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Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Johann Wolfgang von Goethe

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Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Johann Wolfgang von Goethe
Untertitel:
aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 147–148
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Johann Wolfgang von Goethe.
Geb. d. 28. Aug. 1749, gest. d. 22. März 1832.


Goethe, des deutschen Vaterlandes Stolz und dessen größter begabtester Dichter, wurde zu Frankfurt a. M. geboren; der Großvater war Schultheiß der freien Reichsstadt, der Vater nahm den Titel eines kaiserlichen Rathes, aber kein öffentliches Amt an, und leitete nicht ohne eine gewisse pedantische Strenge die Erziehung des Knaben, während liebevolle Sorgfalt und Pflege einer genialen Mutter dessen Gemüth für Poesie empfänglich machte und ihn eine glückliche Jugend durchwandeln ließ. Indem er vieles lernte, vieles erspähte, durchlebte der junge Goethe, begabt mit offenem Sinn für alles heitere, schöne und anmuthvolle, für Märchen und Sagen, für Puppenspiele und Volksbücher, für Sprachen, die er mit Leichtigkeit sich aneignete, und unter sinnreichen Spielen seine Knabenjahre bis zum Jünglingsalter, an dessen Schwelle ihm sich früh die Liebe erschloß, die ihm alle Wonnen und alle Schmerzen in die Seele strömte. Er mußte einer unschuldvollen Jugendneigung, Gretchen, entsagen, und auch später unter tiefen Leiden des eigenen Herzens lernen, die Leiden anderer Herzen mit erschütternder Wahrheit zu schildern. Der Vater drängte den Sohn zum Studium der Rechtsgelehrsamkeit hin; mit innerem Widerstreben gehorchte jener und besuchte 1765 die Universität Leipzig. Diese Stadt, von der Goethe nicht ohne Bedeutung später sagte: »Mein Leipzig lob’ ich mir, es bildet seine Leute« – half ihn äußerlich und innerlich bilden – er lernte zunächst leben, und dann einsehen, daß die poetische Schule der Zeitgenossen, die Dichtungen Gottsched’s, Gellert’s u. A. zu überflügeln sein dürften. Mehr als das Studium der Rechtswissenschaft zog die Kunst den strebenden Geist des Jünglings an; an Malerei hatte er schon im Aelternhause Freude gewonnen, als der siebenjährige Krieg französische Einquartierung in dasselbe gebracht hatte, und mit ihr den Kunstfreund Grafen von Thorane. Goethe nahm in Leipzig Zeichnenunterricht bei dem verdienstvollen berühmten Oeser und lag eifrig den Studien der bildenden Kunst ob, denen er praktisch, durch Zeichnen und Selbstätzen, Leben zu geben versuchte. Aber das Einathmen der Säurendämpfe und manche Unregelmäßigkeit des Lebensgenusses machten ihn krank; seine [Ξ] Stimmung wurde trübe; in solcher getrübten Stimmung kehrte er zur Heimath zurück, gefiel sich im stillen Hinbrüten, studirte mystische, kabbalistische und alchymistische Schriften, ja er laborirte selbst, und begann vielleicht die ersten Entwürfe und Anfänge zu Faust, in denen das geheimnißvolle solcher Studien, wie die angedeuteten, hindurchklingt, während er viele andere seiner Manuscripte verbrannte. Doch er sollte nach des Vaters strengem Willen das Rechtsstudium in Straßburg fortsetzen, und that es, lernte dort tüchtige und berühmte Männer, Jung Stilling, Lenz, Lavater und Herder kennen, in deren Umgang sich das etwas altväterisch und pedantisch zugestutzte Leben erfrischte. Dort knüpfte und löste Goethe den Herzensbund in Sesenheim, den er so lieblich geschildert, wurde Doctor der Rechte und rang sich mehr und mehr empor zu einem kraftvollen und genialen Streben. Alles an ihm war jetzt eigen, selbständig, ja excentrisch und andere mächtig anziehend; er fand neue Ausdrücke und überraschte mit ihnen. Sein Götz erschien und ward mit Begeisterung begrüßt; ein Aufenthalt in Wetzlar gab Eindrücke, die den Werther schufen; beide Bücher weckten zahllose Nachahmungen, Götz allarmirte die Köpfe, Werther die Herzen der Jugend. Von Stufe zu Stufe schritt Goethe nun gemessen höher zum Tempel seines Ruhmes; über Weimar stand der Stern seines Lebens, dorthin zog ihn der Freundesruf des jungen Herzogs Carl August. In Arbeit und Vergnügen theilte sich fortan sein Leben; der Hof, die Gesellschaft, der Thüringerwald, der Harz, Kunst- und Naturstudien, Botanik und Mineralogie, Karlsbad, Italien, alles beschäftigte auf das anregendste und in reicher Fülle, dazwischen entstanden die unsterblichen Meisterwerke. Ein in sich ganz klarer, ganz vollendeter Geist war Goethe geworden, daher trat in ihm eine gewisse Abgeschlossenheit gegen das hervor, was von außen sich einzudrängen oder was sich aufzudrängen suchte. So blieb er der Politik im allgemeinen und mit Recht fern und fremd, so stieß die Kant’sche Philosophie den Dichter ab, so vermochte er nicht, Schiller, den eifrigen Jünger dieser Philosophie, von Anfang ihrer Bekanntschaft an gleich zu lieben, wie sehr er sich ihm später als redlicher Freund bewährte. Was als Schatten an Goethe’s Wesen, was als Mangel an manchen minder hoch zu stellenden Schriften von ihm bezeichnet werden kann, hat die schonungslosesten Richter gefunden, und hat er sich irgendwo und wie eine literarische Sünde zu Schulden kommen lassen, so hat er sie um so härter büßen müssen, je größer er war, als andere. Aber selbst über das Maaß der Gerechtigkeit hinaus gingen Feinde und Gegner, ja sogar der blöde Unverstand erhob die Waffe gegen den unübertreffbaren Meister. Seine tiefernsten Natur-Studien wurden verkannt, der Dichter sollte nicht auch Naturforscher sein wollen, und doch war er ein solcher im Geist und in der Wahrheit. Seine Farbenlehre, seine Metamorphose der Pflanzen wurden nicht verstanden; man tadelte sie, ohne sie zu studiren. Das alles rauschte vorüber, und unantastbar steht der Ruhm des hochbegabtesten, ausdauernd fleißigsten und redlich strebendsten Dichters, Kunst- und Naturforschers, Staatsmannes und Weisen auf dem Grundbau seiner Werke. Götz, Tasso, Iphigenie, Faust, Hermann und Dorothea werden ewig dauern, und wie der Name Homer’s durch das Gedächtniß aller Zeiten klingt, wird Goethe’s Name gefeiert fortklingen in allen Regionen des Erdballs, so lange dieser auf seiner Wandelbahn um die Sonne »mit Brudersphären Wettgesang« tönt, und das Leben der Menschheit auf ihm Dauer hat. – Glückliches Leben und höchstes Lebensziel verliehen die Himmlischen ihrem Liebling; er stand ruhig und groß über dem Lärm und den Wirren der Zeit, ihre Wetter und Wolken zu seinen Füßen, sein Haupt im Licht. »Mehr Licht!« war sein letzter Ruf, als sich in seinem dreiundachtzigsten Jahre das irdische Licht verdunkelte. Was Deutschland an Goethe besaß, und was es freudig von ihm fortbesitzt, das reiche Erbtheil seines weltumfassenden Geistes, wird immer mehr erkannt werden von den kommenden Geschlechtern, und wie im Schlußwort des größten aller deutschen Gedichte Goethe voll tiefer Innigkeit ausspricht: »das Ewig-Weibliche zieht uns hinan« – so werden auch die nach uns kommenden beim tieferen Verständniß von Goethe’s Werken von ihm bekennen: das Ewig-Göttliche zieht uns hinan.