Zur Technik der Luzerner Osterspiele
[3] Einleitendes. Benennung der Spiele. Bedeutung der Spiele. Scenerie. Sceneriewechsel. Aufenthalt der Spielenden. Maschinerie, Blutvergießen und Todtschlag, Tonderer, Mannaspreiter, Heiliggeistleiter, Röuker. Costüm und Ausrüstung, Fahnen. Schauspieler und Rollen, die Teufel. Dauer der Spiele. Eintheilung in Quartiere, Acte, Unterschiede. Text. Prolog. Dramatische Composition. Geberdenspiel. Musik. Gesang. Sprachenwunder zu Pfingsten.
In der Bürgerbibliothek von Luzern liegen über ein Dutzend stattliche Folianten, die handschriftliches Material über die geistlichen Spiele der Stadt Luzern enthalten. Theils finden wir da die Texte, theils die mannigfachsten Angaben über die Technik der Spiele, z. B. Pläne der Bühne, Listen der Theilnehmer, Verzeichnisse der Costüme, Gesanghefte, Kostenberechnungen.
Die Luzerner Spiele haben schon mehrere Bearbeitungen gefunden. Allgemein bekannt ist, daß Mone und Wilken ihnen ihre Aufmerksamkeit zugewendet haben. Liebenau schildert sie in seinem „altern Luzern“ und Hidber in seinem „Renward Cysat“. Hidber hat noch speciell eine kleinere Abhandlung darüber geschrieben, eine größere besitzen wir von Richly. Im Zusammenhang mit denjenigen der Urkantone stellt sie Gall [4] Morell dar. Leibing endlich hat dem spiel von 1583 eine eigene, 22 Seiten starke Broschüre gewidmet.
Alle diese Arbeiten fassen auch die technische Seite in’s Auge.
Es könnte vielleicht auffällig erscheinen, das ich mir vorgenommen, auch noch über die Technik der Luzerner Osterspiele zu sprechen. Allein es liegt in unsern Manuscripten so viel Stoff vor, das man immer wieder etwas Neues aus denselben schöpfen kann. Dann schildern uns die genannten Arbeiten diese Spiele in großen Zügen, ohne sich auf Specialitäten einzulassen; ich dagegen möchte die Details zeichnen. Ferner wenden sie ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich nach gewissen Seiten hin, während andere Seiten derselben, z. B. Geberdenspiel, Gesang, Musik, Maschinerie, dramatische Composition u. s. w. noch gar nicht oder doch sehr kurz berührt worden sind. Endlich steht immer das Spiel von 1583, über welches uns allerdings das Meiste überliefert ist, im Vordergrund des Interesses; ich dagegen habe alle erhaltenen Notizen in Berücksichtigung gezogen. Die ersten treffen wir 1545, während blose Texte bis in’s 15. Jahrhundert zurückgehen, die legten 1616.[1]
Die allgemeine Benennung ist Spil, seltener Actus, indem dieses Wort, wie wir später sehen werden, sonst eine andere Bedeutung hat. Die Namen Osterspil oder Passionsspil sind nicht etwa erst neueren Datums, sondern schon in jener Zeit gäng und gäbe. Sprachlich ist interessant, daß Passion masculin ist. Es heißt stets Das Spil des Passions. Unter einem [5] sonderbaren Namen wird das Spiel vom Jahre 1549 aufgeführt. Er lautet: Die Histori der Tragedi vom jüngsten Gericht.
Ueber den Zweck, die Bedeutung, das Ansehen dieser Spiele legen verschiedene Regierungserlasse Zeugniß ab. Ein Memorandum vom Jahre 1597 sagt, man führe das Spiel auf: damit dem Volk das Lyden Christi bas im Gedächtniss behalten werde; ferner: man soll sich erinnern, das solches kein kindisch, schimpflich oder weltlich, sondern ein geistlich ernsthaft Spil sy, so zuo der Ehre Gottes, Uferbuwung des Menschen und der Stat Luzern Lob hochlich dient. Ein anderer Erlaß besagt, das Spiel stehe in großem Ansehen nicht nur bei dien Katholischen, sondern ouch den Unkatholischen, die denn ouch in guoter Anzahl sich dahin verfüegent und solches hoch schetzend.
Die Spiele, mit denen ich mich hier zu befassen habe, wurden auf dem Weinmarkt, der damals auch den Namen Fischmarkt hatte, aufgeführt. Ein einziges Mal, und zwar im Jahre 1583 ist mir der Ausdruck Theatrum zur Bezeichnung des Spielplatzes begegnet. Auf diesem Platz befanden sich die Oerter und die Höfe. Ort ist so ziemlich dasjenige, was wir heute als Scenerie bezeichnen. Die Sceneriestücke wurden theils auf ebener Erde, theils auf Holzgestellen, welche den Namen Brügi tragen, errichtet, letzteres namentlich da, wo Versenkungen nothwendig waren. Beide Momente gehen aus verschiedenen Angaben unzweifelhaft hervor. 1583 wird vorgeschrieben, der Teich Siloe folle sein ein Küefferbücki, ein Küferbottich, so in den Boden eingegraben, daß er nicht über die Bsetzi, das Pflaster, hinausreiche. 1575 dagegen heißt es, [6] Rom und Jerusalem solle, jedes für sich, auf einer bsondern erhabenen Brügi, auf einem für sich abgeschlossenen , erhöhten Holzgestelle, errichtet werden.
Während der erwähnte Teich Siloe auf höchst einfache Weise gemacht ist, treffen wir doch auch ziemlich complicirte Scenerien. Im Spiel vom jüngsten Gericht sitzt Gott auf einem Regenbogen. Auf der Rechnung der Schreiner vom Jahre 1597 steht auch die Stadt Bethulien. Das characteristische Merkmal der Hölle war das Hellenmul. Man brauchte zu diesem laut einer Rechnung 40 Ellen Tuch, das dann bemalt wurde. Es war zwischen zwei Pfosten eingefügt und konnte aufgezogen und abgelassen werden. Es muß eine Art Vorhang gewesen sein. Die Zeichnung im Plane von 1583 zeigt wirklich ein ungeheures fratzenhaftes Gesicht, mit fürchterlichen Augen, langer rüsselförmiger Nase, breitem Maul und entsetzlichen Zähnen. Der Himmel, auf der obern Seite des sanft ansteigenden Platzes war ein Balcon, angebaut an das Haus zur Sonne. Der Paradiesgarten war mit Loubesten und Tannlinen umsteckt. Im Innern war eine Grube, der Baum der Versuchung und ein Buchsbaum, hinter dessen dichtem Gezweige Adam und Eva sich verstecken, wenn sie gesündigt. Der Oelberg ist aus Holz gemacht, mit Tuch überzogen, mit Laubwerk umsteckt, hohl und viereckig, im Jahre 1583 unten 8 Fuß lang und 7 Fuß breit, oben betragen die Maße 6 und 5 Fuß. Die Höhe ist 11 Fuß. Von der Wichtigkeit des Umstandes, daß die Differenz der Dimensionen zwischen oben und unten ein Characteristicum eines Berges sei, war man fest überzeugt, denn oft wird den Werkleuten eingeschärft, sie sollten ihn ja oben dünner als unten machen.
Gebäulichkeiten, in deren Innerm gespielt wird, [7] werden durchsichtig, das heißt, ohne Wände gebaut. Das Weihnachthüttlein besteht aus vier Pfosten, über welche Stroh gelegt ist. Die Thüre zum Gefängnisse des Johannes ist mit Sprentzeln, einzelnen Stäben gemacht, damit man hineinsehen und er hinaussprechen könne. Der Tempel besteht aus einem Vorbau und sechseckigen Chor. Die Wände gehen nur 4 Fuß hoch hinauf und sind mit Tüchern behangen. Oben hat er einen heidnischen Thurmknopf. Es ist auch ein Glöcklein angebracht, womit der jüngste Rathsherr in den hohen Rath läutet. Der Eingang ist dadurch markirt, daß hier, wie übrigens selbstverständlich, die 4 Fuß hohe Wand fehlt, und daß zwischen beiden Thürpfosten oben eine bogenförmig gekrümmte Latte gespannt ist. Im Tempel befinden sich die Bundeslade, und Bänke längs der Wand. – Nach dem Plane vom Jahre 1583 ist der Himmel, wie bereits erwähnt, oben im Spielplatz, die Hölle unten. Den Tempel hat man, wenn man hinaufgeht, in der Mitte rechts. Etwas unterhalb des Tempels steht der Wasserfelsen; der Jordan, in dem übrigens nur während der Taufe Christi Wasser floß, kommt von links oben quer durch den Platz. Hart über seinem Ufer steht die Säule zum goldenen Kalb. Der Oelberg steht im Paradies und neben dem Paradies befindet sich der Garten der Magdalena.
Bestimmte Theile der Scenerie mußten verschiedene Male und zu verschiedenen Zwecken dienen. Der Sinai, der Berg der Versuchung und der Oelberg ist alles eins, ohne irgendwelche Aenderung. Im Paradiese geschieht auch das Gejegd, die Jagd Esau’s, dann ist es wieder der Oelgarten, worin die Todesangst Christi stattfindet. Bei der Gefangennehmung wird er zergengt, ruinirt, und mus dann wiederhergestellt [8] werden, denn er figurirt noch einmal und zwar bei der Kreuzigung. Der Brunnen, in welchen Joseph geworfen wird, und der Jacobsbrunnen, wo der Salvator sich mit der Samaritana unterredet, sind der Gleiche. Doch wurden hier für die beiden Scenen einige Modificationen vorgenommen. Im ersten Falle fehlt Säule, Seil und Eimer, und er ist mit Tannästen umgeben, im zweiten sind die Requisiten zum Wasserschöpfen angebracht, und er ist, etwas auffällig, mit bunten Tüchern umhängt.
Ueber Sceneriewechsel geben uns die Manuscripte und der Plan von 1583 verschiedene Auskunft. Himmel, Hölle, Tempel, Paradiesgarten u. s. w. sind gleich beim Beginne schon ausgerüstet, und bleiben während der ganzen Zeit stehen. Das Weihnachtshüttlein wird gleich nach Beendigung der Scene abgebrochen und weggebracht. Das Grab des Salvators wird 1583 zugedeckt und darauf der Tisch gestellt, an dem Salvator und die Jünger in Emaus ihr Mahl halten. Der Felsen, der beim Tode Christi zerspalten soll, ist an einem schicklichen Ort verborgen, wenn es Zeit, wird er hertransportirt und in die Nähe des Kreuzes gestellt, und zwar geschieht das, während das Spiel seinen Fortgang nimmt. Die Todten, so schon Abel, werden von Bahnträgern auf die Bahre gelegt und fortgetragen, das gilt jedoch nur von den Guten, die Bösen, wie Goliath und Holofernes, werden von den Teufeln in die Hölle geschleppt.
Auf die erhöhten Brüginen gelangt man vermittelst Treppen, so laut Plan von 1583 auf diejenige, auf der sich das Weihnachtshüttlein erhob. Wenn die Versuchung Jesu stattfinden soll, wird an den Tempel ein höcher Stägentisch gestellt. Auf diesen, das heist auf die Zinne des Tempels, steigen nun der Salvator [9] und der Versucher. In den Himmel hinauf kommt man vermittelst einer Leiter. Von dieser Leiter aus ist ein Brett auf den Gipfel des Versuchungsberges hinübergelegt.
Nebst diesen sogenannten Oertern treffen wir auf dem Spielplatz auch die Höfe. Es sind das besondere Abtheilungen des Platzes, mit niedern Schranken umgeben, an denen im Innern Bänke hinlaufen. In diesen Höfen wird selten gespielt, so zum Beispiel in Herodes Hof, dafür sind ja die eben geschilderten Oerter da. Die Höfe dienen als Aufenthaltsort für die Schauspieler. Sie befinden sich hier, bevor sie spielen, und wenn sie gespielt haben, kehren sie wieder dahin zurück. So kommt der Salvator 1597 aus seinem Hof heraus, trifft den Simon Pharisäus an, dieser ladet ihn zu einem Mahle ein, der Salvator sagt zu, kehrt, während das Mahl bereitet wird, wieder in seinen Hof zurück. Wenn die Vorbereitungen getroffen, läßt ihn Simon rufen. Umkleidungen werden jedoch nicht hier vorgenommen. Eine Notiz besagt, dies solle in einem benachbarten Hause geschehen, und einmal wird in einem Vorschlag eine besondere Gebäulichkeit auf dem Spielplatz dafür postulirt.
Nur hervorragende Personen haben ihre Höfe, z. B. Moses, der Salvator, Herodes. sie haben aber in ihren Höfen auch den Kreis ihrer Angehörigen; so hat der Salvator die Apostel bei sich. Leute, die keinen Hof haben und für sich allein dastehen, suchen irgendwo in einem Hof, da noch Raum ist, oder sonstwo auf dem Spielplatz ihre Unterkunft. Die Schlange hält sich im Oelberg auf, ebenda auch der Jüngling Marcellus. Da einerseits Kaiphas ein kleines Gefolge hat und anderseits der Hof der Tempelherren nicht geräumig genug ist, wird für 1597 verfügt, es möchten [10] sich einige Tempelherren an dem Hof des Kaiphas aufhalten. Personen, die nichts mehr zu thun haben, dürfen doch noch auf dem Spielplatz bleiben, denn eine Verordnung vom Jahre 1597 sagt: An den Hof, da am ersten Tag Moyses gsin mit den Juden, mögent sich ietzt andere füegen, die sonst anderswo nit Platz hand oder am letzten Tag nüt ze schaffen hand.
Die Maschinerie ist zum Theil sehr einfach, zum Theil ziemlich complicirt. Recht naiv geschieht die Felsenzerspaltung beim Tode des Salvators, wie sie für’s Jahr 1597 vorgeschrieben ist. Der bewußte Fels hat vorn nichts auffälliges, hinten dagegen befindet sich ein großer Schlitz; ist es nun Zeit, so kehren ihn zwei Männer einfach um, das hintere nach vorn. Zur gleichen Zeit ertönt aus der Nähe ein gewaltiger Chlapf, Knall. Etwas complicirter ist die Erschaffung Adam’s. Dieser ist im Paradies in einer Grube verborgen, welche mit leichtem Gezweige überdeckt ist. Vor der Grube steht Pater aeternus. Er hat den Lehmklotz in den Händen und formirt daran. Plötzlich läßt er ihn fallen, greift rasch in die Grube und zieht den Adam heraus. Beim Opfer Abel’s und Kain’s soll Kain han ein Korngarb, die dri Tag im Wasser glägen nitt gern brünne, Abel ein gmachts Lemlin, inwendig voll Flugspän, das gern brünne oder gar von Bouwelen (Baumwolle) gmacht. Wenn der Schauspieler, welcher den Esau vorstellte, schon kein guter Jäger war, so hatte das gar nichts zu bedeuten, denn bei seiner Jagd lag im Gstüd, im Gesträuch, Einer verborgen, der mußte das Küngelin, Kaninchen, stechen und dem Esau das blutende Thierchen unvermerkt zuwerfen. Zum Schlangenüberfall in der Wüste trägt jeder Jude eine künstlich gemachte Schlange bei sich, [11] an deren Kopf eine Gufe, eine Stecknadel, befestigt ist. Ist es Zeit, so stürzen sich die Juden zu Boden und heften sich so unvermerkt die Schlangen an. Wenn das Wunder zu Kana geschehen und nun der Wein den Gästen aus den Krügen in die Gläser gegossen wird, müssen die Diener die Krüge hoch über die Gläser halten, damit das Publicum sehen kann, daß wirklich Wein eingegossen wird. Zur Erzielung größerer Deutlichkeit ist noch vorgeschrieben, es solle Rothwein sein. Beim letzten Abendmahl mußten die übriggebliebenen Knochen des Lammes verbrannt werden, da aber dieses nicht gut ging, so söll der Husvatter die Bein verborgenlich abwäg thuon und Hölzlin dafür ins Füwr legen. Zur Kreuzigung hatte man zwei Kreuze, ein hohles leichtes zum Hintragen, das dann heimlich auf die Seite gebracht wurde, und ein massives. Dieses mußte bei der Kreuzigung rügglingen hinder sich halden, nach hinten geneigt sein. Hiedurch erzielte man für den Gekreuzigten eine bequemere Lage zwischen Hängen und Liegen. Um den Tod des Salvator und der beiden Schächer dem Publicum recht anschaulich vorzuführen, brauchte man eine wysse Tuben, einen schwarzen Eichhorn und ein wyss lumpin klein Kindlin. Die Taube war in einer Höhlung oben im Kreuze des Salvators verborgen, das Eichhorn trug der linke Schächer, die Puppe der rechte im Busen verborgen. War es nun Zeit, so machte man den Verschluß der Qeffnung auf, die Taube flog davon. Zur gleichen Zeit kam ein Engel und zog die Seele des guten Schächers aus dem Busen, das gleiche thaten Teufel beim bösen Schächer.
Sehr interessant ist die Technik des Blutvergießens und Todtschlagen. 1583 heist es: Cain sol han [12] ein Houwen, die also gerüst, das zuvorderst ein Höle, darin Bluot sye und gärn bräche, Abel sol under dem Haar ein ysin Beckelhüblin uf dem Houpt haben für der Houwen Streich. Die Art und Weise, wie David den Goliat erschlägt, kommt uns modernen Menschen fast comisch vor. David liest Steine auf dem Wege auf und steckt sie in sein Carnier, seine Hirtentasche. In dieser befindet sich aber schon ein Ei, steinfarben angestrichen und mit Blut gefüllt. Er nimmt nun nicht etwa einen Stein, sondern das Ei hervor, legt’s in die Schleuder und wirft’s dem Riesen an den Kopf. Es zerplatzt natürlich und so sieht man das Blut nach allen Seiten aus der Stirne hervorspritzen. Beim Kindermord zu Bethlehem sitzen vier Mütter da. Ihre Wiegen sind aus leicht zerbrechlichem Holz gemacht, dazu noch angesägt. In jeder Wiege liegt eine Puppe, hohl und mit Blut gefüllt. Nun kommen die vier Ritter, spießen die Puppen an, das Blut spritzt heraus. Mit den angespießten Kindern reiten sie davon. Jammernd eilen ihnen die Mütter nach und werfen die leeren Wiegen gegen sie, welche natürlich an der Rüstung zerbrechen. Bei der Todesangst, da der Salvator Blut schwitzt, ist ein Maler im Oelberg verborgen, hat ein Sprützen mit Bluot oder Bresillenfarb, dem Salvatori gsicht und hend ze besprützen. Wie Petrus dem Malchus das Ohr abschlägt, greift dieser schnell, wie um sich zu schützen, an dasselbe, in Wirklichkeit hält er aber einen Schwamm mit Blut in der Hand, diesen drückt er rasch an das natürlich nicht verletzte Ohr.
Besondere Aemter waren die der Tonderer, Himmelsbrotspreiter, Stern- und Heiliggeistleiter, Röuker, Finsternissmacher. Die Tonderer hatten [13] den Donner zu machen, 1583 bei der Gesetzgebung auf Sinai, beim Tode des Salvators, bei der Auferstehung, 1597 auch zu Pfingsten. Das Donnern geschah vermittelst eines Donnerfasses. Die Himmelsbrotspreiter hatten den Mannaregen zu bewerkstelligen. Dieses geschah vom Dache zweier Häuser, rechts und links vom Spielplatz, aus. Das Manna war ein leichtes Gebäck von Schilling- oder Angster-Größe und wurde in eine Röhre hineingebracht, welche gegen den Platz hingerichtet war. Mit einem gewaltigen Blasbalg blies man in die Röhre hinein, und so fiel das Manna an den gewünschten Ort. Der Heiliggeistleiter hielt sich auf der obern Seite des Platzes, im Haus zur Sonne auf. Von hier aus ging ein Schnurwerk bis zur Brunnensäule unten auf dem Platze. An diesem Schnurwerk war eine lebende Taube angebracht. Beim englischen Gruß, der Taufe des Salvators, und zu Pfingsten hat der Heiliggeistleiter die Taube auf Maria, den Salvator und die Apostel hinabzulassen und wieder zurückzuziehen. Aehnliches geschah mit dem Stern zu Bethlehem. Die Röuker hatten bei der Gesetzgebung auf Sinai und beim Tode des Salvators dunkle Wolken zu machen. Dieses geschah im Berge, der, wie bemerkt, zugleich als Sinai und als Oelberg diente. Da war ein Kohlenfeuer bereit, in das man einen Stoff warf, so schnell rüche und wol schmecke. 1545 und 1560 ist von einem Pulver us Räckholderberi und Wirouch die Rede. Ein sehr leichtes Amt hatte der Finsternissmacher, denn die Verfinsterung der Sonne ging so bequem vor sich, wie das Felsenzerspalten. Ueber dem Plaß hing eine große Sonne, vorn goldfarben, hinten blutroth. Zur Verfinsterung kehrte man sie einfach um.
[14] Schön und zutreffend sind Costüm und Ausrüstung.[2] Manchmal kam es vor, daß andere Orte sich Stücke aus der Luzerner Garderobe erbaten. 1616 wird gemahnt, man solle in Zukunft etwas vorsichtiger beim Ausleihen sein. Pater aeternus ist treffend als Priester und Herrscher gekleidet. Er trägt die Albe und den Chormantel, eine Krone auf dem Haupte, den Reichsapfel in der Hand. Haar und Bart sind schön altväterisch, der zwölfjährige Jesus sol haben einen Rock dem Salvatori glych, ouch ein brun, lang Haar und ein Diadem mit einer guldinen Gilg als der Salvator, ouch barfuoss in lininen gferbten Strümpfen. In dieser Notiz ist zugleich das einzige enthalten, was wir über das Costüm des Salvators wissen. Wohl findet sich in den Costümrödeln jedesmal auch die Rubrik Salvator, sie ist aber stets blank gelassen; warum, weiß ich nicht. Von den Kirchenvätern ist 1545 und 1583 Gregorius als Papst, Hieronymus als Cardinal, Ambrosius als Erzbischof, Augustinus als Bischof gekleidet. Die Nacktheit wird durch gmalete Lybkleider dargestellt, so treten die Todten bei der Auferstehung 1583 auf in Lybkleidern als nacket, doch tödtlicher Farb, und als Totne, mit Gebeinen gemalet, ouch uf dem Houpte gemalete Totenköpf, ein Badmantel unter dem Arm durch über die Achsel gschlagen, ieder ein Totenbein in der Hand tragende. Immerhin finden sich im Costüm verschiedene Sonderbarkeiten. Geradezu possirlich ist das der Juden. Sie tragen Stiefeln, lange Kleider mit Uebermänteln sammt Capuzen, [15] spitze Hüte mit Troddeln und Quasten, gemalte kurze, hölzerne Säbel an den Seiten, Ringe von Messing in den Ohren. Die Kleider sind mit Bildern von Sonne, Mond und Sternen und hebräischen Buchstaben besetzt. 1583 wird die Frage aufgeworfen, ob diese Bilder und Buchstaben auch auf den Stiefeln, Harnischen und Schilden angebracht werden sollten. 1597 ist beigefügt, sie sollen aus Staniol gemacht und auf blaues Papier aufgetragen sein. Vielfach wird betont, daß sich das Gefolge in seiner Kleidung nach dem Herrn zu richten habe, so kam Kaspar mit seiner ganzen Gefolgschaft weiß gekleidet, Melchior und Baltassar mußten sammt ihrer Dienerschaft andere Farben wählen. Für richtigen Costümwechsel, wo solchen die Ereignisse verlangten, hatte man einen feinen Sinn. Die vier Ritter des Herodes tragen ihre Rüstung nur dann, wenn sie als Kriegsleute fungiren, z. B. bei der Kreuzigung, aber ze andern Zyten müssend sy nit geharnast syn, hant dann fliegende Kasacken, zerschnitten, seltzamer Manier, Spitzhosen und derglychen. Maria trägt zuerst, während der freudenreichen Zeit, ein schön ausgespreitetes langes Haar, unbedeckt; in der Leidenszeit hat sie einen weißen Tuchstreifen auf dem Haupt, der zu beiden Seiten bis zum Knie hinunterfällt und ihre Haare verdeckt. Selten war es gestattet, daß das gleiche Costüm mehrere Male zur Anwendung kommen konnte. Wie Vasthi verstoßen ist, zieht man ihr die kostbaren Kleider aus und bringt sie der Esther, die sie nun anlegt.
Sorgfältig und zum Theil sehr fein ausgedacht sind die verschiedenen Requisiten, welche die Personen zum Spiel bedürfen. Wie Adam und Eva aus dem Paradies ziehen, trägt ersterer eine Haue, an der man nichts [16] von Eisen oder Eisenfarbe sehen darf, Eva eine Kunkel, Esau sol haben ein Schieszüg, doch nit Büchs, sonder Bogen und Pfyl. Alle Erzengel tragen Szepter, das des Gabriel ist mit dem englischen Gruß umwunden, doch nur dann, wenn er zu Maria gesendet wird. Die Apostel haben ihre Heiligenscheine erst dann, wenn sie vom Salvator berufen sind, die Jünger, sowie auch die Jünger des Johannes haben gar keine. 1597 wird die Frage aufgeworfen, ob Judas doch eher keinen Heiligenschein haben solle, und es wird dahin entschieden, ihm gebühre keiner. Subtil ist auch die Bestimmung, daß der Philosoph Apollophanes eine Brille tragen muß. Offenbar konnten sich unsere alten Luzerner einen Gelehrten ohne Brille nicht denken. Ganz luzernerisch heimelt es einen an, wenn man da vernimmt, daß Magdalena ihren Gästen Küechlin vorsetzt, jenen Leckerbissen, der jetzt noch bei uns bei vielen Festen nicht fehlen darf; daß die Hirten bei Bethlehem um einen Kübel Nydlen, Rahm, sitzen, daß der Grempler, Hausirer, mit einer Krätze, Tragekorb, einherzieht, gerade wie jetzt noch bei uns Geschirr und andere Waaren in solchen Tragekörben verhausirt werden. In Bezug auf die Hochzeit zu Cana wird vorgeschrieben: die wyl es ein Hochzit von andächtigen, gotsäligen, demütigen Personen gsin, so soll ouch alles Wäsen in Kleidung, Gasterei und andrem also demüthig und der Armuot gemäs sin, alles uf Fasten Manier, von Gmües, Pfeffer, Fisch, Krebs, Krut. Uebrigens scheint es bei diesem und ähnlichen Anlässen nicht immer gar demüthig und bescheiden hergegangen zu sein, denn oft wird auf’s strengste eingeschärft, die Spielenden sollen sich bei solchen Gelegenheiten doch nicht bezechen, damit nicht so große Störungen im Spiele eintreten.
[17] Genaue Notizen sind uns über die Fendlin und Bannier, die bei den Spielen gebraucht wurden, überliefert. Der Fähndrich des Proclamators hat zwei Fändlin, das eine ist für die erste Hälfte des Spiels bestimmt und hat eine weiße Feldung, das andre, für die zweite Hälfte, die Leidensgeschichte, hat eine rothe Feldung, in beiden sind die Abzeichen der Passion dargestellt. Goliath’s Panner zeigt auf blauem Grund Sonne, Mond und Sterne golden. Die Kriegsfahne König Saul’s läuft in eine Spitze aus. Sie zeigt das Wort Macabai mit schwarzen Buchstaben auf gelbem Felde. Holophernes hat syn Banner daffetin, ein guldinen Löw in rotem Feld darin gmalet. Das Banner des Pilatus hat auf der einen Seite den Reichsadler auf rothem Grund, auf der andern Seite die Zeichen S P Q R.
Die Aufführung der Spiele wurde von den beiden Bruderschaften zu Sanct Barblen und zur Bekrönung organisirt und geleitet. Diese übergaben jedoch ihre Machtbefugnisse über die meisten Angelegenheiten einem Comite und dem Regisseur. Letzterer trug den Titel Regent. 1583 und 1597 bekleidete Renward Cysat dieses wichtige und mühevolle Amt. Wer am Spiele activ theilnehmen wollte, mußte sich beim Regenten anmelden. Die definitive Ernennung lag dagegen in den Händen der Bruderschaften. Frauenzimmer wurden in keiner Weise zur activen Theilnahme bei den Osterspielen zugelassen, damit es nicht ein ungastlich Wäsen gäbe mit dem Hin- und Widerfahren der Wybern und Dienstmägden. Frauenrollen wurden also alle durch Männer gegeben. Wie sehr man aber um eine würdige Repräsentation dieser Rollen besorgt war, zeigt eine Notiz vom Jahre 1583, wo für das künftige Osterspiel anempfohlen [18] wird, dass man uff dem Land hin und wider fürsehe umb schön Frawenhaar uf künftig. Es galt für sehr ehrenhaft, mitspielen zu dürfen. Die angesehensten Männer übernahmen Rollen. Hiefür erhielten sie aber nicht nur keinen Lohn, sondern mußten im Gegentheil für diese Ehre noch zahlen. Eine vornehme Rolle wie die des Salvators kostete 40 Schillinge. Dazu mußten die Schauspieler Kleidung und Ausrüstung zum großen Theil selbst beschaffen. Wer schon einmal gespielt hatte, dem gab man bei einer ferneren Aufführung den Vorzug, falls Alter und Aussehen ihn für die Uebernahme der betreffenden Rolle noch fähig erscheinen ließen. Auch Verwandte und vor allem Söhne und Enkel hatten ein gewisses Vorrecht, doch scheinen solche in ihren Ansprüchen zu weit gegangen zu sein, denn 1597 mußte die Regierung entscheiden, das Erben der Ständen sölle nit gelten.
Die Schauspieler führten den Namen Agenten, eine Rolle nannte man einen Stand.
Große Schwierigkeiten bereitete es, allen Personen die passenden Namen zu geben. Die hebräischen Wörter waren der Luzerner Zunge unbequem, und so wird denn 1583 gemahnt, man solle dem Judengesinde ja kurze und leichtauszusprechende Namen geben. So figuriren denn Achor, Amon, Maroch. Im Jahre 1583 treffen wir 8 und 1597 sogar 20 Engel. Diesen ihre richtigen Namen zu finden, war nicht leicht. Mehrmals werden sie bloß als Angelus Primus, Secundus u. s. w. aufgeführt. Interessant sind die Namen der Teufel. Diese lauten für’s Jahr 1583: Luzifer, Brendlin, Bürstlin, Glissglass, Beelzebub, Krütlin, Unkrut, Schlang, Fäderwüsch. Diese Namen sind durchaus nicht zufällig gewählt, sondern es finden [19] sich die ganz gleichen in den Hexenprocessen, wie sie das Luzerner Thurmbuch aufbewahrt, wieder. Wenn die beiden Philosophen Dionysius und Apollophanes hießen, so werden diese Benennungen aus den Apokryphen entlehnt sein. Auffällig ist, daß im Spiel der Kreuzerfindung ein Doktor Gerson auftritt.
Das Personal bei den Luzerner Osterspielen war stets ein sehr bedeutendes, manchmal wirkten über 400 Personen mit. Ein Rodel von 1583 zählt über 70 Personen auf, welche nicht sprechen, z. B. Trabanten Herodis, Jünger des Johannes, Mägde des Pilatus. Zur Aufführung des Actes der Esther (1597) brauchte es ungefähr 50 Personen. Folgendes ist das Personal bei der Ausführung zur Kreuzigung 1583:
4 Hornbläser; Achor und Amon, Bogenschützen, Maroch und Achas mit Partisanen und Mordäxten; Pannerherr des Pilatus, allein; die zwei Kämmerlinge des Pilatus mit dem Schiltknaben in der Mitte; Pilatus und Centurio; Marschall und Truchsäß, der Unterschreiber in der Mitte, ohne Harnisch, nur mit Knebelspießen; Sisera, der Hauptmann mit dem Fausthammer im Harnisch, allein; die zwei Schächer, gebunden und bei ihnen die beiden Schergen Rehas und Barrabas, welche die Schächer an Seilen führen; Achim und Malchus tragen die Henkersrüstung nach; Salvator mit dem Kreuze; die 4 Peiniger mit den 4 Buben; die 4 Ritter Herodis im Harnisch; eine Menge Volk ohne Ordnung; Maria Virgo und Johannes; Magdalena, Martha, Maria Jacobi, Salome, Veronika, Joseph von Arimathea, Nicodemus.
Sehr sorgfältig zog man Alter, Größe, Gestalt, Stimme der Mitspielenden in Berücksichtigung. 1597 wird die Frage aufgeworfen, ob der Legis Peritus eigentlich jung oder alt gewesen sei. Für das gleiche [20] Jahr ist vorgeschrieben, die vier Erzengel sollen gleich groß und größer als die vier mittlern Engel, diese gleich groß und größer als die zwölf kleinern sein, welche alle wieder gleich groß sein mußten. Ebenso sollten sie nicht frech, aber auch nicht zu schüchtern sein. Man mußte einen kleinen Engel wieder entlassen, weil er viel zu plug, zu knabenhaft schüchtern war. Von den Engeln heißt es ferner: si sond milte wybische und nit ruche mannische Stimm haben. Im Betreff der Teufel ist vorgeschrieben: sy sond starke Mannen syn. Adam soll die Gestalt eines 30jährigen Mannes haben, Isaak ist ein hurtiger Jüngling, Jacob kleiner als Esau, Joseph, der Gemahl Mariä, ein alter Mann, von den drei Königen ist Kaspar der älteste, Melchior der mittlere, Balthassar der jüngste. Lazarus ist lang und mager.
Bei den Luzerner Spielen vertreten die Teufel, und nicht etwa der Krämer das komische Element. Das geschieht aber nicht durch Witze reißen, sondern durch Schreien, Tanzen, Springen. Da und dort ist ihnen vorgeschrieben, sy söllent ein sältzames Springen machen. Wenn die Juden um das goldene Kalb tanzen, ahmen sie vor der Hölle den Tanz nach. Wenn Magdalena 1597 ihre Buhlen bewirtet, tentzlend si vorussen umher, machend ihre Possen, louffend dann wider davon. Den erschlagenen Goliat, Holofernes, ziehen sie in die Hölle, den erhängten Judas lösen sie vom Baum, wobei ihm die künstlich angebrachten Eingeweide aus der Gewandung herausdringen. In der Hölle wird er mit einem besondern Teufelslied empfangen, von dem uns nur der Anfang erhalten, welcher lautet: Zum Zwire, zum Zwäre, o du armer Judas. In der Hölle wird er dann in Effigie verbrannt, aber beim Abzug am Schluß des [21] Spieles wieder auf einem Karren von den Teufeln fortgeführt.
Eine ganz andere Stellung nehmen dagegen die Teufel im Spiel vom jüngsten Gericht ein, wo sie wichtige Rollen in den Händen haben.
Die Luzerner Spiele dauerten stets 2 Tage, auch das Spiel vom jüngsten Gericht und das von der Kreuzauffindung, welches 1575 gespielt werden sollte, sind auf 2 Tage veranschlagt. Auf das Jahr 1597 wurde berathen, ob man nicht 3 Tage lang spielen wolle. Es blieb aber beim Alten. 1583 sind für jeden Tag 11 Stunden in Aussicht genommen. 1616 heißt es, ieden Tag nit lenger uff dem Platz blyben dann 12 Stund, von 6 bis wider zu 6. Aus dieser Notiz scheint hervorzugehen, daß man zur Mittagszeit keine Pause machte.
Die Osterspiele zerfallen in Quartiere, diese in Acte, welche auch Figuren genannt werden, diese in Unterschiede.
Die Eintheilung in Quartiere ist eine rein äußerliche, durch sie zerfällt das ganze Spiel in 4 gleich lange Theile. 1583 geht das erste Quartier von der Erschaffung Adams bis zur Geburt Christi inclusive, das zweite Quartier von der Anbetung der heiligen drei Könige bis zum Wunder mit dem Blinden, das dritte vom Gespräch mit den Juden bis zu den Ereignissen am Hofe des Herodes, das letzte bis zu den Erscheinungen des auferstandenen Salvators. Dagegen hatte die Eintheilung in Quartiere einen practischen Zweck. Die Proben, Probationen genannt, geschahen nämlich zuerst Actenweise, die Hauptproben dagegen nach Quartieren. Ein oder zwei Mal wurde auch Hauptprobe in Costüm abgehalten.
[22] In einem Acte oder einer Figur wird eine für sich abgeschlossene Begebenheit vorgeführt. So hat das erste Quartier 1583 8 Acte: 1. Adam und Eva; 2. Kain und Abel; 3. Abraham und Isaac; 4. Jacob und Esau; 5. Joseph; 6. Moses in der Wüste; 7. David und Goliath; 8. Geburt Christi. Das 2. Quartier hat 20 Acte, z. B. 10. von dem Gespräch Christi mit dem heidnischen Fröwlin, 14. Die Historie mit dem ehebrüchigen Wyblin, das 3. Quartier hat 17 Acte, z. B. 2. Vom Gespräch und Disputatz der Juden mit Christo, da si inne versteinigen wollten, das 4. Quartier hat 11 Acte, z. B. 6. von Klagen der Tüflen über den Sig Christi, 9. Was sich mit den Jüngern bi dem Grab verloffen.
Der Unterschied, die Unterabtheilung des Actes, ist ein Mittelding zwischen Scene und Auftritt.
Es wurden gewöhnlich die Ereignisse des alten und neuen Testamentes aufgeführt. Die Materie war in allen Spielen so ziemlich die gleiche. 1597 änderte man gegenüber 1583 nur so viel, daß Esther, Judith und Pfingsten als neue Acte aufgenommen wurden. Auch die Hochzeit zu Kana war vorgeschlagen, und die bezüglichen Manuscripte sind noch vorhanden, ich glaube aber, sie sei nicht gespielt worden. 1616 ließ man Esther und Judith wieder weg, dann die beiden Historien hant nit iedermann gfallen. Daneben wurden auch andere Stücke aufgeführt, 1606 der hl. Leodegar, 1575 wollte man die Kreuzerfindung auf die Bühne bringen, allein Pestis hats erwöhrt, das es nit ist gspilt worden. Ueber die Technik dieser letztern Spiele sind aber nur wenig Notizen erhalten.
Jeder Act wird durch einen Prolog, eingeleitet. [23] Prologsprecher sind die Kirchenlehrer Gregorius, Ambrosius, Hieronymus und Augustinus. Im Prolog wurden stets die Vorgänge des vorhergehenden Actes zusammengefaßt, daraus moralische Nutzanwendung gezogen und endlich der Inhalt des kommenden Actes dargelegt. Diese Kirchenlehrer sind äußerst langweilige Figuren. Manchmal spricht einer mehr als 200 Verse. Dazu reden sie von einem Katheder aus. Neben ihnen steht ihr Knabe, der ihnen den Stab hält. Das Publicum hatte sehr wenig Gefallen an diesen Prologen. 1597 heißt es daher Etliche Leerersprüche sind zu lang und dem Volke verdrüssig und unangnäm, gibt Ursach, dass man mehr schwetzt, danne uflost, die möchtend abgekürzt und dafür etwann andere lustige und schöne Historien gespielt werden. Im gleichen Jahre wird die Frage aufgeworfen, ob man nicht besser thäte, die Kirchenlehrer ganz abzuschaffen.
Die Osterspiele sind durchaus nicht Dramen in unserm heutigen Sinne. Sie sind großartige Schaustellungen. Im alten Testament ist zwischen den einzelnen Acten gar kein dramatischer Connex, im neuen nur der, daß sich alles um die gleiche Persönlichkeit gruppirt. Betrachten wir aber einen einzelnen Act für sich, so treffen wir hier doch auf ein Ringen und Suchen nach dramatischer Composition, freilich mit verschiedenem Glück. Wo die Bibel ausführlich erzählt, hält man sich an das Gegebene und scheut sich, den epischen und didactischen Stoff in dramatischen umzusetzen; wo die Bibel nur Andeutungen gibt, also die Phantasie freier walten durfte und mußte, treffen wir hie und da auf dramatische Verknüpfungen und Motivirungen, deren sich die heutige Bühne nicht zu schämen brauchte. Rechte Gegenstücke sind in dieser [24] Hinsicht die Erschaffung von Adam und Eva 1571 und die Bekehrung der Magdalena 1597. Ersterer Act ist so ungeschickt als möglich angelegt. Die schöne Motivirung zur Erschaffung der Eva, welche ja die Bibel noch dargeboten hätte, es sei nicht gut, daß der Mensch allein sei, wird einfach weggelassen. Wie Adam aus dem Schlaf erwacht und die Eva vor sich sieht, spricht er
Diss ist mein eigen Fleisch und Bein
Und heisst nun Männin als ich mein.
Wann si ist gnommen von dem Mann
Wir sond einandren nit verlan
Das mine Nachkommen ouch thuon werden
Ee Vater und Muotter verlassen uf Erden.
Und volgen einandren Mann und Wyb,
Die wyl es zwei sind in Einem Lyb.
Wenn Pater aeternus diese Worte sprechen würde, dann wäre es am Platze, daß sie aber Adam hersagt, der, ja eben vom Schlaf erwacht, von all’ dem nichts wissen kann, ist sehr sonderbar. Wie sie aus dem Paradies vertrieben werden, macht Adam der Eva heftige Vorwürfe, redet sie aber dabei ganz zusammenhangslos und unpassend mit Muetter aller Läbenden an.
Dagegen bietet die Figur Magdalena eine Fülle trefflicher dramatischer Motivirungen. Magdalena sitzt mit ihrem Buhlen im Garten beim Gelage. In der Nachbarschaft ist der Salvator beim Gastmahl des Simon. Magdalena bemerkt das geschäftige Treiben im Nachbarhause und wird neugierig. Ein Diener Simon’s, ausgeschickt, etwas zu holen, kommt in der Nähe ihres Gartens vorbei, Magdalena winkt ihn [25] herbei, bietet ihm zu trinken, fragt ihn, was bei seinem Herren vorgehe. Der redselige Diener erzählt, wie der Salvator bei ihnen eingekehrt, der alle Sünden vergebe, fügt stichelnd bei, das wäre etwas für sie und eilt wieder davon. Magdalena fühlt sich betroffen: Wir haben das erste Moment, das zu ihrer Bekehrung führt.
Die Figur Magdalena bietet verschiedene Beispiele, welche Sorgfalt man dem Geberdenspiele zuwandte. Sehr richtig spiegelt sich Magdalena’s Seelenkampf äußerlich ab. Si sitzt trurig bim Spil, süfzet, sinnet, sicht ein wyl ob sich, dann under sich, bald wütscht si uff, stost das Spil von sich. Wie Magdalena aus der Gesellschaft ihres Buhlen forteilt, wird dieser von seinen Cameraden gehänselt, er geräth in Wuth, springt auf, schmettert seinen Becher zu Boden, ruft aus, er wisse schon, was das bedeute, es sei ihm ein anderer in’s Gehege gekommen, vorhin sei ja ein Diener da gewesen, der habe Magdalena fortgelockt. Er werde ihn schon ausfindig machen und dann dem Schelmen den Grind zerschlan. Mit diesen Worten eilt er wüthend fort, die Teufel, welche dem Seelenkampf der Magdalena zuschauen, losend, stellend sich letz, schüttend d’Köpf, sind unwillig, tröwent. Der 38jährige Kranke, der sich geheilt fühlt, wütscht uf, streckt die Glider, beschout sich, nimpt syn Bett. 1583 wird in Berathung gezogen, ob Judas seine verkehrten Gebärden gleich von Anfang an zeigen solle.
Zu den wichtigsten Momenten in den Luzerner Spielen gehören Musik und Gesang. Es wurde sehr viel musicirt und gesungen. 1583 waren 156 Spielleute da. Hauptinstrumente waren das Positiv, die [26] Harsthörner, die Trompeten, welch letzter 1597 nichte weniger als 30 Mal geblasen wurden. Der Rodel von 1597 fordert noch Schweglen, Schalmeien, Pfeifen, Lauten, Zithern, Trommeln, Violen, Krummhörner. Wenn die Söhne Jacob’s auf die Weide ziehen, spielen sie Sackpfyffen, Trummschyt, Gygen, Flöiten und jenes Instrument, das den sonderbaren Namen hölzernes Gelächter führt. –
Die Musik diente verschiedenen Zwecken. Einmal war sie ein integrirender Theil des Spiels. So sind bei der Belagerung von Bethulien zwei Trommeter, die sond wüssen ze blasen und Feldgeschrei ze machen nach Kriegsgewonheit, so oft man scharmützlet. Bei den Gastmählern wird regelmäßig Tafelmusik gemacht, das nennt man hofieren. Dann wird zur Einleitung oder während der Dauer besonders feierlicher Scenen musicirt, und hier ist die Musik gleichsam der geistige Ausdruck des vorgeführten Spiels. Die Musik ist dann immer der Stimmung angepaßt. Beim Ueberfall der Schlangen blasent Schalmeien nider und trurig. Wann die vier Ritter die Harnast anthund, die Kindlin ze töten, sol syn ein nidere und klägliche Musik. Beim Beginn des neuen Testaments sollen die Trompeter gar herrlich ufblasen. Ein anderes Mal heißt es bei einer feierlichen Gelegenheit nun schrenz man uff mit den Trompeten. 1597 ist zur Auferstehung vorgeschrieben: Tonder, Schütz, Glüt und ein herrliche Musica. Wenn im Spiel etwas vorging ohne daß dabei gesprochen wurde, so füllte man diese Sprechpausen regelmäßig mit Musik aus. 1795 heißt es z. B.: zwüschen dem als Maria dem Kindlin ze essen gibt, sol man Musiciren. Eine weise Verordnung von 1583 wagt, man solle stets irgend einige kurze Stücke [27] bereit halten und diese spielen, falls eine Stockung eintreten sollte, damit man sich während des Musicirens wieder sammeln könne.
Gesangchöre waren drei, die Cantorei, der Engelchor und der Judenchor, dazu sangen noch die Apostel, die Altväter und die Teufel.
Ueber die Aufgabe der Cantorei sind uns fast keine Notizen überliefert, der Teufelsgesang ist schon früher erwähnt worden. Die Apostel sangen nur einmal und zwar beim Einzug in Jerusalem das Benedictus in deutscher Sprache. Die Altväter sangen beim Hinabsteigen Christi in die Vorhölle den lateinischen Hymnus Venisti desiderabilis.
Im Jahre 1583 hatten die Engel 12 Mal zu singen. Ihr Gesang besteht aus lateinischen Hymnen. Sie werden wohl nicht jedesmal die ganzen Hymnen, sondern bloß einige Strophen gesungen haben. Zuerst singen sie beim Einzug, wenn alles am Platz angelangt ist, nachdem die Harsthörner geblasen, vom Himmel aus Silete, dann während Abel opfert, so lang es brennt, dann, wenn Gabriel dem Zacharias die Geburt des Johannes verkündet hat. Wenn Christus geboren, singen sie beim Weihnachthüttlein Puer natus in Bethlehem, 1597 ist beigefügt, sie sollen hier abwechselnd mit der Cantorei singen. Wenn die Engel den Hirten erscheinen, stimmen sie das Gloria in excelsis an, nach der Beschneidung singen sie wieder beim Weihnachthüttlein Dies est laetitiae, beim Opfer der drei Könige im Himmel Puer natus est nobis, bei der Rückkehr aus Aegypten im Himmel Ecce venit, bei der Bekehrung der Magdalena im Himmel Gaudium est angelis, am Oelberge singt Gabriel allein Constans esto, dann singt der Engelchor [28] wieder zwei Mal am Grabe, und endlich singen die 2 Engel am Grabe beim Nahen der Frauen Quem quaeritis.
Höchst sonderbar ist der Judengesang. Dieser ist uns für’s Jahr 1583 völlig erhalten, sammt den Noten; Renward Cysat hat ihn gedichtet, aber wohl nicht selbständig, sondern nach ältern Vorlagen. Die Juden singen 24 Mal, z. B. wenn sie in der Wüste dürsten, wenn Moses auf den Berg steigt, wenn sie das goldene Kalb anbeten, wenn die 4 Ritter die getödteten Kindlein herbringen, bei dem Begräbniß des Lazarus, wenn Lucifer mit Judas gesprochen hat u. s. w. Die Judengesänge sind nur kurz, gewöhnlich 3–5 Zeilen; der längste ist der unten angeführte. Theils enthalten sie lauter unsinnige Wortgebilde, vermischt mit hebräischen, griechischen, lateinischen Wörtern, theils plumpe Witze in deutscher Sprache. Den Gesang beim goldenen Kalb müssen sie hoppend, auf einem Beine hüpfend, vortragen. Wenn Aaron das goldene Kalb gießt, singen sie:
Sind frölich, sind frölich all,
Dem nüwen Gott mit richem Schall
In cordis mambre jubilo
Hebron, lehem lo, lo, lo
Pater noster Pyrenbitz
In dem Namen Taberitz
Taberitz und Isaac
Isaac und Abraham
Abraham und Kichrion
Kichrion und Schlachischloss
Schlachischloss und schwynin Fleisch
Trybt den Juden us den Schweiss
Und ist inen viel zu feiss.
Darumb so nemmend wir darfür
Bradwürst und sure Senff
Ist aller Juden Tämpf
Gammahü mahü, alla calla
Malla, alla willa, wigrui
Rui, rui, pfu, pfu.
Im Jahre 1597 wurde zum ersten Male das Pfingstfest gespielt. Hiezu dichtete man kurze Hymnen von 5–8 Zeilen in 13 verschiedenen Sprachen, Deutsch, Französisch , Italienisch, Spanisch, Rhätoromanisch, Englisch, Flämisch, Lateinisch, Griechich, Hebräisch, Syrisch, Chaldäisch, Armenisch. Es waren dazumal die sprachgelehrten Jesuiten in Luzern. Von diesen werden wohl diese Dichtungen herrühren. Sie beziehen sich auf das Pfingstwunder und enthalten Lobpreisungen auf die Dreieinigkeit, sie wurden theils von den Aposteln, theils von den Vertretern der fremden Nationen gesungen oder gesprochen. Die deutsche Strophe lautet folgendermaßen:
Wie gross nun sy des Höchsten Macht,
By uns ein ieder selbs betracht.
Das Wunder gsend ir selber wol
Gross Lob man ihm verjehen sol,
Dass er verricht sölchs an dem End,
Durch uns als syne Instrument.
Als Curiosum sei hier die „Brabantische“ Strophe beigesetzt.
Louen the Heere Good all zo binnen zyn,
The tryheit selver van Personen dryn
Einigke Good, the hefftons gegeuen
The heilgke Geist van bouer Leuen
The Soen hefft ons genadigk erloest,
The Vadder erscapt, the Geist gedroest,
Op hytt met Gratie ouer ons commen
Onse Herten keert to zynem Nomen.
- ↑ Gespielt wurde 1616, die Rödel stammen von 1614. Ebenso stammen die Notizen zum Spiel von 1597 zum Theil schon aus den Jahren 1592–1596.
- ↑ Die gesammten auch sprachlich interessanten Costümrödel wird der nächstjährige Geschichtsfreund publiciren. Sie werden sich auf 25 bis 30 Druckseiten belaufen.