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Zur Poesie unserer Cavallerie-Attacken

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Textdaten
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Autor: Fedor von Köppen
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Titel: Zur Poesie unserer Cavallerie-Attacken
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 596–599
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[596]

Zur Poesie unserer Cavallerie-Attacken.

Eine Manöver-Plauderei zum Sedan-Tage.
Von Fedor von Köppen.
Mit Originalzeichnungen von Otto Fikentscher.

Es liegt doch viel Poesie in dem Soldatenleben. Man suche sie nur nicht auf den Casernenhöfen, wo das ABC des Gamaschen-Exercitiums gedrillt wird, nicht auf der Reitbahn, wo die jungen Recruten zum ersten Male ein Roß besteigen lernen!

Ulanen-Attack beim Manöver.

– aber schon die Feldmanöver, welche die Probe für die Kriegstüchtigkeit und Leistungsfähigkeit der Truppen bilden sollen, leiten in die Poesie des Kriegslebens hinüber.

„Früh Morgens um vier, eh’ die Hähne noch kräh’n, da sattelt sein Roß der Ulan,“ um in der Vorhut dem ganzen Corps voranzureiten, das Terrain aufzuklären und den Feind aufzusuchen. Zwei Reiter, welche die vorderste „Spitze“ bilden, sprengen voran; ein dritter folgt als sogenannter „Verbindungsmann“ zwischen jenen und dem Vortrupp, und wenn die Reiter an der Spitze etwas Wichtiges vom Feinde entdecken, sprengt er sofort zurück und rapportirt dem Führer der Vorhut. In den überraschenden Fällen – wie ein solcher auf unserer untenstehenden Abbildung vorliegt – benachrichtigt er auch wohl den Führer durch einen Signalschuß. Die beiden Reiter der Spitze sprengen muthigen Herzens und scharfen, spähenden Blickes nach allen Seiten lugend auf der Landstraße voran durch Forst und Flur. „Nichts vom Feinde gesehen?“ ist die immer wiederkehrende Frage, mit welcher sie jeden Vorübergehenden anhalten oder auch den Bauer hinter dem Pfluge ausforschen, und der biedere Landmann, der in seinem Leben noch keinen kriegerischen Feind in seinen Fluren erblickt hat, schüttelt, fast verwundert über die merkwürdige Frage, das Haupt. Ist er doch gewohnt, in jedem Soldaten – gleichviel ob er die Mütze oder die Czapka, die Drilljacke oder den Tuchrock trägt – einen Landsmann oder „Gutfreund“ zu begrüßen.

„Nee, Fründschaff,“ antwortet er, „keenen Feind hab’ ich nich zu sehn gekriegt, blos die Hulaner. Wenn Ehr die meent, da stecken noch ’ne ganze Menge hinter dem Walde, die sind nicht weit weg von hier.“ Und in der That, zwischen den Föhren hindurch sieht man es

Die erste Begegnung mit dem Feinde.

[597]

Husaren-Attacke in Linie.

Ankunft im Quartier.

[598] schimmern und blinken; da flattern schwarz-weiße Fähnlein. Auch dort sind Ulanen, aber nicht von den Unseren; der verschiedene Anzug macht sie als Feinde kenntlich. Die beiden Reiter der Spitze halten die Rosse an, um schärfer zu beobachten; der Verbindungsmann feuert sein Pistol[1] ab; der Vortrupp im Hintergrunde schließt sich zusammen und macht sich gefechtsbereit. Aber noch kommt es zu nichts. Auch dem Feinde drüben kommt es vorläufig mehr darauf an, zu beobachten und zu erkennen, als zu fechten. Auch er hat sich, wie die Unseren, vorsichtig mit Spitze und Eclaireurs umgeben.

Von beiden Seiten bemüht man sich, diesen Schleier des Gegners zu lüften und dahinter zu schauen oder auch, wo dies nicht angeht, ihn gewaltsam zu zerreißen So gleicht die erste Begegnung mit dem Feinde einem Zeckspiele. Hier taucht plötzlich ein Reitertrupp auf und verschwindet dann ebenso plötzlich, um sogleich darauf an anderer Stelle wieder zu erscheinen; hier vorsichtiges Ausweichen, dort trotziges Stirnbieten! Hier und da kommt es auch wohl schon zu vereinzelten kleinen Attacken. Da jauchzt das Ulanenherz auf, wenn die lustigen Schaaren mit eingelegter Lanze, mit verhängten Zügeln, stiebenden Hufes über das Blachfeld dahinbrausen. Ja, wenn die bekannten Signale ertönen, die zum Uebergang aus dem Galopp in die schnellere Gangart den Fanfaro ndu die Carrière, auffordern, dann spitzt wohl auch der alte Gaul die Ohren, der vom königlichen Dienstpferde längst zum Philister degradirt ist und nun an Sonntagsreiter vermietet wird; wenn die Reiterlinie dann zur Attacke übergeht, wird Reiter und Roß mit fortgerissen in den sausenden Wirbelwind der Cavallerie-Attacke – ein Schicksal, das auf unserem ersten Bilde (vergl. Abbildung S. 596) dem wohlbeleibten Handlungsreisenden auf dem linken Flügel der attackirenden Ulanen bereitet ist.

„Wie, was?“ fragt der Ulan neben ihm in Reih und Glied, verwundert über die unerwartete Verstärkung durch den spießbürgerlichen, bügellosen Reiter in carirten Kattunbeinkleidern, ohne Lanze, ohne Säbel, „was? ein Commis-Volontöhr? Nur Muth, Männeken! Es wird gleich Appell geblasen.“

Und so ist es auch. Unser Ulan weiß wohl, daß die Friedensattacken nach den Manöverbestimmungen nicht weiter geführt werden dürfen, als bis auf fünfzig Schritt vom Feinde. Da wird auch unser geängsteter „Commis-Volontär“ wieder zum Athmen kommen.

Der weitere Verlauf des Manövertages bringt noch öfters Gelegenheit zu Cavallerie-Attacken in größerem Maßstabe, in Linie und en échelons, in geschlossener Colonne und in Schwärmattacken. Wer möchte sich dem imponirenden Eindrucke einer Cavallerie-Attacke verschließen, wenn die lange, schimmernde Linie der Reiter auf muthigen Rossen in vollem gestrecktem Laufe über die dampfende Ebene dahinstürmt zum sausenden, brausenden Choc! –

Auch unsere Dichter haben der Poesie der Cavallerie-Attacken sich nicht verschlossen; das beweist vor allen Schiller in der schönen Schilderung, welche der schwedische Hauptmann von dem Angriffe der Pappenheimer bei Neustadt und dem Tode ihres Führers, des Oberster Piccolomini, entwirft (10. Auftritt des 5. Actes von „Wallenstein’s Tod“), sowie in der begeisterten Rede des ersten Kürassiers in „Wallenstein’s Lager“:

„Die Pferde schnauben und setzen an;
Liege wer will mitten in der Bahn,
Sei’s mein Bruder, mein leiblicher Sohn,
Zerriß mir die Seele sein Jammerton,
Ueber seinen Leib weg muß ich jagen“ –

Aber sachte, sachte, hochverehrter Dichter-Kürassier! Hier scheint Ihr classischer Pegasus mit Ihnen durchzugehen und über die Formen der damaligen Cavallerietaktik hinwegzusetzen. Von einer solchen wilden Jagd konnte bei den Reiterangriffen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges gar nicht die Rede sein. Damals war die Hauptmasse der Reiterei nicht – wie heute – die blanke Waffe, sondern das Feuergewehr. Das Hauptgewicht des Reiterangriffs beruhte nicht – wie gegenwärtig – auf der gewaltigen, niederschmetternden Kraft des Anritts in vollster Geschwindigkeit und dem wuchtigen Einhauen mit der blanken Waffe, sondern wenn die Cavallerie attackirte, sei es gegen Reiterei oder Fußvolk, so ritt sie gewöhnlich höchstens im trägen Mittelgalopp – denn mehr konnten ihre schwerfälligen Pferde selten leisten – bis auf vierzig, fünfzig Schritt gegen den Feind heran. Dann wurde gehalten; die Carabiner wurden losgehakt, und es wurde Feuer gegeben. Erst einem Zieten und Seydlitz war es vorbehalten, der Cavallerie durch naturgemäße Verwendung die ihr gebührende bedeutende Stelle wieder zu erobern.

Der preußische Schlachtendichter C. F. Scherenberg schildert uns in seinem „Leuthen“ eine preußische Attacke aus dem siebenjährigen Kriege:

„Und über die schlanken Flanken Schenkel an Schenkel geklebt,
Helfend mit allen Hülfen der leichte Reiter schwebt,
Schmächtigend sich und stützend schier bis zum Verschwind,
Sich in sich verkriechend, zu schneiden den Wind,
Gangart aus Gangart, Schritt, Trab, Galopp, Carriére,
Bis weg von der Erde in’s Ventre à terre.

Und Alles, was darunter, muß über den Ritt;
Die Straßen steigen, verwolken und fliegen mit,
Bis Reiter, Roß und Straße eine Wolke, nichts mehr,
Ziehend über die Erde, ein Wetter tief und schwer,
Drinnen ein Brausen, Rauschen, wie strömend Wasser und Wind,
Bis wieder die brausenden Wetter die sausenden Reiter sind.“

So Scherenberg; wenn aber der Dichter seine Schilderung mit den gewagten Versen einleitet:

„Und es beginnt ein Reiten so bei Roßbach erst begann
Von dem wir nichts mehr kennen, als daß man’s nicht mehr kann –“

so erinnert sich der Verfasser dieses Aufsatzes, dagegen schon bei dem ersten Erscheinen des Scherenberg’schen Schlachtgedichtes „Leuthen“ (1852) Widerspruch erhoben und – obgleich damals selbst junger Officier bei der Infanterie – die Lanze für seine Cameraden zu Rosse eingelegt zu haben, indem er kühnlich behauptete, daß diese heute noch könnten, was ihre Vorfahren bei Roßbach und Leuthen geleistet.

Unsere Reiterführer, der alte Wrangel, Prinz Friedrich Karl, der „rothe Prinz“ – wie er nach der Uniform seines Zieten-Husarenregiments, die er mit Vorliebe trägt, genannt wurde sorgten auch bei den Friedensübungen dafür, daß der alte, frische Reitergeist und mit ihm die Poesie im Reiterleben nicht einschliefe. Vor Allem pflegte der Prinz von Preußen, unser jetziger Kaiser, den alten ritterlichen Geist bei der Cavallerie und hielt bei den Feldmanövern stets auf ein schneidiges Reiten. Verfasser erinnert sich, wie der Prinz an einem Manövertage einmal in der Kritik nachdrücklich hervorhob: „Man legt vieler Werth darauf, wohlgenährte und runde Pferde in der Schwadron zu haben und bei der Parade vorzuführen, aber, meine Herren, was helfen die runden Pferde, wenn sie bei der Attacke lahm gehen?“

Mit der „Kritik“, welche der älteste Officier oder bei seiner Anwesenheit auch der Kaiser selbst zu geben pflegt, sind die Feldmanöver des Tages geschlossen, nicht aber haben damit die Anstrengungen der Truppen, welche oft noch einen weiten und beschwerlichen Marsch bis in ihre Quartiere zurückzulegen haben, ihr Ende erreicht. Da die Cavallerie gewöhnlich die entfernteren Cantonnements angewiesen erhält und zur Schonung der Pferde auch nur im Schritte nach dem Quartiere reitet, während die Infanterie rüstigen Schrittes unter Sang und Klang die nächsten Wege einschlägt, so kommt es oft vor, daß die letztere der ersteren den Vortritt abgewinnt. Zuweilen passiren da auch kleine Mißverständnisse, wie ein solches das Motiv zu einem unserer Manöverbilder gegeben hat (vergl. S. 597):

Das Infanteriedetachement ist soeben angekommen, die Quartierbillets sind ausgetheilt und die Mannschaften schicken sich an, die ihnen zugewiesenen Quartiere zu beziehen; da erscheint plötzlich noch ein Trupp Ulanen am Orte. Der Unterofficier springt vom Pferde und meldet sich stramm und pflichtschuldigst bei dem Lieutenant des Infanteriedetachements mit so und so vielen Ulanen und Pferden als Einquartierung.

„Lieber Freund, das muß ein Irrthum sein. Hier liegen ja schon meine Mannschaften; hier werden Sie schwerlich noch Unterkommen für Ihre Leute und Stallung für Ihre Pferde finden Zeigen Sie doch einmal Ihre Ordre!“

„Zu Befehl, Herr Lieutenant!“

[599] „Ja, hier steht ja doch aber, daß Sie nach Glubberat sollen; das liegt ja noch eine Meile weiter von hier in jener Richtung. Dieses Dorf hier heißt ja Habbelrat.“

„Verzeihen der Herr Lieutenant: In Glubberat liegt unser Stab mit der ersten Schwadron. Ich selbst komme soeben von dort und bin von meinem Rittmeister hierher geschickt worden.“

„Unmöglich! Ich habe ja Ihren Stab mit der ersten Schwadron abbiegen sehen nach Gierat. Sie sollen nach Glubberat; glauben Sie mir nur!“

„Zu Befehl, Herr Lieutenant!“

Der Ulanenunterofficier schwingt sich wieder zu Rosse und reitet mit seiner Truppe von dannen, so wie er gekommen. Glubberat, Habbelrat, Gierat – so schwirrt es in seinem Kopfe wie ein Hummelschwarm. Ob er endlich das richtige von den drei verfänglichen Dörfern errathen und getroffen habe, das wissen wir nicht mehr. Unser Lieutenant richtet sich indessen mit seinen Mannschaften so bequem wie möglich in Habbelrat ein und wird bis zum Aufbruche am anderen Morgen nicht mehr in seinen Quartieren behelligt.

Die Schuld an dem kleinen Mißverständnisse traf übrigens, wie wir später erfuhren, nicht unseren wackeren Ulanenunterofficier, sondern einen Vorgesetzten, welcher in Namensverwechselungen allerdings das Mögliche leistete und welchem die benachbarte Lage der drei namensverwandten Dörfer Glubberat, Habbelrat und Gierat auf dem Manöverplan die größten Verlegenheiten bereitete. Er führte nach diesem Manöver unter seinen Cameraden den Beinamen „Herzog von Gierabbel“.

Unser Maler bringt uns noch das Bild (S. 597.) einer forschen preußischen Husaren-Attacke in Linie, und wir erlauben uns, als Commentar dazu und zugleich als einen kleinen Beitrag zur Poesie der Cavallerie-Attacken im Frieden die nachfolgenden Verse zu geben. Dieselben beziehen sich eigentlich auf die große Cavallerie-Attacke, welche Wrangel zum Schlusse des für seine Zeit epochemachenden Exercirens einer großen Cavalleriemasse (56 Escadrons mit 32 reitenden Geschützen) auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin (im Herbst 1843) ausführen ließ.

„– – Es folgte der Choc; im Schritt fing er an, dann Trab, Galopp und Carrière,
Noch etwas verhalten den Hügel hinan, dann im sausenden Ventre à terre,
Die sprühenden Nüstern vorgestreckt, ein Strich vom Schweif zu den Mähnen;
Die Erde dröhnte; es wirbelt’ der Staub hoch auf von den sandigen Plainen –
Die Säbel hoch über den Häuptern gezückt, daß sie pfeifend die Lüfte durchschnitten –
Es war, als wäre des Zielen Geist in jeden Reiter geritten,
Je weiter, je wilder, die Zügel verhängt, Um jetzt mit der höchsten Gewalt,
Mit den vollen Kräften von Mann und Roß auf den Feind zu stoßen, und – H-a-l-t!
Erschallt das Signal, und festgebannt, eine Mauer, steht das Ganze.
,Präsentirt das Gewehr!‘ – die Hymne tönt: ,Heil dir im Siegerkranze!'“

Ja, sie haben's auch in der langen Friedensperiode nicht verlernt, unsere Reiter, gleichviel ob sie den blanken Küraß tragen oder den blauen Waffenrock, ob sie den Säbel schwingen oder die Lanze einlegen, und sie können's heute noch – das haben die Tage von Mars la Tour, Sedan und Orleans bewiesen. Der Geist der Zieten und Seydlitz ist nicht gestorben; er ist nur tiefer und weiter eingedrungen in unser Volk, welches bei aller Friedfertigkeit und Verträglichkeit doch die altgermanischen Tugenden der Wehrhaftigkeit und Waffentüchtigkeit bewahrt und bewährt.



  1. Gegenwärtig führt die gesammte deutsche Cavallerie mit Ausnahme der Kürassiere den Carabiner als Schußwaffe; die Kürassiere und von der übrigen Cavallerie sämmtliche Unterofficiere trugen Revolverpistolen. Otto Fikentscher, unser kürzlich verstorbener Freund, dessen letzte Zeichnungen wir heute unsern Lesern bieten, hat wohl von dieser veränderten Bewaffnung noch nichts gewußt als er dem feuernden Ulanen auf unserem Bilde statt des Carabiners die Pistole in die Hand zeichnete.
    D. Red.