen, bemerkt man noch deutliche Spuren, daß einst Wenden dort wohnten, z. B. in der Gegend des magdeburgischen Städtchens Möckern[12].

5) Weil die sächsischen Nationen, so viele Jahrhunderte hindurch, mit dem Namen: „Wenden“ einen verächtlichen Nebenbegrif verbanden, und sich kaum jetzt von dieser Ungerechtigkeit gereinigt haben. Als Beweis braucht hier nur angeführt zu werden: daß noch im siebzehnten Jahrhundert und im Anfang des achtzehnten, die in den Gilden aufzunehmenden Personen, in den meisten sächsischen Städten, nicht allein ihre eheliche Abkunft von vier Ahnen beschwören mußten, sondern auch: „das sie nicht von Wendischer Abkunft wären, dergleichen man in ehrlichen Gilden nicht zu dulden pflege“[13].


Da die oben angeführte Sage das Zwerg-Volk, über Warnstedt (oder Wahrnstadt), Morgenwärts seinen Abzug nehmen läßt; so füge ich hier noch einige lokale Bemerkungen hinzu, die vielleicht zu einiger historischen Aufklärung über diesen Gegenstand Veranlassung geben können.

Bei dem halberstädtischen Dorf Warnstedt, das zwischen Thale und Quedlinburg liegt, finden sich zwei Berge, in denen man häufig Gerippe und Menschenknochen, auch zuweilen Urnen, ausgräbt.

1) Auf der Süd-Seite des Dorfs, etwa eine Viertelstunde von dem Dorf Thale (sonst Wend-Thal) und dem ehemaligen Wend-Haus, an dem Felsenriff, den das Volk die Teufels-Mauer nennt, ist ein flacher Berg-Rücken, der jetzt größtentheils in Ackerfeld verwandelt ist. Das Volk nennt diesen Bergrücken: „Der Lüttgen-Kirchhof“ d. h. den Begräbnißplatz der kleinen Leute[14].

[351] Die Ackerbesitzer entdecken hier öfters unter der Erde Grabmähler, die aus geraden, doch unbearbeiteten, Felsenplatten zusammengesetzt sind, und einige Aehnlichkeit mit den sogenannten Hühnen-Gräbern haben, die man in mehreren Ländern, auch in Nord-Deutschland, entdeckt hat; nur daß sie den meisten von diesen, theils in Absicht der Größe der Felsmassen nachstehen, theils sich darin unterscheiden, daß die Felsentrümmern nicht in Kreisen um die einzelnen Begräbnißstellen aufgerichtet sind, sondern flach in der Erde liegen, und von ihr überdeckt sind. – In diesen Grabmahlen finden

sich Gerippe, oder einzelne Knochen von sehr festgebauten Männern, besonders (in Vergleichung mit unsern jetzigen Beinhäusern) ausgezeichnet große und starke Schädel. An Größe standen also die Männer, denen sie einst angehörten, dem gewöhnlichen Schlag der jetzigen Nachkommen der ehemaligen Sachsen nicht nach; welches aber nicht hindert, daß sie damals, in nationeller Vergleichung „das kleine Volk“ genannt werden konnten, da, unter den altsächsischen Helden, Männer zwischen sechs und sieben Fuß wahrscheinlich keine Seltenheiten waren.

Ein solches Grabmahl entdeckte, unter andern, im Jahr 1795, ein Landmann, der einige, durch das Pflügen und durch den Regen allmählich von der sie bedeckenden Erde entblößte, Felsen, in seinem Ackerfelde auf diesem Berg-Rücken, sprengen wollte. Bei genauerer Untersuchung fand er hier mehrere große röthliche Sandsteine, ohne künstliche Bearbeitung. Diese waren senkrecht in die Erde eingegraben, so daß sie ein länglichtes Viereck bildeten. Queer über diesen lagen fünf unbehauene Steinplatten, welche die Grabstätte bedeckten. Die Länge des Grabmahls betrug etwa funfzehn Fuß, die Breite vier Fuß, die Tiefe drei Fuß. In diesem Grabmahl lagen zwei Todten-Gerippe,[15] Ueberreste von starken Männerkörpern, mit den Füßen gegen einander gerichtet, das eine nach Morgen, das andre nach Abend, zu liegend. Von Holzkohlen, Asche, Ringen, Opfermessern, Kleidungsstücken fand sich keine Spur. Zur Seite des einen Geripps lag ein schöngearbeiteter Streithammer, von einem sehr festen schwarzen Stein, durch welchen ein rundes Loch mühsam gebort war, in welchem einst die Handhabe befestigt wurde. Ueber dem Haupt eines jeden der Gerippe stand ein völlig leeres, eingehenkeltes Todtengefäß, daß noch die Spuren der ersten Anfänge der Kunst zeigt, von etwa sechs Zoll im Durchmesser; welches man fast lieber für ein Trinkgeschirr, das auf die lange Reise mitgegeben wurde, als für einen Aschenkrug zu halten geneigt seyn dürfte, theils wegen der Form, theils weil keine Spur von Asche sich zeigte, theils weil dieser Art von Begräbniß keine Verbrennung voran ging.

Wäre es nicht so äußerst schwer, die gewöhnlichen Finder solcher Denkmahle dahinzubringen, die gefundenen Gerippe, oder wenigstens die Schädel, sorgsam für künftige Untersuchung aufzubewahren; so könnte vielleicht ein Sömmering oder ein Blumenbach aus der Schädelform entscheiden: ob der hier einst wohnende Völkerstamm celtischen, oder slavischen, oder mongolischen Ursprungs war. (Das Letzte würde auf Hunnen leiten, an welche das Volk, aber ohne nähere bestimmende Gründe, bei den Hühnen-Gräbern oft denkt).

Die abweichende Form der Urnen, welche in diesen Grabmahlen auf der Lüttgen Kirchhof gefunden werden, von jenen Urnen, die sächsischen Völkerstämmen zugeschrieben werden müssen, und welche eine ganz andre Gestalt haben, schon die Anfänge einer mehr vervollkommneten Kunst zeigen, und offenbar zu Aschenkrügen bestimmt sind, so wie man sie auch gewöhnlich mit Asche und halbverbrannten Knochen angefüllt findet, und nie in Verbindung mit Gerippen, lehrt uns wenigstens: daß diese Todtentöpfe einem andern Volk gehören[16].

2) Auf der Nord-Seite des Dorfs Wahrnstedt erhebt sich ein anderer Berg, in welchem die Arbeiter, beim Grand-Ausgraben, oft ganze Haufen von unordentlich untereinander liegenden Menschenknochen und Schädeln finden. Auch diese gehörten einst starkgebauten Männern. – Der Berg heißt der Ding-Berg; wahrscheinlich, weil, im Mittelalter, die ältern Grafen von Reinstein hier von Zeit zu Zeit Gerichts-Tage (Ding) hielten. Diese Bestimmung des Berges erklärt aber die Anhäufung von Menschenknochen nicht, zumal, da in der ganzen Gegend um Wahrnstedt, auf den jetzigen Aeckern, häufig Menschenknochen ausgepflügt oder ausgegraben werden. Viel wahrscheinlicher deutet diese Anhäufung von Menschenknochen auf eine ehemals hier vorgefallne sehr blutige Schlacht. Auch der Name des Dorfs scheint darauf hinzudeuten, zumal, wenn Wahrnstedt aus „Wahrstedt“[17] entstanden

[357] seyn sollte, welches mit Schlachtfeld gleichbedeutend, und woraus ohnstreitig das jetzt gebräuchliche „Wahlstatt“ entstanden ist.

Zwar wird dieser Ort in der uns erhaltenen Geschichte durch keine denkwürdige Schlacht ausgezeichnet. Aber, wahrscheinlich war auch damals, als jene Knochenanhäufung veranlaßt wurde, noch kein Dorf hier angebaut, und die Schlacht kann in sehr entfernte Zeiten fallen; denn die abhängige Lage der Gegend, und der sandige und kiesigte Boden schützen die Knochen vor der Verwesung.

Dürften wir, nach allem diesem, nicht jene Begräbniße auf „der Lüttgen Kirchhof“ in die Zeiten setzen, wo jenes kleiner organisirte Volk, das in der dichterischen Sage zu Zwergen herabsank, noch ungestört in dieser Gegend hausete, diese Knochenaufthürmung aber auf eine [358] Schlacht deuten, die zwischen der zurückkehrenden größern Nation und dem Volk von kleinerer Körper-Größe vorfiel, wodurch dieses genöthigt wurde, seine Wohnsitze zu verlassen? – Vielleicht ist dies die Schlacht, welche, nach einigen Chronikschreibern, Karl in dieser Gegend den Wenden lieferte, die er, bei Timmeroda, unweit Wendefuhrt, zum Stehen brachte.


  1. Man vergleiche z. B. folgende Stelle des Heldenbuchs:

    „Den Held begrif syn grimmer zorn,
    Do er also in banden hieng,
    Ein dampf im von dem munde gieng,
    Der verbrandt im syne bandt“ u. s. w.

    Und in demselben Buch, die Beschreibung des Wurms, der einen Löwen ins Maul und einen edeln Ritter unter seinen Schweif nimmt, und so mit ihnen über Berg und Thal rennt. – Auch in der, uns vom Livius erhaltenen, Volks-Sage vom Zweikampf des Manlius Torquatus mit einem Gallier, wird dieser zu einem Berg hohen Riesen, der den kleinen Römer zusammen zu drucken droht.

  2. Vom gallischen Kriege B. 2. Kap. 30.
  3. S. Iliade 5. 770 ff.
  4. Diese Höhen-Bestimmung der Hühnen, welche in den ächten nordischen Volks-Sagen das Gegenstück der Zwerge sind, ergiebt sich z. B. aus dem Sprunge, welches das Roß der Hühnin, in der Sage vom Roßtrapp machte, aus der Sage vom Hühnen-Blut, und besonders aus der vom Mägdesprung, da die Fußstapfen der springenden Hühnin, die daß Volk noch jetzt zeigt, auf 60-80 Fuß von einander entfernt sind, welches auf eine Höhe von mehreren hundert Fußen hindeutet, welche die dichterische Phantasie dem Hühnen-Mädchen gab.
  5. Odyßee 11, 310. ff.
  6. S. Odyßee 9 und 10.
  7. Z. B. an der Kelle, unweit der Werne im Hohensteinischen.
  8. Es verdiente vielleicht einige Nachforschungen, wie weit dergleichen Zwerg-Löcher von dem Volk gezeigt werden? – Bei dem magdeburgischen Städtchen Seehausen zeigt man noch dergleichen Zwerg- oder (wie man sie dort auch nennt) Kröppel-Löcher.
  9. Woher der Name: Kelle? Etwa von Capella? Wenigstens stand einst bei Bischofsroda unweit der Kelle, eine Kapelle, und die Volks-Sage erzehlt: „daß sonst, an gewissen Tagen des Jahres, ein Priester herabstieg zu dem Wasserstrom in der Tiefe der Höle, hier ein Crucifix eintauchte, und dem versammelten Volk zurief: „Kuckt in die Kelle! So kommt ihr nicht in die Hölle!“ – Aber freilich mögen zwischen dem Auffenthalt jener Nachtmenschen in dieser Gegend und der Erbauung der Kapelle leicht mehrere Jahrhunderte verflossen seyn.“
  10. Die Benennung: „Heidenkirchhöfe“ erklärt es vielleicht: warum, in den Gedichten des schwäbischen Zeitraums, die Zwerge größtentheils als Zauberer vorkommen? Man dachte sie nämlich, als Heiden, in Verbindung mit bösen Geistern.
  11. „Wend-Haus“ bedeutet ohnstreitig! „Burg der Wenden“ so wie „Sachsenburg“ Burg der Sachsen. „Haus“ wurde ehedem nur von ausgezeichneten großen und besten Gebäuden, besonders von Burgen gebraucht; so sagte man: Kyff-Haus, statt: Streitburg. – Dieses Wend-Haus erbauten wahrscheinlich die Wenden zu ihrer Vertheidigung gegen die sie immer weiter drängenden Sachsen, welche nach der Vertreibung der Wenden, die Burg in ein Kloster umwandelten.
  12. Wäre die, bei sehr vielen Orts-Namen in Nieder-Sachsen bemerkte Endung: „Lewa, oder, Leben“ wendischen Ursprungs (wie in Nr. 375 der allgemeinen Literatur-Zeitung, von 1796, angemerkt wird); so würden die häufigen „Leben“ auf beiden Seiten des Harzes ein großer Beweis für die langen Wohnsitze der Wenden in diesen Gegenden seyn. – Aber, das Wort ist sächsischen Ursprungs, und aus „Lauba“ oder „Läube“ entstanden, welches einen bedeckten, oder überbauten Platz, Hütte, Wohnung bezeichnet. (So übersetzt Luther, Sirach 14, 26. „Er bringet seine Kinder unter ihr Dach, und bleibet unter ihren Läuben.“ – In Schlesien und der Lausitz, nennt man noch jetzt die überbauten Vorplätze der Häuser: Läuben, oder, Löben; aber auch in Hamburg und Bremen u. s. w. ist dieser Name bei gewissen Häusern gebräuchlich.)
  13. Aus der Volkssprache kann hier noch die Redensart: „er spricht lucker-wendisch!“ statt: er spricht wunderlich! wegen des verächtlichen Nebenbegriffs, der damit verknüpft wird, angemerkt werden.
  14. Auffallend ist es, daß das Volk diesen Begräbnißplatz auch „den Mäken-Kirchhof“ nennt. – Mädchen-Kirchhof (auf welche Deutung gewöhnlich der Sprachforscher zuerst fällt) kann dies nicht bedeuten, theils, weil man wohl nirgends für Kinder weiblichen Geschlechts, in der Vorzeit abgesonderte Begräbnißplätze findet, theils besonders, weil man in jenen aufgebrochnen Grabmahlen nie Ueberreste von weiblichen oder Kinder-Körpern, sondern immer [351] Gerippe von handfesten Männern, gefunden hat. – Vielleicht leitet dieser Name zur Entdeckung des bestimmtern Namens jenes zurückgedrängten und ausgewanderten Völkerstamms. Vielleicht hat er mit dem Namen „Möckern“ womit mehrere Orte in solchen Gegenden, die sonst von Wenden bewohnt wurden, bezeichnet sind, gleichen Ursprung. – Doch ist es auch möglich, daß „Mäken“ nur ein provinzieller Ekelname war, den das herrschende Volk von einer auffallenden, stotternden (mäckernden) Aussprache des kleinern Volks entlehnte.
  15. Die Vollständigkeit der gefundenen Gerippe beweißt nicht, daß sie nicht acht hundert oder tausend Jahr dagelegen haben konnten. In trocknen Gräbern, zumal am Abhang der Berge, erhalten sich, wie mehrere Beispiele lehren, Gerippe von gefunden Körpern, eine lange Reihe von Jahrhunderten hindurch, ohne zu zerfallen, oder nur merklich zu altern.
  16. Stoff zu dergleichen Vergleichungen bietet z. B. die Sammlung von Urnen dar, welche die literarische Gesellschaft in Halberstadt aufbewahrt und immer verwehrt.
  17. Wahrscheinlich gab eine ähnliche Schlacht dem „Wehrstedt“ von dem in der Einleitung eine Sage steht, den Namen. – Waren die Todten, die, in der Sage, aus ihren Gräbern hervortrochen, um [357] sich gegen den andringenden Feind zu wehren, etwa Ueberreste jenes besiegten und zum Auswandern gezwungenen Volks, die sich in Bergschluchten und Erdlöchern versteckt hatten?