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Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Johann Gottfried von Herder

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Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Johann Gottfried von Herder
Untertitel:
aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 173–174
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Johann Gottfried von Herder.
Geb. d. 25. Aug. 1744, gest. d. 18. Dez. 1803.


Priester Gottes, Priester der Humanität, in dieses Wortes würdigster und erhabenster Bedeutung zählt Herder unbestritten zu des deutschen Vaterlandes größten Dichtergeistern und lebt mit unvergänglichem Nachruhm gefeiert im dankbaren Andenken der Nation.

Herder’s Geburtsort ist das ostpreußische Städtchen Morungen; sein Vater war dort Töchterlehrer, Cantor, auch gelernter Tuchmacher; er ertheilte dem frühzeitig lernbegierigen Sohn selbst den ersten Unterricht, versagte ihm aber außer Bibel, Gesangbuch und Catechismus jedes andere Buch, und der Knabe mußte verstohlen vom Lebensbaume unterhaltender und belehrender Literatur naschen, so sehr ihn auch das lesen der Bibel anzog und befriedigte. Ein Prediger des Ortes half ihm weiter, rieth ihm indeß vom studiren ab und bediente sich seiner als Abschreiber, wobei dem jungen Herder der Gebrauch der Bibliothek dieses Geistlichen verstattet blieb, so wie die Theilnahme am Unterricht der eigenen Söhne. Ein russischer Wundarzt bot Herder an, ihm nach Petersburg zu folgen und die Chirurgie bei ihm zu erlernen; Herder folgte ihm bis Königsberg, entsagte aber dort seinem Vorhaben, da sein weiches Gemüth Sectionen beizuwohnen ihm unmöglich machte. Es fanden sich hülfreiche Freunde; Herder, mit manchen schönen Vorkenntnissen, sah sich aufgemuntert, Theologie zu studiren, verband dann mit dieser das Studium der Philosophie, wurde eifriger Jünger Kant’s, wandte sich auch andern verwandten Studien zu, befreundete sich mit Hamann, und sah sich, unterstützt durch Fleiß, höchst glückliche Begabung und endlich durch jene höhere Führung, ohne deren Macht und Willen auch der Begabteste geistig verkommen kann, bald an das Ziel seiner Wünsche getragen. Im Jahre 1762 hatte Herder seine Studien begonnen, im folgenden Jahre wirkte er schon selbst als Lehrer am Collegium Friedericianum, und 1764 wurde er Collaborator und Prediger an der Domschule zu Riga. Dahin, wohin das Schicksal schon früher ihm zu winken schien, nach St. Petersburg, winkte es nochmals, Herder sollte dort Direktor der Peters-Schule werden, allein er lehnte den Antrag ab und sah dieß in Riga dankbar anerkannt. Gleichwohl war [Ξ] auch daselbst nicht seines Bleibens; er wünschte »die Welt seines Gottes von mehreren Seiten kennen zu lernen« und sich noch würdiger auszubilden. Er nahm den Abschied und reiste 1769 nach Paris; dort bot sich Herder eine Stelle als Reiseprediger des Prinzen von Holstein-Eutin; er durchreiste mit diesem Frankreich und mehrere Länder Deutschlands, und hatte die Freude, in Straßburg, welches lange Zeit hindurch ein Sammelplatz junger Söhne deutscher Fürstenhöfe war, die zu ihrer wissenschaftlichen Ausbildung dorthin entsendet wurden, Goethe kennen zu lernen, wie er in Hamburg Lessing kennen lernte. Schon hatte sich Herder durch die Herausgabe seiner »Fragmente über die neuere deutsche Literatur« einen vortheilhaften Ruf als geschmackvoller und geistreicher Kritiker erworben, wie denn Kritik und literarische Polemik ihm mit der Königsberger Luft angeweht waren, bevor er in höhere reinere Sphären geistigen Schaffens sich emporhob. Jetzt erschienen auch die »kritischen Wälder«. Als Prediger entfaltete aber Herder noch ungleich höhere Begabung, wie als junger aufstrebender Kritiker, und zu Darmstadt, wo er die Bekanntschaft seiner nachherigen Lebensgefährtin, der geistreichen Marie Caroline Flachsland machte, wurde ihm die Stelle eines Hofpredigers und Superintendenten in Bückeburg angetragen. Herder folgte diesem ehrenvollen Rufe mit Freuden, verlebte in Bückeburg 5 schöne Jahre in jener Wirksamkeit, für die er von Gott berufen war, uns lehnte mehrere von auswärts an ihn ergehende Anträge ab. Endlich bestimmte ihn ein Ruf aus Hannover zu der in Göttingen offenen Stelle als Universitätsprediger und vierter Professor der Theologie zur Annahme, allein der unaustilgbare deutsche Gelahrtheitzopf vereitelte diese dennoch.

Herder, der ausgezeichnete Prediger und Schriftsteller, der gründlich wissenschaftlich gebildete Mann, sollte erst den Gradum eines Doctoris sacrae Theologiae erwerben und sich durch ein prüfendes Colloquium auf den Zahn fühlen lassen, ob er auch gehörig fest und schulgerecht im Sattel der Orthodoxie sitze. Herder war ein genialer Audodidakt, stand geistig jedenfalls höher als all’ die Colloquisten, fügte sich ungern, wollte sich dennoch fügen, da löste mit einem male die höhere Hand das götting’sche Dilemma – ein Brief von Weimar kam, ein Brief von Goethe, mit der freundlichen Anfrage, ob Herder geneigt sei, in Weimar die Stelle eines General-Superintendenten, Hofpredigers und Oberkonsistorialraths anzunehmen? – Das gab nun freilich einen Ausschlag; die orthodoxe Facultät der Georgia Augusta kam um einen Stern und behielt ihre Orthodoxie ungefährdet durch Herder.

Als Schriftsteller war und blieb Herder in jedem seiner verschiedenen Berufskreise unausgesetzt thätig, und was er schrieb befriedigte die Kenner, entzückte die poetisch fühlenden, und zeigte, wie er danach rang und strebte, die Ueberfülle genial übersprudelnder Kraft allmählig zu bewältigen und zu klären. Sein durch und durch poetischer Geist schwang sich siegreich über das trockene abstrakte der Philosophie, und wenn er, »des Gottes voll«, sich mehr als alleingebietender Herrscher und nicht als berathender Beisitzer im Reiche der Literatur, der Kunst und des Schönen fühlte und zeigte, so war dieß eben ein Beweis seiner überwältigenden geistigen Vollkraft und des Bewußtseins seiner göttlichen Mission, welche eine höhere war, als im Karren der Alltagsherkömmlichkeit zu gehen, und collegiale Vota abzugeben. Herder’s »Urkunde des Menschengeschlechts« wog tausend und aber tausend verstaubte Urkunden auf.

Der Ruf nach Weimar fand Herder im Verhältniß eines glücklichen Gatten und Vaters, gesund und voll frischer Körper- und Geisteskraft, plänevoll und ruhmqekrönt mit zweiunddreißig Jahren. Sein neuer Lebenskreis konnte in Deutschland, in Europa nicht aus hoher anregenden Geistesgrößen gebildet sein; alles was edelbefreundeter und geselliger Umgang, der gebildetste Hofzirkel, ein einflußreiches, wichtiges Amt, Anerkennung, ja Bewunderung der Mitwelt, ausreichende Mittel, glückliches Familienleben, vergönnte Reisen zur Belebung und Erfrischung und vieles derartige beitragen können, ein Menschenleben voll zu beglücken, häufte sich auf Herder, dennoch war er kein glücklicher Mann und dieß lag leider in seiner eigenen krankhaften Gemüthsstimmung, die ihn um einen guten Theil Lebensfreuden brachte. – Im Jahre 1783 machte Herder eine Reise nach Norddeutschland und knüpfte mit Claudius, Klopstock, Jerusalem u. a. erfreuende Bekanntschaft- und Freundschaftbande. Freiherr Friedrich von Dalberg, Bruder des Herder ebenfalls befreundeten Coadjutors Carl von Dalberg, forderte Herder 1788 auf, ihn auf einer Reise nach Italien zu begleiten, und Herder trat diese an, nachdem kurz vorher Goethe aus jenem Lande zurückgekehrt war. Als Herder in Rom war, berief man ihn abermals nach Göttingen, diesesmal ohne Bedingung eines in der Orthodoxie prüfenden Colloquiums und Erwerbung des theologischen Doctortitels. Herder dankte. Nach seiner Rückkehr nach Weimar wurde er Vicepräsident, später (1801) Oberconsistorial-Präsident und der Kurfürst von Bayern verlieh ihm und seinen Nachkommen den Adel.

Um das Land, dessen Regenten Herder diente, und namentlich um das Kirchen- und Schulwesen erwarb sich derselbe anerkannte Verdienste, doch rieben die vielen geistigen Mühen auch seine Kraft und Gesundheit auf, was mehrere Badereisen zur Folge hatte, deren Erfolge, wie gewöhnlich, keine nachhaltig dauernde Wirkung krönte. Noch nicht 60 Jahre alt, ging Herder in die Gefilde des ewigen Friedens ein, und hinterließ den verehrenden Nachkommen seine unsterblichen Werke, und seinen Gedenk- und Wahlspruch: Licht, Leben, Liebe – in dem sich alles irdische fühlen zu einem himmlischen vergeistigt. Denkmäler mangeln ihm nicht, das unvergänglichste Denkmal setzte er sich in den Herzen durch seine Schriften, durch den johanneischen Geist, der ihn erfüllte und durch den ächten Christussinn, der ihn beseelte, der seinem Streben Weihe und seinem Ideale Verwirklichung verlieh.