Zedler:Persische Poesie
Persische Poesie, Poesis Persica. Es scheinet die Dichtkunst gewiß eine den Persern heut zu Tage angebohrne Sucht zu seyn, und die Poeten machen nebst den Sterndeutern wohl die gröste Zahl der Gelehrten in allen übrigen Wissenschaften aus: Ist aber die Zahl der Poeten selbst groß, so sind die Liebhaber der Gedichte gewiß zwantzig mal stärcker an der Zahl; Es wird kein Gastmahl ohne Poeten zugebracht, jedermann höret sie gern, und lauft ihnen in den Coffee-Häusern, auf den Strassen, Marcktplätzen, und allenthalben nach, wo sie sich nur hinstellen, und ihr Gedichte für eine kleine Verehrung wollen hören lassen. Es ist kein Hof, keine Stadt, ja fast keine Familie, da nicht ein Dichter sich fände. Der König unterhält ihrer eine Anzahl, und andere Grosse und Reiche nach ihrem Staat auch viel. Wenn die Poesie eine Reinigung des Gehirnes ist, wie unsere Poeten sie wohl nennen, so müssen die Perser ein ziemlich reines Gehirn haben, und in Ansehung ihrer Nachbarn, der mancherley Tattarn, der Araber, ja selbst der Türcken, haben sie es auch. Und sie moqviren sich in ihren Satyrischen Gedichten, mit welchen sie sich nicht allzu sehr in Schrancken halten, über die Türcken desto freyer. Ihre Dichtkunst ist, wenn sie sich in Versen hören läßt, was den Reim angehet, sehr rein und accurat, was aber das Sylben-Maaß betrifft, desto ungezwungener. Die Perser halten davor, daß die alten Weltweisen alle seynd Poeten gewesen, und alle ihre Lehren seyn in Versen verfasset gewesen. Und darum ists noch heutiges Tages so, daß alles, was öffentlich geredet und geschrieben wird, Gedicht-weise geschiehet; nicht eben in Versen allein, sondern auch ohne Reimen, aber doch als Gedichte, in Fabeln, Geschichten, Gleichnissen, mit Figuren, Blumen, und dergleichen oratorischem Ornat bekleidet; so gar, daß auch im gemeinen Leben, die Unterredungen und Gespräche nur irgend angesehener oder nicht gar dummer Leute also eingerichtet sind, daß alles mit kurtzen Reimgen, Sinnsprüchen und dergleichen Redner- und Dichter-Schmuck ausgezieret ist. Sie halten auch davor, daß ihren Argumenten eine Stärcke durch die Dichtkunst beygesetzet werde. Da nun der Dichtgeist den Persern gantz besonders eigen zu seyn scheinet, so müssen ihre Gedichte auch anziehend und einnehmend, die Gedancken edel und erhaben, die Erfindung reich und lebhaft, und die Worte wohl zur Sache fügend seyn. Die Sprache schickt sich auch sehr wohl darzu, und die Stimme, den Thon und den Accent wissen sie, nach dem Inhalte der Worte, so wohl zu fügen, daß einer, der kein Wort Persisch verstünde, wenn er ihre Verse hörte verlesen, ihm dieselben wohlgefallen solten. Daher, wenn ihre Verse ergötzen, so nützen sie auch zugleich: Denn alle Zierrathen derselben enthalten eine Regel oder Lection aus der Sitten Lehre. Und gleichwie die Alten, fast durchgehends die Gewohnheit gehabt, die Thaten ihrer Heiligen, Gelehrten und Helden [649] in Lieder zu fassen, so thun es die Perser noch heutiges Tages; die sie hernach an Festtagen und bey Gastmahlen hören lassen. Die Liebe ist auch wohl der Innhalt ihrer Gedichte: aber immer muß sich etwas schändliches oder unerbares darinnen finden lassen. Sie haben ein schön Gedicht, das die Geschichte von Joseph und Potiphars Weibe in sich hält, welches alle Leidenschafften, so darinn vorkommen, aufs höchste erreget und besehreibet, aber doch nicht unzüchtig ist. Sie haben auch ein Buch, so die Geschichte ihrer Könige in 66000 Versen erzählet. Heutige Historie und Geographie von Persien p. 104 u. ff.