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Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Johann August Unzer

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Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Johann August Unzer
Untertitel:
aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 375–376
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Johann August Unzer.
Geb. d. 29. April 1727, gest. d. 2. April 1799.


Als Arzt gelehrt und geschätzt, als Physiolog Bahn brechend, erwarb sich Unzer dauernden Nachruhm und seine Schriften sicherten ihm bei der Nachwelt den Ruf eines tief in die Geheimnisse der Natur eingedrungenen Forscher-, Er wurde zu Halle geboren, besuchte die dortige Hochschule, widmete sich der Arzneikunst, und trat schon in seinem achtzehnten Jahre anonym als Schriftsteller auf. Im 21. Jahre erwarb er die medicinische Doctorwürde, nachdem er bereits 1747 als Substitut seines Lehrers, des Professor Junker, der zugleich die Stelle des Waisenhaus-Arztes bekleidete, in die medicinische Praxis eingeführt worden war. Nach seiner Promotion begann er als philosophischer und medicinischer Docent, wie als praktischer Arzt sein nützliches und mit den günstigsten Erfolgen gesegnete Wirken, ausgerüstet mit gediegenen Kenntnissen, großer Gelehrsamkeit, und mit der Gabe, Erfahrungen an Krankenbetten wohl zu nützen und zu verwerthen. Neben den allgemeinen Krankheitserscheinungen waren es hauptsächlich Physiologie und Psychologie, auf welche Unzer sein Augenmerk richtete, und er veröffentlichte zahlreiche Wahrnehmungen und Früchte seiner ernsten Beobachtungen und Studien, welche im ärztlichen Publikum nicht nur, sondern auch bei dem der Laien in den medicinischen Wissenschaften großen Beifall fanden. Seine Schreibart war gefällig, und auch den Laien verständlich, und der Zweck, weshalb er sogar für diese schrieb, war Gemeinnützlichkeit, Beseitigung des Aberglaubens und der Quacksalberei, und auf Vernunft begründete Gesundheits- und Lebensverlängerungskunst. Zu Ende des Jahres 1750 wandte sich Unzer von Halle nach Hamburg, und von da bald nach Altona, wo er sich verheirathete und in Ausübung goldener Praxis glücklich lebte. Seine Frau war Johanne Charlotte, eine geborene Ziegler, seine Landsmännin, im Jahre 1724 auch in Halle geboren, und – eine Dichterin, der es gelang, Ruf zu erstreben und Anerkennung in weiteren Kreisen zu finden. Man schmückte sie zu Helmstädt 1755 mit dem poetischen Lorbeerkranze, und ertheilte ihr die Mitgliedschaft gelehrter Societäten. Sie war, wie alle dichtenden Frauen, zunächst Lyrikerin, besang Gott, Religion, Freundschaft und Tugend, und [Ξ] wandte sich mit Vorliebe zur didaktischen Poesie, gab scherzhafte, sittliche und zärtliche Gedichte heraus, von 1751 bis 1766, schrieb eine »Weltweisheit für Frauenzimmer«, die in erster Auflage 1754 erschien, und erhob sich nicht besonders über ihre Zeit und ihre Sphäre, obschon ihr poetisches Streben nicht ohne Beifall der Zeitgenossen blieb. Sie erreichte ein Alter von 58 Jahren und starb 1782, also 17 Jahre vor ihrem Manne. Wie weit sie diesen mit ihrer Poesie beglückte, ist nicht in weiten Kreisen bekannt geworden; es scheint, daß jedes von beiden Gatten seinen eigenen Schriftstellerweg ging. Unzer schrieb über Gemüthsbewegungen, über Schlaf und Träume, über den Einfluß der Seele auf den Körper, wie über die Wechselwirkungen, welche die Seelenkräfte oder die psychischen Vermögen auf den Körper ausüben oder mit dessen Bewegungen harmoniren. Auch eine Abhandlung vom seufzen ließ er erscheinen, gab eine Sammlung kleiner physikalischer Schriften heraus, stellte ein Lehrgebäude von der Sinnlichkeit der thierischen Körper auf, veröffentlichte physiologische Untersuchungen, schrieb über ansteckende Krankheiten, auch mehreres über die Pocken, und arbeitete mit an wissenschaftlich gehaltenen Zeitschriften. Den meisten Ruf und die meiste Volkstümlichkeit erlangte Unzer aber durch die von ihm 1759 begründete medicinische Wochenschrift: »Der Arzt«, welche in Hamburg erschien, in mehrere Sprachen übersetzt wurde, und den größten Beifall fand. In einem meist witzig und humoristisch gehaltenen Tone wurde das Publikum über medicinische Wahrnehmungen und Wahrheiten aufgeklärt, und es sank von manchem Geheimniß der umhüllende Schleier, nur nicht von Unzer’s selbsterfundenem »Digestivpulver«, das als Säure tilgend, Galle dämpfend, den Magen reinigend, die Verdauung hebend, gepriesen und als Geheimmittel verkauft wurde. Man hat dieß Unzer sehr zur Last gelegt, allein es lag nicht nur in der damaligen Zeitsitte, es blüht heute noch, der von einem Jahrhundert ins andere sprossend aus sich selbst fortzeugende Polyp, der medicinische Humbug. Jeder bedeutende Arzt mußte etwas bedeutend heilsames erfinden. Unzer’s Zeitgenossen waren darin so wenig müssig, wie die Nachfolger, und so lange sich’s thun ließ, hütete jeder sein Arcanum sorglich vor der Veröffentlichung. Stahl, der alte psychologische Arzt, auch aus Halle, der 1734 starb, hatte seine balsamischen Pillen erfunden, Whyt sein stärkendes Chinaelixir, Kämpf erfand seine Visceralpillen, Teichmeier und Hofmann erfanden jeder einen Lebensbalsam, Sydenham erfand sein Laudanum liquidum, später Himly seinen Augenbalsam, Ortlepp sein Augenwasser und seine Augensalbe, und jeder Blick in eine alte Pharmacopöe lehrt fort und fort das paracelsische Geheimniß, wie Galenus opes giebt. Warum hätte Unzer kein Digestivpulver erfinden, und es denen verkaufen sollen, die sich dessen bedienen wollten? Er blieb darum nicht minder der Mann von philosophischem Geist, physiologischem Scharfsinn und populärer Diätetiken. Eigenthümlich war, daß neben ihm noch ein Unzer, Ludwig August, aus Wernigerode gebürtig, als Arzt und Professor der Physik und Naturgeschichte am Gymnasium zu Altona thätig war, auch im diätetischen Fach namentlich sich auszeichnete, und nebenbei als beliebter Dichter und Dramatiker glänzte, auch von 1772 bis 1780 den »Altonaer Merkur« herausgab. Da mag wohl manche ernste und komische Verwechselung mit dem Doppelgänger und Doppelnamensvetter vorgekommen sein. Johann August Unzer endete ziemlich hochbetagt im 72 Lebensjahre.