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Zwölfter Brief. Unter dem Kreuze von Genf

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Textdaten
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Autor: Georg Horn
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Titel: Zwölfter Brief. Unter dem Kreuze von Genf
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 148-150
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Reihe „Im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl“
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Zwölfter Brief.0 Unter dem Kreuze von Genf.

Le Mans! Von den Höhen von Pontlieue herab rückten die deutschen Truppen unter General von Voigts-Rhetz in unabsehbaren Colonnen in das Thal der Sarthe nieder, sie kamen auf drei Straßen zugleich, sie kamen zu Fuß und zu Roß, mit Wagen, mit Brücken und Geschütz, und auf dem Schneefelde bewegten sich die dunklen Massen immer näher der Stadt; die Bajonnete blitzten im Glanze der herrlichsten Wintersonne – und die Trommeln wirbelten. So ein Einmarsch in eine feindliche Stadt ist für die an der Spitze Marschirenden wie ein Gang in eine Pulverkammer; aus jeder Jalousieluke können die Kugeln geflogen kommen; mit jedem ihrer Schritte kann sich eine Mine entladen, ein gelegtes Torpedo Compagnien in Stücke zerreißen; der Volkskrieg hält Alles für erlaubt. Darum zogen auch die Unseren mit großer Vorsicht in die Stadt ein; es war das oldenburgische Regiment Nr. 91; das Gewehr im Anschlag gingen die Spitzen vor, die Augen nach rechts, nach links, nach vorwärts gerichtet; in den Straßen lagen zerbrochene Karren, todte Pferde, französisches Officiergepäck, zerbrochene Gewehre – die Franzosen waren erst kurz vorher desselben Weges gekommen, überall waren die Spuren der Verwirrung, Ueberstürzung, und Auflösung der Armee des Generals Chanzy erkennbar – und die Deutschen setzten über diese Trümmer hinweg ihren Marsch fort. Es kam keine Kugel, es sprang keine Mine, es entlud sich kein Torpedo, aber die Deutschen entfalteten sich immer mehr. Die Einwohner haben sich hinter Mauern und Fensterläden zurückgezogen – sie hören das Wirbeln der deutschen Trommeln, es klingt ihnen wie der Leichenmarsch ihrer Hoffnungen, sie wagen einen Blick auf die marschirenden Züge hinabzuwerfen und fragen sich ganz erstaunt, ob denn die Deutschen unter ihren Truppen auch Schwarze haben. Ja wohl, für heute, wo die Gesichter noch vom Pulverdampf des Gefechtes geschwärzt sind, aber nicht für immer. Halt!

Die Einundvierziger werden beordert, den Bahnhof zu besetzen – die Jäger marschiren nach dem Innern der Stadt weiter. Nach einer Viertelstunde fallen Schüsse – erst einzelne, dann mehrere, immer rascher, ein wahres Schnellfeuer – jetzt sogar eine Salve – auf der Place des Halles kommen die Kugeln aus allen Häusern, allen Etagen und Fenstern geflogen, die Jäger stürzen sich in die Häuser, andere werden nach den vom Platze ausmündenden Straßen dirigirt, um diese zu säubern, andere nach der östlichen Lisière von Mans, von dort dem Andringen gemeldeter feindlicher Truppenmassen zu wehren – folgen wir diesen.

Ohne nennenswerten Widerstand marschiren sie durch die engen, dunklen Straßen der alten Stadt, die Magazine sind geschlossen; daß Menschen noch vorhanden sind, beweisen die ausgehangenen weißen Fahnen mit dem rothen Kreuz. Es kommen ihnen eine Reihe zweirädriger Karren mit Militärgepäck entgegen; beim Anblick der Preußen wenden die französischen Fahrer flugs um und hauen wie besessen auf die Pferde ein, um den Feinden zu entgehen. Es gelingt ihnen auch, bis sie an eine Kreuzstraße kommen, wo wenigstens zwanzig solcher Fuhrwerke zu einem unentwirrbaren Knäuel zusammengefahren sind. Ein paar Jäger sind mit ihrem kräftigen Arm und ihren drohenden Büchsen genügend, die Fliehenden zum Stehen zu bringen. An dieser Stelle sammeln sie sich und rücken weiter vor, immer die Richtung nach Osten einhaltend; aus den engen, älteren Straßen hinaus in weitere, neue, in denen schon die Gärten anfangen. Plötzlich kommt ein Geräusch durch die Luft, die Jäger halten still und horchen – jetzt wieder derselbe Ton – sie kennen denselben recht gut, auf dem ganzen Wege von Vendôme bis hierher hörten sie diese Melodie pfeifen, die Melodie der Kugeln, die jetzt immer dichter über ihren Köpfen wegfliegen. Aber woher? Sie können nur dort oben aus jenem Hause kommen, das erhöht in einem Garten liegt, anders ist es nicht möglich. Aber aus dem Dacherker des Hauses weht die weiße Fahne mit dem rothen Kreuze von Genf, das Haus ist ein Lazareth. Sollte man dieses heilige Zeichen der Menschlichkeit so entwürdigen, diese Stätte durch einen so fluchwürdigen Frevel entweihen? Es ist nicht denkbar; die Franzosen sind doch keine Nation von Wilden, und selbst diese würden diesen Ort der Wunden und der Schmerzen als eine Stelle heilig achten, an welcher aller Kampf verstummen und das Mitleid und die Barmherzigkeit in ihre unantastbaren Rechte eintreten muß. Die Kugeln kamen aber doch von dort. Man will in den Garten eindringen, die eiserne Thür zu demselben ist verschlossen.

„Die Thür eingeschlagen!“ ruft der commandirende Officier, Lieutenant Kramer-Möllenberg. „Auf die Canaillen in dem Hause los! Vorwärts!“

Im Nu flog die Thür auf, hinten vom Hause aber auch gleich zwei Schüsse. Durch den Garten stürmten die Jäger nach dem Hause vor – sie kamen auf einen Hof; sie traten in einen großen Thorweg, dessen nach der Straße führender Eingang verschlossen war. Niemand ließ sich sehen. Der Officier vertheilte seine Leute, um das Haus zu durchsuchen, in der ersten Etage bis hinauf in die Bodenräume. Er selbst trat, begleitet von einigen seiner Leute, mit gezogenem Säbel in ein Zimmer des Erdgeschosses mit vier nackten kahlen Wänden – an denselben standen drei eiserne Bettstellen und aus den Kissen derselben schauten Köpfe mit den üblichen weißen Nachtmützen. Aus ihren Mienen sprach Furcht und Angst.

„Wer sind Sie?“ frug der Officier die Kranken.

„Mobile der Bretagne!“

„Verwundet?“

„Ja, mein Capitain.“

„Wo?“

Da hob der Eine seine wunde verbundene Hand, der Andere ein Bein aus dem Bette, seinen durchschossenen Fuß zeigend, ein Dritter deutete auf die Schulter und die Wunde in derselben.

„Ich meine nicht, an welchem Theile des Körpers, sondern bei welcher Gelegenheit Sie Ihre Blessuren bekamen.“

„Bei Artenay. – O, wie wird es uns ergehen!“ jammerte Einer. „Wir haben die Schüsse aus dem Hause wohl gehört, und Sie, mein Capitain, werden blutige Revanche nehmen.“

„An den Unschuldigen niemals. Sind denn noch französische Soldaten in dem Hause versteckt?“

„Wir wissen gar nichts, wir haben nur die Schüsse fallen hören. Schonen Sie unser!“

„Haben Sie keine Furcht!“ sprach dann der Officier zu ihnen, „es wird Ihnen kein Leids geschehen – wir sind keine Barbaren, wie man uns von Seite Ihrer Landsleute dargestellt hat, uns ist die Stätte der Schmerzen und der Wunden heilig. Beruhigen Sie sich – fürchten Sie nichts.“

Damit verließ der Officier mit seinen Mannschaften das Krankenzimmer; im Erdgeschosse links war nur noch ein Wohnungsraum, der nach der Straße zu gehen schien, aber er war verschlossen. Der Officier gab Befehl, die Thür mit Gewalt zu öffnen, und die Jäger machten sich eben daran, als von außen plötzlich ein heftiges Gewehrfeuer vernehmbar wurde. Die Hausthür war verschlossen, sie gab auch den eifrigsten Anstrengungen der Jäger nicht nach, man hatte sonst keinen Ausblick nach der [149] Straße und konnte nicht sehen, woher das erneute Feuer kam. Rechts vom Hausflur lag die Treppe, mit einigen Sätzen waren der Officier und seine Leute oben in der ersten Etage; das erste Zimmer, in das sie eintraten, gewährte ihnen einen Anblick auf die Straße, den sogenannten Boulevard Negrier. Mit einem Blicke wurde die Situation klar. Die Straße war an der gegenüberliegenden Seite unbebaut; man sah von den Fenstern des Lazareths gerade auf offenes Terrain, auf einen Hügel, der mit Erdaufwürfen und Hecken umgeben war. Von dort kamen die Kugeln herüber; sie waren auf die übrigen Mannschaften der Jägercompagnie gerichtet, die unten auf dem Boulevard angerückt kamen. Bald befanden sich dieselben im heftigsten Feuer. Zwei von seinen Leuten schickte Lieutenant Kramer-Möllenberg hinab, um den ohne jede Deckung auf der Straße den feindlichen Geschossen ausgesetzten Cameraden die Thür des Hauses öffnen zu lassen, mit den anderen begab er sich nach dem obersten Bodenraum; dort hatte er vom Garten her Dacherker wahrgenommen; das waren geeignete Stellen, um die Jäger zu postiren und hinüber auf die Schützen hinter den Hecken und Gräben Feuer zu geben. An zwei Erkern stellte er seine Leute auf; aber es waren in der Front des Hauses noch zwei vorhanden, zu denen der Zugang durch eine durchzogene Bretterwand verschlossen war. Diese wurde mit Kolben und Absätzen eingeschlagen; das Holzwerk fiel prasselnd zu Boden und zu gleicher Zeit wurden durchdringende Schreie vernehmbar. Einen Moment standen die Jäger verblüfft. Sollten dort Diejenigen sich versteckt haben, die aus den Fenstern der Ambulance geschossen hatten? Das wäre ein guter Fang. Im Hintergrunde des Raumes standen zwei Betten; in diesen mußten sie sich verkrochen haben. Herzhaft faßten die Jäger zu und zogen – keine Franctireurs, wohl aber zwei Nonnen hervor, zwei barmherzige Schwestern. Stotternd und zitternd erzählten sie, daß sie beim Nahen der „Prussiens“ vom Garten her sich auf den Boden geflüchtet hätten in die Betten der beiden Krankenwärter der Ambulance. Der Officier bedeutete sie, daß sie sich in die unteren Räume zurückbegeben möchten und dort ihres Dienstes warten; sie befänden sich unter dem mächtigsten Schutze, dem des rothen Kreuzes, des Zeichens des Friedens und der Menschlichkeit.

Aus den Dacherkern eröffneten die Jäger ein lebhaftes Feuer auf die Feinde gegenüber, aber dieselben erwiderten es nicht minder stark und mitten in das Knattern und Knallen mischte sich das Krachen der unter den Schlägen der Jäger zusammenbrechenden Hausthür. Nun war den Cameraden draußen auf der Straße eine Schutzwehr gegen die wie Hagelwetter fallenden feindlichen Kugeln geöffnet und im Nu strömten sie mit ihrem Compagnieführer Hauptmann v. Wildemann an der Spitze zum Hause herein, um wie ihre Cameraden von den Dacherkern sowie den Fenstern des Erd- und ersten Geschosses aus ihr Feuer auf die Knicks und die Erdaufwürfe zu eröffnen.

Da gellte ein furchtbarer Schrei durch das ganze Haus.

„Was ist geschehen?“ riefen die Officiere, von denen der eine vom Flure herauf-, der andere vom Bodenraume herabkam. Es war ein erschütternder, Mark und Bein durchdringender Schrei – er klang wie der letzte Laut eines mit dem Tode Ringenden. Sie traten Beide in ein kleines Zimmer der ersten Etage. Dort stand ein Jäger mit einem blutigen Hirschfänger in der Hand und zeigte auf ein Bett an der Wand; in diesem lag ein Blousenmann in vollem Anzuge mit einem Gewehr an der Seite, todtenbleich, röchelnd, in den letzten Zügen; aus einer Brustwunde quoll schwarzes Blut.

„Der hat geschossen. So wie er da ist, mit Stiefeln und Gewehr, habe ich ihn unter der Bettdecke gefunden, und als ich die Decke wegzog, da wollte er noch auf mich anlegen, da habe ich meinen Hirschfänger aufgesetzt und ihm sein Theil gegeben. Allen muß es so gehen, die aus einem Hause mit dem rothen Kreuz schießen. Er hat seinen Lohn.“

In der Thür erschien jetzt ein junger Priester. Nach allen Anzeichen, nach den Schreckensmienen zu schließen, nach der stummen Frage, die auf seinen Mienen lag, schien er ebenfalls den Schrei vernommen zu haben und war gekommen, um nach der Ursache desselben zu forschen. Hinter ihm wurden noch einige jüngere Geistliche, auch die barmherzigen Schwestern in der Thür sichtbar.

„Wer sind Sie?“ frug der Hauptmann den Priester.

„Ich bin der Aumonier dieser Ambulance.“

„Wer ist der Vorsteher derselben?“

„Der bin ich auch.“

Dabei stellte sich der Officier so, daß er dem Priester den Anblick des Sterbenden verdeckte.

„Man hat aus den Fenstern Ihres Hauses auf meine Leute geschossen.“

„O nein, mein Capitain! Wie wäre das möglich? Nicht Ein Schuß ist aus meinem Hause abgegeben worden! Unser Haus ist ein Haus des Friedens –“

„Das sollte man glauben, und doch ist es geschehen.“

„Nein, nein, nein – das ist ein Irrthum!“

„Aber meine Leute haben Ohren zu hören und Augen zu sehen – sie haben die Kugeln bekommen. Sie sind übrigens zu gewissenhaft, etwas zu behaupten, wovon sie nicht die feste Ueberzeugung haben.“

„Aber ich schwöre es Ihnen, mein Capitain, daß dem nicht so ist –“

„So – also Sie schwören – nun denn, werden Sie hier im Angesichte dieses Sterbenden auch noch Ihren Schwur aufrecht halten?“

Damit trat er zurück, so daß der Priester den vollen Anblick des in den letzten Zügen liegenden Franctireurs hatte. Der Aumonier wurde blaß wie der Sterbende, und ein fast convulsivisches Zittern überfiel ihn. Dann aber, als er sah, daß noch Leben ist diesem sei, sprang er auf das Bett zu, holte ein Crucifix aus seiner Soutane und hielt es dem Röchelnden vor die brechenden Augen. Dabei bewegten sich seine Lippen in eifrigem Gebete, bis dieser den letzten Seufzer von sich gegeben hatte. Dann brach der Geistliche in Klagen und Vorwürfe aus, daß der Todte ohne die Sacramente hinübergegangen sei, daß dieses Haus der Schauplatz einer solchen That geworden sei.

„Sie haben sich nur allein die Schuld zuzuschreiben,“ erwiderte ihm der Officier, der des Französischen in vollendeter Weise mächtig war. „Sie haben die Thatsache abgeleugnet, Sie sind überführt worden – Sie sind der Mitschuldige dieser Fanatischen. Sie haben das rothe Kreuz geschändet. Sie haben die Fahne, unter der Sie dienen, verrathen, das Zeichen, das über Ihrem Hause weht und das allem Kampfe wehrt, das haben Sie gefälscht. Ich habe das Recht und die Macht, Sie in diesem Augenblicke noch füsiliren zu lassen.“

Bei der Drohung des Erschießens brach ein allgemeines Wehgeschrei aus, von dem Aumonier sowohl als seinen Collegen und den barmherzigen Schwestern.

„Und ich werde es thun, wenn Sie noch länger leugnen werden.“

Eine peinliche Pause entstand. Das Gesicht des Geistlichen hatte eine erdfahle Farbe angenommen, seine Augen hafteten am Boden; mit Angstblicken hingen die anderen Priester und die Nonnen an seiner sich nur mit Mühe aufrecht haltenden Gestalt. Endlich öffneten sich seine Lippen und er sagte:

„Ja, es ist aus dem Hause geschossen worden.“

„Dann liefern Sie mir die Schuldigen aus.“

„Sie sind nicht mehr im Hause.“

„Wo sind sie?“

„Sie haben sich bei Ihrer Annäherung dort nach jener Höhe zurückgezogen; nur dieser hier hat nicht mehr Zeit gehabt, sich zu retten.“

„So! Ich werde mich selbst überzeugen, ob die Kranken, die in den übrigen Stuben sind, lauter Kranke sind. Ich werde das Haus besetzt halten und dann einen Arzt schicken, der eine Untersuchung anstellen soll.“

Der Officier wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinen Mannschaften zu, die auf seinen Befehl an den Fenstern Stellung genommen die Jalousien derselben geschlossen hatten und zwischen den Oeffnungen hindurch die gegenüberliegende Position wacker beschossen. Von dort wurde das Feuer mit großer Heftigkeit erwidert, dasselbe mußte unter allen Umständen zum Schweigen gebracht werden, und dazu war es nothwendig, daß die Schützenlinien verlängert und der Feind auch vom nebenangelegenen Hause noch beschossen wurde.

„Aber die Thür desselben ist verschlossen,“ bemerkte einer der Jäger.

„Woher wissen Sie das?“ fragte der Hauptmann.

„Weil wir schon vorhin in dem Hause Deckung suchen wollten, ehe man uns hier die Thür öffnete.“

[150] „Dann muß sie mit einer Axt eingeschlagen werden.“

„Das kann uns bei dem tollen Feuer von drüben einen, das kann uns zwei Mann kosten; denn sie werden diese gerade zum Zielpunkte nehmen,“ bemerkte Lieutenant Kramer-Möllenberg.

„Nein, nein,“ versetzte der Hauptmann, „nicht ein Haar soll meinen Leuten von diesen Schurken gekrümmt werden, die Unsrigen haben sich in diesen Tagen im offenen Gefecht gegen den Feind so brillant benommen, daß ich ihr Lebens gewiß nicht dieser Schurkerei zum Opfer, selbst nicht in Gefahr bringen will. Wer ist hier?“

Klagende, bittende Laute wurden im Rücken des Compagnieführers hörbar. Derselbe wandte sich um und blickte in die Jammermienen der beiden Collegen des Aumoniers. Der Eine derselben nahm das Wort.

„Oh, mon capitaine, ist es wahr, daß unser Bruder erschossen werden soll – und gleich auf der Stelle? O Barmherzigkeit! O, schonen Sie seiner, die Franctireurs haben sich des Hauses bemächtigt, was konnten wir gegen sie ausrichten? Wir mußten sie gewähren lassen. O, schonen Sie seiner!“

„Gut, ich werde Gnade für Recht ergehen lassen – ich will Ihrem Collegen sogar auch die Strafe schenken –“

„O Dank, Dank!“

„Wie gut, wie großmüthig Sie sind!“

„Halt, meine Herren, nicht zu schnell, ich bin nicht so großmüthig, wie Sie denken, denn bei Ihnen ist es manchmal nicht angewandt; ich spreche nicht so leicht von Schuld und Strafe los. Ihr Herr College muß sich sein verwirktes Leben wieder verdienen.“

„Aber wie, mon capitaine?“

„Was können Sie darunter verstehen?“

„Sie kennen das Haus, das links hier an dieses anstößt, und dessen Thür geschlossen ist.“

„Die Einwohner sind geflohen, mon capitaine.“

„Das ist kein Grund, daß man es nicht öffnen soll. Ihre Landsleute dort hinter den Knicks werden mir zu hitzig; sie verdienen eine energische Lection von unserer Seite, darum ist mir das Haus nothwendig. Ihr Herr College wird eine Axt nehmen und die Thür einhauen.“

Oh, mon capitaine, unter diesem starken Feuer!“

„Wenn ihn eine Kugel träfe!“

„Dann ist es immer besser, sie trifft ihn, als einen braven Soldaten. Sie wird ihn aber nicht treffen; auf meine Leute würden Jene drüben gehalten haben, auf den Franzosen – den Priester – werden sie nicht zielen. Sagen Sie ihm, das ist meine Bedingung.“

Nach einigen Minuten trat der Priester mit einer starken Axt aus der Hausthür der Ambulance und machte sich daran, die gelbe Thür des Nebenhauses einzuschlagen; er führte einen ganz kräftigen Hieb, denn schon nach einigen Schlägen gab diese seinen Anstrengungen nach. Der Hauptmann hatte vollkommen Recht gehabt, es wurde keine Kugel nach dem Manne im schwarzen Kleide geschickt, es war aber auch für den Capitain und seine Leute kein Verlust zu beklagen; im Laufschritt rückten sie aus dem Hause in das andere, und als die feindlichen Kugeln ankamen, waren sie schon Alle geborgen und richteten ihr Feuer mit der ihnen eigenen Zielsicherheit und Energie nach der feindlichen Stellung, die denn auch bald gänzlich zum Schweigen gebracht wurde.

Schneller mag wohl der Priester nie einen Weg zurückgelegt haben, als den von der geöffneten Hausthür nach seiner Ambulance zurück, in zwei Sprüngen war das geschehen, und merkwürdig – in dem Momente, wo er sein Haus wieder erreicht hatte, zerschmetterte eine Kugel den Stab der Fahne, die aus dem Fenster heraushing, und prasselnd fiel das weiße Tuch mit dem rothen Kreuze, das in diesem Hause entweiht worden war, zu seinen Füßen nieder.




Anmerkungen (Wikisource)

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