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Zum Jubiläum der Lieds von der Glocke

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: J. Pr.
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Titel: Zum Jubiläum der Lieds von der Glocke
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 834–835
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[834] Zum Jubiläum des Lieds von der Glocke. Von allen lyrischen Schöpfungen Schillers ist das „Lied von der Glocke“ wohl das volkstümlichste, großartigste und wirkungsreichste. Es wurde vom Dichter vor hundert Jahren im Jahrgang 1800 des Cottaschen Musenalmanachs zuerst veröffentlicht. Schiller war damals Redakteur dieses für die Blütezeit unserer klassischen Litteratur so bedeutsamen Unternehmens, in welchem auch seine schönsten Balladen gleich denen Goethes zuerst an die Oeffentlichkeit traten. Das Lied von der Glocke bildet den Schluß in dem Musenalmanach für 1800; gleich einem Gruß an das nahende neue Jahrhundert wirkte es damals auf die deutsche Welt. „mit der Freude Feierklange“ das Evangelium des Friedens verkündend. Als das Hohelied des deutschen Familienlebens hat es seitdem von Geschlecht zu Geschlecht seinen Segen entfaltet; für das süße Hoffen der ersten Liebe, für das Walten der Hausfrau im häuslichen Kreise, für das Ringen des Mannes mit dem feindlichen Leben hat in unzähligen jungen Seelen das Lied von der Glocke das erste ahnungsvolle Verständnis geweckt.

Diese Dichtung war nicht, wie Schillers Lied „An die Freude“, das Werk einer unmittelbaren Inspiration. Lange hat sich der Dichter mit dem Plan für sie herumgetragen. Wie seine Schwägerin Karoline v. Wolzogen erzählt hat, verdankte er die Idee zu dem Plan der Zeit, in welcher er der glückliche Bräutigam seiner Lotte war. Im Jahre 1788, das dem Dichter die Berufung zum Professor der Geschichte nach Jena brachte, wohnte er im Sommer in dem Dorf Volkstedt bei Rudolstadt in innigem Verkehr mit der Familie v. Lengefeld. Vor den Thoren von Rudolstadt lag eine Glockengießerei. Er besuchte sie öfter, „um von diesem Geschäft eine Anschauung zu gewinnen“. Der Weg führte über blühende Wiesen. „Das Schönste sucht er auf den Fluren, womit er seine Liebe schmückt“ – dieser Vers ist ein Nachhall jener Tage. Mehr als zehn Jahre dauerte es, bis der Plan zur Ausführung kam. Andere größere Aufgaben lenkten ihn von ihm ab. Im Sommer 1797 schrieb er an Goethe, er sei jetzt an sein Glockengießerlied gegangen. Er fügte hinzu, daß er in Krünitzens Encyklopädie einen Artikel über den Glockenguß gefunden habe, von dem er sehr viel profitiere. Dort fand er auch die Notiz, daß auf dem Münster der Stadt Schaffhausen sich eine große Glocke befinde, welche die Umschrift trage: „Vivos voco, mortuos plango, fulgura frango“. Diese Worte „Ich rufe die Lebenden, ich beklage die Toten, ich breche die Blitze“ wirkten sehr anregend auf Schillers Phantasie – sie wurden zum Motto der Dichtung. Aber noch zwei Jahre dauerte es, bis die „Massen“ der poetische Vorstellungen, die das Thema in ihm geweckt hatte, „in Fluß“ gerieten. Die Arbeit am „Wallenstein“ nahm ihn zu sehr in Anspruch. Ein neuer Aufenthalt in Rudolstadt verhalf dann dem Plan zu seinem Recht. Am 30. September 1799 war das Gedicht vollendet. Als es im Musenalmanach erschien, begegnete es durchaus nicht allgemein der gebührenden Würdigung. Im romantisch gestimmten Kreis der Brüder Schlegel fand man diese Art lehrhafter Poesie zu prosaisch und machte sich lustig über sie. [835] Goethe aber erkannte sogleich ihren vollen Wert und Wilhelm v. Humboldt schrieb: „In keiner Sprache ist mir ein Gedicht bekannt, das in einem so kleinen Umfang einen so weiten poetischen Kreis eröffnet, die Tonleiter aller tiefsten menschlichen Empfindungen durchgeht und auf ganz lyrische Weise das Leben mit seinen wichtigsten Ereignissen und Epochen wie ein durch natürliche Grenzen umschlossenes Epos zeigt.“ Außerordentlich reich ist der Gehalt des Gedichtes an Sprüchen der Weisheit, die Schillers hohen Geist und liebevolles Herz gleich schön offenbaren und die so schlicht und klar im Ausdruck sind, daß sie sich schon dem Verständnis des reiferen Kindes leicht erschließen. Mit feierlichem Klange senken sie sich der Jugend unvergeßbar ins Herz und werden zu segenspendenden Geleitworten auf dem Gang durchs Leben. J. Pr.