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Zum Gedächtnis des Herrn Johannes Deinzer

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Autor: Hermann von Bezzel
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Titel: Zum Gedächtnis des Herrn Johannes Deinzer
Untertitel: Ein Erinnerungsblatt für Verwandte und Freunde des Entschlafenen
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Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: C. H. Beck
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Erscheinungsort: Nördlingen
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| „Und der auf dem Stuhl saß, sprach: Siehe ich mache Alles neu. Wer überwindet, der wird es Alles ererben.“
Offenb. 21, 5 u. 7. 

Zum Gedächtnis
des
Herrn Johannes Deinzer,
Inspektors der Missionsanstalt zu Neuendettelsau und Obmanns der Gesellschaft für innere und äußere Mission i. S. d. l. K.,


† am Montag, den 25. Januar 1897.




Ein Erinnerungsblatt
für Verwandte und Freunde des Entschlafenen.


Nördlingen 1897.
C. H. Beck’sche Buchdruckerei.


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Leben, Sterben und Begräbnis.
(Nach den kirchlichen Mitteilungen aus und über Nordamerika, Australien und Neu-Guinea 1897. Nr. 1 und 2.)




 Mit einem unerwarteten, schmerzlichen Schlag hat Gott der HErr im Beginn des neuen Jahres die Gesellschaft „für innere und äußere Mission im Sinne der lutherischen Kirche“ in Bayern heimgesucht, indem er seinen treuen Knecht, H. Missionsinspektor J. Deinzer, mitten aus seiner Arbeit abberufen und in die ewige Ruhe eingeführt hat. Was ein alter, treuer Freund bei der Nachricht von der plötzlichen Erkrankung des Verstorbenen an denselben in rührender Teilnahme schrieb: Ach Gott vom Himmel sieh darein und laß dich doch des H. Missionsinspektor Deinzer erbarmen, den wir so nötig haben – das wird im allgemeinen auch der Gedanke und das Gebet des weiten Kreises teilnehmender Brüder und Freunde gewesen sein. Galt er ja doch – und gewiß mit Recht – allenthalben als die Stütze und der eigentliche Träger des Werkes der Gesellschaft, als der letzte Repräsentant der großen kirchlichen Vergangenheit Dettelsaus und Stammhalter der Löhe’schen Tradition. Aber Gott der HErr hat das vielfach zu ihm aufsteigende Gebet um Erhaltung seines Lebens nicht erhört. Mitten aus seiner Kraft heraus, lange vor den Jahren der Abnahme, da er noch Vieles hätte wirken können und auch wirken wollte, hat ihn der HErr aus dem Leben hinweggenommen, ja ist mit ihm hinweggeeilt. Im Blick auf diesen so betrübenden Umstand und in Erwägung der gegenwärtigen so bedenklichen kirchlichen Zeitläufte hat sich bei| diesem traurigen Ereignis vielen im Glauben und Bekenntnis mit dem Entschlafenen verbundenen Brüdern unwillkürlich die Frage nach dem Warum? dieses göttlichen Thuns auf die Lippen gedrängt. Doch, meine Gedanken sind nicht eure Gedanken! Es wird auch bei diesem traurigen Ereignis ein Rat der Weisheit des barmherzigen Gottes zu Grunde liegen, der Gedanken des Friedens und nicht des Leides über die Seinen hat, ein Rat, der zwar wunderbarlich ist, aber doch zu herrlichem Ziel führen soll. Gott lasse uns alle, die wir durch jenes gewaltige Eingreifen des HErrn betrübt worden sind, von ihm zu seiner Zeit auch wieder aufgerichtet werden.
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 Der Name des Entschlafenen ist mit dem Dettelsaus nahe verknüpft. Eine göttliche Fügung hat ihn in früher Jugend aus der Ferne an diesen Ort geführt. Seinen Voreltern nach stammte er aus dem Hersbrucker Land. Geboren wurde er den 2. September 1842 in Großengsee, Pfarrei St. Helena, einem freiherrlich v. Tucher’schen Patronat, als ältestes von 8 Geschwistern, deren 2 frühzeitig gestorben sind. Sein Vater, der ehemalige dortige Pfarrer Johann Georg Deinzer, ein ernstgerichteter, strenger Mann, gehörte zu den Geistlichen der Landeskirche, welche an den kirchlichen Fragen, die damals die Landeskirche bewegten, lebendigen Anteil nahmen. Infolge des Vertrauens seiner Kapitelskollegen wurde er in die wichtige Generalsynode vom Jahre 1849 gewählt, und gehörte der entschieden konfessionell gesinnten Fraktion an, doch ohne daß er mit Löhe in näherem persönlichen Verkehr gestanden wäre. Mit dem Jahre 1854 vertauschte er aus Gesundheitsrücksichten seine bisherige Stelle mit der Pfarrei Wildenholz bei Feuchtwangen; die Erinnerung aber an seine Persönlichkeit und sein Wirken ist bei dem anhänglichen Volk jener Gebirgsgegend bis heute noch nicht erloschen. Dort in dem weltabgeschiedenen Dörflein, in einfachsten Verhältnissen, verbrachte der junge Pfarrerssohn eine frohe Jugendzeit, an deren Glück er sich später noch oftmals gern erinnerte. Mit besonderer Freude folgte er auch in den letzten Jahren dem Ruf dorthin zu Missionsfesten, wobei die Pfarrkinder ihn von vornherein als alten Jugendgespielen aufnahmen. Mit zunehmenden Jahren kam er in die Schule des Vaters, worin| unter strengster Zucht ein guter Grund für den späteren Gymnasialunterricht gelegt wurde. Eines besonderen Rufes erfreute sich damals das Gymnasium zu Augsburg unter der energischen Leitung des bekannten Rektors Metzger. Der Vater scheute die weite Entfernung nicht und brachte den begabten Knaben dorthin. Bald zeichnete er sich dort aus und zog die Aufmerksamkeit von Lehrern und Mitschülern auf sich. Die letzte Klasse des Gymnasiums absolvierte er in Nürnberg, woselbst er zugleich im v. Tucher’schen Hause Hauslehrer des einzigen Sohnes war. 1860 bezog er die Universität Erlangen. Er hatte in seiner Jugend sowohl auf dem Gymnasium als auch auf der Universität das Glück, hervorragend tüchtige Männer von charakteristisch verschiedenem Gepräge zu Lehrern zu haben. Manche derselben, wie Rektor Dr. Heerwagen, Prof. v. Hofmann und Prof. Heyder, würdigten ihn eines näheren Vertrauens. Er bewahrte ihnen allen dankbares Andenken und gedachte ihrer oftmals mit Ehrerbietung. Das Vorbild ihrer Pflichtstrenge, ihres edlen Benehmens, ihrer Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit begleitete ihn in sein eigenes späteres Leben. Der eigentlich entscheidende Einfluß auf Charakter und Gemüt des Jünglings ging jedoch nicht von einem seiner Lehrer aus. Noch bevor er in die reiferen Jünglingsjahre trat, war er mit Herrn Pfarrer Löhe in Beziehung gekommen, dessen mächtige Persönlichkeit auf ihn durchschlagenden Einfluß übte, den er sich daher auch zum eigentlichen Vorbild erwählte.
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 Die Konfirmation hatte er in Augsburg von Kirchenrat Bomhard empfangen, dessen würdevolles Wesen auf ihn bleibenden Eindruck machte. Aus seinem Unterricht erinnerte er sich des bezeichnenden Urteils über das gegenseitige Verhältnis der lutherischen und reformierten Kirche: sie gehören beide zusammen und werden auch noch zusammenkommen. Bald nach seiner Konfirmation im Jahre 1856 wurde der Vater durch einen schnellen, frühen Tod der Familie entrissen. Auf den Rat des mit Herrn Pfarrer Löhe vertrauten und mit der Familie wohl bekannten Oberappellationsgerichtsrates Herrn v. Tucher zog die schwergeprüfte Witwe nach Neuendettelsau und fand da eine neue geistliche Heimat und der Verstorbene einen geistlichen Vater. Zwei Faktoren wirkten von da ab bei seiner Ausbildung| zusammen: einmal die Notlage der Familie mit den Anforderungen, die sie an ihn stellte. Bald fühlte der Verstorbene, daß er der Mutter an die Hand gehen müsse, sonderlich in der Erziehung der Brüder, und das führte ihn früh in den Ernst des Lebens ein. Zum andern waren es die geistlichen Einflüsse seines neuen Wohnortes, die bestimmend in seinem ferneren Entwicklungsgang sich geltend machten. Dettelsau hatte damals seine geistliche Blütezeit, und wohl alle, die sie an Ort und Stelle miterlebten, hatten das deutliche Gefühl, daß die Wogen geistlichen Lebens hier höher gingen als anderwärts. Von der Wahrheit des Christentums und der Herrlichkeit der christlichen Kirche empfing man damals unauslöschliche Eindrücke. Die äußeren Verhältnisse waren armselig und primitiv, aber die Anregung, die von der großen Persönlichkeit Löhes ausging, hob über alle Mängel und Schattenseiten hinweg. – Frühe nun war der älteste Sohn in unmittelbare persönliche Beziehung zu Herrn Pfarrer Löhe gekommen, der des jungen Gymnasiasten sich annahm und auf einsamen Morgenspaziergängen sich ihm widmete. Pfarrer Löhe war ihm bereits eine Autorität geworden, als er nach Erlangen kam. Dies hinderte ihn aber nicht, mit hingebender Teilnahme und jugendlichem Eifer sich dem Unterricht der damaligen großen Lehrer der Erlanger Hochschule hinzugeben. Insbesondere zog ihn v. Hofmann an. Seine exegetischen Arbeiten zog er allen anderen vor und bereitete sich später auf seine homiletischen Lehrstunden kaum anders als mit Hofmanns Bibelauslegungen in der Hand vor. Wenn ihm auch später allmählich gewisse Schwächen des großen Auslegers mehr und mehr zum Bewußtsein kamen, die Wertschätzung der Gesamtleistung desselben hat ihn bis an sein Lebensende nicht verlassen. Außerdem pflegte er die pastorale Wärme der Vorlesungen von Prof. Thomasius zu rühmen. Mit Professor v. Raumer, zu dem er schon durch Löhe gewiesen war, las er Augustin’s Konfessionen. Mit einem Altersgenossen trat er bei ihm ein. Der alte ehrwürdige Herr begrüßte sie mit den Worten: vor 30 Jahren sind Ihre beiden Väter zu gleichem Zweck bei mir eingetreten. Von bleibendem Gewinn waren für ihn auch die Geschichtsvorlesungen Prof. Hegels und der Verkehr mit Prof. Heyder. –| Der Freude hingegen und der Anregung, die aus dem Verkehr mit gleichgesinnten Altersgenossen entspringt, mußte er während des größeren Teiles seiner Studienzeit entbehren. Der kleine Kreis ernster Jünglinge, dem er beigetreten war, löste sich nach dem ersten Semester durch den Wegzug fast sämtlicher auf; so führte er ein einsames Leben. Ersatz mußte ihm der Zusammenhang mit Dettelsau bieten. Erst gegen das Ende seiner Studienzeit fand er einen Freundeskreis, dessen Mitglieder auch im späteren Leben seine Freundschaft wert hielten. Der Fleiß, mit dem er sich dem Studium hingegeben hatte, ermöglichte es ihm, im letzten Abschnitt desselben auf Ansuchen die Verwesung der Subrektoratsstelle in Gunzenhausen auf mehrere Monate zu übernehmen. Denn vom Gymnasium her hatte er sich einen tüchtigen Schatz philologischer Kenntnisse angeeignet. Gern beschäftigte er sich auch noch in seiner späteren Stellung als Lehrer und Inspektor des Missionshauses neben der Lektüre der Kirchenväter, besonders der lateinischen, mit der alten klassischen Litteratur (Sophokles und Plato las er häufig mit begabteren Schülern), und oft pflegte er an das Wort Nägelsbachs zu erinnern: Haltet fest an der klassischen Litteratur, sonst kommt die Barbarei, und an der Bibel, sonst kommt das Heidentum! –
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 So nahte das Ende seines Universitätsstudiums. Man darf es wohl als eine göttliche Fügung bezeichnen, daß er durch den Tod seines Vaters nach Dettelsau geführt wurde, um von dort seines Lebens Richtung zu erhalten, schließlich aber mußte ihn der Dettelsauer Kreis doch gewaltsam an sich reißen. Nach einem vorzüglich bestandenen Examen war er im Begriff, bei Freiherrn von Thüngen, der ihn bei wiederholtem Ferienunterricht seiner Söhne schätzen gelernt hatte, eine Hauslehrerstelle anzunehmen. Da entstand plötzlich durch den Weggang des damaligen Lehrers an der Dettelsauer Missionsanstalt, des Herrn Pfarrers Weber, eine große Verlegenheit. Der junge Kandidat erschien als die zur Ausfüllung der Lücke zunächst berufene Persönlichkeit. Auf vieles Bestürmen von Dettelsau aus willigte endlich Herr von Thüngen ungern ein, und entließ ihn seiner Verpflichtung. So kam er Oktober 1864 nach Dettelsau als Lehrer für die Missionsanstalt, welcher Herr Inspektor Bauer vorstand,| und als Vikar von Herrn Pfarrer Löhe. Diese Doppelstellung ist ein Merkmal seiner ganzen Dettelsauer Thätigkeit geworden. Er war von da an immer zu gleicher Zeit Lehrer und im Pfarramte thätig, welch letzteres ihm zweimal ernstlich angetragen wurde. Nur allmählich löste er sich von ihm ab. Wiederholt hatte er die Verwesung desselben, bis er zuletzt nur mehr in einzelnen Predigten und Kasualfällen aushalf. Für seinen späteren Hauptberuf war diese Verbindung mit dem Pfarramte von hohem Wert, sie schützte ihn vor einseitiger Gelehrsamkeit. In seine Doppelstellung arbeitete er sich übrigens rasch ein und fand bald den Beifall seiner beiden Vorgesetzten. In dem Jahre 1870, als Herr Pfarrer Löhe schon anfing gebrechlich zu werden, wurde er zur Unterstützung desselben zum Konrektor an der Diakonissenanstalt ernannt. Damals verehelichte er sich auch mit Fräulein Klara Alt, Tochter des Herrn Gerichtsdirektors Alt von Neuendettelsau, eine Ehe, die 18 Jahre lang währte und infolge mehrfacher Ursachen für ihn zu einer hohen Schule des Lebens wurde. Bald darauf starben auch, und zwar ziemlich rasch nacheinander, seine beiden väterlichen Freunde, Pfarrer Löhe und Inspektor Bauer; das war für ihn ein harter Schlag, er war plötzlich vereinsamt. Es brachen schwere Zeiten für ihn an, in denen er sich durch Bewährung in Treue und christlicher Selbstüberwindung Vertrauen und gesicherte Stellung zu erringen hatte. Mit Gottes Hilfe ist ihm die schwere Aufgabe gelungen, und er reifte in dieser Schule zu der geistlichen Tüchtigkeit, die man hernach an ihm schätzte, und zu der vertrauenswürdigen Persönlichkeit, als welche er in späterer Zeit allgemein anerkannt wurde.
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 Im Jahr 1875 wurde er zum Inspektor der Missionsanstalt ernannt, der er von da an bis zu seinem Tod vorgestanden ist. In dieser Stellung erlangte seine Persönlichkeit ihre besondere geschichtliche Bedeutung für engste, weitere und weiteste Kreise; er wurde der Stammhalter, Träger und Vertreter der Löhe’schen Anschauungen und Bestrebungen, fast im Gesamtumfang derselben. Zunächst suchte er in der Dettelsauer Gemeinde die Erinnerung an ihre große Vergangenheit so gut als es möglich war, zu erhalten, und in der That konnte man in seinen Festpredigten| und Leichenreden den Nachklang der früheren Zeit vernehmen. Mit den Jahren bildete sich seine eigene Persönlichkeit als Prediger heraus; seine Predigten textgemäß, aber nicht bibelstundenmäßig, pflegten einen Hauptgedanken deutlich herauszustellen und denselben nachdrücklich und kräftig zu erläutern; er predigte aus dem Leben heraus in der Schule von Pfr. Löhe war ihm das Auge dafür aufgethan worden und seine Beobachtungen verwertete er in seinen Predigten zum Nutzen der Hörer. Wenn er den Pharisäer oder Zöllner oder den ungerechten Haushalter zeichnete, so wurden Gestalten daraus, die da leibten und lebten. Aus langer pastoraler Thätigkeit kannte er genau die Anschauungsweise und Redeweise des Volkes. Auf beide ging er ein, gern verwendete er markante Bezeichnungen der Volkssprache, ohne daß er die Weihe des Tons verloren hätte, seine Rede war in edlem Sinn populär. Später kam seinen Predigten auch sein theologischer Unterricht an der Missionsanstalt zu statten und erfüllte sie mit wertvollem lehrhaftem Gehalt; denn darin gab er dem † Haupt der Missourisynode P. Walther recht, daß zur Erbauung die Lehre als ein Hauptmoment gehöre. Er behandelte die schwierigsten Materien in einer allgemein verständlichen Weise, so z. B. die Prädestinationslehre im Anschluß an das Buch des Lebens und an die Bücher des Gerichts in der Offenbarung. Die abstrakte Lehre von der heil. Dreieinigkeit wußte er bei einer Predigt über Röm. 11, 33 dadurch dem Herzen näher zu bringen, daß er nachwies, daß Gott nur als der Dreieinige der Gott unsers Heils sei; oder die Lehre von der Rechtfertigung, indem er an Gal. 3, 15 anschließend dieselbe als Annahme zu Kindern und Erben darstellte. Wenn es nötig war, scheute er sich auch nicht, in die Niederungen der Sünde und des Lasters herunterzusteigen. So gab er einmal eine zu ihrer Zeit höchst nötige Belehrung über die verschiedenen Stufen und Grade der Unzucht. – Bei all seinen öffentlichen Reden in der Gemeinde hatte er den Vorteil, daß er mit der Autorität eines Zeugen der großen Vergangenheit reden konnte. Manche von denen, welche die alte Zeit mit durchlebt hatten, erbaten es sich, daß er ihnen einmal die Leichenrede halte. Ein alter Schäfer, der bei einer Gefährdung der Stellung| Löhe’s geäußert hatte: die Bittschrift für ihn müsse man mit dem eigenen Blut unterzeichnen – war des festen Glaubens und äußerte ihn auch, daß seine Leiche einmal der Herr „Vikar“ halten müsse. Und wirklich kam es so. Mehrfach waren es gerade die schwierigsten Fälle, die ihn bei solchen Amtshandlungen trafen. Stets wußte er mit großem Takt seiner Aufgabe sich zu entledigen, Milde zu üben und doch der Wahrheit nichts zu vergeben. Ueberhaupt hatte er die Gabe, das rechte Wort zur rechten Zeit zu finden. Das zeigte sich besonders in den Aussegnungsreden seiner Zöglinge, am öffentlichsten vielleicht in seiner Predigt zum 50jährigen Jubiläum der Gesellschaft. – Wieder in anderer Weise als in seinen Predigten konnte er in seiner Lehrthätigkeit an der Missionsanstalt für die Bewahrung und Fortpflanzung des geistlichen Erbes von Dettelsau wirken, indem er eine große Anzahl von Schülern durch Unterricht, seelsorgerische Besprechungen und sonstigen Verkehr damit bekannt und vertraut machte. Freilich mußte er oft empfinden, wie wenig die Schilderung der Vergangenheit im stande sei, für die entschwundene Sache selber Ersatz zu bieten; aber in dem beschränkten Gebiet des Anstaltslebens selber war er bestrebt, die gute alte Weise der Dettelsauer Richtung festzuhalten und das gelang ihm auch trotz manchen Kampfes mit widerstrebenden Elementen. Sein Unterricht in den theologischen Fächern war ungesucht erbaulich und ein empfängliches Gemüt nahm aus den Unterrichtsstunden etwas für Herz und Leben mit. Doch war er nicht allein Lehrer, sondern zugleich auch Seelsorger seiner Schüler und väterlicher Versorger. Bei der vielfachen Berührung zwischen beiden Teilen bildete sich in den meisten Fällen ein persönliches Verhältnis aus, obwohl die Anstaltseinrichtung ein familienhaftes Zusammenleben nicht ins Auge faßt. An dem überkommenen Lehrstoff arbeitete er unablässig weiter und suchte sich auf der Höhe der Zeit zu erhalten. Besonderen Fleiß verwandte er auf die Darstellung der Ethik. Hier ließ er auch seine eigenen Lebenserfahrungen und die in seiner Prüfungsschule gewonnene Erkenntnis zu Wort kommen. In den sonntäglichen Abendgottesdiensten der Zöglinge pflegte er – wenn auch nicht ganz regelmäßig – kurze freie Vorträge| und Ansprachen über die Sonntagstexte zu halten, für welche ihm wohl Viele dankbar gewesen sind. Seine Arbeit war nicht erfolglos, wenigstens glaubte man draußen bei den Dettelsauer Sendboten mehr oder weniger eine gewisse Verwandtschaft und Familieneigentümlichkeit wahrnehmen zu können. Etwa 100 Sendboten sind während seiner Verwaltung nach den verschiedensten Gegenden hin ausgesandt worden. – Bei den vielen Ansprüchen, welche Unterricht, Verwaltung der Anstalt, Aussendung der Zöglinge an seine Kraft stellten, konnte er nur wenig wissenschaftlich thätig sein. Seine Hauptarbeit war die Herausgabe von Löhe’s Leben (Gütersloh, Bertelsmann, 3 Bde.). Bei vielen Abhaltungen und großer Menge des zu bewältigenden Stoffes rückte das Werk nur langsam vor und es wurde gegen das Ende in die Kürze gezogen. In welchem Maß die spätere Kirchengeschichtschreibung Gebrauch davon machen wird, ist abzuwarten. Als Darstellung einer bedeutenden kirchlichen Persönlichkeit auf Grund genauer persönlicher Bekanntschaft und reicher Verwendung der betreffenden Quellen wird es ohne Zweifel auch Späteren von Wert sein. Weiter ist zu nennen die von ihm besorgte Herausgabe der Löhe’schen Agende in 3. Auflage (Nördlingen, C. H. Beck’sche Buchhandlung, 1884), welches Werk durch einen beigegebenen Anhang („die kirchlichen Benediktionen“) eine schätzenswerte Bereicherung aus seiner Hand erhielt. Außerdem veröffentlichte er in den Jahresberichten der Anstalt kleinere Abhandlungen. Im vorigen Jahr durfte er sich an der günstigen Aufnahme der von ihm herausgegebenen Betrachtungen Löhe’s: „David und Salomo“ erfreuen. Seine letzte Arbeit war die gemeinsam mit seinem Bruder unternommene Neubearbeitung der Weber’schen Einleitung in die hl. Schrift, welches Buch er einer durchgreifenden exegetischen Revision unterzog. Die ersten Exemplare wurden kurz vor seinem Tode in das Haus gebracht. Er bekam sie leider nicht mehr zu sehen. Von Natur hatte er eine hervorragende Befähigung für wissenschaftliche Arbeiten, aber sein Lebensgang wies ihn mehr auf praktische Thätigkeit. Er hatte eine ausgesprochene Abneigung gegen jene Wissenschaft, die durch ein Bekenntnis der Unwissenheit in dem einen oder andern Punkt, oder durch das Zugeständnis einer bloß stückweisen| Erkenntnis sich zu kompromittieren fürchtet. Er fragte überall nach den sicheren Resultaten und war ungehalten, wenn ihm die Lektüre großer Ausführungen zuletzt doch nur winzigen Gewinn brachte. Bei seinen vielen anderen Geschäften, die ihn in Anspruch nahmen, sah er solche Mühsal fast als eine auferlegte Strafe an. Freude bereiteten ihm die in der letzten Zeit erschienenen Werke von Prof. Luthardt, seine Geschichte der Ethik, seine Auslegung des Römerbriefes.
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 Bald nach seiner Uebernahme des Inspektorats an der Missionsanstalt öffneten sich seiner Thätigkeit neue Thüren. Bisher waren nur nach Amerika in die Iowasynode Sendboten zur Sammlung der zerstreuten Glaubensgenossen geschickt worden, nun bat ihn auch eine australische Synode um Zusendung von Pastoren. 1875 ging der erste Sendling dorthin. Jetzt besteht eine ganze Dettelsauer Synode dortselbst und fast über ganz Australien sind Dettelsauer Zöglinge zerstreut. Ferner that sich im Jahr 1878 der Gesellschaft die lang geschlossene Thür zur Heidenmission wieder auf. Zunächst nur zur Mitwirkung an der Arbeit der austral. Immanuelsynode in Bethesda, welche Station unter der Pflege von Missionar Flierl zu einer lieblichen Oase in der Wüste sich gestaltete. Von hier aus geschah aber endlich der Schritt zur selbständigen Heidenmission; zunächst in Australien (Elim) dann in Neu-Guinea. Von allen Gesellschaften Deutschlands war die von Herrn Pf. Löhe 1849 gegründete Gesellschaft für innere Mission die erste, welche in den neu gewonnenen Kolonien die Hand an das Werk legte. Von jetzt an nahm sie in ihre Selbstbezeichnung auch den Zusatz „für äußere Mission“ auf. Durch alles dieses erfuhr der Umfang der Thätigkeit des dermaligen Missionsinspektors eine große Erweiterung und erlangte eine Bedeutung für Kreise, die bisher keinen Zusammenhang mit ihm gehabt hatten. Er trat in Beziehung mit den Vertretern der Missionsbestrebungen des ganzen evangelischen Deutschlands. Unvermerkt war er selber von Gott in die Heidenmission als seine Hauptthätigkeit hineingeführt worden. Damit hatte er den Höhepunkt in seinem Leben erklommen, freilich um den Preis doppelter Mühen. Er hatte jetzt nicht bloß seine Sache bei Missionsfesten zu vertreten und bei| Missionskonferenzen, sondern auch die Hauptlast der Arbeit und Sorgen des Werkes selber auf seine Schultern zu nehmen. Das wollte ihm manchmal zu viel werden, und er sehnte sich nach Gehilfen und Teilnehmern seiner Sorgen. Doch fand er viele und anhaltende Unterstützungen; noch in den letzten Tagen seines Lebens rühmte er das Vertrauen, das ihm Gott bei den Gläubigen gegeben hätte; er könne, meinte er, nun nach 10jähriger Arbeit mit dem Patriarchen sagen: „Ich hatte nicht mehr denn diesen Stab, da ich über diesen Jordan ging, und nun bin ich zwei Heere geworden.“ Das Beste aber war, daß er noch erleben durfte, wie der in die Heidenwelt ausgestreute Samen allmählich zu keimen und aufzugehen anfing. Uebrigens empfand er lebhaft, wie das Schwergewicht der Sorgen für die Mission einen heilsamen Einfluß auf seine geistliche Persönlichkeit ausübte, indem es ihm zu noch größerem Ernst in der Auffassung des Lebens behilflich war; Gleiches glaubte er bei seinen Berufsgenossen zu erkennen, was ihn mit Ehrfurcht vor ihnen erfüllte. – Während so sein Leben die Richtung aufs Allgemeine und in die Ferne nahm, hörte er doch nicht auf, der Dettelsauer Gemeinde Teilnahme für ihr Wohl zu widmen. Neben vielfacher geistlicher Bedienung bekleidete er auch ständig das Amt eines Kirchenvorstehers und stand als solcher in einer Konfliktszeit dem damaligen angegriffenen Pfarrer der Gemeinde treulich bei. Vielfach wurde er in schwierigen Fällen um Rat gefragt und gern diente er Jedermann. Als ein sogenannter Raiffeisenverein in der Gemeinde entstehen sollte, half er ihn mit ins Leben rufen und beteiligte sich auch dauernd an der Verwaltung, was ihm manches zum Teil schwere Opfer an Zeit und Kraft kostete. Es mag hier gleich bemerkt werden, daß er auch an der konservativen Bewegung Anteil nahm, wiewohl ihm zuletzt der agitatorische Charakter, der sich dabei bemerkbar zu machen anfing, mißfiel. Er nahm gerne und mit vollem Bedacht Anteil an den patriotischen Festen und erkannte dankbar an, was Gott mit den Erfolgen des Jahres 70 Deutschland geschenkt habe; er wurde von seiten der Gemeinde häufig zu Festreden bei solchen Gelegenheiten aufgefordert; er wußte dabei die Töne christlicher Vaterlandsliebe| anzuschlagen, auch das rechte Maß dabei einzuhalten. – Der Gemeinde und der Gesellschaft zugleich diente er durch monatliche Missions-Versammlungen der Gesellschaftsmitglieder innerhalb der Gemeinde. Für die Arbeit, die er besonders in den letzten Jahren daran wandte, wurde er durch reicheren Besuch derselben belohnt, der gar Manchem zu einer lieben Gewohnheit wurde. Dabei hörte er nicht auf, die Gemeinde an ihre Vergangenheit zu erinnern; mit einer Weihnachts-Predigt über die erziehende Gnade des Herrn, die uns anleiten soll, das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste zu verleugnen und mit der Gewissensfrage: Gemeinde von Neuendettelsau, wie steht es in diesem Stück mit dir? nahm er von ihr Abschied.
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 Oefters pflegte er in den letzten Jahren eine Aeußerung von Herrn Pfarrer Löhe anzuführen, in welcher derselbe mit einer gewissen Wehmut es aussprach, daß ihm Gott an persönlicher Lebensfreude nur ein geringes Maß habe zu teil werden lassen. Er konnte wohl das gleiche auch von sich sagen. Gleichwohl ließ ihm Gott doch manche besondere Erquickung zu teil werden. Er durfte zuletzt den größten Teil seiner Familie um sich sehen, so daß in gewissem Sinne die Verhältnisse der Jugendzeit wiederkehrten. Von der Mutter, mit der er manchen Zug gemeinsam hatte, die auch redlich Freud und Leid mit ihm geteilt und ihn oftmals aufgerichtet, hat er sich nie getrennt. Nach ihrem Tode pflegte er zu sagen: Mutterliebe geht über alle andere menschliche Liebe, um ihrer Selbstlosigkeit willen. Sie war ein von Jugend auf geistlich gerichteter Charakter, nüchtern, vor allem auf das geistliche Wohl der Ihrigen bedacht, von unbestechlicher Wahrheitsliebe auch gegen ihre Kinder, doch zu den Stillen im Lande gehörend; so hat er selber in ihrem Lebenslauf sie gezeichnet. Seit Oktober 1876 stand der von ihm berufene Bruder ihm als Mitarbeiter zur Seite. Den Mangel an eigenen Kindern ersetzte ihm der Umgang mit den Kindern seiner an den gleichen Ort gezogenen Schwestern. Eine freundliche Fügung Gottes war es auch, daß ein Freund der Familie, der ihr in schwerer Zeit treu beigestanden hatte, an die Spitze des Kapitels berufen wurde, der in freundlichster Weise die frühere Bekanntschaft erneuerte und pflegte. Hiebei sei gleich auch bemerkt,| daß er ein fleißiger und gern gesehener Besucher der Kapitelskonferenzen war und zur Förderung derselben das Seine redlich beitrug. Weihnachten 1895 lieferte er seine letzte Arbeit über Jesaja 7. – Im Jahre 1879 durfte er die 25jährige Jubelfeier der von Dettelsauer Sendboten gegründeten Iowa-Synode in Amerika mitmachen. Die fast halbjährige Ausspannung, die mancherlei neuen Eindrücke, die Liebe und Verehrung, mit der man ihm entgegenkam, wirkten wohlthätig auf sein ganzes Wesen. In gehobener Stimmung, mit erweitertem Gesichtskreis und mit manchen neuen Anschauungen und Erfahrungen bereichert, kehrte er heim; aber seine Reise brachte auch Gewinn für die gute Sache: das Bewußtsein der Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit hatte durch seinen Besuch auf beiden Seiten Neubelebung und Stärkung erfahren, man war einander näher gekommen. Besonders freute ihn auch die treue Teilnahme, welche die dortigen Brüder von da an seinem Missionswerk widmeten. Als er wieder in die alte Heimat nach Dettelsau zurückkam, fand er eine freudig bewegte Menge versammelt, die sich ungesucht zu seinem Empfang zusammen gefunden hatte. Im Jahre 1889 durfte er sein 25jähriges Amtsjubiläum feiern. Quod vixi tege, quod vivam rege (Was ich gelebt, das decke zu, was ich noch leb’, regiere Du) sagte er damals. Die Gesellschaft ehrte seine Treue durch eine besondere Anerkennung. Im Jahre 1888 war seine Gemahlin nach längerem Leiden, in welchem er ihr treu zur Seite gestanden war, gestorben. Seine verwitwete Schwester zog später in das Haus und nahm der alten Mutter die Führung des Haushaltes und die Sorge für sein leibliches Wohl ab. Um diese Zeit siedelte auch sein von ihm hochgeschätzter und verehrter Schwager, Seminarinspektor D. Zahn, nach Neuen-Dettelsau über, und der Umgang mit ihm brachte ihm manche Anregung und Erquickung. Er war ein großer Freund der Musik; schon als 9jähriger Knabe hatte er in der heimatlichen Kirche beim öffentlichen Gottesdienst die Orgel gespielt. Später erzählte er noch oft von dem Genuß, den ihm die Teilnahme am akademischen Gesangverein in Erlangen unter Leitung von Prof. Herzog gebracht hatte. Lange hatte er diesen Genuß entbehren müssen, aber nun| war Gelegenheit zu gemeinsamen Gesang gegeben, und es waren für ihn nun immer rechte Erquickungsstunden, wenn er an Sonntagen gemeinsam mit den Verwandten die Chöre aus dem Messias von Händel oder der Messe von Haßler und Gesänge italienischer Meister oder ausgewählte Stücke von Mendelssohn singen durfte. An Fest- und Abendmahlstagen pflegte er auch im Gottesdienst gern die Liturgie desselben zu singen, feierlich, mit wohlklingender Stimme zur Erbauung der Gemeinde. Ein Lieblingsgesang von ihm war die Arie aus dem Messias: Sie schallt, die Posaune, und die Toten erstehen unverweslich. Es traf sich, daß die betreffende Lektion auch an seinem Grabe gelesen wurde. – Abgesehen vom Verwandtenkreis pflegte er auch Geselligkeit mit seinen am gleichen Ort wohnenden Amtsbrüdern; alle Woche versammelte er sich mit ihnen im Missionshause zu einem wissenschaftlichen Kränzchen, worin er zumeist der Gebende war. Hier kam recht oft der fröhliche Zug in seinem Wesen zum Durchbruch; er hielt etwas auf die Pflege der Gemeinschaft, und hat dieses Kränzchen bis an sein Ende aufrecht erhalten. – So konnte man auf einen stillen, ruhigen letzten Abschnitt seines Lebens hoffen. Aber das letzte Glück blieb nicht lange ungemischt. 1891 starb nach wiederholter Erkrankung die treue Mutter. Er hatte ihr die aufopferndste persönliche Pflege zu teil werden lassen; von der körperlichen und gemütlichen Aufregung, die damit verbunden war, hat er sich, wie es scheint, nicht mehr ganz erholen können. Es folgte noch die erhebende Feier des 50jährigen Jubiläums der Gesellschaft in Gunzenhausen, wobei als Vertreter der Iowa-Synode Professor Fritschel anwesend war, der mit Verwunderung die große Volksmenge sah, die sich zu diesem Fest versammelt hatte. Mit Freuden war auch er selber immer zu dem Jahresfest nach Gunzenhausen geeilt. Er liebte das Volk im Altmühlthal und wußte mit ihm zu verkehren. Zu Pfarrer Löhes Zeiten pflegten Altmühlbewohner an den hohen Festen in ganzen Scharen nach Dettelsau zu pilgern. Ihnen galt der Verstorbene als der geistliche Erbe Löhe’s und war als solcher ihnen ehrwürdig. Im Jahr 1893 durfte er noch die Missions-Anstalt ausbauen. Diese Unternehmung war für ihn mit viel Mühe verbunden,| da der Baumeister nicht am Ort wohnte. Betreffs der Schwierigkeiten des Lebens war er um eine Erfahrung reicher geworden; aber es war ihm doch gelungen, die Freunde hatten kräftig beigesteuert, und er konnte sich doch etliche Jahre noch des Gewinnes, den ihm seine Mühe brachte, erfreuen. – Aber von nun an begann es einsamer und einsamer zu werden. In rührender Weise hatte er die Gemeinschaft mit den alten Freunden Löhes und den Stammhaltern der Gesellschaft gepflegt. Da starb einer nach dem anderen; der treue Rechnungsführer der Gesellschaft, der die Unterstützungen nicht nur verrechnete, sondern auch erbetete, der Kaufmann Max Löhe, Bruder von Herrn Pfarrer Löhe. Dann sein alter, treuer Obmann Pfarrer E. Stirner, der dem Werk seines Freundes Löhe die lebendige Teilnahme bis ins höchste Alter bewahrte. Dann der Freund und Mitkämpfer Löhes und Helfer an seinem Werk, Pfarrer Volk. Da meinte er: nun sind die Vordermänner weg, jetzt stößt der eisige Wind an uns. Da er der einzige Repräsentant der alten Zeit war, wurde ihm zu seinen anderen Aemtern auch die Obmannschaft über die Gesellschaft übertragen. Fast allen alten Freunden gab er das Geleit zum Grabe. Auch die treuen Männer, welche bis dahin den Mittelpunkt der Lokalgesellschaft in Nürnberg und Bayreuth gebildet hatten, Buchbindermeister Arndt und pens. Bankdiener Felbinger mußte er heimgehen sehen. Im Jahre 1895 starb auch sein geliebter Schwager, nach langem, das Gemüt in ängstlicher Spannung haltendem Leiden. Alle diese Todesfälle machten auf ihn einen tiefen Eindruck, zumal er bei seinem sonstigen männlichen Wesen von weichem, teilnehmendem Gemüte war. Im letzten Jahr klagte er mehrfach über Ermüdung; von einem Gebirgsaufenthalt versprach er sich Erholung, und seine Gebirgsreisen, die er immer mit großer Lust unternahm und auf denen er auch viele Freude genoß, hatten ihn auch immer bisher neugestärkt an die Arbeit gehen lassen; aber die ungünstige Witterung brachte nur eine halbe Erholung. So ging er müde ins neue Semester hinein, es war sein letztes. Am ersten Weihnachtstage hatte er noch gepredigt. Ein asthmatischer Anfall in der Nacht des 3ten Weihnachtsfeiertages, dem ein langjähriges tieferes Leiden zu Grunde lag, erweckte| in ihm Todesgedanken. Nach 8 Tagen kam eine Wiederholung. Jetzt begannen die Seinen und er selber ernstlich an Fürsorge für seine angegriffene Gesundheit zu denken. Allein nach 5 Tagen kam ein neuer Anfall, so stark und schmerzhaft und andauernd, daß er später ihn selber als seinen Todeskampf bezeichnete. Er ließ sich vorbeten: Wenn ich einmal soll scheiden u. s. w.; die Zöglinge waren geweckt worden und wir riefen gemeinsam Gott um sein Leben an. An zehn Stunden dauerte der Anfall, der seine Kraft in einer Nacht brach. Er erklärte, sich gar keiner Sache mehr annehmen zu können. Es folgte ein 14tägiges, durch stete Unruhe schweres Krankenlager, erleichtert durch kurze Erquickungszeiten göttlicher Gnade, durch die treue Pflege seiner Schwestern und seines geliebten Neffen, durch viele Beweise persönlicher Teilnahme, wie er sie nicht erwartet hatte, so daß er in seiner bezeichnenden Weise äußerte, die gefrorene persönliche Teilnahme sei aufgetaut. In der Zeit seiner Ermüdung wollte manchmal bei besonders unangenehmen Vorfällen Ueberdruß an diesem Leben über ihn kommen, daß er sich fortsehnte, ähnlich wie es bei der ihm vorangegangenen Mutter der Fall gewesen war. „Willst Du denn nicht auch gern bald aus diesem bösen Leben heimgehen?“ hatte diese einst in einer stillen Stunde ihrer Krankheit ihn gefragt. Aber es waren doch viele Gründe, die sein längeres Leben wünschenswert machten, und das trug er auch oft Gott im Gebet vor. Aber er weigerte sich auch nicht zu scheiden, nur bat er um Verschonung mit langem Leiden. Das letztere Gebet erhörte Gott. Mit Ernst und wiederholt verlangte er von den Seinen, daß sie ihm über seine Lage die volle Wahrheit nicht verschweigen sollten. Er wollte von seinem Ende nicht überrascht werden, sondern vorbereitet ihm entgegen gehn, und dies gab ihm Gott auch. Vorher schon hatte er von den Vertretern der Gesellschaft Abschied nehmen dürfen, von denen eine Anzahl zu einer gerade in diese Zeit fallenden Hauskonferenz des Diakonissenhauses sich versammelt hatten. Jetzt auch von den Seinen. Es war am 3. nach Epiph., am Tag vor seinem Tod. Sein Zustand war damals wunderbar, dem Leib und dem Geiste nach. Er war ganz wie in den Tagen seiner Gesundheit und doch war es| wieder nicht die gewöhnliche Weise, in der er redete, da er aussprach was sein Herz erfüllte, seinen letzten Willen kundgab und Abschied nahm, voll gehaltener Ruhe, während Alles um ihn weinte. Er sprach als einer, der den Fuß schon auf die Schwelle der Ewigkeit gesetzt hatte. Im Blick auf das Leid seines Lebens, so bekannte er, sei der Grundton seiner Stimmung: „Meine Schuld, meine große Schuld.“ Er bezeichnete sich als einen ungetreuen Knecht. Wer ist vor Dir gerecht? Er hieß den Gliedern der Gesellschaft sagen, daß er sich als armen Sünder bekenne, daß er aber auch im Glauben an die Gnade stehe, an der er, wie er mit Dank gegen Gott aussprach, nie gezweifelt habe. Er hieß die Brüder in der Nähe und Ferne grüßen, und redete dann noch manches herzliche Wort mit den Seinen. Es war ein Aufleuchten der letzten Lebenskraft, wie bei manchem Frommen des alten Testamentes. In der Nacht auf den Montag steigerte sich die Pein der Schlaflosigkeit bis zum Unerträglichen. Da betete er: „Laß ab von mir, Herr, daß ich mich erquicke, ehe denn ich von hinnen fahre. Du hast mir ein reiches Maß von Leiden eingeschenkt nach Deiner Gerechtigkeit, erquicke mich nach Deiner Barmherzigkeit.“ Da schenkte ihm Gott gegen Morgen die Gnade eines halbstündigen tiefen Schlafes, welchen er in der Frühe den Seinen als eine Erquickuug aus dem Paradies rühmte, und daher stammte sie auch, wiewohl die Seinen sein Ende nicht so nahe dachten. Kurz vor 10 Uhr empfing er noch den Besuch des Vorstandes vom Diakonissenhaus, dessen ganze Gemeinde herzlichen Anteil an seiner Krankheit genommen hatte; als derselbe unter anderem zu ihm sagte: „Nicht allein wir – die Kirche des guten Bekenntnisses, so weit sie von Ihrer Erkrankung weiß, betet, daß der HErr in dieser letzten bösen Zeit Seinen Knecht ihr erhalte,“ antwortete er: „O wie viele Teilnahme, gefrorene Teilnahme ist in dieser Schmerzenszeit aufgetaut. Der HErr hat mich schwer getroffen, mich an Mark und Bein geschüttelt, aber die viele treue Teilnahme thut wohl.“ Als Herr Rektor mit dem Worte: „Auf Dich habe ich gehoffet, HErr, zu Schanden werde ich nicht in Ewigkeit“ von dem Kranken sich verabschiedete, erwiderte dieser: „Ja, so soll’s ein, mag Er mich lassen oder nehmen. Gott sei mit| Ihnen.“ Sein Antlitz war dabei von besonderem Glanz überstrahlt, und es gelang ihm auch noch, für seine Gedanken, wenn auch unter Mühen, den klaren und bezeichnenden Ausdruck zu finden; es machte sich aber schon seit dem Frühstück eine auffällige Schlafsucht bemerkbar, ohne daß er in rechten Schlaf kam. Um 11 Uhr begehrte er in einen anderen Stuhl gebracht zu werden. Als man dazu Anstalt machte, äußerte er, es sei ihm augenblicklich nicht recht gut. Da unterließ man es und wollte Stärkung bringen, er wehrte ab und wiederholte noch einmal: es ist mir gar nicht gut. Eine kurze Zeit folgte schweres Atmen und während die Seinen ihn ängstlich ansahen, begann er bereits das Haupt zu neigen. Ohne Schmerzenslaut, in den Armen von Schwester, Bruder und Neffen, die für seine Seele den Herrn anriefen und über ihn klagten, hauchte er seine Seele aus. Er hatte sein Leben gebracht auf 54 Jahre 4 Monate und 23 Tage. Seine letzte Predigt hatte er mit den Worten geschlossen: „Laßt uns beten, daß die heilsame Absicht der an Weihnachten erschienenen Gnade an recht vielen erreicht und recht viele in dieser Gnadenzeit gesammelt werden zu einem Volk, das hier an der Krippe und unter dem Kreuz und dort vor dem Throne steht, feiernd und anbetend Immanuel seinen Erlöser, seinen großen Gott, hochgelobt in Ewigkeit. Amen.“ In der letzten Gesellschaftsversammlung hatte er geredet von der unzählbaren Schaar, Offenb. Joh. 7, die aus der großen Trübsal kommt, und vor den Thron des Lammes tritt, und mit den Worten des Liedes: Wer sind die vor Gottes Throne, Nr. 564: Dahin streck auch ich die Hände, o Herr Jesu zu Dir aus u. s. w. geschlossen. In seiner letzten Dogmatikstunde behandelte er den Abschnitt von den letzten Dingen; da pflegte er zu sagen: Vom Weltmenschen heißt es, er muß fort – vom Frommen, er kommt heim. Dem Lebensalter nach gehörte er noch zur gegenwärtigen Generation – seinem inneren Wesen nach aber zu der bereits vergangenen, die der Herr schon zur Ruhe eingeführt hat. Hatte er ihnen doch fast allen das Grabgeleite gegeben, zuerst Herrn Pf. Löhe und Inspekt. Bauer, dann Pf. Fischer, Obmann Wucherer und den andern schon genannten. Es sieht aus, als wolle eine neue Zeit anbrechen. Gott gebe, daß sie das| Erbe der Vergangenheit bewahre und zu Seiner Ehre noch hinzufüge!

 Der selig Entschlafene war ein männlicher Charakter, aber ohne Härte, maßvoll und das Recht des Andern achtend. Er drängte sich nicht hervor, vergab sich aber auch nichts, und wich von der Linie, die er sich vorgezeichnet hatte, nicht ab, doch mied er alles Verletzende. Schweigend hat er viel getragen; er sah der Wirklichkeit ins Angesicht und war bestrebt, die Dinge beim rechten Namen zu nennen, wenn auch in schonender Form. In seinem Verfahren gegen seine Schüler bewies er außerordentliche Geduld. Friedfertiger Natur an und für sich, hatte er doch manchen Strauß und Kampf zu bestehen, mit der Klöter’schen Bewegung und den Irvingianern. Auch der Kulturkampf ging nicht spurlos an ihm vorüber. In kräftigeren Jahren erfrischte er sich wohl in einem Ausbruch gerechten Zornes. Bei seinem letzten Geburtstag aber meinte er, er müsse milder werden im Auftreten, wenn auch stark sein in der Sache. Er verlor sich nicht ins Kleinliche, in Geschäften aber war er gewissenhaft, pflegte gern das alte, auch von Pfarrer Löhe oft gebrauchte Wort anzuführen: „Treue im Kleinen ist eine heroische Tugend“; und Treue war seine größte Tugend. Er war treu im Beruf, treu den Freunden und ihren Kindern, treu seinen Schülern, treu seinem Werk, er war treu der alten Mutter, treu seinen Geschwistern, an denen er Vaterstelle vertrat, und deren Ehen bis auf eine er selber alle einsegnete, treu den Verwandten. – Treu bewahrte und vertrat er das überkommene geistliche Erbe, treu war er seinem Herrn und Gott. Schwankungen in der Stellung zu seinem Gott konnte menschliches Auge wenigstens nicht wahrnehmen; darum konnte er anderen ein Halt sein; doch was er war, das dankte er der Gnade Gottes, dem wir allein die Ehre geben wollen, wenn wir über dem Verstorbenen sagen:

Wohl dir, du Kind der Treue,
Du hast und trägst davon
Mit Ruhm und Dankgeschreie
Den Sieg und Ehrenkron.
Gott gibt dir selbst die Palmen
In deine rechte Hand,
Und du singst Freudenpsalmen
Dem, der dein Leid gewandt.

|  Der Tag seines Begräbnisses vereinigte eine große Schar von Nah und Fern, die ihm die letzte Ehre erzeigen wollte. Seine Zöglinge hatten es sich nicht nehmen lassen, ihm die letzte Ehre zu erweisen und seinen Leichnam zu Grabe zu tragen. In seiner Krankheit hatte der Verstorbene wiederholt seine Freude über die schonende Rücksicht, die sie auf ihn nahmen, ausgesprochen. An seinem Grabe pries Herr Rektor Bezzel das Glück, daß er nunmehr das Geheimnis der Erlösung sehen dürfte, nachdem er durch das Kreuz den Sieg erlangt habe. Herr Pfarrer Omeis, als Vertreter der Gesellschaft, rühmte ihn als eine Säule und Stütze derselben und hieß darin Trost für den Verlust finden, daß ja der HErr es sei, der ihn hinweggenommen, ER, der auch wieder Stützen geben könne. Missionszögling Bergold gedachte seiner als eines Vaters seiner Zöglinge und sprach im Namen seiner Mitschüler den Vorsatz aus, in ihrem Herzen ihm ein bleibendes Denkmal errichten zu wollen. Der Prediger in der Kirche, Herr Pfarrer Sabel hieß die Leidtragenden, die Schüler und die Gemeinde dieses plötzliche und unerwartete Eingreifen Gottes als eine Mahnung erkennen, zum HErrn sich aufzumachen, für allen Schmerz gebe es bei Ihm Trostworte des ewigen Lebens und nur bei Ihm sei das Leben. Herr Dekan Elsperger, der Vorstand des Kapitels, den der Verstorbene vor seinem Ende auch noch bei sich sehen hat dürfen, brachte die Teilnahme und Anerkennung des Entschlafenen seitens seiner hohen kirchlichen Vorgesetzten zum Ausdruck, dazu auch die seiner Kapitelskollegen, die sich zahlreich an der Feier beteiligt hatten, wie auch viele Mitglieder der Gesellschaft und andere Freunde trotz großer Hindernisse erschienen waren. Er bezeichnete ihn als ein helles Licht, angezündet allein durch die Gnade, und forderte nach 2 Tim. 2, 1–2 auf, das von ihm empfangene geistliche Erbe zu bewahren und zu pflegen. – Das stille Grab hat sich über ihm und seiner Wirksamkeit geschlossen, mögen nun die Früchte derselben aufgehen und sein Gedächtnis grünen, daß das Wort sich an ihm erfülle: des Gerechten wird nimmermehr vergessen werden. „Siehe wir preisen selig, die überwunden haben.“ Sein Gedächtnis bleibe im Segen – ihm selber leuchte das ewige Licht. Amen.




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Worte am Grabe,
gesprochen von Herrn Rektor Dr. Bezzel.




 Mit der Kirche nicht bloß der engeren Heimat, mit der ganzen Kirche unsres Bekenntnisses trauert die Diakonissen-Anstalt Neuendettelsau über den Heimgang eines erwählten Zeugen.

 Der älteren Schwesteranstalt, mit der sie in Löhe ihren geistlichen Vater dankbar ehrt, spricht die jüngere Schwester darüber Beileid aus, daß Gott die Krone ihr vom Haupte und den Herrn von ihrer Seite genommen hat. Dem treuen Manne, der fünf Jahre lang in den letzten Zeiten des sel. Pfarrers Löhe (1867–1872) dem Mutterhause seelsorgerliche und unterrichtliche Hilfe leistete, dankt dasselbe von ganzem Herzen im Namen der Schwestern, die an dem Heimgegangenen Rat und Halt gefunden, im Namen auch der früheren Schülerinnen, denen er Wegweiser zu ihrem Heiland gewesen.

 Möge Er den heimgegangenen Gottesknecht, den sein Herr am Tage der Bekehrung St. Pauli abgerufen hat, das Geheimnis des Kreuzes, das er in Wort und Werk so beweglich pries, jetzt in seligem Lichte schauen lassen und so den Ertrag seines Lebens auch uns sichern, daß wir im Kreuze und unter dem Kreuze getreu einst den Triumph des Kreuzes feiernd begehen dürfen. Amen.




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Rede des Vertreters der Geselllschaft,
des Herrn Pfarrers Omeis.




 Tief erschütternd war es, als die Nachricht kam, unser lieber Herr Obmann ist schwer erkrankt; tief erschütternd vollends, als es hieß: er ist gestorben! Klagerufe möchte man ausstoßen und jammern, daß dieser Mann, der so vielen zum Segen gesetzt war, nicht mehr unter uns weilen darf. Aber solches geschieht auch vom Herrn Zebaoth. Der Herr wirft die Säulen um, er läßt die Großen dahinsinken, die Stützen brechen; aber Er thut’s, nicht der alte, böse Feind, das wäre zum Erschrecken, es thut’s der Herr Zebaoth. So liegt bei großem Leid ein süßer Trost, denn was Er thut, muß recht sein. Aber uns ist sein Rat wunderbarlich. Wir verstehen Gottes Gedanken nicht gleich. „Was ich thue, weißt du jetzt nicht, du wirft es aber hernach erfahren.“ Alles führt der Herr herrlich hinaus, der Herr kann Mauern bauen, Säulen ausrichten, Stützen erstehen lassen auch für unsere Anstalt, für unsere Gesellschaft. Und ihn selber, den er niedergelegt hat, wird er ja auch wieder aufrichten, nicht in Schwachheit, sondern in Kraft.

 In tiefer Wehmut, aber auch in aufrichtiger Dankbarkeit gegen Gott, der an dem Entschlafenen und durch den Entschlafenen Großes gethan hat, lege ich namens der Gesellschaft diesen verwelklichen Kranz auf sein Grab. Herr, verleihe du ihm den Ehrenkranz, der unverwelklich ist, und lasse den dahingeschiedenen Bruder wohnen und bleiben bei dir und bei denen, die Kronen tragen. Amen.




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Nachruf
von dem Riegenmeister der Missionszöglinge K. Bergold.




 Im Namen der Missionszöglinge, meiner Brüder, lege ich diesen Kranz als ein Zeichen unserer Liebe an dem Grabe unseres nun seligen Herrn Inspektors nieder. Wir wissen, was wir an ihm verloren haben: nicht nur einen hochbegabten Lehrer, sondern auch einen treuen Vater und Berater. Uns trifft der Verlust mit am nächsten, aber wir trösten uns des HErrn, der zu seinen Jüngern gesagt hat, als er im Begriff war, von ihnen zu scheiden: „Ich will euch nicht Waisen lassen, ich komme zu euch.“ Dieser HErr wird auch für uns weiter sorgen. Unserm lieben Herrn Inspektor aber wollen wir in unserm Herzen ein Denkmal setzen, das dauerhafter ist als Erz und Stein: wir wollen nicht vergessen, daß wir seine Schüler gewesen sind. Für seine Arbeit an uns möge ihm der HErr ein reicher Vergelter und großer Lohn sein.




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Predigt in der Kirche
über Joh. 6, 68,
gehalten von Herrn Pfarrer und Ortsgeistlichen E. Sabel.




 Liebe Leidtragende!

 Es ist mir nicht leicht, heute zu Euch zu reden, da Trauer auch mein Herz ergriffen hat, und es mir beim Andenken an den teuren Entschlafenen lieber wäre, schweigen und die Gefühle, die mein Herz bewegen, in Thränen äußern zu dürfen, anstatt in Worten. Aber mein Amt erfordert es, daß ich zu Euch rede, tröstend, mahnend. Und wahrlich, es gibt Trost bei dem HErrn für alle, die an ihn glauben, Trost, auch wenn das Leid noch so groß ist. Und darum kommen wir gebeugten Hauptes zwar und betrübten, ja zerrissenen Herzens, aber wir kommen zu dem HErrn und sprechen zu ihm mit Petrus:

 „HErr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“

 Das Leid, das Eure Herzen bekümmert, Ihr Leidtragenden, ist kein geringes. In ziemlich rascher Folge habt Ihr einen Verlust nach dem anderen erlitten. Der HErr, der lange Zeit gegeben hatte, hat nun genommen. Was Ihr jetzt an Eurem teuren Entschlafenen verloren habt, welch einen treuen Bruder, welch ein ehrwürdiges, für das leibliche und geistliche Wohlergehen der Seinigen sorgendes Haupt der Familie, das ist Euch selbst am besten bekannt. Und so unerwartet, so schnell kam sein letztes| Leiden; wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf Euch der erste Ausbruch desselben. Und unerwartet und plötzlich kam auch der Tod. Er starb gerade 25 Jahre nach seinem so hoch von ihm verehrten Meister, dem sel. Pfarrer Löhe, und in demselben Monat wie er, als der letzte von denen, die um diesen Großen in Israel sich geschart hatten.

 Mitten aus der Berufsarbeit heraus, ohne langes Siechtum, heimgehen zu dürfen, ist ein schönes Los. Euch aber, Ihr Leidtragenden, ist’s noch wie ein Traum, daß er von Euch gegangen ist, wie ein Traum, aus dem man glaubt, bald erwachen zu müssen und es dann anders zu finden. Ihr erwachet auch, aber zum Leide, Gott gebe es, auch zum Troste.

 „Wohin sollen wir gehen in unserer Not als zu ihm, unserem einigen Heiland und Helfer Jesus Christus,“ so durfte ich dem Entschlafenen noch am Tage vor seinem Tode zurufen, und o mit welcher Inbrunst erhub er seine Augen gen Himmel, mit welcher Sehnsucht seufzte er: „Ja, wohin sonst?“ – Sein Sehnen ist nun gestillt, er ist der Angst und Not entnommen, vor einem langen Siechtum, davor, daß er „eine unnütze Last der Erde werde“, wie er sich einmal sorgend ausdrückte, in Gnaden bewahrt worden. – Sein Ende kam schnell und unerwartet, aber nicht unbereitet fand es ihn; hatte er doch schon bei jenem schweren Anfall den Todeskampf durchgekämpft, hatte er doch damals schon seine Seele gestärkt an dem Aufblick zu dem einigen Heilande und ihn angerufen mit den Worten: „Wann ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir,“ und mit dem Liede, das wir vorhin gesungen haben, und das er selbst noch zu seiner Leichenfeier auswählte: „Wenn mein Stündlein vorhanden ist.“ Gereift in der Hitze der Trübsal – denn nur mit Grauen konnte er an die leibliche Qual jener schweren Nacht denken – durfte er heimgehen. Alles Sehnen seines Lebens ist damit zum herrlichen Abschluß gekommen, und so wird auch Euer Sehnen, Leidtragen und Trübsaldulden einst zum seligen Abschluß kommen, wenn Ihr in Eurem Herzen Euch entschließt, den zu suchen, der Euch heimgesucht hat, wenn Ihr mit Hosea (6, 1) sprecht: „Kommt, wir wollen zum HErrn, denn er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen, er hat uns| geschlagen, er wird uns auch verbinden“; wenn Ihr, trotz aller Bekümmernis Eures Herzens dennoch voller Liebe zum HErrn, mit Petrus ausrufet: „HErr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ „Wollt ihr auch weggehen?“ hatte der HErr die Zwölfe gefragt, als so viele aus dem weiteren Jüngerkreis an der „harten Rede“ sich ärgerten, daß er sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken geben werde. Sie glaubten nicht, sie wollten „ihre Vernunft nicht gefangen nehmen unter den Gehorsam Christi“; das schied sie von dem HErrn. „Wollt ihr auch weggehen?“ diese Frage ergeht nun auch an Euch in Eurem Leide und Eurer Trauer; wollt Ihr murren gegen die Schickung des HErrn, wollt Ihr Euere Herzen von ihm wenden als von einem, der Euch zu viel gethan habe? – Damals, als der HErr die Zwölfe frug, antwortete Petrus: „HErr, wohin sollen wir gehen?“ Doch nicht zu den Pharisäern mit ihrer Selbst- und Werkgerechtigkeit, doch nicht zu den Sadducäern mit ihrem Unglauben und ihrem Wohlleben doch nicht zu den Schriftgelehrten mit ihrer Buchstabenknechtschaft? Nein, „Du hast Worte des ewigen Lebens“, Worte, die uns den Weg zum ewigen Leben recht zeigen, ja die selbst, wie du eben gesagt hast, „Geist und Leben“ sind. – Sprechet auch Ihr also! Eure Freude sei, daß Ihr Euch zu Gott haltet und Eure Zuversicht setzet auf den HErrn (Ps. 73, 28). Tage tiefen Leides sind Tage der Entscheidung, oder für die, die sich bereits entschieden haben, Tage neuen Antriebs. O benutzet diese Leidens- und Kummertage und laßt Euch antreiben, immer mehr zu Jesu zu kommen, in eine immer innigere Gemeinschaft mit ihm einzutreten. Wenn wir uns sonst wohin wenden, kommen wir stets leer und unerquickt, ja unglücklich zurück, bei ihm, dem HErrn aber finden wir alles, was wir bedürfen für unsere müden und bekümmerten Seelen. Wir kommen zu ihm tiefgebeugt, und siehe, ein Lebenswort spricht er in unser Herz, daß wir getröstet werden, daß dem Leid der bittere Stachel genommen wird, daß wir Ergebung finden und Willigkeit geduldig zu tragen, was er uns auferlegt hat, daß wir gerade im Leide, wo sonst kein Friede ist, den wunderbaren Frieden Gottes spüren dürfen, welcher „höher ist, denn alle Vernunft“.| Ja, nicht bloß mit irgend einem Worte tröstet er uns, sondern er selbst, das ewige Wort Gottes, will mit dem Vater „zu uns kommen und Wohnung bei uns machen, so wir ihn lieben und sein Wort halten“. Das ist dann Trost über allen Trost. Da heißt es dann: „Mein Freund ist mein und ich bin sein“ (Hoh. 2, 16), da heißt es: Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentum noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur uns scheiden mag von der Liebe Gottes, die ihn Christo Jesu ist, unserem HErrn“ (Röm. 8, 38 und 39). Ja, gehet zu Jesu Christo, „dem Sohne des lebendigen Gottes,“ des Gottes, der als lebendiger mit seiner Treue auch über Eurem Leben waltet.

 Und Ihr, Schüler des Entschlafenen, die er mit seiner Geistesklarheit einführte in die Lehre unsrer teuren lutherischen Kirche, die er zubereitete zum Dienste derselben, zubereitete zu dem heiligen Amte, das reine und lautere Evangelium zu predigen in fremden Weltteilen, auch unter den Heiden, „gedenket eures Lehrers, der euch das Wort Gottes gesagt hat, sein Ende schauet an, seinem Glauben folget nach!“ (Ebr. 13, 7). Jesus Christus der Gekreuzigte war der Inhalt der apostolischen Verkündigung, er sei auch einst der Inhalt der Eurigen! Damit Ihr aber recht von ihm reden, damit Ihr von ihm zeugen könnt, klar, entschieden, freudig, so gehet zu ihm und lernet, daß er und nur er Worte des ewigen Lebens hat.

 Und du, Gemeinde Neuendettelsau, die du an dem Entschlafenen auch viel verlierst, an ihm, der so bereitwillig dir diente, der einst als Gehilfe Löhes an dir arbeitete, und der seit dieser Zeit nicht abließ, deinem Wohlergehen, deiner Entwickelung im Glauben, in der Liebe, in der Heiligung herzliche Aufmerksamkeit zuzuwenden, der so gerne bereit war, des heiligen Dienstes in deiner Mitte zu warten, am Altar den gesegneten Kelch darzureichen, oder in Predigten dich zu vermahnen als einer, der am längsten und darum am besten dich kannte, o Gemeinde, gedenke seiner, gedenke der Ermahnungen, die er so manchesmal an dich gerichtet hat! Wie ein Abschiedswort klang es, als er vor kurzem in der Festpredigt am 1. Weihnachtstage| auf dieser Kanzel stehend in die Worte ausbrach: „Gemeinde von Neuendettelsau, wie steht es mit dir? Lässest du dich durch die heilsame Gnade Gottes ‚züchtigen‘, erziehen ‚zur Verleugnung des ungöttlichen Wesens und der weltlichen Lüste, zu einem züchtigen, gerechten und gottseligen Leben‘?“ Abschiedsworte waren es, ohne daß irgend jemand dies gedacht hätte. Diese seine letzten Worte an Euch, die ernsten Mahnungen, die er an jene Frage knüpfte, behaltet sie in Euren Herzen und laßt Euch durch dieselben ermuntern zum Eifer in der Heiligung! – Auch Ihr sollt sprechen: „HErr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ Der HErr zwingt niemanden zu seiner Nachfolge, er hat jene Jünger, die sich ungläubig von ihm abwandten, nicht aufgehalten, sondern weggehen lassen. O daß dieses Gericht, ein selbstverschuldetes, keinen unter Euch treffen möge! Es ist ja kein Heil, außer bei dem HErrn, nur bei ihm ist „Leben und volle Genüge“. Darum kommet zu ihm und bleibet bei ihm: Ihr werdet es nie bereuen, Seligkeit und Herrlichkeit wird Euer ewiger Lohn sein; denn „vor ihm ist Freude die Fülle und liebliches Wesen zu seiner Rechten ewiglich“ (Ps. 16, 11).

 Wer im HErrn stirbt, dem scheint wohl „die Sonne nicht mehr, und der Glanz des Mondes leuchtet ihm nicht, aber der HErr wird sein ewiges Licht und sein Gott wird sein Preis sein“ (Jes. 60, 19). Darum:

„HErr Jesu zeuch hier
Uns alle zu dir.“ 
Amen.