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Zwei Dichtergräber

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Textdaten
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Autor: A. W.
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Titel: Zwei Dichtergräber
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 260–262
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Zwei Dichtergräber.

Als Heinrich Heine einstmals den ironischen Ausspruch that, Altona, die freundliche, helle, saubere Elbuferstadt, sei die hauptsächlichste Sehenswürdigkeit von Hamburg, da hatte er’s für längere Zeit gründlich mit den Bewohnern der „zweiten Stadt des dänischen Reiches“ verdorben und es dauerte eine geraume Weile, bis sie dem muthwilligen Spötter wieder gut wurden. Im Grunde konnte man’s den Altonaern auch nicht verdenken, daß sie damals ein wenig aufgebracht gegen den Dichter waren, denn wenn auch ihre Stadt, nur durch einen schmalen Grenzgraben von der weitberühmten und weitberüchtigten Vorstadt St. Pauli („Hamburger Berg“) getrennt, gleichsam ein Anhängsel der gewaltigen Welthandelsstadt zu sein scheint, so ist sie doch, abgesehen von allem Andern, schon vermöge ihrer Ausdehnung, ihrer Einwohnerzahl von weit über vierzigtausend und ihrer großen Handels- und Fabrikthätigkeit wohlberechtigt, von aller Welt die Anerkennung als selbstständige Stadt neben dem mächtigen, glänzenden Hamburg zu fordern. Aber dabei bleibt kein patriotischer Altonaer stehen, er nimmt vielmehr auch viele der ersten Sehenswürdigkeiten, welche die Verfasser gewisser Reisehandbücher als Hamburgische bezeichnen, für seine Stadt in Anspruch und das mit Fug und Recht, denn über den erwähnten schmalen Grenzgraben hinaus besitzen Hamburg und dessen westliche Vorstadt nichts Eigenes mehr, dort beginnt der neuerfundene „dänische Gesammt-Staat,“ dessen zweite Stadt sich mithin wird erlauben dürfen, alle nach Westen zu belegenen Sehenswürdigkeiten [261] die ihrigen zu nennen. Nur eine von der Hand eines Hamburgers geschaffene Sehenswürdigkeit ist der Altonaer jeden Augenblick bereit, seinem Nachbar zu überlassen: das in der grandiosen Palmaille (einer langen aus zum Theil sehr alten Ulmen, Linden und Buchen bestehenden Allee) aufgerichtete Standbild des um die Stadt so hochverdienten Oberpräsidenten Grafen v. Blücher. Und in der That, jede menschlich fühlende Seele kann ja auch nur mit Angst und innigem Mitleid diese Figur des alten würdigen Mannes betrachten, sintemal sie im Begriff zu sein scheint, von ihrem Postamente herab rücklings in den Schmutz der Straße zu fallen. Wie manchen Spott müssen die Altonaer dieses verunglückten Standbildes wegen erdulden! Eins gereicht ihnen dabei jedoch zu einigem Trost: daß die Hamburger nicht in das Gespött einzustimmen wagen, denn es ist ja Einer der Ihrigen, der diese in Erz gegossene Missethat verübt hat.

Wahrhaft rührend aber ist die Anhänglichkeit, welche die Altonaer für eine andere Sehenswürdigkeit ihrer Umgegend, die beiden Dichtergräber auf dem freundlichen Friedhofe zu Ottensen, an den Tag legen. Am Ausgange der großartigen Promenade beginnt die glänzende Häuserreihe der Klopstockstraße, welche zu dem weltberühmten Rainville’schen Garten führt. Auf der rechten Seite der Straße liegt der Gottesacker des genannten volkreichen Dorfes mit der ansehnlichen Kirche, und vor dem Haupteingange der letzteren erblickt man die von einer ungeheuren Linde beschatteten Gräber Klopstocks und Schmidts von Lübeck, beide von geschmackvollen hohen Eisengittern eingefaßt.

Die Grabmäler Klopstock’s und Schmidt’s von Lübeck auf dem Friedhofe in Ottensen.

Seit vielen Jahren hatte ich die Ruhestätte des Messiassängers, der dort mit seiner geliebten Gattin und seinem Sohne schlummert, nicht gesehen, ich war daher nicht wenig erfreut, als ich die einst ziemlich wüste, vernachlässigte Gruft sorgfältig von Unkraut und Gestrüpp gereinigt und so schön umhegt wiederfand. Und wie viele frische und halbvertrocknete Blumenkränze lagen auf den Denksteinen und an dem Gitter! Selbst mitten im Winter, wenn die im Winde rauschenden Zweige der Linde die silbernen Schneeflocken auf das Grab streuen, werden sie dort niedergelegt, diese prangenden Blumen, die so manches andere Dichtergrab für immer entbehrt. Unwillkürlich fielen mir dabei die Schicksale dieses Grabmals bei. Damals (1805), als von Hamburg das Denkmal auf dänischem Gebiet anlangte, fragte ein dänischer Zollbeamter in Altona den Steinsetzer, der die Aufsicht über den Transport hatte, wie viel der Stein wohl gekostet habe. Treuherzig gab dieser den Preis auf circa 350 sächs. Thaler an, und sofort wurden 64, sage vierundsechzig Thaler Zoll gefordert, welcher Betrag auch trotz aller Vorstellungen deponirt werden mußte. Ob auf den an die Regierung erstatteten Bericht ein günstiger Bescheid erfolgt ist, kann ich nicht sagen. Im September 1814 wurde das Denkmal – von wem, weiß man jetzt noch nicht – umgestürzt und zersplittert, von den vereinigten patriotischen Gesellschaften in Hamburg und Altona aber wieder hergestellt, und zum zweiten Male am 2. Juli (Klopstock’s Geburtstag) 1815 eingeweiht.

Gleicher liebenden Sorgfalt hat sich auch das Grab des edlen, gemüthvollen Lyriker Schmidt von Lübeck zu erfreuen. Als ich es [262] zum ersten Male besuchte, war es ganz mit Kränzen und frischen Blumen bedeckt, denn es war gerade der Todestag des Dichters. Auch Schmidt gehört zu den Unsterblichen; Gedichte wie „das Menschenherz,“ „der Wanderer,“ „deutsches Lied“ u. s. w. werden gelesen und bewundert werden, so lange es eine deutsche Literatur gibt.

Man wird unwillkürlich an Rückert’s berühmtes Gedicht „die Gräber zu Ottensen“ erinnert, wenn man die Wanderung zu der Ruhestätte des großen Barden Klopstock antritt. Aber die meisten Verse des schönen Gedichtes passen nicht mehr, denn die „traurige Gruft auf der Wiese“ und das Feldherrngrab sind nicht mehr vorhanden. Die Gruft auf der Wiese war das Grab von 1200 Hamburger Männern, Frauen und Kindern, die Hamburgs Alba, der Herzog Davoust, während der Belagerung der Stadt mit schonungsloser Härte in der furchtbarsten Winterkälte aus der Heimath vertrieben hatte und die nun, krank und elend, von den 20,000 Leidensgefährten in Altona zurückbleiben mußten, wo sie, von Typhus erfaßt, sehr rasch, aber unter unsäglichen Leiden, in’s Grab sanken. Die Unglücklichen wurden damals zusammen auf einer Wiese verscharrt. Als 1811 der Eigenthümer dieser Wiese von dem reichen Hamburg begehrte, es möge das Fleckchen Erde, das die Gebeine seiner von „Frost, Hunger, Elend und Seuchen“ hingerafften Einwohner bedeckte, für eine sehr mäßige Kaufsumme erstehen, da empfing er eine abschlägige Antwort, und unverweilt wurden nun die sterblichen Ueberreste der „Zwölfhundert“ ausgegraben, um auf Hamburgischem Gebiete wieder verscharrt zu werden. Damit die traurige Geschichte aber ja recht gründlich prosaisch ende, wurde, so wird erzählt, als die Wagen mit der traurigen Last das königlich dänische Grenzzollamt passirten, alldort der Zoll für „ausgehende Knochen“ erhoben.

Was das Feldherrengrab anlangt, so fand die Ueberführung der Leiche des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand nach Braunschweig schon im Jahre 1819 statt. In der Schlacht bei Auerstädt hatte der Heldengreis bekanntlich die Todeswunde empfangen. „Umirrend mit den Scherben des Hauptes von Land zu Land,“ kam er bis Ottensen und legte sich dort in einem (vor einigen Jahren abgebrannten) Hause, das später den Namen Karlruhe erhielt, zum Sterben nieder. Am 23. November 1806 senkten seine Getreuen die Leiche in das Grab an der Mauer der Kirche.

Hier und da wird zuweilen behauptet, und man liest es sogar auch in mehreren Reisehandbüchern, es sei noch ein drittes Dichtergrab auf dem Ottenser Friedhofe zu finden, das Gerstenberg’s, des Verfassers des Ugolino; diese Angabe ist jedoch eine falsche, denn das Grab dieses Dichters befindet sich mitten in der Stadt auf dem heiligen Geist-Kirchhofe. –
A. W.