Zum Inhalt springen

Zwei Staatsgefangene in Stolpen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Friedrich Bernhard Störzner
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Zwei Staatsgefangene in Stolpen
Untertitel:
aus: Was die Heimat erzählt. Sagen, geschichtliche Bilder und denkwürdige Begebenheiten aus Sachsen, S. 123–128
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Arwed Strauch
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: Digitalisat der SLUB Dresden und bei Wikimedia Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[123]
56. Zwei Staatsgefangene in Stolpen.

Kurfürst Vater August, der von 1553 bis 1586 in Sachsen regierte, war ein strenger Lutheraner und darum auch bemüht, seinem Lande die reine evangelische Lehre zu erhalten. Auf dem Reichstage zu Augsburg im Jahre 1555, da der berühmte Religionsfriede zu stande kam, war er zwar nicht persönlich anwesend, er hatte aber treue und gewissenhafte Gesandte dahin abgeschickt. Zugegen war er aber auf dem im März 1555 zu Naumburg an der Saale abgehaltenen Fürstentage. Daselbst ermahnte Vater August die erschienenen Fürsten, bei der lutherischen Konfession treu zu verharren und vom damaligen Reichstage und dem Reichskammergerichte nichts zu dulden, was den Protestanten zum Nachteile sein könnte. Aber trotzdem, daß durch den Reichstagsbeschluß zu Augsburg die evangelische Kirche nach außen hin zum Frieden gelangt zu sein schien, wollte doch in ihrem eigenen Lager der Friede durchaus nicht gedeihen, da die „lutherischen Gottesgelehrten“ durch erbitterte Streitigkeiten sich bekämpften, wozu der zum Frieden so sehr geneigte Melanchthon wider Willen die nächste Veranlassung gegeben hatte. Melanchthon hatte nämlich, um den schroffen Gegensatz der Lutheraner und der Reformierten der Schweiz etwas zu mildern und womöglich eine Vereinigung beider Konfessionen anzubahnen, bereits im Jahre 1540 dem vom heiligen Abendmahle handelnden Artikel der Augsburgischen Konfession eine kleine Abänderung gegeben. Nach seinem Tode 1560 gingen seine Schüler und Anhänger in dieser Hinsicht immer weiter. Mehrere von ihnen hatten einflußreiche Ämter in Kursachsen und genossen beim Kurfürsten selbst großes Ansehen. Dieser war aber samt seiner Gemahlin, der Kurfürstin Mutter Anna, der reinen evangelisch-lutherischen Lehre so streng zugetan, daß er zu sagen pflegte: „Wenn ich eine einzige calvinistische Ader in mir haben sollte, so wünsche ich, daß der Teufel sie mir ausreißen möchte!“ – Daher sahen sich jene Männer genötigt, ihre den beiden Stiftern der reformierten Kirche, Zwingli und Calvin, verwandten Ansichten in Glaubenssachen streng geheimzuhalten. Sie wurden daher, besonders von den Theologen zu Jena, als „Krypto-Calvinisten“, d. h. heimliche Anhänger Calvin’s, bezeichnet. Doch gelang es den Krypto-Calvinisten, den Kurfürsten über ihre Glaubensansichten zu täuschen.

Auf Vater August folgte der Kurfürst Christian I. Dieser regierte von 1586–1591. Unter seiner Regierung entwickelte sich der begonnene Religionsstreit nur noch mehr. Die Krypto-Calvinisten waren jetzt eifrig bemüht, die lutherische Lehre zu verdrängen und die Einführung der reformierten oder calvinistischen Lehre durchzusetzen und zwar unter dem mächtigen Einflusse eines erklärten, eines eifrigen Calvinisten, des Kurfürstlichen Kanzlers Dr. Nicolaus Crell. Dieser war bereits vom Kurfürsten Vater August als Hofrat in der Landesregierung angestellt und im Jahre 1584 dem Kronprinzen Christian, der als Mitregent des Vaters eingesetzt war, als „ratender und helfender Mann“ zugeordnet worden. So trat denn Crell in ein vertrauteres Verhältnis zu Christian I. und wußte diesen so für sich einzunehmen, daß er im Jahre 1589 seinen bisherigen Kanzler, D. David Pfeifer, entließ und dafür D. Crell zum Geheimrat und Kanzler ernannte. Crell, der sich dem Kurfürsten Christian I. unentbehrlich zu machen wußte, riß bald alle weltliche und geistliche Gewalt an sich und waltete und schaltete ziemlich unumschränkt. So wußte er Einrichtungen aus der Zeit des Kurfürsten Vater August, die dazu gedient hatten, den Krypto-Calvinisten, entgegenzuwirken, einfach zu beseitigen. [124] Bald erschien unter Einfluß dieses Kanzlers Crell auch eine kurfürstliche Verordnung, durch welche alle Angriffe gegen andere Religionsansichten auf der Kanzel verboten wurden; denn bisher war es geschehen, daß die lutherisch Rechtgläubigen öffentlich von der Kanzel herab gegen das Treiben der Krypto-Calvinisten eifrig gepredigt hatten. – Den Kurfürsten selbst suchte dessen in Dresden lebender Schwager, der reformierte Pfalzgraf Johann Casimir, für die calvinische Lehre zu gewinnen. Dazu war Crell bemüht, dieselbe allmählich im ganzen Lande einzuführen. Der gegen die Krypto-Calvinisten eifernde Superintendent von Leipzig, Dr. Selnecker, wurde 1589 seines Amtes entsetzt. Um nicht durch die Presse in seinem Treiben gehindert zu werden, bildete Crell, die Hofprediger Salmuth und Steinbach an der Spitze, eine sogenannte „Hof-Zensurcommission“ für alle theologischen Schriften, die an diese drei Männer zur Prüfung und Durchsicht eingesandt werden mußten. Alle theologischen Schriften, die in irgend einer Weise dem Sinne der Krypto-Calvinisten schaden konnten, wurden gestrichen und die Veröffentlichung derselben wurde streng verboten. Zugleich arbeiteten diese Männer, die an den Superintendenten Schönfeld in Dresden, Dr. Harder in Leipzig, Birnbaum in Wittenberg und Pastor Dr. Gundermann in Leipzig Gleichgesinnte hatten, an neuen Ausgaben der Bibel und der Katechismen im Sinne der Krypto-Calvinisten, um auf diese Weise ihre Lehre in’s Volk und in die Schule zu bringen. Bis dahin war es kirchliche Sitte gewesen, bei der Taufe eine Formel auszusprechen, welche sich auf die Austreibung des Teufels aus dem Täufling bezog. Diese Formel bezeichnete man mit dem Namen oder Ausdruck „Exorcismus“. Der Kurfürst Christian hatte bei der Taufe seiner Prinzessin Dorothea mit der Weglassung dieser Formel den Anfang gemacht. Darauf ging durch das ganze Land der Befehl, daß der „Exorcismus“ bei der Taufe wegzulassen sei. Denjenigen Geistlichen, die diesen Befehl zu unterzeichnen sich weigerten, drohte Amtsentsetzung. Viele Geistliche, welche sich nicht zur Unterzeichnung entschließen konnten, wurden auch tatsächlich abgesetzt, darunter auch der Oberhofprediger Dr. Mirus, welcher seiner freimütigen Äußerungen wegen auf der Festung Königstein gefangen gesetzt ward. Den höheren Ständen erschien die neue Verordnung ganz zweckmäßig, doch bei dem Volke zeigte sich die hartnäckigste Widersetzlichkeit. Manche Eltern ließen ihre Kinder nun gar nicht taufen, andere schickten sie in’s Ausland, um an ihnen die Austreibung des bösen Geistes doch noch vollziehen zu lassen. In Dresden erschien einst am Taufsteine mit den Paten seines Kindes auch dessen Vater, ein Fleischermeister, und drohte, mit dem geschwungenen Beile in der Hand, dem betreffenden Geistlichen den Kopf zu spalten, wenn er nicht sofort das Kind mit dem Exorcismus taufen wolle. Auch an anderen Orten kam es zu unruhigen und heftigen Auftritten. Der Grund dieses Widerstandes von seiten der Geistlichen und der Grund der Erbitterung, mit welcher sich das Volk an diesen Streitigkeiten so lebhaft beteiligte, ist hauptsächlich in der Überzeugung zu suchen, daß durch Weglassung des Exorcismus der Calvinismus begünstigt werde und dem Volke das liebgewonnene Luthertum entrissen und eine andere Lehre an dessen Stelle gesetzt werden sollte. Doch mit dem Tode des Kurfürsten trat für die besorgten Lutheraner eine günstige Wendung der Dinge ein. Da die Söhne des so jungverstorbenen Kurfürsten noch minderjährig waren, übernahm auf die Dauer der Minderjährigkeit des älteren Prinzen der Vormund desselben, Herzog Friedrich Wilhelm von Weimar, die Regierung der kursächsischen Lande und schlug seinen Wohnsitz in Torgau auf. –

Friedrich Wilhelm von Weimar, sowie seine Gemahlin Sophie, waren

[125]

Der St. Johannes- oder Cosellturm.

[127] streng lutherisch. Seine Hauptsorge ging nun vor allen Dingen dahin, das Luthertum in dem von ihm verwalteten Lande wieder herzustellen und zwar in seiner ursprünglich reinen Form. Der erste Schritt hierzu war die sofortige Verhaftung des Kanzlers Dr. Crell und des Dr. Pfeifer’s Wiedereinsetzung. Crell wurde nach dem Königsteine in strenge Hut gebracht. Über 10 Jahre befand er sich daselbst. Auch die beiden Hofprediger Salmuth und Steinbach, die mit dem einstigen Kanzler im vollen Einverständnis gehandelt hatten, wurden verhaftet und im Jahre 1592 nach der Festung Stolpen als Staatsgefangene gebracht. Schöttgen erzählt hierüber in seiner „Wurzener Historie“ folgendes:

„Als der Ruf davon in Dresden auskommen, daß Salmuth und Steinbach in Arrest genommen werden sollten, hatten sich viele Leute anno 1592 den 8. Mai, Mittwoch nach Pfingsten, versammelt, das Straßenpflaster aufgerissen und würden sie (die eben genannten Geistlichen) sehr übel tractirt haben, wenn nicht der Stadt-Hauptmann mit der Garnison und Bürgerschaft dazwischen kommen wäre und die gedachten Beiden (Salmuth und Steinbach) in starker u. schützender Begleitung auf das Schloß Stolpen gebracht hätte. Daselbst hat aber der Teufel, wie der Amtsschösser Thomas Teutter, Verwalter zu Stolpen, an den damaligen Administrator umständlich berichtet, ihn (den Thomas Treutter) des Nachts oft besuchet, sich in seinem Handbecken gebadet, das Bänklein fortgerücket, die Bücher umgeblättert und hin- und hergeworfen. Salmuth und Steinbach, die eben daselbst als Gefangene gesessen, haben ausgesagt, daß sie desselbigen Tages, da er durchgehen wollen, einen Bauern in einem roten Leder mit einem Fuhrmanns Hut und Federn vorbeigehen sehen. Es soll auch ein großes Wetter auf dem Schlosse gewesen sein, daß die Ziegel von den Dächern gefallen sind und niemand sicher auf dem Schloßhof hat gehen können. Es soll auch der Teufel von Stolpen aus nach Bischofswerda zu ein groß Wetter erregt haben, so daß in selbigen Strich nicht der dritte Halm stehen geblieben ist. Zu Bischofswerda sind durch die Schloßen, die wie Welschnüsse groß waren, den Bürgern die Fenster eingeschlagen worden, sodaß jedermann gemeint hat, der jüngste Tag würde kommen.“ – Die einzelnen Umstände berichtet Treutter an seinen Vorgesetzten mit Furcht und Zittern. Ihm ist dabei ganz angst beim Niederschreiben geworden, und es scheint, als wenn er gefürchtet habe, er werde sein Leben darüber einbüßen müssen.

Dem gefangenen Hofprediger Steinbach scheint aber auf der Burg Stolpen die Zeit sehr lang geworden zu sein; denn er versuchet am 19. Juni 1592 auf folgende Art die Freiheit zu erhalten:

„Er hat die Türe seines Gefängnisses mit einem Brotmesser zerschnitten und weil es ihm, als einer schweren Person, daraus zu kriechen, unmöglich gewesen, mit einem Scheite eine drei Zoll starke Pfoste zerschlagen. Hierauf ist er, wie Treutter schreibt, mit Hilfe des Teufels durch drei andere verschlossene Türen, die ganz unversehrt geblieben, durchkommen. Hierauf hat er oben im Schlosse in einem Wendelstein, in einem Fenster, daran er zwei Ofengabeln kreuzweise inwendig vor das Loch gebunden, ein Handtuch ausgehangen, dazu alles Bettgeräte, so man ihm gegeben, wie schmale Handtücher zerschnitten, recht fest zusammengenäht, dreifach überstochen und sich also über 50 Ellen hoch herablassen wollen. Es ist ihm aber sein Vorhaben mißlungen und hat, ehe er heruntergekommen, einen Fall getan und brach den Oberschenkel des linken Beines. Er hatte auch einen Zettel, den er mit Fensterblei geschrieben, nebst einem Packet in dem Gefängnis liegen lassen, welches Treutter nach Dresden geschickt hat. Was der Inhalt war, ist aber unbekannt geblieben. [128] Steinbach wurde jedoch ergriffen und hat selbst in Gegenwart etlicher Rats- und Gerichtspersonen von freien stücken ausgesagt, der Teufel hätte ihm geholfen. Als sich aber die Schmerzen mehrten und er sah, daß er schlechterdings nicht davonkommen würde, verlangte er in seiner höchsten Not von dem Verwalter, derselbe solle ihm durch einen Kirchendiener das heilige Abendmahl reichen lassen. Weil nun Dr. Zacharias Rivander, Superintendent zu Bischofswerda, eben in gewissen Angelegenheiten zu Stolpen war, ging er zu ihm und vernahm von ihm, auf welche Art er das Abendmahl nehmen wolle. Steinbach erklärte sich auch bereit, schriftlich zu widerrufen und fügte die Bitte bei, daß der Widerruf nächsten Sonntag in der Schloßkapelle zu Dresden abgelesen werden möchte.“ – Dieses Schriftstück hatte folgenden Wortlaut:

„Nachdem ich, M. David Steinbach, zu der Zeit, da mir das Hofpredigerdienst zu Dresden befohlen gewesen, fremde calvinische, irrige in der Augsburgischen Confession ausgesetzte Lehre einführen wollen, und dadurch die hochlöbliche Schloßkirche daselbsten nicht wenig geärgert, als ist mir solches von Herzen leid, verwerfe und verdamme dieselbige von Herzen und bitte flehentlichen und um Gottes Willen, sie wollte mir solches verzeihen und vergeben, auch Gott für mich bitten, daß er mir solchen meinen Irrtum und Fall zu gut halten, verzeihen und vergeben, mir meine großen Schmerzen lindern und nur nach seinem väterlichen Willen gnädiglich helfen wolle um Jesu Christi seines lieben Sohnes Willen, ferner, da mir Gott mein Leben fristen und mich im Predigtamte forthin haben wollte, will ich alle solche Irrige in der Augsburgischen Confession, anno 30 verworfene und verdammte Lehre, mit Herzen und Mund meiden, und Einigkeit in der Religion dieser Lande Kirchen aus Gottes Wort, den Hauptsymbolis, Augsburgischer Confession, anno 30 übergeben in der Formula Concordiae reptirt, vermittels göttlicher Hilfe treulich halten und fortpflanzen, dazu mir mein Herr und Heiland Jesus Christus mit seinem Heiligen Geiste treulich helfen, und in solchem gottseligen Vorsatze stärken, und bis an mein letzten Seufzer erhalten wolle. Amen!

Ich, M. Steinbach, bekenne, daß ich diese meine Revocation selbst aus meiner Andacht gestaltet, zuvorher wohl bewogen und also freiwillig mit eigner Hand unterschrieben. Im Beisein des ehrwürdigen hochgelehrten Herrn Doctoris Zachariä Rivandri, Pfarrherrn und Superintendenten zu Bischofswerda, zu Stolpen, den 8. Juli, anno 1592.“ –

Dieses Schriftstück unterzeichnete auch Salmuth. Deshalb wurden beide, Steinbach und Salmuth, aus der Haft entlassen, ohne aber in ihre Ämter und Würden wieder eingesetzt zu werden. Mit dem Calvinismus ging es aber in Sachsen zu Ende. Der Landesverwalter Friedrich Wilhelm hielt 1592 einen Landtag zu Torgau ab, auf dem die Aufhebung aller unter der vorigen Regierung eingeführten kirchlichen Änderungen beschlossen und zur Ausrottung der eingeschlichenen calvinischen Lehre eine Kirchenvisitation angeordnet wurde. Wer von den Geistlichen der calvinischen Lehre zuneigte, der wurde seines Amtes entsetzt. So geschah es nun auch, daß die aufgeregten Gemüter des Volkes sich wieder allmählich beruhigten, war dem Volke Kursachsens doch das reine Luthertum vor dem Untergange gerettet worden!