Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Johannes von Müller
Bedeutender Historiker, geschätzt wegen seiner Gründlichkeit
und Stylgewandtheit, daher als geschichtlicher
Stylist lange mustergültig, ja mehr als das, selbst
bewundert und von großem Einfluß auf jüngere Lernende,
die zu ihm gleichsam wie zu einem unübertreffbaren
Meister in der Geschichtswissenschaft aufblickten.
Er wurde zu Schafhausen geboren, wo sein Vater
Prediger war und eine verständige geistesklare Mutter,
die sich mit Vorliebe der Geschichte hingab, seine erste
Erziehung leitete; auch der Großvater mütterlicher Seits,
Johannes Schoop, trug dazu bei, den für Geschichte
besonders befähigten Knaben anzuregen und seinem
Talente geistige Nahrung zu geben. Im Jahre 1769
wurde Müller nach der Hochschule Göttingen entsendet,
um dort Theologie zu studiren, wo aber Schlözer’s
nähere Bekanntschaft das ihre beitrug, die wissenschaftliche
Richtung des jungen Studirenden völlig zu bestimmen
und ihn der Geschichtforschung zuzulenken. Im
Jahre 1772 ließ Müller eine »Beschreibung des cimbrischen
Krieges« erscheinen, die sehr beifällig aufgenommen
ward, und übernahm, in seine Vaterstadt zurückgekehrt,
eine Professur der griechischen Sprache am
Gymnasium. Im folgenden Jahre befreundete sich
Müller sehr innig mit Bonstetten und anderen namhaften
Schweizer Geehrten, und ersterer vermochte ihn,
der Geschichtschreiber des Schweizervolkes zu werden,
wozu Müller bereits sehr gründliche Vorstudien gemacht
hatte. Auf Bonstetten’s Anregung machte Müller einige
vorbereitende Reisen, kam dann auf jenes Verwendung
nach Genf, wo er Hauslehrer bei dem Staatsrath
Jacob Tronchin Calendrini wurde, und lebte einige Zeit
im Hause des ihm eng befreundeten Naturforschers
Bonnet, abwechselnd auch auf den Landgütern Bonstetten’s
und beim Generalprocurator Robert Tronchin,
durch dessen Erfahrung ihm mancher Einblick in die
tieferen Geheimnisse der Staatskunst zu Theil wurde;
auch mit Voltaire schloß er Bekanntschaft. Müller arbeitete
Vorlesungen über allgemeine Geschichte aus,
welche er in französischer Sprache hielt und später unter
dem Titel: »Vierundzwanzig Bücher allgemeiner Geschichte«
deutsch herausgab. Gleichzeitig bearbeitete er
eine Geschichte der Landschaft Saanen und den ersten
[Ξ] Band seiner »Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft«,
welche 1780 zu Bern im Druck erschien. Große
Neigung, gestützt auf das Bewußtsein seiner Verdienste,
Akademiker zu werden, bewogen Müller, nach Berlin
zu gehen, wo ihm allseits ehrenvolle Aufnahme wurde,
aber die königliche Akademie der Wissenschaften erfüllte
seinen Wunsch nicht und er fand auch keine Anstellung,
außer dem Anerbieten, ein Schulamt zu übernehmen.
Wenig befriedigt und in seinen Hoffnungen getäuscht,
wandte sich Müller nun nach Halberstadt, wo Vater
Gleim mit gewohnter Herzlichkeit ihn gastlich aufnahm,
und bald darauf wurde ihm die Professur der Geschichte
am Carolinum zu Kassel übertragen. Zu dieser Zeit
ließ Müller mehrere kleinere Werke in französischer
Sprache erscheinen und gab 1782 die »Reisen der
Päpste« heraus, in denen er der Hierarchie das Wort
redete und sich zahlreiche Freunde unter den Römlingen
gewann. Er empfing den Rathstitel und die Stelle
eines Unterbibliothekars in Kassel, verließ aber 1783
diese Stadt und seine Stellen wieder, um in der Schweiz,
den Quellen nahe, sein geschichtliches Hauptwerk zu
vollenden. Er arbeitete den bereits erschienenen ersten
Band um und reihte diesem nun die folgenden Bände
an, folgte nächstdem 1786 einem Rufe als Hofrath
und Bibliothekar nach Mainz und verfaßte mehrere
publicistische Schriften. Der Kurfürst von Mainz,
Friedrich Carl Joseph, sandte den in Staatsangelegenheiten
wohlerfahrenen Gelehrten 1787 nach Rom und
ernannte ihn nach zufriedenstellender Vollendung dieser
Mission zum geheimen Legationsrath, bald darauf aber
zum geheimen Conferenzrath mit Sitz und Stimme im
kurfürstlichen Cabinet. Als Zwischenarbeit erschienen
von Müller 1787 die »Briefe zweier Domherren«.
Nach einer glücklich besiegten Krankheit, von welcher er
im Jahre 1789 in Folge allzugroße, geistiger Anstrengung
überfallen wurde, wohnte er 1790 der Kaiserkrönung
Leopold’s in Frankfurt a. M. bei und empfing
ehrende Anträge nach Wien und nach Berlin. Der
Kurfürst von Mainz aber suchte den höchst brauchbaren
Mann, dem jetzt die Ernennungen als Akademiker aus
Erfurt, Mannheim u. s. w. gleichsam zuströmten, an
seinen Hof zu fesseln, und ernannte ihn zum geheimen
Staatsrath, Referendar und Direktor der kurrheinischen
Kreisarchive, so wie er Sorge trug, daß Johannes
Müller unter dem Namen Edler von Müller zu Sylvelden
in den Reichsritterstand erhoben wurde. Der
Ausbruch der französischen Revolution vertrieb den
Kurfürsten aus Mainz, welche Stadt durch ihre Klubisten
dem Aufruhrgeist sich in die Arme warf, das heillose
Treiben der Revolutionsmänner gut hieß und in ihm
den Anbruch einer neuen glücklichen Aera erblickte.
Johannes von Müller sollte auch Theil nehmen an der
neuen Volksbeglückung und an die Spitze der französischen
Verwaltung treten, er dankte aber für diese
zweideutige Ehre und begab sich nach Wien, wo man
ihn mit Freuden empfing und ihn alsbald zum k. k. wirklichen
Hofrath ernannte und bei der geheimen Hof-
und Staatskanzlei eine Anstellung gab. Johannes von
Müller verfaßte in Wien mehrere politische Flugschriften,
ließ 1795 die zweite Abtheilung des dritten Bandes
seiner Schweizergeschichte erscheinen und wurde Mitarbeiter
der jenaischen Literaturzeitung. Einen Antrag
von Seiten seiner Vaterstadt Schafhausen, dort im
obersten helvetischen Gerichtshof eine Mitgliedstelle einzunehmen,
lehnte er ab, legte aber auch sein Wiener
Staatsamt nieder und wurde im Herbst 1800 erster
Custos der kaiserlichen Bibliothek, ein Amt, das ihm
ruhige Muffe zum weiterarbeiten zu gewähren verhieß,
ihm aber durch kollegiale Unliebenswürdigkeiten genugsam
verleidet wurde. Im Jahre 1804 erfolgte der
früher gehoffte Ruf als Mitglied der Berliner Akademie
und zum Historiographen des Hauses Brandenburg
mit dem Titel eines geheimen Kriegsrathes
nach Berlin, und Johannes von Müller leistete diesem
Rufe freudig Folge, verfaßte mehrere akademische
Schriften, übernahm die Besorgung der Herausgabe
der Werke v. Herder’s, widmete sich wieder seiner
Schweizergeschichte, und begann, einem höchsten Auftrag
zu Folge, eine Geschichte König Friedrich’s II. von
Preußen, dessen Ruhm er in einer Rede vor der Akademie
dadurch zu verherrlichen suchte, daß er ihm Napoleon
an die Seite setzte. Die Stimmung in Preußen,
die Zeit (Januar 1807), Napoleon als Preußens, als
Deutschlands Erbfeind und Unterdrücker – und der
hochherzige edle Heldenkönig – es konnte nicht anders
sein, als daß diese Parallele als eine unverzeihliche
Taktlosigkeit erschien und man nicht Anstand nahm, dieß
den sonst trefflichen Historiker fühlen zu lassen. Dadurch
verletzt, verließ Johanes von Müller Berlin, und
folgte einem Rufe des Königs von Würtemberg als
Professor an der Hochschule zu Tübingen – er gelangte
aber nicht dorthin, sondern Napoleon ließ ihn nach Fontainebleau
berufen und nöthigte ihn, Minister-Staats-Secretair
von Westphalen zu werden, und als er auf
vieles Bitten 1808 von dieser Stelle entbunden wurde,
ward er zum Staatsrath und Generaldirektor des
öffentlichen Unterrichts ernannt. Alle diese ihm nicht
zusagenden Aemter, Mißmuth, Sorgen und Schulden
u. dgl. untergruben Johann von Müller Gesundheit
und kürzten endlich seine Tage, und so schied in ihm
ein hochbegabter Geist, dessen Charakter von Wahrheitsliebe
und Menschenfreundlichkeit getragen war, der
mit großem umfassenden Wissen einen eisernen Fleiß
verband und diesen, wohin ihn auch sein bewegtes Leben
führte, überall entfaltete. Johannes von Müller starb
in Kassel, auf dessen Friedhof König Ludwig von
Bayern ihm ein ehrendes Denkmal errichten ließ.