Zwei Johannistage
Johannistag war’s. Ich lag auf dem Divan, und die Nachmittagssonne erhellte durch die geschlossenen Vorhänge das Zimmer so wohlig, meine Gedanken waren bei ihr, und ich sehnte mich. Halb träumend eilte mein Denken Monate zurück, zurück zu jenem Abend, an dem ich sie auf der Straße ansprach und sie so empört war, sie, das Kind armer Eltern, das auch seine Erziehung und seine Grundsätze hatte … Ja, empört! … Und doch … Mochte sie nun fühlen, daß ich vielleicht anders war wie die übrigen mit ihren ebenso glatten Phrasen und siegesgewissen Mienen, mochte sie Sehnsucht empfinden in all ihrer Verlassenheit nach einem Menschen, den ihre Einsamkeit mit einem Schimmer von Glück erfüllen sollte, – wir kamen ins Gespräch, trafen uns wieder, und die alte Tante dort in der Vorstadt mußte für sie immer öfter als Vorwand zum Ausgehen herhalten. Und dann, Wochen waren vergangen, dann fühlte ich, daß ich sie liebte, dieses zierliche, schlanke Geschöpf mit dem feinen, blassen Gesichtchen und dem ernsten Zug um den schön gezeichneten Mund. Es wurde Winter, und unter den beschneiten Bäumen auf dem alten Festungswege habe ich sie zum ersten Male geküßt. … Wie hat sie mich damals aus dunkelumränderten Augen so flehend angeschaut, in meinen Armen gezittert, – und wollte doch nicht von mir lassen, küßte mich immer, immer wieder. Eine feine Röte war ihr in das bleiche Antlitz gestiegen, ihre Blicke waren so dankbar, und trotz des billigen Röckchens und des dünnen Jacketts fror sie nicht mehr. … Öfters küßten wir uns dann – außerhalb des Tores auf einsamen Wegen und im Frühling in dem großen, stillen Park, wo einsame Lauben uns verbargen und diskrete Kellner bedienten. Aber sie hatte stets nur wenige Stunden für mich, immer mußte sie pünktlich um sieben Uhr abends daheim bei der alten, mürrischen, halbgelähmten Dame sein, der sie Stütze und Gesellschafterin war. … Und nahte die Trennung, so wurde sie stiller und stiller. Ihr schien vor der Heimkehr zu grauen, vor dem düsteren Hause, in dem ihre Jugend eingesperrt war … vielleicht für immer. … Oft kamen ihr dann Tränen in die Augen; und ich küßte sie ihr fort, streichelte das liebe Gesicht und hätte sie auf den Arm nehmen mögen und dem Glück entgegentragen, dem Glück, das in ihren tiefen Augen wohnte … nur für mich. … Das Herz wurde mir weit vor Mitleid, und ein Gefühl wuchs darin empor, ein mir neues Empfinden, über das ich lächeln wollte zuerst, – ich, der noch vor wenigen Monaten mit dem Thema Weib fertig zu sein glaubte. …
Ein Klopfen störte mich aus diesen lieben Erinnerungen auf. Meine Wirtin kam, reichte mir ein Brieflein, dessen steile, große Handschrift ich nur zu gut kannte. Von ihr …, wenige Zeilen, darunter nur die Anfangsbuchstaben ihres Namens, zwei Buchstaben, die ich geküßt, immer wieder geküßt habe. Und in dem Brieflein stand mit schlichten Worten, daß sie endlich meiner Bitte willfahren und zu mir kommen wollte, auf eine kurze Stunde … „Ich will Dir zeigen, wie ich Dich liebe, wie ich Dir vertraue. Deine Bilder und all das andere, von dem Du mir so oft erzählt hast, Deine alten Waffen und die geschnitzten Möbel möcht’ ich mir anschauen … und Deine lieben, lieben Augen, die mich so glücklich machen …“
Dann bin ich aufgesprungen und pochenden Herzens im Zimmer auf- und abgewandert, habe die Uhr auf den Tisch gelegt und die Minuten gezählt, ging vom Schreibtisch zum Schrank, schob hier ein Bild zurecht und ordnete dort Bücher, legte Zigaretten auf die flache Muschel und beschaute prüfend die Likörgläschen. Meine Unruhe wuchs, je näher der Zeiger der Drei rückte. Dann öffnete ich die Entreetür, horchte hinaus und lehnte sie leise an. … Endlich ein flüchtiger Schritt. Ich sehe ihr blasses, ängstliches Gesicht, nehme sie in die Arme, wie sie war, in Hut und Jackett, presse sie an mich und bedecke ihr Gesicht mit Küssen, bis ihr Schirm klatschend zu Boden fällt und wir halberschreckt lachend auseinanderfahren. … Vor dem Spiegel ordnete sie ihr Haar, und ich habe dabei nach ihren Händen gehascht, bis sie flehte: „Nur einen Augenblick!“ … Dann dankte ich ihr, daß sie gekommen war, sich überwunden habe, stammelte vor Glück und küßte ihre weißen Hände, kniete vor ihr und barg mein Gesicht in den Falten ihres Kleides. … Ich war trunken vor Seligkeit und doch so verständig. …
Sie streichelte mir sanft das Haar, und ihre Finger fuhren mir zärtlich über den Scheitel, so zärtlich, daß es mich überrieselte und ich nach diesen Fingern griff und sie einzeln an die Lippen preßte. … Neugierig hat sie dann mein Zimmer sich angesehen, die vielen Bilder und Nippes, die Raritäten und Nichtigkeiten, die ich im Laufe der Jahre angehäuft hatte. … Aus Schubladen und Schränken habe ich immer mehr herausgekramt. Zwischenein nippte sie an dem Likör, knabberte Konfekt und küßte mich. Ich hatte sie auf den Schoß genommen und sah ihr kleines Ohr, die reizenden Löckchen und den weißen Hals, bog oft ihren Kopf herab und tauchte mein Gesicht in das weiche Haar, trank den Duft und trieb tausenderlei Narreteien. Sie war eine andere geworden in meiner sicheren Wohnung. Die erste Angst hatte ich ihr bald weggeküßt, und silberhell lachte sie über dies und das und schwatzte so liebes, törichtes Zeug … Auch ernst haben wir miteinander gesprochen und uns die Worte von den Lippen abgelesen und gefühlt, wie unsere Seelen sich immer näher zueinander fanden. Wir sahen uns an, und eine Zärtlichkeit strahlte in den Augen, so rein, so tief, daß mir ein nie empfundenes Liebesahnen aufging. …
Vor dem Spiegel standen wir Arm in Arm, so ganz dicht beieinander, und lachten unser Spiegelbild an. … Dann ließ sie mich los und trat einen Schritt zurück, sah mir lange forschend ins Gesicht, daß mir’s fast unbehaglich wurde. Langsam stahl sich um ihren Mund ein eigenes, seliges Lächeln, sie legte die Arme um meinen Hals, mit zärtlicher Vorsicht, und dann zog sie meinen Kopf zu sich herab und küßte mich. Und leise sagte sie: „Du wirst mich nicht verlassen, Gerd, – nicht wahr, nie, nie. … Meine Eltern wollen mich verheiraten, Gerd, – denk’ dir, gestern haben sie’s mir geschrieben. Den Stationsvorsteher aus meiner Heimatstadt haben sie mir ausgesucht … so groß und so dick ist er, und solchen Wachtmeisterschnurrbart hat er!“ Und lachend zeigte sie mit ihren weißen, schmalen Händen die Abmessungen.
Da kroch mir plötzlich die Angst zum Herzen, die Angst vor dem, was nun kommen würde, kommen mußte … Ich wich ihrem Blick aus, aber sie merkte nichts in ihrem felsenfesten Glauben an die Größe meiner Liebe.
„Gerd, und den Mann soll ich heiraten, ich, die durch dich so verwöhnt ist, so sehr, durch deine Manieren, [1338] durch den ganzen undefinierbaren Hauch, der das Mitglied der guten, besten Gesellschaft umweht. Gewiß, Gerd, – mein Vater ist nur ein armer Postbeamter mit einer großen Kinderschar, aber ich, ich habe doch eine Erziehung genossen, die mich dir gleichwertig macht. So oft hast du mir das ja gesagt und mich dadurch so glücklich gemacht. … Du bist ja so reich, Gerd, du duldest nicht, daß sie mich dem Manne verschachern, … denn lieben … lieben könnte ich ihn ja nie …“
Also das erhoffte sie von mir … heiraten sollte ich sie … heiraten. … Noch nie hatte sie davon gesprochen, noch nie. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf mich diese Eröffnung. Und ich dachte an meine Eltern, meinen stolzen Vater, meine Mutter mit ihren starren Ansichten, an den Onkel Präsident, an die ganze Verwandtschaft mit ihren alten Namen, an die exklusiven Kreise, in denen ich verkehrte … und dazu Leni Müller … Leni Müller …! – Unmöglich – unmöglich! Zu sehr wurzelte ich selbst mit all meinen Empfindungen und Anschauungen in dieser streng abgesonderten Kaste, das fühlte ich jetzt erst so recht. …
Und langsam, möglichst zart löste ich ihre Arme von meinem Halse, trat zurück und begann zu sprechen, redete, redete mit Eifer und Überzeugung von dem, was hindernd zwischen uns sich erhob als unüberwindbare Schranke. Aber anzusehen wagte ich sie nicht. Schließlich hörte ich ein leises Aufschluchzen, einen halbunterdrückten Wehlaut. … Leni war in die Ecke des hohen Paneelsofas gesunken, hatte das Gesicht in beide Hände verborgen, und immer wieder lief’s über ihre Gestalt hin wie ein Beben. Ich beugte mich über sie, suchte sie zu trösten … Kein Wort der Erwiderung, keins … Und dann ging sie. Nur an der Tür reichte sie mir mit einem trostlosen Blick die Hand.
„Ich kamt dir nicht zürnen, Gerd, … du magst wohl recht haben mit all dem, was du mir sagtest, – trotzdem … trotzdem …“ Und da versagte ihr die Stimme, die Tür fiel ins Schloß. Ich war allein. …
Das war der Johannistag vor einem Jahre.
Und heute … heute wieder ein Johannistag. Aber heute regnet’s; der Regen klatscht gegen meine Fenster, und das rieselnde Geräusch stimmt mich traurig. Ein Jahr ist es her … ein Jahr! Ich habe heute nachmittag, als die Turmuhr drei schlug, mir ihre Briefe vorgesucht und ihr Bild, bin in den großen, stillen Park gegangen, in die bewußte Laube und habe gelesen. Wie anders alles war – die Wege aufgeweicht und die Bänke feucht und grünschimmernd von angesetztem Moos, kein Vöglein in den Zweigen, das lockte und sang und Hochzeit feiern wollte – nur trübe, neblige Luft. Trübsinn in mir auch … Es ist ja nun alles vorüber, alles. … Dann bin ich wieder heimgekehrt, habe ihre Briefe verbrannt, kurz bevor ich zum Abendessen an den Stammtisch ging, wo ich die alten Witze hörte und dieselbe Langeweile mich anödete wie sonst. Sie sprachen von Weibern und Pferden, von den Schulden des Jüngsten unter uns, und simpelten Fach; – es war wie immer! Und ich habe Antwort gegeben auf Fragen, die wie aus weiter Ferne zu mir tönten, und dabei an ein blasses, schlankes Mädchen gedacht, die jetzt die Frau eines andern ist. … Meine Zigarette ist mir oft ausgegangen, und mechanisch habe ich sie immer wieder angezündet, einige Züge getan, dem blauen Rauch nachgesehen, der sich in dem weiten Raum an der Decke in fahlen Schwaden zusammenzog. Dann vergaß ich die Zigarette wieder und vertiefte mich mit schmerzlicher Wollust in meine Erinnerungen. Bald haben sie es am Stammtisch gemerkt. Sie haben mich geneckt und gehänselt, und die sogenannten Lebemänner haben Witze gerissen, Anspielungen gemacht, die mich heute empörten … sonst nie …! Daher brach ich auf und wanderte im Regen langsam heim, ohne Schirm, hörte die schweren Tropfen mit dumpfem Ton auf meinen Hut aufschlagen und sah vor mich hin, auf die im Laternenschein blinkende pfützenreiche Straße. Und da ist’s über mich gekommen wie eine alte Sehnsucht nach Alleinsein, nach etwas Unnennbarem, vielleicht nach einem Weibe, dem ich meinen Kopf in den Schoß betten könnte und mich ausweinen. … Bisweilen ist’s mir heiß in die Augen gestiegen, daß ich die Blicke der Leute fürchtete … mir …! Und daß ich jetzt ruhiger geworden bin, verdanke ich auch nur meiner Feder und dem kleinen Talent, meine Gedanken zu Papier bringen zu können. So habe ich doch mit ihr geplaudert, ihre lieben Züge mir so deutlich zurückgerufen, habe ihr Bild geküßt und gedacht, alles wäre noch wie einst. … Ich liebe sie ja noch, meine süße Leni mit den dunklen Augen und dem warmen, dankbaren Herzen, habe nur sie geliebt. Und könnte ich dieses letzte Jahr von meiner Lebensrechnung abstreichen, käme der erste Johannistag wieder mit seinem leuchtenden Sonnenschein und dem jubelnden Glück, dann würde ich mich nicht um Vater und Mutter, um die ganze feudale Verwandtschaft scheren … Zwischen zwei Johannistagen liegt ein langes Jahr, in dessen sehnsuchtsvollen Nächten ich all die Vorurteile in mir besiegt und mich durchgerungen habe zu der Erkenntnis, daß das Leben so kurz ist und es nur ein Glück, eine Zufriedenheit gibt. Und beide habe ich versäumt … für immer …
Aber Elsa v. Asten werde ich ein musterhafter Gatte sein. Und an meinem Hochzeitstage werde ich verbindlich lächeln und vielleicht … vielleicht an Leni denken, meine kleine, süße Leni, und den Stationsvorsteher … so groß … und so dick … und an den … Wachtmeisterschnurrbart …