Zum Gedächtnisse eines Edlen
Es war im sturmreichen Frühling des Jahres 1848, in jenen ersten Wochen des Mai, wo das von der Märzrevolution zunächst hervorgerufene Chaos auf Grund der neuen Errungenschaften und durch Berufung constituirender Nationalversammlungen für Preußen und Deutschland in gesetzliche Bahnen gelenkt, zu verfassungsmäßigen Organisationen gestaltet werden sollte. Zum ersten Male hatte so eben das bis dahin dem Staatswesen gründlich fern gehaltene und ihm gänzlich entfremdete Volk durch Vollziehung der sogenannten Urwahlen das wichtigste politische Recht des Bürgers geübt, und in den verschiedenen Bezirken der tonangebenden preußischen Hauptstadt traten nun allabendlich die erkorenen Wahlmänner zusammen, um die Bewerber anzuhören und sich in Bezug auf die geeigneten Persönlichkeiten ein Urtheil zu bilden. Das Geschäft war ein neues, die Stimmung eine aufgeregte, neu auch waren die Männer aller Stände, die hier plötzlich aus der Stille ihres Berufs- und Privatlebens auftauchten, um öffentlich vor den Bürgern ihr politisches Glaubensbekenntniß darzulegen. Es ging daher vielfach sehr stürmisch zu in diesen meist auch von einer leidenschaftlichen Zuhörerschaft besuchten Versammlungen der Berliner Wahlmänner, und die Zahl der unter einem Kreuzfeuer von Interpellationen für ihre Erwählung arbeitenden Redner war so groß, daß in manchen Bezirken oft Mitternacht herankam, ehe der Letzte der Angemeldeten zu Worte gelangen konnte.
Ob die Zeit schon so vorgerückt war, ist mir nicht mehr erinnerlich, aber eine bedenkliche Ermüdung und Ungeduld hatte eines Abends nach lebhaften Debatten und heftigem Widerstreit der Versammelten sich schon bemächtigt, als zu später Stunde auf die Rednerbühne des kleinen, von Bierdunst und Tabakrauch erfüllten Wirthshaussaals noch eine Gestalt trat, die es unzweifelhaft zunächst nur dem Eindrucke ihrer Erscheinung zu danken hatte, wenn ihr mehr als eine flüchtige Notiznahme gewidmet wurde. Es war ein schlanker, hochgewachsener und kräftig gebauter Mann mit hochblondem Haar, dessen Kleidung die einfache Eleganz des hohen preußischen Beamten zeigte, aus dessen Haltung aber, aus dessen Antlitz mit den festen Zügen und dem sicher blickenden tiefblauen Auge die Spuren ernster Gedankenarbeit sprachen und das ruhige Würdegefühl eines reifen Charakters. Während der letzten Abende war man schon daran gewöhnt worden, Mitglieder der Beamtenaristokratie, der Geistlichkeit, ja des Officierstandes mit einem Male als liberale Ankläger des bisherigen Regierungssystems sich entpuppen zu sehen, es kam ihnen jedoch nicht immer das gewünschte Vertrauen entgegen. Auf diesen neu erscheinenden Candidaten aber blieben sofort die Blicke geheftet, und kaum hatte er ein paar Sätze gesprochen, so verstummte bereits alle Beweglichkeit und es herrschte ringsumher ein athemloses Schweigen. Es war so schlicht, was der Redner sagte, und doch waren seine Worte zündendes Feuer, es wehte aus ihnen nicht blos der unverkennbare Hauch einer klaren Ueberzeugung, sondern auch einer aufrichtig mit dem Volke sich einig wissenden, mannhaften und begeisterungsvollen Seele. Wer ist der Mann? So fragte man sich. Niemand kannte ihn, und er selber hatte am Eingange über sich nur gesagt: „Ich heiße Waldeck und bin hier Mitglied des Geheimen Ober-Tribunals.“ Als er seinen Vortrag beendigt hatte, brach ein lang anhaltender Sturm des Beifalls aus – der Eindruck war entscheidend.
Waldeck wurde in Berlin für die preußische Nationalversammlung gewählt, und wenn in jener Zeit sein Name selbst den publicistischen Kreisen der Hauptstadt noch so gänzlich unbekannt war, daß die damals kaum erstandene „Nationalzeitung“ die Ernennung dieses Obertribunalraths als einen selbstverständlichen Sieg der Reaction beklagte, so hat das sicher die Wahlmänner des zweiten Berliner Bezirkes in ihrer Ueberzeugung nicht irre machen können. Sie wußten bereits, daß sie dem jungen parlamentarischen Leben einen charakterstarken Verfechter der Volksrechte und ein rednerisches und organisirendes Talent von hohem Gewichte in dem Manne zuführten, der an dem bezeichneten Abend vor ihnen den ersten Schritt auf die große politische Bühne gethan. Waldeck war damals sechsundvierzig Jahre alt und stand in der vollen Blüthe seiner Kraft; er schaute auch bereits auf ein verdienst- und arbeitsreiches Stück Leben zurück. Schon in früher Jugend hatte er als hervorragender juristischer Selbstdenker und Schriftsteller die Hochachtung seiner Standesgenossen, als richterlicher Beamter, so wie als Mensch und Bürger die Liebe seiner Mitbürger sich erworben. In seiner Heimath Westphalen, wo er früher als Richter gewirkt, hatte seine Gerechtigkeitsliebe ihm den Beinamen eines „Bauernkönigs“ verschafft, und nicht weniger als vier Bezirke der Provinz hatten ihn aus eigenem Antriebe und ohne jegliche Bewerbung seinerseits zu ihrem Abgeordneten für die Nationalversammlung erwählt. So tief war die Anhänglichkeit, welche diese Bevölkerung dem verehrten Manne bewahrte, der ihnen seit 1846 durch seine ehrenvolle Berufung in den höchsten Gerichtshof des Landes entzogen worden war. Im Gewühle der Hauptstadt hatte der Fremdling die zwei Jahre her unbemerkt nur seinen Amtspflichten und Studien gelebt, bis die Revolution seiner innersten Gesinnung die Zunge löste und ihn auf den Kampfplatz führte, für den er geboren war. In der Revolution sah er die Erfüllung der Grundsätze, welche Preußen einst gerettet hatten. Er forderte die aufrichtige, consequente und unverkürzte Durchführung derselben und nahm deshalb sofort seinen Platz auf der Linken des neuen Parlaments. Dieser Schritt entschied über sein weiteres Leben, und es eröffnete sich nunmehr für ihn jene sturmvolle, an unmittelbaren Erfolgen nicht immer ergiebige, aber an geistigen Triumphen, an wohlverdientem Ruhm, an ehrenvollen Leiden und Kämpfen so ungewöhnlich reiche Laufbahn, auf welche nicht wenige unserer heutigen Zeitgenossen so gern ihre Blicke zurücklenken, wenn sie in den drangvollen Wirrnissen unerledigter Zeitfragen eines ermuthigenden Leitsternes bedürfen, einer Aufrichtung ihres Glaubens an die Macht und den Sieg der Wahrheit.
In der ersten Hälfte des Sommers 1848, wo die Ausschreitungen einer übermüthigen Straßendemokratie, wo Clubredner der schlechten und besseren Sorte, demagogische Agitatoren aller Art die Stimmungen der großen Massen beherrschten, konnte freilich die immerhin maßvolle Eigenart eines Waldeck nicht zu volksthümlicher Bedeutung gelangen. Es ist hier nicht die Absicht, eine Geschichte seines ersten parlamentarischen Wirkens zu schreiben. Man weiß, daß er zunächst durch seine hingebungsvolle Arbeit in den Commissionen, durch die Kraft seines Geistes und Willens ein solches Uebergewicht innerhalb der linken Partei des Hauses erhielt, daß diese in ihm ihren eigentlichen Führer sah, man weiß auch, daß der Entwurf der später von Friedrich Wilhelm dem Vierten übernommenen und einseitig octroyirten preußischen Verfassung eine Schöpfung Waldeck’s war, und daß diese Verfassung deshalb von der höhnenden Reactionspartei die „Charte Waldeck“ genannt wurde, ein Ehrenname, den sie noch heute in Bezug auf alle gesunden, freiheitsfreundlichen und patriotischen Grundsätze verdient, die in ihr stehen geblieben sind und nicht durch fernere Revidirungen abgeschwächt wurden. Als der Verfassungsentwurf im October 1848 festgestellt war und im Plenum bereits die öffentlichen Verhandlungen über die einzelnen [89] Punkte begannen, hatte sich bekanntlich die Hand schon erhoben, welche mit den wilden Auswüchsen der Revolution auch ihre berechtigten Früchte nicht zur Geltung kommen lassen wollte. Es wurde die Nationalversammlung durch militärische Gewalt aus ihrem Sitzungssaale vertrieben und das in Belagerungszustand versetzte Berlin genoß eine Reihe von Tagen hindurch das traurige Schauspiel, die vor einigen Monaten erst erwählten Vertreter des Volks von einer Localität zur anderen irren zu sehen, um zur Fassung der ihnen nothwendig erscheinenden Beschlüsse ihre Berathungen fortzusetzen.
Nachdem ihnen so am Vormittage des 14. November der Eintritt in den zu ihrer Verfügung gestellten Sitzungssaal der Stadtverordneten durch militärische Besetzung unmöglich geworden, ereignete sich am Abende desselben Tages eine für immer denkwürdig gebliebene Scene. In einem öffentlichen Wirthshauslocale Unter den Linden sollte die am Morgen verhinderte Sitzung abgehalten werden. In tieferregter Stimmung hatten 227 Abgeordnete sich eingefunden und eben hatte Schulze-Delitzsch seinen Antrag zu eventueller Steuerverweigerung verlesen, als die Meldung hereinkam, daß das Haus militärisch besetzt sei. Alsbald drang auch ein Major mit vier Officieren und einem Piquet Soldaten in den Saal und erklärte, auf die Weigerung des Präsidenten von Unruh, daß er Gewalt brauchen müsse, wenn die Versammlung nicht freiwillig das Local verlassen sollte. „Unter diesen Umständen,“ rief Herr von Unruh, „erkläre ich, daß wir abermals der Gewalt weichen.“ Die Worte waren in tiefer Bewegung gesprochen, und eine unbeschreibliche Aufregung hatte in diesem kritischen Momente einer rücksichtslosen Demüthigung der versammelten Abgeordneten sich bemächtigt, als plötzlich aus ihren Reihen die imposante Gestalt Waldeck’s sich erhob. Mit ruhiger Entschlossenheit schritt er auf den Major zu und sagte in festem Tone: „Holen Sie doch Ihre Bajonnette und stoßen Sie uns nieder! Ein Landesverräther, der diesen Saal verläßt!“ Der Major (Herwarth von Bittenfeld, der in den späteren Feldzügen als General berühmt gewordene Heerführer) war sichtlich ergriffen und fühlte wohl im Angesichte dieser erlesenen Männerschaar das Peinliche seiner Aufgabe. Er verließ auf kurze Zeit mit den Soldaten das Local; die Versammlung erhob inzwischen den Antrag Schulze’s zum Beschlusse, und die Sitzung wurde regelmäßig geschlossen. Es war die letzte Sitzung der 1848 zur Vereinbarung einer preußischen Verfassung berufenen Nationalversammlung, die bekanntlich eines gewaltsamen Todes starb und der Waldeck durch seine Mannhaftigkeit einen so edlen und würdigen Abschluß gegeben hatte.
Die Wendung zum Schlimmen war da, und kein Scharfblickender konnte durch die am 5. December erfolgte Proclamirung der freisinnigen „Charte Waldeck“ über die wahre Sachlage getäuscht werden. Um zu wissen, woher eigentlich der Wind wehte, brauchte man nur zu sehen, wie die aller Orten mit trotzigem Frohlocken wiederum aus ihren zeitweiligen Verstecken hervorkriechenden Rückschrittsleute den scheinbaren Sieg der königlichen Gewalt als einen erneuerten Freibrief für ihren eigenen Hochmuth, ihren brennenden Rachedurst betrachteten. Sie hatten genügenden Anlaß zum hoffnungsvollen Aufathmen, denn in der Nähe des Thrones stand schon die Führerschaft der geistlichen und weltlichen Vorrechtskasten, die einflußreiche Clique jener zur äußersten Reaction entschlossenen Gewaltmenschen bereit, um jeden Augenblick die Zügel des Staates zu ergreifen und auf den Trümmern der Revolution eine Herrschaft zu erlangen, nach der sie selbst in den vormärzlichen Tagen nur vergeblich gestrebt hatten. Schon machte ihr Einfluß sich fühlbar in der ungerechtfertigten Aufrechterhaltung der Belagerungszustände, in möglichster Knebelung der Preß- und Versammlungsfreiheit, in einem verzweigten Spionirsystem, in empfindlich verschärftem Polizeidruck und einer Niederhaltung des öffentlichen Urtheils, die leicht hätte ihre Absicht erreichen, zu einer verhängnißvollen Niedergeschlagenheit, einer erneuerten Verdumpfung und Zerfahrenheit des Volksgeistes hätte führen können, wenn dieser nicht ein stärkendes Beispiel vor Augen gehabt, nicht Ermuthigung gefunden hätte im Aufblicke zu den hervorragenden Männern, die bisher tapfer seine Sache geführt und nun auch in aller Gefahr und aller [90] bösen Verkehrung der Dinge offen und unerschütterlich für ihre Ueberzeugung eintraten.
Als solch ein erhebendes Vorbild aber galt jetzt vor Allem die Persönlichkeit Waldeck’s, auf den seit dem Herbste die Blicke der Nation immer mehr und mehr sich gerichtet hatten. Wenn er im traurigen Reactionswinter 1849 in Berlin über die Straße schritt, so entblößten sich vor ihm schon überall verehrungsvoll die Häupter und die Väter stießen ihre Kinder an und zeigten ihnen den großen demokratischen Volksvertreter. Waldeck hatte, seine Wahlreden ausgenommen, niemals in Clubs und Volksversammlungen, überhaupt niemals zu großen Massen gesprochen, keine Volksmenge hatte ihn jemals bei Demonstrationen als Führer oder Theilnehmer an ihrer Spitze oder in ihrer Mitte gesehen, seine Haltung und sein äußeres Wesen zeigten bei jeder Berührung mit ihm die gemessene Zurückhaltung, ja die zugeknöpfte Unnahbarkeit des vornehmen Beamten. Hat er also dennoch neben viel beweglicheren, leichter dem Tone und Wesen des Volkes sich anschmiegenden Gestalten seiner Partei mit verhältnißmäßiger Schnelligkeit eine in unserer deutschen Parlamentsgeschichte fast beispiellos dastehende Popularität gewonnen, so mußte wohl gefragt werden: woraus entsprang dieser außerordentliche Einfluß und worin lag der ungewöhnliche Zauber dieses Mannes? Selbst für Diejenigen, die ihn im Leben gekannt, ist die Frage leichter gestellt als beantwortet. Es sind lange Aufsätze und ganze Bücher darüber geschrieben worden, man wird jedoch nicht irrig urtheilen, wenn man die Erklärung nicht in dieser oder jener Begabung Waldeck’s, sondern in dem Ganzen seiner stark und scharf ausgeprägten Persönlichkeit findet, so wie in der Gluth und Vollgewalt des Herztons, der aus seinen Ueberzeugungen in seine Worte und Thaten floß und um die rührende Schlichtheit seiner Erscheinung und seines Wandels einen Nimbus wob, vor dem unwillkürlich sich die Häupter neigten. Es lag in diesem Manne etwas von der Kraft der alten Propheten und Apostel. Was gesund und wahr, was rein, erhaben und unvergänglich ist an den Grundsätzen des Demokratismus, das hat der bessere, dem Lichte zugewendete Theil des Volkes verkörpert gesehen in der Person des Abgeordneten Waldeck.
Dieselben Eigenschaften aber, welche ihm die Liebe des Volkes erwarben, erweckten ihm natürlich den giftigen Haß aller Förderer der rothen und schwarzen Reaction. Diese herrschgierige und verwegene Gesellschaft von sogenannten „Staatsrettern“, deren Werkstatt hinter den Coulissen des Hofes, deren Organ die hetzende und denuncirende Kreuzzeitung war, hätte so gern die ihren Standesinteressen gefährliche Auflehnung wider Vorrecht, Bevormundung und Ausbeutung den vielen Urtheilslosen als eine schmutzige Sache abenteuernder Schwindler und eines zügellosen Pöbels hingestellt. Ein Dorn im Auge mußte ihr daher jene zahlreiche Schaar angesehener und ehrenhafter Männer der höheren Stände sein, die nach wie vor uneingeschüchtert zur Fahne der Opposition standen und denen sie bereits durch Verfolgungen, Amtsentsetzungen und quälerische Maßregelungen ihren Einfluß auf die Verwaltungsmaschine, die Absicht einer Schreckensherrschaft fühlen ließ. Die höfisch-aristokratisch-pfäffische Clique hatte jetzt ihren Gegnern Vernichtung geschworen, unter diesen aber war kein Einziger von ihr so gehaßt und gefürchtet, wie der Geheime Obertribunalsrath Waldeck, der stille Mann mit der gewaltigen Autorität, der in seiner Unangefochtenheit gleichsam noch als ein lebendiger Protest umherwandelte, als eine weithin leuchtende Bekräftigung der Grundsätze, die man von oben her mit Gewalt und List aus der Welt schaffen zu können glaubte. Konnte es der unter dem Zeichen des Kreuzes arbeitenden Partei kriegerischer Betbrüder gelingen, die Kraft dieses Mannes zu brechen, ihn von seiner hohen Stellung zu stürzen brod- und ehrlos zu machen, so war um einer solchen Thal der Demokratismus tief in’s Herz getroffen, ja es war noch mehr damit erreicht, es war zwischen König und Volk durch die offene Mißhandlung des verehrten Volksvertreters eine Kluft gerissen, wie sie eben die Vorrechtskasten zu ungestörtem Entfalten ihrer Herrschaftspläne erzeugen wollten.
Der Wunsch war jedenfalls schon im Winter 1849 im Stillen sehr lebhaft vorhanden, und Bedenken des Gewissens waren es sicher nicht, die seine Ausführung verzögern ließen. Es war eben nicht leicht, einem Waldeck beizukommen, der schon eine unberechtigte Aufforderung zu freiwilligem Rücktritt aus dem Obertribunal mit Erfolg zurückgewiesen hatte und nun ruhig seines Weges ging, getreu seinen Amtspflichten genügte und nach keiner Seite hin auch nur den leisesten Anlaß zu einem disciplinarischen oder richterlichen Angriffe wider ihn bieten wollte. Je mehr man auf der Lauer lag, je mehr die schnüffelnde Pharisäerrotte sammt ihren Spionen und Liebedienern sich anstrengte, etwas gegen ihn zu finden, um so mehr erkannte sie, daß sie einer unangreifbaren Makellosigkeit gegenüberstand. Hier reichten die gewöhnlichen Mittel gegen Andersgesinnte nicht aus, es mußte, da die Ungeduld sich nicht zähmen ließ, zum Verderben des Opfers ein falsches Spiel gespielt und jener Weg der Lüge und Fälschung betreten werden, den der berühmt gewordene Proceß Waldeck enthüllt hat.
Wo die Fäden dieses Verfolgungsplanes eigentlich gesponnen wurden, das ist unklar geblieben und bis jetzt nicht aufgedeckt. Daß aber sehr einflußreiche Personen dabei im Spiele waren, zeigten die großen, nur durch solchen Einfluß zu bewirkenden Maßregeln, mit denen die Ausführung eingeleitet wurde. Seit November 1848 war über Berlin der Belagerungszustand verhängt, aber er mußte in Ermangelung jedes activen Widerstandes milde gehandhabt werden, und es waren namentlich die ordentlichen Gerichte in Thätigkeit geblieben. Nicht wenig erstaunte man daher, als am 15. Mai 1849 ohne jede sichtliche Veranlassung dieser Belagerungszustand mit einem Male verschärft und schleunigst sogar ein Kriegsgericht in’s Leben gerufen wurde. Schon am nächsten Tage jedoch wurde dieses Räthsel in den Augen aller Klarblickenden gelöst, denn am 16. Mai vernahm die ohnedies grollende und durch polizeiliche Uebergriffe gereizte Hauptstadt die Schreckenskunde, es sei der Abgeordnete Waldeck inmitten seiner Familie verhaftet und dem Gefängnisse überliefert worden. Die Verschärfung des Ausnahmezustandes erschien als die Vorbedingung dieses aufsehenerregenden Schrittes, denn es war dadurch der mächtigste Vertreter der Volksfreiheit in der Kammer seinem ordentlichen Richter entzogen und dem nicht an strenge Schutzformen gebundenen Verfahren eines Kriegsgerichts unterworfen. In den weitesten Kreisen zweifelte man nicht an diesem Zusammenhang der beiden Maßregeln, und Niemand auch glaubte an eine Schuld Waldeck’s, ja auch nur an eine Unvorsichtigkeit, durch welche er seinen Widersachern eine Handhabe zur Antastung seiner Person gegeben hätte. Was konnte denn dieser hochgesinnte, reine und edle Mann verbrochen haben, daß man es wagen durfte, ihn so rücksichtslos zu überfallen, so rauh und grausam den ruhevollen Frieden seines musterhaften Familienlebens zu stören? So fragte bestürzt, aber im äußersten Grade entrüstet, die öffentliche Meinung.
Wie aber erst später sich herausstellte, hätten damals die Veranstalter des frechen Handstreichs in Bezug auf diese Frage ebenso wenig eine Auskunft geben können, als irgend Jemand im Volke. Sie hatten nicht die Spur eines Anhaltspunktes, sondern unternahmen ihr Wagniß wie ein frivoles Hazardspiel. Erst bei der in Folge der Verhaftung möglich gewordenen Hausdurchsuchung hofften sie in den Papieren Waldeck’s etwas zu finden, wodurch der Schritt sich rechtfertigen, worauf eine schwere Anklage sich begründen ließe. Aber schon eine Verhaftung und Hausdurchsuchung durfte ja ohne einen ausreichenden gesetzlichen Grund nicht vorgenommen werden. Hier hatte zunächst die Schwierigkeit gelegen, und um sie zu beseitigen, waren die feigen Verderber vor dem schandbarsten aller Mittel nicht zurückgeschreckt. Da kein wirklicher Grund zum Angriffe vorhanden war, erfolgte die Denunciation und das Einschreiten auf Grund eines erlogenen Schriftstückes, eines absichtlich für diesen Zweck gefälschten Briefes, der „zufällig“ in der Schlafrocktasche eines zum Schein verhafteten Polizeispions gefunden wurde und den ein revolutionärer Flüchtling an Waldeck geschrieben haben sollte. Im Hause Waldeck’s aber fand sich nichts, garnichts von Allem, was man so gierig suchte, und damit war ganz im Stillen und ehe man es im Publicum noch ahnte, die Niederlage der nichtswürdigen Planmacher schon entschieden. Gewiß hätte man den angeblichen Hochverräther nunmehr sofort wieder freigeben müssen, aber um das zu wagen, hatte die Sache bereits in der ganzen Welt ein zu großes Aufsehen erregt. Es blieb nichts übrig, als ihn den ordentlichen Gerichten zu überweisen und auf Grund [91] jenes gefälschten Wisches – weiter hatten die Denuncianten absolut nichts in Händen – eine Untersuchung wider ihn einleiten zu lassen.
„Es war ein Bubenstück, um einen Mann zu verderben.“ So hatte der königliche Oberstaatsanwalt selber ausgerufen, als er am Schlusse der öffentlichen Gerichtsverhandlung sich außer Stande sah, die Anklage gegen Waldeck aufrecht zu erhalten. So deutlich hatte der dramatische Verlauf des Processes alle Specialitäten des plumpen Complotes, das Verfahren verschiedener dabei thätiger Acteure und Helfershelfer, sowie die Reinheit des verfolgten Mannes an’s Licht gestellt. Wurde doch einer der Hauptbelastungszeugen so tief erschüttert von der Macht der auf ihn eindringenden Beweise, daß er zerknirscht das Haupt senkte und seinen Werth mit den Worten bezeichnete: „Ja leider, ich habe gelogen!“ Sieben Monate hindurch hatte das Opfer dieser Lüge in strenger Kerkerhaft geschmachtet, während seine vornehmen und „frommen“ Verfolger wissen mußten, daß sie nur durch ein erkünsteltes Lügenwerk dieses herzbrechende Verhängniß ihm und den Seinigen bereitet hatten. Je länger Waldeck’s Haft dauerte und je dreister und zuversichtlicher die reactionäre Presse von seiner Schuld sprach und seine demnächstige Verurtheilung in Aussicht stellte, um so mehr hatte sich beim Herannahen der öffentlichen Verhandlung weit und breit eine außerordentliche Aufregung selbst Derjenigen bemächtigt, die bisher den politischen Bewegungen fern gestanden. Während der mehrtägigen Dauer des Processes war in Berlin der vor dem Gerichtslocal befindliche Platz bis weit in alle angrenzenden Straßen hinein von einer unabsehbaren Menschenmasse erfüllt, die sich tief ergriffen zeigte, als gleich nach Beginn der ersten Sitzung die Nachricht herabkam, daß Waldeck zwar ungebeugt, mit der schlichten Ruhe eines Helden, ohne jede Klage und jedes Merkmal der Erbitterung vor seinen Richtern stand, daß sein volles blondes Haar aber schneeweiß geworden sei unter den Qualen des unverschuldeten Kerkerleidens.
Auch die Mittheilungen über die richterliche Enthüllung der wider ihn geschmiedeten Ruchlosigkeit verbreiteten sich im Laufe der Tage von Haus zu Haus, und als endlich der Freigewordene am Nachmittage des 3. December in der Begleitung einiger Freunde auf die Straße trat, war die Begeisterung der dichtgedrängten Volksmassen zu einem Sturme angewachsen, den keine Feder zu beschreiben vermag und gegen den die massenhaft aufgestellte Polizei nichts auszurichten vermochte. Es entblößten sich die Häupter; es lagen die Menschen sich in den Armen, und das laute Heulen und Schluchzen der Ergriffenen mischte sich mit dem orkanartiger Brausen der endlosen Hurrahrufe. Der weite Weg bis zur Dessauerstraße, wo Waldeck wohnte, war dicht vom Volke besetzt, das den Märtyrer der Volkssache sehen und ihm zujauchzen wollte. Um sich dem Gedränge zu entziehen, bestieg er mit Frau und Tochter einen Wagen, der mühsam bis zur Kurfürstenbrücke gelangte. Hier aber, in der Nähe des königlichen Schlosses verwandelte sich die Scene ganz unerwartet zu einem Triumphzuge. Menschen aller Stände spannten die Pferde des Wagens aus und unter dem Jubelgeschrei von Tausenden und Abertausenden wurde der Freigesprochene am Schlosse vorbeigezogen, bis er endlich vor dem Hause eines Freundes der Huldigung sich entziehen konnte. Am Abend aber waren viele Theile der Hauptstadt illuminirt und von einem Ende Deutschlands bis zum anderen fühlte und verstand man mit der Bevölkerung Berlins, daß an diesem Tage Recht und Licht einen der durchgreifendsten und denkwürdigsten Hauptsiege gefeiert über die gewissenlose Willkür, die frevelhaften und widersittlichen Knechtungsversuche mächtiger Finsterlinge. Was aus einem Staate werden kann, in dem sie auch nur vorübergehend eine Herrschaft erlangen können, das hat die Geschichte Preußens in jenen Tagen gezeigt.
Allerdings war diese Pharisäerpartei des gewaltsamen Rückschrittes durch den Proceß Waldeck noch nicht thatsächlich gestürzt worden, aber es war doch nur ein künstliches und erzwungenes Scheinwesen, wenn sie nach einer solchen moralischen Zerschmetterung, einer solchen Entlarvung und Ertappung auf schimpflichen Wegen noch zehn Jahre hindurch mit selbstgewisser Unverschämtheit das Haupt erheben und in Staat, Kirche und Schule ihre herabdrückende Macht behaupten konnte. Waldeck hat die unheimliche Gesellschaft noch aus dem Vordergrunde verschwinden und ihren Einfluß erlahmen sehen; noch einundzwanzig Jahre nach jener Antastung seiner Person hat er, mit erschütterter Gesundheit zwar, aber mit voller Ungebrochenheit des Geistes in seinem Richteramte, wie in den vordersten Reihen der Fortschrittskämpfe eingreifend gewirkt und endlich einen zweiten Triumphzug gefeiert, als er im Frühling 1870, kurz vor der folgenreichen Kriegserhebung seiner Nation, mit hochimposanter Trauerfeierlichkeit, begleitet wiederum von ungezählten Tausenden seiner schmerzlich ergriffenen Mitbürger, zur letzten Ruhestätte geleitet wurde. Ueberblicken wir seine Eigenschaften und Verdienste, so ist es sicher nicht das geringste derselben, daß er sofort nach dem Kriege von 1866 den Segen dieser Wendung unserer vaterländischen Geschicke gewürdigt und, uneingedenk aller früheren Conflicte, sich offen zu ihr bekannt hat. Unvergeßlich und in unverwelklicher Frische wird sein Name fortleben in den Institutionen wie in den Erinnerungen unseres Volkes. Um aber die so innig ihm bewahrte Liebe und Dankbarkeit auch durch ein äußeres Zeichen zu den künftigen Geschlechtern sprechen zu lassen, haben seine zahlreichen Freunde und Verehrer schon vor einigen Jahren beschlossen, sein Grab mit einem würdigen Denkmal zu schmücken. Die Bildsäule ist jetzt vom Künstler vollendet, und die unserem Artikel beigefügte Abbildung des vortrefflichen Werkes zeigt dem Leser die Gestalt des großen Volksvertreters in sprechender Aehnlichkeit.