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Zwei deutsche Männer

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Titel: Zwei deutsche Männer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 313-315
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: G. G. Gervinus und Ernst Moritz Arndt
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[313]

Zwei deutsche Männer.

Wo wird es denn am schönsten sein? 
Das ist am Neckar und am Rhein. 
 (Altes Lied.)

Am Neckar und Rhein wohnen zwei Männer, die nicht allein zu den berühmtesten, sondern auch – und das will mehr sagen – zu den besten, ehrlichsten Männern Deutschlands gehören; zwei Männer, die den Namen „Deutsche Männer“ in der vollsten und schönsten Bedeutung des Wortes verdienen; sie heißen G. G. Gervinus und E. M. Arndt.

Ernst Moritz Arndt.

Beide aus der mittleren Bürgerschicht, aus „dem Volke“ hervorgegangen und auch dem Volke stets zugewendet mit jedem Nerv ihres Wesens und mit dem Blute ihres Herzens, wenn auch jeder nach seiner eigenthümlichen Natur. –

[314] Von Gervinus brachte Nr. 25 der Gartenlaube schon Portrait und kurze Biographie; wir wollen unsere Leser aber auch noch zu seiner Person führen, in sein Haus. Es war im vorigen Monat, als es mir vergönnt war, Gervinus in seinem Hause aufzusuchen. In Heidelberg, über die Neckarbrücke weg, rechts umgebogen und den Neckar entlang bis zu einem hellen, schönen, etwas erhöhten Hause, im Geschmack einer Villa, mit einer hohen, freien Vorhalle auf mächtigen Säulen ruhend: das ist das Haus des Geheimeraths von Falkenstein, dem Freunde Gervinus’, der diese Freundschaft noch jüngst öffentlich bethätigte durch eine Broschüre über das bekannte Verfahren gegen die Person und die Schrift des berühmten Historikers. In diesem Hause, zwei Treppen hoch, wohnt derselbe. Zu seinen Füßen der Neckar mit lachenden, sonnigen Fernblicken nach links und rechts; grad ihm gegenüber die herrlichste Ruine Deutschlands, das sogenannte „Schloß“ und darüber hin die Bergwaldung reifer Kastanien in lichtem, saftigem Grün. – Hier ist es unmöglich, Das zu werden, was man unter einem „Deutschen Professor“ versteht; hier müssen Herz und Geist frisch und stark werden und bleiben, hier spült der Strom, hier rauscht der Wald den bösen Bücherstaub aus Herz und Hirn. – Dieser Blick hinaus harmonirt mit den freien, hellen, luftigen Zimmern und ihrer heiteren, harmonischen, künstlerisch-einfachen Einrichtung, worin der berühmte Gelehrte wohnt, und das Alles sympathisirt wieder mit dessen persönlicher Erscheinung und deren Behabung. Eine große, stattliche Erscheinung, an Göthe erinnernd, nur nicht dessen „Excellenz“, Haltung und Imponirung; einfacher, wohlthuender und doch immer in gewissen respectgebietenden Schranken. Die Stirne von seltener Höhe, den tiefen Denker verrathend und doch mild und sanft. Ebenso die sinnig-geistvollen, dunkelblauen Augen. Die Züge fein, wir möchten sagen aristokratisch; die Form des Gesichts an einen vornehmen Engländer erinnernd. Um den edelgeschnittenen Mund spielen ganz feine, ironische Linien, wie kleine Schlänglein. – Gervinus spricht eher weich als streng, eher leise als laut; Alles ist an ihm nicht Behaglichkeit, sondern Ruhe, Harmonie, milder Ernst; es thut das wohl; man fühlt sich stets einer großen Persönlichkeit gegenüber und doch auch wohnlich; das kommt: man fühlt auch den Menschen heraus und den Künstler. Diese beiden Elemente sind in Gervinus noch so wenig erkannt und sind doch so eng mit seinem ganzen Wirken und Schaffen verbunden, wenn sie auch mehr der Person gegenüber hervortreten mögen. An allen Erscheinungen des öffentlichen Lebens nimmt Gervinus regen Antheil und alle Künste sind ihm treue, heitere Gefährten auf seiner ernsten Lebensbahn. Schöne Bilder und antike Statuen und Köpfe umgeben ihn bei seinen gelehrten Arbeiten; um seinen schönen Flügel versammeln sich wöchentlich ein paarmal Musiker und Sänger und die Entwickelung einzelner deutscher Theater, die nicht nur Kammerherrn zu Dirigenten haben, verfolgt er mit aufmerksamem Blicke. Ein Lieblingswunsch von ihm ist, daß einmal die größten Schauspielkräfte des Vaterlandes sich zusammenthäten und einen glänzenden Gastrollen-Cyclus der besten deutschen Schauspiele in London gäben. Er trug mir dringend auf, dafür doch nach Kräften zu wirken. – Auf meine Frage, ob er Heidelberg, Baden überhaupt, verlassen würde, meinte er: „Ich glaube es nicht; ich habe mich zu sehr hier eingelebt und –“ doch das Uebrige gehört nicht hierher. – Eine Zeitung wird Gervinus nicht wieder gründen; nach den neuen Preßgesetzen in Baden hat er mit diesem einmal gehegten Entschlusse abgebrochen. – Wenn er die neue Ausgabe seiner Literaturgeschichte im Herbst beendet haben wird, geht er allen Ernstes an sein großes Geschichtswerk des 19. Jahrhunderts. Sein Muth dazu ist nicht gebrochen; unverwandt hält er sein Ziel im Auge und geht stark-muthig darauf los. Sein Glaube an die große, unverwüstliche sittliche Kraft im deutschen Volke und also auch an dessen höchster Ausbildung ist unerschütterlich. – Neugestärkt und gehoben von diesem Glauben verließ ich den großen, edlen Mann und sein Bild begleitete mich den Rhein hinunter bis nach Bonn, wo Ernst Moritz Arndt wohnt, vom Volke „der alte Arndt“ genannt.

Des alten Arndt’s Schicksale und Werke sind hinlänglich bekannt; sie hängen noch miteinander zusammen, ergänzen sich gleichsam und mahnen uns an den begeisterten Patrioten, den freien, starken Menschen, den tüchtigen Charakter, den scharfen und rasch entschlossenen Denker. Seine flammenden Flugschriften und Lieder im französischen Kriege halfen ebenso mächtig das Vaterland befreien, wie die Schwerter mancher Helden und sein altberühmtes Nationallied: „Was ist des Deutschen Vaterland“ tönt noch jetzt wie Tuba-Ruf durch das einsame Herz jedes echten Patrioten. Diese großen Eigenschaften und Verdienste des edlen Greises wurden feierlichst anerkannt, als derselbe zum ersten Male in die National-Versammlung kam: Auf Benedey’s Antrag erhoben sich da alle Repräsentanten der Nation von ihren Sitzen; – gewiß ein schöner, feierlicher Moment für den Mann und für die Nation, die so einen Tribut ihres Dankes darbrachte.

Und diesen Mann sollte ich nun nach vielen Jahren wiedersehen; den Mann, dessen Worten ich so oft gelauscht hatte, wenn sie wie Eichenwaldbrausen herab von seinem Katheder rauschten. Ich wußte noch, daß er in Bonn vor dem Coblenzer Thore wohnte; aber wo dort, mußte ich erst in der Nähe erfragen und wehmüthig wurde mir’s zu Muthe, als ein Student antwortete: „Da der dritte Garten, mit einem alten ausgerankten Lattenthor und verkrüppelten Bäumen.“ Und die wehmüthigen Zeichen trafen ein und der ganze Garten am Hinterhause und dieses selbst sahen verlassen aus, – das ganze Wesen wie eine Pächterswohnung, die nicht mehr benutzt wird. – Nach vorn aber ist Alles freundlich, hübsch, lebendig; denn hier am Fuße des Hauses, rauscht ja des alten Patrioten theurer Strom vorbei und von hier aus begrüßen den alten Herrn die sieben Berge, – es ist ein wunderschöner Platz vor diesem Hause; so heimisch-feierlich, so einfach-prächtig, die lauschige Stille zum Rauschen des Stromes und zum Dämmern der Berge. Hier muß man jung und deutsch bleiben, mag das Leben [315] da außen auch alt und fremd geworden sein. – Im Hause selbst ist Alles blank und sauber, aber sehr einfach-bürgerlich, oder noch besser gesagt: wohlhabend frisch und die Schwarzwälder Uhr gehört so ganz dahin.

Und wie ein Bauer trat Vater Arndt mir entgegen: im kurzen, blauen Bauernkittel, gegen den nur seltsam das schneeweiße Halstuch abstach. Dies harmonirte aber mit dem noch starken weißen Haupt- und Barthaar. Es war eine Lust, den edeln Greis zu sehen: 84 Jahre haben ihn zwar klein und knochig-mager gemacht, auch etwas nach vorne gebeugt, aber sein Tritt ist noch fest, seine Bewegung noch stramm, sein wie mit einem Spinnennetze überzogenes faltiges Gesicht noch roth und frisch; das sonst etwas zusammengelegte Auge blitzt noch hell und scharf auf bei jeder Erregung; die Stimme ist noch stark, ja mächtig und sein Händedruck fühlt sich wohl noch einige Augenblicke nach. Mir war’s, als tränke ich alten Rheinwein, wie er mir die Hand gab. Wir kamen nun natürlich sofort auf den Staat der Gegenwart und Zukunft, auf Deutschlands Wohl und Wehe, auf sein Hoffen und Fürchten. Da sah ich denn nun bald, daß auch sein Herz noch jung geblieben, daß er noch lieben und hassen, noch singen und donnern konnte, und daß er noch felsenfest glaubte an des Vaterlandes Zukunft. Wie ist das rührend und Ehrfurcht erweckend bei 84 Jahren! Da kann man unmöglich spotten, wenn die 84 Jahre den Denker etwas bedrückt, die Begriffe etwas ineinandergeschoben und die Consequenzen etwas sonderbar gemacht haben. So sprach denn der ehrwürdige Herr mehr im Drange der Gefühle, des Herzens und der Phantasie, und wenn er dazu mit den Fäusten auf den Tisch schlug und die Stimme furchtbar erhob, nun auch das war rührend. – Bedeutungsvoll war mir sein Ausspruch, als wir von einem berühmten Kriegsmann der Gegenwart sprachen: „Wir brauchen mehr als einen großen Kriegsmann; wir brauchen einen Helden und zu einem Helden gehören große Gedanken!“ Am heftigsten flammte Arndt auf, als von Schleswig-Holstein die Rede war; noch kurz vorher hatte er diesem Lande ein Lied geschrieben, ein starkes, flammendes Lied; er weinte dazu. „Sehen Sie, ich hatte schon den Muth es zu schreiben, aber es hat Niemand den Muth, es zu drucken.“ –

Der alte Herr dichtet und arbeitet überhaupt noch jeden Tag für die ihm stets so theure Sache seines Vaterlandes und dessen Einheit; indessen wird jetzt wenig mehr davon gedruckt, was ihn aber nicht abhält, immerfort zu arbeiten. Dabei bebaut er sein kleines Besitzthum mit eigener Hand und macht jeden Tag tüchtige Spaziergänge, dies fast immer im blauen Bauernkittel. In der Stadt trägt er noch stets den alten deutschen Rock, mit kurzem, aufrechtstehendem Kragen und einreihigen Knöpfen. Dazu oft Pantoffeln über weißen Strümpfen, mit sehr kurzen Hosen. Eine Frau v. H. erzählte, daß er bei ihr in Pantoffeln Visite gemacht habe, wenn das Wort „Visite“ überhaupt bei ihm angewendet werden darf. – Jeden Tag liest der alte Herr noch eine Menge Zeitungen und zwar mit den 84jährigen Augen ohne Brille. Selbst Geschriebenes ohne Brille. – Bei dem Zeitungslesen ist es gefährlich, mit ihm anzubinden; er geräth dann leicht in einen fast nicht enden wollenden Redezorn und um ihn her liegen dann Zeitungen in Stücken oder zusammengeballt. Das kann aber nicht die Liebe, die Verehrung, die Pietät stören, mit der er als „der alte Arndt“ überall empfangen und behandelt wird.