Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Friedrich Leopold, Graf zu Stolberg
Dichter und Staatsmann, als ersterer ungleich berühmter,
denn als letzterer, Mitglied des Hainbundes,
voll Seelenadel und voll tiefen, früh ihm eingeprägten
religiösen Gefühls, daher auch zugänglicher wie mancher
andere, in dessen Seelenleben der Verstand die Oberherrschaft
behauptet, dem sehnen nach innigerem einkehren
in mystische Gebiete und sinnlichere Formen des
Cultus, als der Protestantismus gewährt, daher
Konvertit und als solcher hart befehdet und bitter
getadelt.
Graf Stolberg d. j. kann nicht ohne seinen älteren Bruder Christian genannt werden, welcher am 15. Oct. 1748 zu Hamburg geboren wurde. Friedrich Leopold erblickte das Licht der Welt zu Bramstedt im Holsteinischen. Der Vater, Christian Günther Graf zu Stolberg, war königl. dänischer Kammerherr, Geheimer Rath und Oberhofmeister der Königin Sophie Magdalena von Dänemark. Beide Brüder studirten in Göttingen, nachdem sie von den streng evangelischen Aeltern (die Mutter war eine Abkömmlingin des alten fränkischen Geschlechts der Grafen von Castel) eine sorgfältige Jugendbildung erhalten hatten, welche nicht ohne Beimischung Zinzendorfischer Frömmigkeit blieb.
In Göttingen waren die gräflichen Brüder dem Hainbunde zwar zugesellt, um so mehr da Klopstock, dem sie Poesieproben von sich gesendet, sie freundlich aufgemuntert hatte, und sie selbst führten dem Bunde wackere Mitgenossen zu, hielten sich aber doch mehr zu Ebenbürtigen, als zu den bürgerlichen Dichterjünglingen, in deren genialen Kreisen ihnen nicht das gewohnte vornehme des väterlichen Hauses entgegenkam.
Gern besuchten die Grafen ihr nahes Stammland, den herrlichen Harz, wo die stolzen Grafenwiegen, die Ahnenschlösser Stolberg und Wernigerode noch heute der Nachkommen edle Geschlechter umfangen, und lernten sich, was ihnen in Dänemark nicht gelehrt worden war, als Deutsche fühlen. Schon damals war das dänische Streben, was es noch heute ist: haß- und neidvoll alles, was deutsch heißt, niederzuschlagen und zu unterdrücken.
Nach vollendeten Studien und nach zärtlichem Abschied von den liebsten Freunden, namentlich von Voß, [Ξ] reisten beide Brüder eine Zeitlang mit einander in Begleitung ihres Freundes, des jungen Grafen von Haugwitz, und verweilten 1775 auch bei Lavater, von dem Graf Leopold Vorliebe für Schwärmerei und vielleicht auch einige Abneigung gegen Voß gewann. Als Dichter gingen beide Brüder, dir sich innig liebten, vereinten Gang; die Gedichte beider gab Boir 1779 in 2 Theilen heraus, die Gesammtwerke beider haben später 20 Bände gefüllt, zu denen freilich Graf Leopold das meiste lieferte. Beide wendeten sich, wie Bürger that, der Ballade und Romanze mit Vorliebe zu und behandelten sie in gleicher Weise, wie dieser, vielleicht noch ritterlicher, leider aber oft auch mit geschmackloser Breite, wozu die bekannte »Büßende« einen auffallenden Beleg liefert, obschon sie ihrer Zeit so volksthümlich erschien, man sie in Bildern verherrlichte, ja sogar das bandwurmlange Gedicht für eine Singstimme völlig durchkomponirte.
Beide Brüder wurden königl. dänische Kammerjunker, später Kammerherren, legten aber später ihre Aemter nieder. Christian starb auf seinem Gute Windebye bei Eckernförde am 18 Januar 1821.
Im Jahre 1777 wurde Graf Friedrich Leopold zu Stolberg fürstbischöflich Lübeckischer, d. h. herzoglich Holstein Gottorpischer Ministerresident am königl. dänischen Hofe zu Kopenhagen, übersetzte bei der Musse, die ein solcher Gesandtschaftsposten reichlich vergönnt, Homer’s Ilias, und blieb der Muse der Poesie getreu. Er vermählte sich 1782 mit Agnes von Witzleben, die ihm 1788 der Tod entriß, und wurde im darauf folgenden Jahre dänischer Gesandter am Berliner Hofe. Dort schloß er einen neuen Ehebund mit Sophie, geb. Gräfin Redern, worauf er 1791 zum Regierungspräsidenten der herzoglichen und fürstbischöflichen Regierung zu Eutin ernannt wurde. In Eutin hatte sich das alte Freundschaftband mit Voß bereits im Jahre 1782 wieder neu, fest und innig geknüpft; beide Freunde gaben vereint Hölty’s Gedichte heraus. Wer hätte ahnen sollen, daß zwischen den begabten Männern später so bitterer Zwiespalt entstehen könne! –
Als von Frankreich herüber die ersten Freiheitbewegungen, die Vorboten der Revolution, sich kund gaben, erging es Stolberg wie vielen noch ungleich höher als er gestellten edlen deutschen Männern, und wie es auch in Deutschland 1818 bei nicht minder vielen der Fall war; sie begrüßten voll poetischer Freude das Morgenroth sittlicher Freiheit, schöner Menschenverbrüderung, sie glaubten an die Möglichkeit, daß Ideale sich verwirklichen könnten, sie gaben sich frohen Hoffnungen hin, sahen nur weltbeglückende Engelschaaren in den Freiheitsmännern, und nicht die grinzenden blutdürstigen, aller Menschheit und Menschlichkeit hohnsprechenden rebellischen Teufel. Bald genug ward gleich anderen der Graf ernüchtert, als er sah, wohin die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ziele, die überall nur ein und dasselbe Ziel hat. Dadurch lenkte sich sein Gemüth, vorher edelfrei gesinnt, der absoluten und aristokratischen Richtung zu und sah nur im Druck einer Gewaltherrschaft das Mittel zur Niederhaltung von Aufruhrgelüsten. Er nahm Urlaub und trat eine Reise nach Italien an, auf welcher ihn seine Gemahlin, sein ältester Sohn und Nicolovius begleiteten. Er hat diese Reise selbst geschildert; auf ihr empfing er theils unmittelbar, theils durch neu gewonnene Freunde aus Münster nachhaltige Eindrücke, die seinen vorher orthodox-lutherischen Sinn ebenfalls gänzlich umwandelten und ihn der katholischen Kirche geneigt machten. Die nächste Folge war 1800 Niederlegung seines Amtes und Dienstes und Umzug nach dem streng katholischen Münster. Dort erfolgte der Uebertritt der ganzen gräflich Leopold Stolbergischen Familie – mit Ausnahme der ältesten Tochter – zur römisch-katholischen Kirche, über welchen Schritt der Graf viel harten Tadel ertragen mußte, den härtesten von seinem liebsten Freunde Voß durch den Aussatz: »Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier?« Es ging eine große sittliche Entrüstung über diesen Uebertritt durch Stolberg’s Freundeskreis, die der Graf scharf und tief zu fühlen bekam; es war ein schonungsloses Verdammungsurtheil, welches über ihn erging und welches vielleicht milder ausgefallen wäre, wenn es sich nur um die persönliche neu angeeignete Ueberzeugung des Grafen gehandelt hätte; allein es war ein Principienkampf gegen eine dem Lutherthum im Schooße Norddeutschlands verderbliche von der Aristokratie ausgehende Zeitrichtung, in welcher des ersteren treue Anhänger die Waffen nicht müssig ruhen lassen durften; des Grafen Beispiel blieb nicht ohne Nachahmung und die romantische Schule begann in ihren Chorführern Mariencult, Kreuzesdienst und Römlingthum mehr als gut war zu preisen und zu verherrlichen.
Nach dem Uebertritt übersetzte Graf Stolberg noch 4 Tragödien des Aeschylos, die angeblichen Gedichte Ossian’s, gab 2 Schriften St. Augustin s heraus, verfaßte eine mittelmäßige Geschichte der Religion Jesu und schloß seine literarische Thätigkeit mit einem »Büchlein der Liebe« ab, in welchem er dem Thomas a Kempis nachstrebte. Er starb, nachdem er sich auf das Gut Tatenfeld bei Bielefeld 1812 zurückgezogen hatte, auf seinem Pacht-Gute Sondermühlen bei Osnabrück, blos von Katholiken umgeben, im Schooße seiner allein seligmachenden Kirche.