Zedler:Verjährung einer Erbschafft, oder der Verlassenschafft eines verschollenen Menschen
Verjährung einer Erbschafft, oder der Verlassenschafft eines verschollenen Menschen. Es ist bekannten Rechtens, daß eines verschollenen Menschen, oder eines solchen, von dem man nicht weiß, ob er gestorben, oder wo er sonst hingekommen, hinterlassenes Vermögen, nach dem Ablauffe einer gewissen Zeit von Jahren, dessen nächsten Anverwandten und Erben überlassen werden solle. Nur ist noch die Frage, wenn und nach wie vieler Zeit eigentlich eines solchen verschollenen Menschen seine Verlassenschafft, dessen Verwandten zuzueignen? Und möchte es zwar wohl scheinen, daß, über der Zeit, nach welcher ein Abwesender, vor einen Todten zu achten, ein fast unendlicher Streit unter denen Rechtsgelehrten, entstanden; indem einige die Rechnung auf die Zeit der Abwesenheit, andere auf die Zeit des Alters setzen, und, so viel jene betrifft, verschiedene wiederum auf verschiedene Meynungen und Zeit-Fristen verfallen; wie dann von jenen einige eine fünfjährige Abwesenheit vor hinlänglich achten, nach deren Ablauff die Güter, jedoch unter Caution, an die Miterben zu vertheilen, Klockius Vol. III Cons. 116 n. 5. 27. und de Aerario Lib. II. c. 48. Finckelthaus observ. pract. III n. 6. Andere hingegen auf zwantzig Jahre, als eine lange Zeit, Cravetta cons. 127 in fin. Lyncker cons. V n. 6. 11. wieder andere auf dreyßig Jahre, als die längste Zeit verfallen, Besoldus Vol. IV cons. 167 n. 98, noch andere auf 40 Jahre, als eine ausserordentliche Zeit, zielen, Richter decis. 66 n. 11, mithin auf die Zeit der ordentlichen Verjährung ihr Absehen richten; da hingegen die obgedachte leztere, welche auf die längste oder gemeinste Lebenszeit gehen, entweder ein Alter von 60 Jahren, Lyncker cons. V n. 5, oder auch von 70 Jahren, abzuwarten glauben. Carpzov Part. III cons. 15 def. 57. Barthius in juris dissensuum cent. V n. 439. Von welchen aber gleichwohl wiederum diejenige abgehen, welche die denen abwesenden Eheleuten gesetzte Zeit, wieder zu heyrathen, auch hieher auf die Erbschafften, gezogen wissen wollen. In denen gemeinen Rechten aber findet sich hieselbst wiederum ein sehr grosser Abfall, indem anfangs so gar auch einem Soldaten-Weibe genug ist, wenn sie nach der Gefangenschafft ihres Ehemanns das vierte Jahr abgewartet, l. 7 uxur. C. de repudiis. Worzu noch eins, das ist, das fünfte Jahr, in der Novella XXII cap. 7 zugesetzet, bis endlich in der Novella CXVII cap. 11 gar eine fast unendliche Zeit dergestalt versehen worden, weil dem ausser der Gefangenschafft befindlichen Ehegatten bey Straffe des Ehebruchs, nicht ehender sich wieder zu verheyrathen, erlaubet, als bis sie von ihres Mannes Ableben einen Toden-Schein beygebracht haben [899] würde: Welches letztere aber Zweiffels ohne aus der Meynung gekommen, als wenn die Ehe vor ein unzertrennliches Sacrament, gleich Christo und seiner Braut, der Kirchen, zu halten wäre; da hingegen andere in der Besorgniß stehen, es möchte der Abwesende in einer ewigen oder langwierigen Gefängniß oder Gefangenschafft gehalten werden, welchem das Seinige, ohne sein Verschulden zu nehmen, der blossen Zeit halben, schwer und unbillig fallen würde. Dieweilen aber Anfangs entweder, in Entscheidung dieser Sache auf die Verjährung oder auf die beyläuffige gemeine Lebenszeit des Menschen zu sehen; diese letztere aber deswegen sehr unbillig; alsdenn herauskommen würde, wenn ein Abwesender solches Ziel, von 60. 70 oder mehrern Jahren überlebet und bey seiner Zurückkunfft gewahr werden müste, daß seine Anverwandte ihn, bey lebendigem Leibe, vergraben oder das Seine geerbet hätten, da doch von einem Lebendigen nichts geerbet werden kan; da hingegen der Abwesende sich dieses nicht entgegen seyn lassen mag, wenn nach abgelauffenen dreyßig Jahren das Seinige pro derelicto und vor verjähret geachtet wird; theils, weil er sich selbsten zuzumessen, daß er in so langer Zeit, welche 30 Jahr die Deutschen ein Seculum heissen, und deswegen alle Verjährungen, auf dreyßig Jahr gesetzet, nach demjenigen, was sein gewesen oder sein werden können, keine schrifftliche Nachricht gesuchet oder eingezogen; mithin, nach dieser abgelauffenen Frist solches alles sich verjähret und der Verjährung halber dessen nächsten Anverwandten zugetheilet worden, mit beygefügter Ursache, weil, nach dreyßig Jahren solches man pro derelicto dergestalt angesehen, als wenn der Anwesende sich davon loßgesaget. Wobey nachgehends, jetzigen Zeiten nach, diese Verjährung desto billiger wird; weil nunmehro, nach eingeführten ordentlichen Posten, es um so viel unmöglicher zu seyn scheinet, daß in solchen Zeiten dem Abwesenden alle Briefe verlohren gegangen seyn mögen. Im Falle aber der Abwesende weder selbsten schreiben, noch durch andere schreiben lassen wollen, hat er den Schaden seiner eigenen Nachläßigkeit um so viel billiger zuzuschreiben. Worzu ferner noch die in vorigen Zeiten ungewöhnliche und unzuläßige Weise der Residenten, und beständigen Gesandschafften kommet, bey welchen nicht weniger leichtlich ein Brief an die Landsmannschafft, unter zu bringen; des Gewerbes durch die gantze weite Welt nicht zugedencken, so jetzo, besonders die Handels-Städte, allenthalben haben, die vor deme gleichfalls nicht gewesen, jetzo aber nicht so unbehülfflich zu seyn pflegen, nicht jedem, mit Fortbringung eines Briefes, behülfflich zu werden; wie denn insbesondere zu Amsterdam, und an andern Orten, bey der Ost-Indischen und andern weitläufftigen Seefahrten, die löbliche Ordnung eingeführet ist, daß nicht allein alle abgehende zu unvergessenen Andencken in ein Buch eingezeichnet, sondern auch, von denen nicht wiederkommenden ein Register gefertiget und beygeleget wird, woraus jederman, vor sich oder die Seinigen, sich Nachricht geben lassen mag. Welche Veranstaltung alle in vorigen Zeiten nicht gewesen, und dessen ungeachtet man über die Verjährungen [900] unter Abwesenden gleichwohl sträcklich, obgleich sehr veränderlich, gehalten, darüber man sich, bewandten heutigen Umständen nach, um so viel weniger ein Bedencken oder Anstoß zu machen hat. Zumahl da dasjenige was in denen beygebrachten Zweiffels-Gründen angeführet worden, leichtlich bey Seite zu legen: Angesehen 1) überhaupt in denen Römischen Gesetzen sich diese Frage, wie lange einem Abwesenden das Seine aufzubehalten? gar nicht entschieden findet, oh schon das gemeine Lebens-Ziel des Menschen auf das sechzigste oder siebenzigste Jahr, in l. computationi. D. ad L. Falicid. gesetzet oder auch so gar auf das hunderte, in denen Worten: Placuit, centum annis tuendos esse municipes, puia is Finis vitae longaevi hominis est, wie die Worte in dem l. an ususfructus 56. D. de usufr. gefasset; weil im Falle es darauf ankommen solte, wie lange ein Mensch leben könne, wir noch aus verschiedenen neuern Nachrichten wissen, daß zuweilen wohl Menschen sterben, welche 110. 120. 130 und mehr Jahre gelebet. Aus welchem allen aber gar nicht fliesset, daß auch deswegen die Verjährung eines nachläßigen Menschen so lange nachgesehen seyn solle. Wohin denn auch dasjenige, was andere aus dem Ps. XC, 10 geschlossen, gehörig und auf gleiche Weise zu beantworten, seyn wird. 2) Pflegen eben deswegen, weil die Rechtsgelehrte keinen Grund in den Gesetzen finden, dieselbe auf so unterschiedliche Meynungen zu fallen, woran aber kein anderer, bey näherer Einsicht der Sache, gebunden seyn mag. 3) Würde mit der Abfolgung an die Anverwandten unter Caution, Verbürgung oder Bürgenstellung, denselben deswegen wenig gedienet seyn, weil sodann dieselbe auch zu Wiedererstattung der Früchte und zu Ablegung der Rechnung schlechterdinges verbunden wären. Hingegen will 4) die Verjährung einer langen Zeit unter Abwesenden deswegen nicht hinlänglich seyn, weil viele Zufälle, mit dem Abwesenden sich ereignen mögen, in welchem Absehen man das Ziel auf das dreyßigste Jahr, als die längste Zeit billig auszusetzen hat. 5) Kan und soll auch die Lebenszeit des Menschen kein Grund zur Verlängerung der Verjährung seyn. 6) Führet die Kürtzung der Zeit bey einem abwesenden Ehegatten besondere Umstände mit sich, um den verlassenen Ehegatten nicht in Gefahr der Unkeuschheit zu setzen, welche aber in Abwesenheit eines Menschen in Ansehung seiner Güter keine statt findet; da hingegen 7) was in der Nouella CXVII cap. 11 von der Ehescheidung, wegen Abwesenheit des Ehegatten gesaget wird, aus Glaubens-Regeln fliesset, worzu sich die Evangelischen nicht bekennen, solche auch ohnedem auf den Verlust der Güter der Abwesenden keine Application leiden. 8) Da die Rechte auf dasjenige, was insgemein geschiehet, gerichtet zu seyn pflegen; so ist ja bey dem angeführten Falle und Exempel dem dadurch Beleidigten ohnbenommen, gegen die Verjährung die Restitution und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu suchen, oder, wenn etwa die Briefe von seinen Freunden unterschlagen worden, selbige wegen des begangenen Betrugs zu belangen und die Verjährung vor nichtig zu erklären; dadurch aber die Rechts Regel an sich nicht [901] aufzuheben seyn wird; demnach halten wir dafür, daß nach dreyßig jähriger Abwesenheit, des Abwesenden Verlassenschafft, denen nächsten Anverwandten ohne alle Caution, auszuantworten und zuzueignen seyn werde. Besiehe Ludwigs Gel. Anz. I Theil, 234 Stück vom Jahre 1734, p. 928 u. ff.