Zur Jubelfeier des weimarischen Hoftheaters
Zur Jubelfeier des weimarischen Hoftheaters.
Die Woche des 7. Mai bringt für Weimar wieder einmal eines jener Jubiläumsfeste, denen die Erinnerung an die klassische Karl Augusteische Zeit Anlaß und Weihe giebt.
Am 7. Mai 1791 wurde das bereits sieben Jahre zuvor erbaute „Redouten- und Komödienhaus“ der Herzogin Anna Amalie in den ausschließlichen Dienst der dramatischen Muse gestellt und als herzogliches Hoftheater feierlich eingeweiht. Vorher war das Bühnenhaus – wie früher schon der Theatersaal im Schlosse bis zu dessen Brande an die Kochsche, dann die Seylersche Wandertruppe – an die Bellomosche Schauspielgesellschaft vermiethet gewesen; jetzt hatte Karl August die Absicht, nach dem Vorgange anderer Fürsten, die Bewirthschaftung des Theaters auf eigene Kosten bei öffentlichem Charakter desselben zu übernehmen.
Der Theaterzettel jenes denkwürdigen Abends, den wir auf Seite 316 abbilden, vereinigt in sich eine Reihe klangvoller Künstlernamen der damaligen Zeit. Was aber dem neuen Unternehmen seine Bedeutung verlieh und dem heutigen Jubelfest die geistige Antheilnahme der ganzen Nation zuwendet, ist der Name des auf dem Zettel nicht genannten Direktors, der im Auftrag des Herzogs die Leitung des neuen Theaters in die Hand genommen hatte. Jener Abend war der Anfang von Goethes Theaterleitung, die – epochemachend in der Geschichte des deutschen Theaters – über sechsundzwanzig Jahre, bis 1817, gedauert hat und deren buntbewegtes Vorspiel, das geniale Treiben des Liebhabertheaters am Hofe gewesen war, auf welchem der Dichter, wie sein Wilhelm Meister die Kunst des Schauspielers selbst geübt hatte.
Kein anderes der deutschen Theater, deren Anfänge mit der Blüthezeit unserer klassischen Litteraturperiode verflochten sind, hat die Ueberlieferung in gleichem Maße mit so überirdischem Glanz ausgestattet wie das Hoftheater von Weimar. Einem Zauberwort gleich weiß sein bloßer Name eine sonnige Welt hochgestimmter Kunstpflege von fast hellenischem Charakter heraufzubeschwören.
Der Duft der Orangenhaine von Belrigardo, in denen Tasso mit der Prinzessin lustwandelt, strömt uns aus derselben entgegen und durch die Zweige klingt lockend das schelmische Lachen der Philine. Fürsten und Fürstinnen, die, dem Genius huldigend, ihn bewirthen; bezaubernde Frauen und Mädchen, welche die würdigen Hofgewänder mit lustig bunten Bühnenkostümen vertauschen; ein romanhaft bewegtes Theaterleben, das nach Lust und Gelegenheit bald im Freien, bald im Prunksaale, bald in Wirthshausstuben seine Bühne aufschlägt:
„In engen Hütten und im reichen Saal,
Auf Höhen Ettersburgs, in Tieffurts Thal,
Im leichten Zelt, auf Teppichen der Pracht,
Und unter dem Gewölb der hohen Nacht.“
So steht das Bild dieser quellenden Ursprungszeit vor uns, und das Lachen Philinens wird übertönt vom süßergreifenden Gesange Mignons und der erschütternden Wohllautrede, wie sie der Goetheschen Iphigenie von den Lippen strömt – „das Land der Griechen mit der Seele suchend.“ Und so hat Wilhelm Kaulbach das Bild seiner Goethe-Galerie eingefügt: Goethe im Kostüm des Orest auf der offenen Gartenbühne im Ettersburger Park, von Karl August, der den Pylades gespielt, den beifallspendenden Zuschauern vorgeführt, während Corona Schröter, noch Iphigenie, auf der anderen Seite die apollinischen Locken des Dichters mit Lorbeer krönt. Vor der Bühne im Kreise, sitzend und stehend, die Mitglieder des Musenhofes: Anna Amalie in frohem Entzücken neben der still sinnenden Herzogin Luise; Charlotte von Stein und Amalie von Kotzebue, Lorbeer und Blumen dem bewunderten Dichter darbringend; voll Sympathie sich des Schauspiels freuend: Wieland, Musäus, Herder, Knebel und Merck.
Doch wie mächtig auch die goldene Legende von „Weimars goldenen Tagen“, vom „Musenhof“ zu „Ilm-Athen“ in unserer Zeit noch fortwirkt, die kritische Goetheforschung, welche auf den romantischen Kultus folgte, hat jene Zeit inzwischen doch des überirdischen Glanzes entkleidet und den schimmernden Schleier entfernt, welchen das dankbare Dichterwort und der verklärende Nachruhm um ihre „Wirklichkeiten“ gewoben. Wir wissen heute, wie viel Sterbliches jenem genialen Treiben der „Unsterblichen“ anhaftete, mit wie viel Entsagung diese „Huldigung der Künste“ für die großen freien Geister verknüpft war, welche irdischen Leidenschaften in das Kunstwalten jener Musen ihre Fäden wirkten, auf wie kargem Boden und mit wie dürftigen Mitteln sich der schöne Schein der Kunst dem Sein vermählte in dem Weimar Karl Augusts, das keineswegs oft von einem griechisch wolkenlosen Himmel überwölbt war und aus dessen engen Verhältnissen sich auch Goethe mehr als einmal hinweggesehnt hat – „das Land der Griechen mit der Seele suchend“. „Ein Mittelding zwischen Dorf und Hofstadt“ hat es Herder in einer Stunde offener Aussprache genannt. Und in der herrlichen Apotheose auf die Tage des Liebhabertheaters, welche Miedings, des Theatermeisters, Tod in Goethe anregte, verglich es dieser mit – Bethlehem.
Aber wie jede Erkenntniß der Wahrheit, so bringt auch diese ernüchternde einen Gewinn. Ist der Triumph nicht um so größer, wenn wir die hinreißende Wirkung des Genius, die Empfänglichkeit der Phantasie, das Hochgefühl der Seele als die eigentlichen Triebfedern jener Götterfeststimmungen erkennen? Erscheinen uns die schließlichen Erfolge von Goethes Theaterlust und Theaterleitung nicht um so bewundernswerther, je mehr wir die Schwierigkeiten ermessen, unter denen er aus dürftigen Anfängen die Bühne Weimars hinanführte zu ihrer späteren weithin herrschenden Höhe? Wir werden billiger in unserem Urtheil gegen die Gegenwart, wenn wir sehen, daß auch das vereinigte Genie eines Goethe und Schiller bei der Heranentwickelung des weimarischen Hoftheaters zu einem wahrhaften Tempel der Kunst gezwungen war, mit den realen Bedingungen seines geschäftlichen Gedeihens zu rechnen und der Schau- und Unterhaltungslust der Menge die Zugeständnisse zu machen, welche deren Bildung und deren Geschmack verlangten. Das unten mitgetheilte Programm der Eröffnungsvorstellung hat dafür symbolische Bedeutung. Der große Dichter hatte die Amtsführung, die Regiearbeit, er übernahm es auch, den Prolog zu dichten, was aber das Stück selber betraf, so rieth [315] ihm die Vorsicht, nicht eines der Dramen von Shakespeare von sich, von Schiller, von Lessing zu wählen, er gab ein volksbeliebtes Rührstück von Iffland, der, so groß auch als Schauspieler, als Bühnenschriftsteller doch nur ein Handwerker war, welcher mit kluger Berechnung seine genaue Kenntniß der Bühnenwirkung und des Geschmackes der Menge verwertete? Und Goethes Prolog verwies auf den alten Erfahrungssatz: „Der Anfang ist in allen Sachen schwer.“ Wie der Landmann im Frühling den Samen in die Erde senken müsse, um im Herbste Frucht zu ernten, wie der Baumeister den Grund um so tiefer grabe, je höher er die Mauern führen wolle, so sei auch hier es geboten.
In einer Zeit, wo es deutsche Stadttheater giebt, deren jährlicher Betrieb über eine Million kostet und die, über zwei glanzvoll ausgestattete Häuser verfügend, an Sonntagen oft drei Aufführungen darbieten, ist es schwer, von der Dürftigkeit jener von Goethes Namen gedeckten Anfänge des weimarischen Hoftheaters einen richtigen Begriff sich zu bilden. Weimar, mit kaum 6000 Einwohnern, war arm, die Kassen des Hofs erschöpft; fehlte es doch sogar zum nöthigen Neubau des 1774 abgebrannten Schlosses an flüssigen Mitteln. Vom 7. Mai bis 25. September 1791 bestand Goethes Theaterbudget, das der Hof als Vorschuß gewährte, in 1098 Thalern. Seine meist aus jüngeren Kräften zusammengesetzte Gesellschaft umfaßte 16 Personen, von denen die Mehrzahl sowohl Sänger als Schauspieler waren; einen Theil derselben übernahm er aus der Bellomoschen Truppe, und auch sein Repertoire fußte im ersten Jahr auf dem seines Vorgängers: Lustspiele von Kotzebue, Jünger, Schröder, Schauspiele von Iffland, Spieß und Vulpius, Singspiele von Martini, Paisiello und Dittersdorf. So glänzend uns die Namen seiner Hauptkräfte – Malcolmi und seine älteste Tochter Amalie, Genast, Vohs, Oels, die Durands, Frau Neumann und deren „Christel“ – heute noch erscheinen, so wenig glänzend waren die Verhältnisse dieser ersten weimarischen Hofschauspieler bei einer wöchentlichen Gage von 5 bis 8 Thalern – ohne Garderobegeld, ohne Spielhonorare. Für die Comparserie und die Chöre gewann Goethe die Seminaristen, die mit der Ehre zufrieden waren, und ließ es auf den Zorn Herders über solchen Mißbrauch ankommen. Dafür ließ er nur alle zwei, oft nur alle drei Tage spielen. Und auch so hätte er die Pforten der Bühne nur zu bald ganz schließen müssen infolge Ausbleibens der unumgänglich nöthigen Einnahmen, hätte er nicht mit Erfolg schon im ersten Sommer einen Ausweg beschritten, der sich trefflich bewährte, den längerer Gastspiele in dem damals vielbesuchten Badeort Lauchstädt bei Halle, sowie in dem reicheren Erfurt. Der Erfolg dieser Gastspiele, die sich später auch auf Naumburg, Rudolstadt, Halle und Leipzig erstreckten und stets das Beste des weimarischen Repertoires mit Sorgfalt zur Aufführung brachten, war von vornherein ein so günstiger, daß ihr Erträgniß Jahr für Jahr den Fehlbetrag der heimathlichen Kasse deckte, welche freilich auch die Kosten fast aller Neueinstudierungen zu tragen hatte.[1]
Und viel und vielerlei mußte einstudiert werden! Die kleine Zahl des Publikums vertrug keine öfteren Wiederholungen und aus Goethes eigener Erfahrung als Theaterdirektor stammt der Wahrspruch des Direktors im Bühnenvorspiel zum „Faust“: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen!“ Ueberhaupt ist jedes Wort dieser Dichtung, aus der so viele Stellen in Volkes Mund übergegangen sind, der Fülle seiner eigenen Erfahrung entnommen und sie selbst ein Spiegelbild der getheilten Empfindungen, mit denen er die materiellen Interessen der Verwaltung, die idealen der Kunst und die realen der Unterhaltungslust nebeneinander zu wahren suchte als Lenker seines Theaters. Wie er als Dichter im höchsten Aufschwunge der Phantasie nie den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen verlor, so war auch hier seine Pflege der Kunst festgewurzelt in dem Boden der gegebenen Verhältnisse. Er theilte Schillers Ansicht nicht, daß das Theater geradezu eine hohe Schule der Moral und Sittlichkeit zu sein habe, ihm genügte es, wenn es durch Poesie, Musik und Humor hohe Gefühle, vor allem Freude erwecke. Und darum gab er auch der „lustigen Person“ ihr Recht. So hatte er es schon in seinen poetischen Anfängen aus eigenem Antrieb gehalten und neben dem Götz satirische Schwänke in Hans Sachsens Weise gedichtet, so hatte er sich in seinen Maskenzügen und Festspielen, in seinen Singspielen für die Liebhaberbühne dem Geschmack der Herzogin Amalie anzupassen gewußt. Der Geschmack des Hofs wie des größeren Publikums ging auf Singspiele und Opern; Goethe kam diesem Geschmack entgegen, nur ließ er die beliebtesten Stücke durch Vulpius, Baron Einsiedel und den Konzertmeister Kranz in Text und in Musik veredeln. Allmählich führte er dann ohne Widerstand Mozarts alles verdrängendes Genie zum Sieg. So hielt er es mit Shakespeare, mit Schiller: erst hielt er sie zurück und ließ Iffland und Kotzebue regieren. Mit „König Johann“ und „Don Carlos“ lieferte er die ersten siegreichen Treffen. Von sich gab er lange Zeit nur Prosa: „Götz“, „Geschwister“, „Clavigo“ – „Tasso“ wurde von seinen Schauspielern unter Pius Alexander Wolff heimlich zu seiner Ueberraschung vorbereitet. Schließlich aber verlangte das Publikum mit Begierde nach dem, was er nur zögernd ihm als vorhanden gezeigt hatte. Doch noch im Jahre 1811, wo das klassische Drama in seinem Repertoire längst sich die herrschende Stellung erobert hatte, leitete er das Gastspiel in Halle mit einem Prolog ein, in dessen Anfang die Quintessenz der Gedanken im Faustvorspiel als ein Zugeständniß ans Publikum erscheint.
„Das Mannigfalt’ge vorzutragen ist uns Pflicht,
Damit ein jeder finden möge, was behagt.
Was einfach, rein natürlich und gefällig wirkt,
Was allgemein zu jedem frohen Herzen spricht.
Doch auch das Possenhafte werde nicht verschmäht,
Der Haufe fordert, was der ernste Mann verzeiht.
Und diesen zu Vergnügen sind wir auch bedacht:
Denn manches, was zu stiller Ueberlegung euch,
Zu tieferm Antheil rührend, anlockt, bringen wir,
Entsprossen vaterländ’schem Boden, fremdem auch,
Anmuthig Großes; dann das große Schreckliche.“
Als er im Februar 1802 seine bisherigen Erfahrungen als Theaterleiter in einem Aufsatz kurz zusammenfaßte, schrieb er im gleichen Sinne: „Das Theater ist eins der Geschäfte, die am wenigsten planmäßig behandelt werden können; man hängt durchaus von Zeit und Zeitgenossen in jedem Augenblick ab; was der Autor schreiben, der Schauspieler spielen, das Publikum sehen und hören will, dieses ist’s, was die Direktoren tyrannisirt und wogegen ihnen fast kein eigener Wille bleibt. Indessen versagen in diesem Strome und Strudel des Augenblicks wohlbedachte Maximen nicht ihre Hilfe, sobald man fest auf denselben beharret und die Gelegenheit zu nutzen weiß, sie in Ausübung zu setzen.“ Nur allmählich und ohne viel Aufhebens hatte er inzwischen seine eigenen Maximen geltend gemacht, die zuerst auf Veredelung des Spiels seiner Schauspieler und des Geschmacks seines Publikums gerichtet waren, um so den unentbehrlichen Boden zu schaffen für eine Blüthe der Kunst nach seinem Ideale auch in Bezug auf Auswahl des Besten unter den vorhandenen Bühnenstücken. Als Mittel bediente er sich desselben Kunstgesetzes, das später mit gleichem Erfolg die „Meininger“ aufnahmen: er suchte ein lebensvolles Zusammenspiel heranzubilden, bei welchem der erste wie der letzte sich verbunden fühle im gemeinsamen Werk der Hervorbringung eines Kunstganzen.
Während die Meininger aber dabei auf malerischbewegte Gesammtwirkungen ausgingen, schwebte dem Dichter der „Iphigenie“ in jener Zeit ein Ideal plastisch-rhythmischer Art vor, wie es unter dem Einfluß der Antike in ihm gereist war und – was nie vergessen werden sollte – unter dem Eindruck einer Künstlerin Form gewonnen hatte, einer Sängerin, die zugleich eine Sprecherin und Darstellerin von ureinziger Wirkungsmacht war, dieselbe, an welche denkend er seiner Iphigenie Leben und Gluth einhauchte, und welche, 1778 von Leipzig nach Weimar als Kammersängerin berufen, auch die erste Darstellerin derselben im Liebhabertheater des weimarischen Hofes wurde: Corona Schröter.
„Zum Muster wuchs das schöne Bild empor,
Vollendet nun, sie ist’s und stellt es vor.
Es gönnen ihr die Musen jede Gunst
Und die Natur erschuf in ihr die Kunst.
So häuft sie willig jeden Reiz auf sich,
Und selbst dein Name ziert, Corona, dich.
Sie tritt herbei. Seht sie gefällig stehn,
Nur absichtslos, die wie mit Absicht schön!
Und hocherstaunt seht ihr in ihr vereint
Ein Ideal, das Künstlern nur erscheint.“
So wie in diesen Zeilen, dem Ausdruck höchster Begeisterung, hat Goethe Corona Schröter wiederholt gepriesen als die Verkörperung, [316] ja Offenbarung seines Ideals reiner Natürlichkeit und edler Formvollendung in der Bühnenkunst; sie war ihm die hohe Priesterin der Musen, wie Iphigenie diejenige Dianens; sie stellte er seiner Künstlerschar als Muster vor und sie gewann er zur Lehrerin der begabtesten unter den jüngeren Talenten. Nach ihr bildete sich Amalie Malcolmi und ihr Gatte Pius Alexander Wolff, welche die „weimarische Schule“ 1816 nach Berlin verpflanzten. Und die, wie Mignon, früh verlöschende Christiane Neumann, Goethes „Euphrosyne“, bekam von ihr die Rolle der Marianne in Goethes „Geschwistern“ einstudiert wie Shakespeares Ophelia, die letzte Rolle, in welcher dieser Liebling Goethes vor seinem frühen Tode auftrat. Auch sie hat Goethe in Versen gefeiert, wie vor ihr nur Corona Schröter und nach ihr keine andere Bühnenkünstlerin besungen worden ist. Beide, Urbilder an Schönheit und Anmuth entgegengesetzter Art, Christiane ein Kind der heiteren wie Corona der ernsten Muse, haben Goethe geliebt und mit ihrer Liebe ihre Kunst beseelt und geadelt; er hat beiden dafür durch seine Liederhuldigung Unsterblichkeit verliehen. Wie sehr die rhythmisch-plastische Schule von Weimar, als noch Goethes Geist lebendig in ihren Schülern wirkte, als die Corona Schrötersche Darstellungsweise noch von solchen Nachahmung fand, die sie selbst gesehen und gehört hatten, frei gewesen sein muß von der späteren Manieriertheit, wie sie hinreißend und überzeugend gewirkt haben muß auf ein ganzes Geschlecht von Künstlern und Kunstfreunden, davon ist ihr damaliger allgemeiner Sieg über den auf den Bühnen herrschenden Naturalismus ein erschöpfender Beweis. Auch Schiller, als er nach Vollendung des „Wallenstein“ und dem großen Erfolg seiner Erstaufführung in Weimar (1799) ganz dahin übersiedelte und bis zu seinem Tod als Dramaturg eifrig an der Leitung des Theaters theilnahm, beugte sich ihrer Macht und fühlte sich zu Zugeständnissen gedrungen. Das außerordentlich erfolgreiche Gastspiel der Weimaraner in Leipzig 1807, deren dichtbesetzte, laut bejubelte Abende fast nur Aufführungen der besten Dramen von Lessing, Schiller, Goethe, Shakespeare brachten, entschied jenen Sieg. Als letzter mächtigster Vertreter derselben ragte in unsere Zeit am längsten Emil Devrient, der ewig junge, herein.
Auch in der Katastrophe, welche dann Goethe 1817 zur Niederlegung des Bühnenscepters zwang, spielte die treibende Rolle ein durch Schönheit und Talent hervorragendes Weib. Nicht als guter Genius, sondern als Dämon der Intrigue. Wie Corona Schröter in Goethe das Interesse fürs Theater zur Leidenschaft gesteigert hatte, so gelang es Karoline Jagemann, dem Dichter das Theater für alle weitere Zeit zu verleiden, Daß der äußere Anlaß dazu ein dressirter Pudel war, als habe sich der Teufel dafür rächen wollen, daß Goethe ihn im „Faust“ als Pudel auf die Bühne gebracht, ist weltbekannt. Der Wiener Schauspieler Karsten hatte um die Erlaubniß nachgesucht, seinen vielbesprochenen, überaus geschickten Hund in dem Drama „Der Hund des Aubry de Mont Didier“ auch auf der weimarischen Hofbühne auftreten zu lassen. Goethe lehnte es ab, weil dieses Gastspiel der Würde der Kunst widerspräche, aber Karl August, der davon erfuhr, bestand darauf. Dieser würde dem Konflikt gewiß aus dem Wege gegangen sein, wenn er nicht schon längst vorher durch Karoline Jagemann, die seine Gunst in hohem Grade genoß, gegen Goethes Oberherrschaft am Theater aufgehetzt gewesen wäre. Die Jagemann, die Tochter eines weimarischen Hofbeamten, war auf Kosten der Herzogin Amalie am Mannheimer Hoftheater zur Sängerin und Schauspielerin ausgebildet worden und hätte sich nach ihrem 1797 erfolgten Uebertritt auf die weimarische Bühne, schön und reizend wie sie war und ein Landeskind obendrein, schnell zum Liebling des Hofs und des Publikums emporgeschwungen. Dem Landesfürsten wurde sie mehr – „die Gesellschafterin seiner Erholungsstunden“, und erhielt als solche später den Titel einer Freifrau von Heygendorf und ein Rittergut. Auf diesen Rückhalt gestützt, hatte sie schon 1801 dem Kapellmeister Kranz peinliche Unannehmlichkeiten bereitet und auch früh schon begonnen, die ihr lästige Macht des gewaltigen Dichterministers zu unterwühlen, Goethes Frau, die als Schwester des „Theaterdichters“ Vulpius von klein auf mit dem Theater verwachsen war und große Neigung besaß, sich in diesen Theil der Geschäfte ihres Gatten zu mischen, dürfte ihr dies erleichtert haben. Kurzum, nachdem sie schon 1808 dem Dichter seine Stellung so weit verleidet hatte, daß er ein Entlassungsgesuch einreichte, gab ihr 1817 der „Hund des Aubry“ und seine Ablehnung durch Goethe die lang gesuchte Handhabe, einen Zwiespalt zwischen Karl August und Goethe herbeizuführen, der dessen unwiderruflichen Austritt aus der Direktion des Theaters zur Folge hatte. Seine Nachfolger wurden – wenn auch nicht äußerlich – sie und ein Schützling von ihr, der Bassist Stromeyer.
In wie weit Frau Jagemann als Künstlerin das Erbe der Goetheschen Kunstübung würdig zu verwalten gewußt hat, können wir nicht mehr feststellen: daß ihr anmaßlich eitles Eingreifen in die Regiegeschäfte, ihre Umtriebe gegen Goethe und ihr wahnwitziges Unterfangen, in der Direktion an seine Stelle zu treten, das Theater schnell von seiner vielbewunderten Höhe heruntergebracht haben, dies ist dagegen zweifellos. Das Drama wurde zurückgedrängt, die Oper, und zwar vom Virtuosenstandpunkt aus, bevorzugt. Erst mit dem Eingreifen Hummels als Hofkapellmeister, der 1820 von Stuttgart nach Weimar kam, nahm wenigstens die Oper einen künstlerischen Aufschwung, der die Musikfreunde einigermaßen schadlos hielt. Die Jagemann ist später – als Freifrau und Rittergutsbesitzerin – in Vergessenheit und Einsamkeit gestorben. In der Zeit ihrer Theaterleitung war auch – 1825 – das Theater abgebrannt, das die Stätte unwiederbringlich weihevoller Stunden höchster Kunstpflege gewesen, das Goethe und Schiller in herrlichen Prologen und Vorspielen gefeiert hatten, das der Schauplatz geworden war einer ganzen
Mit höchster Erlaubniß wird heute, Sonnabend den 7ten May 1791. auf dem Hof-Theater in Weimar aufgeführet: Die Jäger. Ein ländliches Sittengemälde in fünf Aufzügen vom Herrn Iffland.
Personen: Oberförster Warberger zu Weissenberg. Hr. Malcomi. Oberförsterin, dessen Frau. Mad. Amor. Anton, ihr Sohn, Förster zu Weissenberg. Hr. Einer. Friedericke, Nichte und Pflegetochter des Oberförsters. Mad. Matstedt. Amtmann von Zeck zu Weissenberg. Hr. Amor. Kordelchen von Zeck, dessen Tochter. Mlle. Malcolmi. Pastor Seebach zu Weissenberg. Fischer. Der Schulze zu Weissenberg. Hr. Matstedt. Matthes, Jäger bei dem Oberförster. Hr. Demmer. Rudolph, Jäger bei dem Oberförster. Hr. Becker. Barth, Gerichtsschreiber zu Leuthal. Hr. Genast. Die Wirthin zu Leuthal. Mad. Neumann. Bärbel, ihre Tochter. Mlle. Neumann. Reichard, Bauer von Leuthal. Hr. Becker. Kappe, Bauer von Leuthal. Hr. Schütz. Romann, Bauer von Leuthal. Hr. Blos. Jägerbursche. Bauern.
Dem Stücke geht ein Prolog vor. Da die Gesellschaft größtentheils neu zusammengetreten ist, so sind die Anfangsrollen nicht als Debüts zu betrachten, sondern es wird jedem einzelnen Mitgliede nach und nach Gelegenheit gegeben werden, sich dem Publico zu empfehlen.
Auf dem ersten Parterre 12 Gr., auf dem zweyten 8 Gr., auf der Gallerie-Loge 4 Gr., auf der Gallerie 2 Gr.
Anfang halb 6 Uhr.
F. J. Fischer.[317]
[318] Reihe von Erstaufführungen klassischer Meisterdramen, des „Wallenstein“, des „Tell“, des „Tasso“ und vieler anderer, bei denen die Dichter selber als Regisseure und Direktoren gewaltet hatten. Vor dem Neubau ist am 3. September 1857, an einem der großen Erinnerungsfeste Neu-Weimars, ein Denkmal erstanden, das Goethe und Schiller nebeneinander zeigt, einen Ruhmeskranz in den Händen. Und der Geist ihres gemeinsamen Wirkens ist denn auch bis in unsere Tage der segnende Schutzgeist des weimarischen Hoftheaters geblieben, so wechselvoll seine Schicksale, so verschiedenwerthig die Nachfolger Goethes in der Oberleitung auch gewesen sind.
Was auch die Hoftheaterintendanten von Weimar, Hofmarschall von Spiegel (1828–1847), von Ziegesar, von Beaulieu-Marconnay, und die besonders erfolgreichen Generalintendanten Franz von Dingelstedt (1857–1867) und August von Loën (bis 1887) versucht und ausgeführt haben, um den alten Ruhm dieser Bühne durch neue Thaten aufzufrischen, das Beste, was sie boten, war immer auch eine Neubelebung des Goetheschen Theatergeistes, ob nun ein kühnes Eintreten für neue Talente, ob eine mustergültige Pflege des klassischen Erbes dabei als Zweck wirkte. Und nur in diesem Sinne kann auch der neue Generalintendant Freiherr von Bronsart den alten Ruhm der ihm unterstellten Bühne wahren. Für die vielfältigen Bemühungen des Großherzogs Karl Alexander, dem Beispiel Karl Augusts als Förderer der Künste in zeitgemäßer Weise nachzueifern, blieb das Theater immer ein Mittelpunkt. Ob unter seinem Schutze nun der „jungdeutsche“ Aufschwung des deutschen Bühnenlebens oder die „neudeutsche“ Oper Richard Wagners in Weimars Hoftheater bevorzugte Förderung fand, ob Shakespeare-Cyklen oder Musteraufführungen klassischer Opern veranstaltet wurden, immer hing die neue Gegenwart die eigenen Ruhmeskränze an den Sarkophagen des klassischen Weimars auf.
Als in Franz Liszts Hand der Kapellmeisterstock zum Feldherrnstab wurde, der die Wagnersche Muse zum Siege leitete, knüpfte er klug die neue Aera an den alten Ruhm dieser Kunststätte; die erste Aufführung des „Lohengrin“ im Jahre 18..0 beraumte er auf den Tag von Goethes Geburtstag an und ein Prolog von Dingelstedt schlug die Brücke über beide Welten. So war es unter Loën in der großen Wagner-Woche von 1870 und bei der Aufführung des „ganzen Faust“ in der Bearbeitung des weimarischen Regisseurs Otto Devrient mit Musik von Ed. Lassen, dem verdienstvollen Hofkapellmeister der Bühne seit Liszts Abgange.
Die Festspiele, welche neuere Dichter eigens für die weimarische Bühne geschaffen haben, Dingelstedts „Erntekranz“, Gutzkows „Shakespearefeier an der Ilm“, Scheffels „Linde von Ettersburg“ etc., sie brachten immer aufs neue zum Ausdruck, daß alles neuere deutsche Kunststreben auf der Bühne, vor allem aber auf der des weimarischen Hoftheaters das Wirken und Schaffen unserer großen klassischen Dichter zur Voraussetzung hat.
- ↑ Näheres findet der Leser in den Schriften „Goethes Theaterleitung in Weimar“ von Ernst Pasqué (Leipzig 1863) und „Das Repertoire des weimarischen Theaters unter Goethes Leitung“ von Archivdirektor Burkhardt (Leipzig 1891).