Zedler:St. Petersburg
St. Petersburg, Lat. Petriburgum, Petropolis, Fanum S. Petri, eine überaus grosse Stadt in Ingermannland, war in den letzten Jahren Czaars Peters I die Hauptstadt des Rußischen Reichs, und Residentz dieses Czaars. Der Anfang zu Erbauung dieses Orts geschahe 1703, nachdem der Czaar die Vestung Noteburg, und die Handelsstadt Nieschantz erobert hatte, und eine Meile hinunter verschiedene Inseln antraff, davon die Lage dem Czaar zu Anlegung einer Stadt beqvem zu seyn schiene. Zu Bedeckung dieses Vorhabens wurde ein grosses Lager aufgeschlagen, so daß das Fuß-Volck auf der Finnischen, die Reuterey aber auf der Ingerischen Seite zu stehen kam. Weil nun gedachter Czaar grosse Lust zur Schiffarth, und an diesem Orte die beste Gelegenheit dazu hatte, so ließ er anfänglich an dem Orte, wo ietzo Petersburg ist, und woselbst damahls nur zwey Fischerhütten stunden, eine kleine Schantze aufwerffen, und den Neva-Strom biß an die grosse Vor-See des Baltischen Meeres genau recognosciren. Man entdeckte bald darauf einige Schwedische Schiffe, welche in der See herum kreutzten, denen ohngeachtet der Czaar auf der Insel Retusari oder Rutzari, wo ietzo Cronslot liegt, 1000 Mann Posto fassen ließ, die sich auch gegen die Schweden so wohl gewehret, daß sie dieselben in die See zurück getrieben, von welcher Zeit der Czaar die Insel beständig behauptet. Da nun der Czaar an dieser Gegend einen sonderlichen Wohlgefallen fand, so ward beschlossen, an dem Neva-Strom nicht allein eine Vestung, sondern auch einen Haupt-Bauplatz zu grössen Kriegs-Schiffen anzulegen. Und weil insonderheit der Strom an dem Orte, wo ietzo die Vestung gelegen, von ungemeiner Tieffe, nehmlich von 14 bis 15 Klafftern, oder 90 Fuß, befunden wurde, überdem auch die Lage herum aus lauter Morast bestehet, und von Natur eine Gegend ist, da nicht zuzukommen, so wurden die herumliegenden Inseln erwählet, daselbst eine Vestung und Stadt zu bauen, welches auch in kurtzer Zeit ins Werck gerichtet ward. Der Vestungs-Bau wurde innerhalb 4 Monaten durch die Menge der Arbeits-Leute, von denen aber wohl mehr als 100000 ihr Leben dabey mögen eingebüsset haben, zu Stande gebracht. Hernach ist sie von Zeit zu Zeit verbessert, und im andern Jahr darauf noch ein Cron-Werck dazu gebauet worden. In währender Zeit wurde auch an der Stadt gearbeitet, und in dieselbe eine grosse Menge von Menschen gezogen, also daß sie an Menge der Häuser und Menschen ietzo schwerlich einem Orte in Deutschland was nachgeben wird. Gestalt ietzo etliche 60000 Häuser, (die gar kleinen mit darunter begriffen,) so alle zur Stadt Petersburg gehören, gezählet werden. Die Vestung liegt mitten in der Stadt, und ist rund um mit dem Neva-Strom umflossen. Ihre [1040] Figur ist ein längliches irregulair Sechseck, und sind die gegen über liegende Bastions, ausgenommen die 2 mittlern, einander gleich. Die Vestung wurde anfangs nur von Erde aufgeführet; iedoch hat man 1710 angefangen, dieselbe in sehr starcke und maßive Mauren zu verwandeln, davon die Höhe bis an die Brustwehr 30 Fuß beträget. In denen Flanqven sind starcke gewölbte Cazematten, zwey über einander, und gegen der innern und offnen Seiten mit Bögen gewölbet. In der Courtine zur rechten Hand ist die Haupt-Apothek, welche so wohl in Ansehen der vortreflichen Medicamente, als auch insonderheit der raren Gefässe von Chinesischem Porcellain, eine von den schönsten von Europa seyn kan. In der Vestung sind 2 Thore, wovon das obere von kostbarer Biidhauer-Arbeit. Auswerts oben auf ist St. Petrus in mehr als Lebensgrösse, mit 2 Schlüsseln in der Hand. Und in einer Plinthe ist in Russischer Sprache die Fundation der Vestung zu lesen, nebst der Jahrzahl 1703. Inwendig über dem Thore stehet der grosse schwartze Rußische Adler, auf dem Kopff die Krone, in der rechten Klauen den Scepter und in der lincken den Reichs-Apffel haltend. Etwas weiter herunter aber stehet der heilige Nicolaus, welches der gröste Patron bey denen Russen. Was die Gebäude in der Vestung anbelangt, ist unter denselben die grosse Kirche nebst dem hohen Thurm das merckwürdigste; die Haupt-Cantzley, worinnen ehemahls der Senat zusammen gekommen, ist nunmehro an den Ort, wo die neue Cantzley erbauet worden, nebst allen Schrifften gebracht worden. Um die Vestung herum, theils auf den Insuln, theils auf dem festen Lande lieget die Stadt, welche mehr einer Landschafft von vielen Flecken, als einer Stadt zu vergleichen, und beträget derselben Länge eine gute Deutsche Meile, die Breite aber nicht weniger, es ist alles sehr dicht in einander gebauet, und wenig Platz mehr übrig vor diejenigen, so sich noch anzubauen gedencken. Oben bey dem Strom hat Schantzter-Nyen oder Neva-Schantz gestanden, wovon ietzund nicht mehr ein Stein zu sehen. Das Stück der Stadt besser herunter liegt auf dem festen Lande, ist aber gegen die Landseite von einem sehr tieffen Moraste umgeben, und machet viel eher die Figur einer Halb-Insul; das Ufer ist an dem Strom hinauf ziemlich hoch, und ist derselbige Platz der eintzige trockene und hohe Ort, von der gantzen Gegend, so ausser Wasser-Gefahr gesetzt ist. In diesem Theil der Stadt wohnte der Czaar samt seinem hohen Hause; es sind auch hier das Gießhaus und die Wohnungen unterschiedener Grossen. Die meisten Häuser sind von Holtz, Balcken auf Balcken zusammen geschützt, inwendig mit einem Beil etwas glatt gehauen, auswendig aber nicht. Die Dächer sind aus dünnen tännenen Spänen oder Schleussen von 10 bis 12 Fuß lang neben einander hergelegt, und mit ein paar Qver-Latten angebohrt. Einige haben zu besserer Verwahrung wider den Regen unter den Schleussen grosse birckene Baumrinden, die sehr dünne sind und nimmermehr verfaulen; noch andere haben über den Spänen die Dächer mit grossen viereckigten Wasen oder Rasen belegt, welches so lange es frisch, einer grünen Wiesen oben [1041] auf dem Hause ähnlich siehet. Uber dem Arm des Strohms ist des Czaars Sommer-Haus, wobey ein Garten angelegt worden, welchen man in kurtzer Zeit, nebst der darinnen befindlichen Orengerie, in vortreflichen Stand gesetzt hat. Gegen über dem Arm der kleinen Revier liegt der Czaarin Garten- und Sommerhaus, und neben am Wasser herunter ihrer Bedienten Wohnungen, ingleichen ihr Marstall. An dem Strohm liegt die so genannte Deutsche Slaboda auf der Admiralitäts Insel, worinnen sich die meisten Deutschen befinden. Ein Winckel dieser Gegend, wird Finnische Scheeren genennet, weil in derselben mehrentheils Finnische und Schwedische vertriebene Leute wohnen. Auch ist hier die Finnische Lutherische Kirche, welche in einem höltzernen Haus gehalten wird. An dem Wasser ist des Czaars Winterhaus, und ordentliche Residentz von Mauersteinen zwey Stock aufgeführet, und so gelegen, daß man das meiste der Stadt und Vestung übersehen kan. Auf dieser Insel stehet auch der grosse Admiralitäts Hof, allwo die grossen Kriegs-Schiffe gebauet werden; ingleichen die Admiralitäts-Kirche, wohin der Hof zum Gottesdienst gehet. Auf Finnischer und Carelischer Seiten ist die Stadt sehr groß und weitläuftig: jedoch an der Nordlichen Seite hinter der Tartarischen Slaboda noch etwas unbewohnt. In der Gegend am Ufer stehen viele Häuser der Senatoren, welche aber meistentheils von Holtz sind; es sind auch hier die Cantzeley, eine schöne Kirche, die Boutiqven der Kaufleute auf dem Marckt, die vornehmsten Schenckhäuser, die Buchdruckerey, und der Tartarische Plundermarckt, auf welchem alte Waaren und Kleidung verkauft werden, hinter denselben der Hausrathsmarckt, Mednoi Divor, ein Schlachthaus, Apothecker-Garten, und dergleichen zu sehen. Die bestes Insel ist des Fürsten Menczikofs, Insel, Wasili Ostrow genannt, welche der Czaar erwehntem Fürsten geschenckt, nachgehends aber an dem Ort selbst so grosses Vergnügen gefunden, daß er an demselben die rechte Stadt Petersburg bauen zu lassen beschlossen, und sind hierzu 1716 die Gassen und Canäle mit Stangen ausgestecket, und der Anfang zu Erbauung vieler Häuser gemacht worden. Davon aber die meisten noch höltzern sind, jedoch hat der Czaar befohlen, daß die Magnaten alle steinerne Gebäude aufführen solten. Die Gebäude, welche von dem Fürsten aufgeführet worden, sind sehr prächtig; es befindet sich hierbey eine Rußische Kirche, worinnen, wider die alten Gewohnheiten der Russen, geprediget wird. Die Stadt ist grosser Wassersgefahr unterworfen, welches sich sonderlich 1715 u. 1721 ausgewiesen, da dur eine unvermuthtete Wasserfluth fast alle Brücken und Bollwercke zerrissen wurden. Es hat der Neva-Strohm eine grosse Tiefe bis an die Vor-See, allwo derselbe etwas seichter wird mit grossen Krümmen, und an beyden Seiten viel Sand-Bäncke hält, die den Fluß immer enger machen: aus dieser Ursache können keine grosse Schiffe mit Ladung einlaufen, sondern müssen in der Vorsee vor Ancker liegen bleiben. Der Strohm läuft überaus schnell: Die Breite des Strohms bey der Stadt ist abgewechselt [1042] von 7, 8, 9, 12 bis 1600 Schritten, und weil er zwischen den Inseln eine grosse Tiefe hat, so ist nicht wohl möglich eine Brücke zu bauen, ohngeachtet ein Künstler hierzu einen Vorschlag gethan, welchen aber der Czaar, als dem die Unmöglichkeit des Vorhabens bekannt, schertzweise bis zur andern Zeit vertröstet hat. Die Gegend ist wegen des vielen Wassers, Morastes, grossen Brüche und Wildnissen kaltgründig und unfruchtbar, dannenhero Winters- und Sommers-Zeit durch, die Zufuhr an Lebensmitteln von vielen 100 Meilen geschehen muß, und die Victualien ungemein theuer sind. Von Baumfrüchten ist in dem gantzen Lande nicht das geringste; hingegen findet man eine Sorte von Erdschwämmen, so vor die delicateste Speise gehalten wird, aber sehr unverdaulich sind. Am Holtz und Waldungen ist kein Mangel. Die Gattung von Holtz sind Tannen, Fichten, Erlen, Bircken, Espen und Rüstern; an Eichen und Buchen aber ist ein grosser Mangel, und müssen dieselben aus Casan gebracht werden. Wölfe und Bäre sind in grosser Anzahl in dieser Gegend vorhanden. Die Luft ist im Winter sehr rauh, in den zwey Sommer-Monaten Jun. und Jul. ausserordentlich warm. Man hat nur etwan drey Stunden eine Abend-Dämmerung; hingegen sind im Winter die Tage so kurtz, daß man die Sonne kaum drey Stunden zu sehen bekommt. Die Gegend ist durchgehends morastig, welches die Wege zu und in der Stadt sehr beschwerlich macht. Indessen dörften die Anstalten, so zu derselben Verbesserung geschehen, auch diesem Ubel abhelfen, und sind anjetzt alle Gassen bepflastert, über dieses hat ein jeder Hauswirth vor seine Thüren Linden-Bäume pflanzen müssen. Die alten Landes Einwohner sind zerstreuet; ihre Sprache ist Finnisch; die Haushaltung aber armselig. Die Häuser sind, wie oben erwehnet, auch in Petersburg meistens höltzern, und also der Feuers-Gefahr sehr unterworfen, jedoch sind unvergleichliche Anstalten dargegen gemacht. Ubrigens ist noch merckwürdig, daß keine eintzige Gasse einen Namen hat; sondern man beschreibt sich einer dem andern den Ort, wornach man fragt, von diesem oder jenem, der in der Gegend wohnet, bis man etwa auf einen fällt, den man kennet, und alsdenn muß man weiter nachfragen. Endlich ist von der Insel Retusari noch zu gedencken. Dieselbige liegt an der Spitze der Ostsee, im Munde des Finnischen Meerbusens. An der Südseite der Insel gehet der enge Weg der grossen Kriegs-Schiffe. Die Insel war ehemals nur mit ein paar Fischer-Häusern besetzt. Der Czaar hat sie beqvem gehalten, einen sichern Hafen nebst einens Castell und Stadt zu bauen. Der Hafen ist groß und tief, liegt an der Südseite gegen der Insel in der freyen See: da denn Landwärts die Tiefe sich dergestalt verlieret, daß man mit keinem Fahrzeuge an Land kommen, sondern an der grossen See-Brücke anlegen muß. Das Castell hat den Namen Cronschlott, und stehet gegen der Ingermannländischen Seite einen Canonen-Schuß von der Insel mitten in der See auf einer Sandbanck. Es siehet aus wie ein runder Thurm mit drey Gängen über einander, von unten bis oben mit Canonen wohl versehen. Die Stadt wird taglich mehr und mehr angebauet, ohngeachtet die Lebensmittel ungemein [1043] theuer und von Petersburg, so 4 Meilen davon gelegen, müssen zugeführet werden. Den gantzen Weg herum an dem See-Ufer bis Petersburg, liegen lauter Lusthäuser und Höfe bey einander, unter denen die vornehmsten, des Fürsten Menczikofs Lusthaus, Oranienbaum, und des Czaaren Lusthäuser und Gärten, Peterhof genannt. Im Jahr 1715 wurde in Rußland ein Befehl publiciret, daß noch 12000 Familien nach Petersburg kommen solten; ja es fing auch Peter I kurtz vor seinem Tode an, eine Academie der Wissenschaften, nach dem Exempel der Parisischen allda aufzurichten, und ließ zu diesem Ende verschiedene berühmte Männer aus Deutschland, Franckreich und Italien dahin berufen, welche auch nach ihrer Ankunft so wol von der Czaarin Carharinen, als deren Nachfolgern, insonderheit der ohnlängst verstorbenen Anne, mit ansehnlichen Pensionen und Freyheiten versehen wurden. Die Mitglieder dieser gelehrten Gesellschaft sind in 3 Classen eingetheilet, indem einige die Mathesin, andere aber die Physic und noch andere die schönen Wissenschaften lehren. Ein jeder unter ihnen muß täglich eine Stunde die Wissenschaft, wozu er angewiesen worden, öffentlich vortragen, und in derselben auch 2 junge Rußische Herren zu Hause unterrichten. Hiernächst halten sie seit 1725 wöchentlich zwey mal ihre Zusammenkünfte, darinnen sie entweder ihre neue Erfindungen bekannt machen, oder einige von ihnen neu aufgesetzte Schriften ablesen, die nachgehends dem Druck übergeben werden. Der gantze Handel solte von Archangel hieher verlegt werden; wogegen aber Vorstellung gethan wurde. Eine halbe Meile von Petersburg ist eine Linnen-Weberey angelegt worden, welche den Holländischen nichts nachgiebt. Das Garn wird in einem neu aufgerichteten Spinnhause zubereitet. Zwey Meilen von demselben, hinter Duderdorf, findet man eine Pappier- und Heckerlings-Mühle, von denen die Russen bishero nichts gewust. Gegen Schlüsselburg an dem Neva-Strohm sind verschiedene Mahl- Säge- und Schneide-Mühlen; nahe bey Petersburg liegen Pulver-Mühlen, Salpeter- und Schwefel-Hütten, und die vielen aufgebaueten Ziegel-Hütten geben Dach- und Brand-Steine zum Bau der Häuser in Petersburg. Die Czaarin Catharine und der Czaar Peter II haben ihre ordentliche Residentz in dieser Stadt gehabt, jedoch der letztere nur bis auf den Fall des Fürsten Menczikof, nach welcher Zeit er sich nach Moscau gewendet, allwo auch die Czaarin Anne sich in der ersten Zeit ihrer Regierung aufgehalten. Eigentliche Beschreibung der Stadt Petersburg. Das veränderte Rußland. Perry état present de la grande Russie. Commentarii acad. scient. imperial. Petropol.