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Zedler:Moral-Philosophie (Sinesische)

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Band: 21 (1739), Spalte: 1512–1514. (Scan)

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Moral-Philosophie (Sinesische) Die Sineser, welche sich ein Auge mehr als die Europäer zu haben einbilden, haben vor langen Jahren moralisiret, ob sie schon bey uns gar langsam damit bekannt geworden. Denn Confucis, der Urheber ihrer Weisheit, ist 551 Jahr vor Christus Geburt zur Welt gekommen. S. Confucius im VI B. p. 964 u. ff. Von der Sineser Weisheit und Klugheit kan uns die von den Jesuiten Prosper Interceota, Christian Herdtwig, Frantz Rougemont, und Phil. Couplet im Jahr 1686 zu Paris in Fol. zum Druck beförderte gesamte Sinesische Wissenschafft den vollständigsten Bericht erstatten. Es haben aber vorlängst einige gelehrte Männer, und unter andern insonderheit Thomasius in seinen freymüthigen Gedancken über allerhand Bücher, ingleichen Buddeus Delineat. Hist. Phil. c. VI. §. 37. angemercket, daß die Weisheit der Sineser so gar groß nicht sey, daß man den Urheber derselben unter die Heiligen setzen, oder ihrer nicht solte entbehren können. Unterdessen lehret uns die zu Amsterdam 1668 in Frantzösischer Sprache heraus gekommene Morale des Confucius (Morale de Confucius, Philosophe de la Chine) p. 47. 51. 81. 85. u. 99. so viel, daß Confucius die Mittelmasse zum Grunde der Tugend gesetzet, aber nicht erkläret, worin sie bestehe, ja sich gar widersprochen habe, indem er an einem andern Orte gesetzet: Man müsse die Tugend schon haben, wenn man die rechte Mittelmasse treffen wolle; daß er ferner die Ernsthaftigkeit zum [1513] Kennzeichen eines Weisen gemaachet, gleich als wenn die Freundlichkeit ihm nicht noch mehr zustünde; und endlich daß er dem Menschen die Krafft zugeschreiben sich bald tugendhafft zu machen, und doch zugleich gestanden: er habe seine Leb-Tage keinen Menschen gesehen, der sich über seine Fehler und Schwachheiten geärgert. Unter seinen Tugend-Lehren aber sind folgende die fürnehmsten: 1) Will man den Endzweck, zu dem man gelangen soll, kennen lernen: so muß man einen festen Entschluß fasssen, und ohnaufhörlich nach diesem Ziele trachten, auch dahero die Wege, so dahin führen, fleißig gehen. Man muß dabey den gefasten Entschluß dahin zu gelangen, in seinem Hertzen von Tage zu Tage befestigen, und zwar dergestalt, daß nichts in der Welt denselben auch nur wanckend zu machen vermögend sey. 2) Und wenn ihr euer Gemüthe in solchem wichtigen Vorsatze dergestalt befestiget habet: so ergebet euch der Betrachtung; urtheilet bey euch selbst über alle Dinge; bemühet euch davon einen klaren Begrif zu bekommen; betrachtet alles, was euch vor Augen kommt, mit Unterschied; urtheilet davon ohne Vorurtheil u. gründlich; erweget u. untersuchet endl. alles mit Fleisse. Nach einer solchen Untersuchung könnet ihr leichte zu dem Zwecke gelangen, dabey ihr euch aufzuhalten habet, ich will sagen zu dem Endzwecke, bey dem ihr fest bleiben sollet, das ist, zu einer vollkommenen Ubereinstimmung aller eurer Handlungen, mit dem, was euch die Vernunft eingiebet; kurtz: zu dem höchsten Gute. 3) Ein vollkommener Mensch muß allezeit bemühet seyn, sich selbst zu überwinden. Er muß sich nach den Sitten und Sinn anderer Leute richten; aber wie er dennoch allezeit Herr über sein Hertze, und sein Thun und Lassen seyn muß: also muß er sich den Umgang oder die Exempel feiger und weibischer Kerle nicht anstecken lassen. Denn er muß nie gehorchen, er habe denn zuvor, was man ihn heisset, wol untersuchet. Er muß also niemals ohne Unterschied andern was nachmachen; sondern er muß mitten unter so vielen Thoren und Blinden, welche verkehrt wandeln, gerade zu gehen und auf keine Seite ausweichen, denn darin bestehet die rechte Stärcke. 4) Es giebt Leute, welche darum die Gräntzen der Mittelmasse überschreiten, weil sie nach ausserordentlichen Tugenden trachten. Sie wollen in ihrem Thun und Lassen was Verwunderungs würdiges sehen lassen, damit sie die Nachkommen loben und erheben. Was mich betrift, werde ich mir dergl. Thaten nie den Kopf einnehmen lassen, an denen der Hochmuth und die Eigen-Liebe allezeit mehr Antheil haben, als die Tugend. Ich will nichts wissen noch thun, als was ich wissen soll, und überall ausüben kan. 5) Es sind vier Regeln, nach welchen sich ein vollkommener Mensch richten soll: Erstlich muß er das, was er von seinem Sohne fordert, selbst in Ansehen seines Vaters ins Werck stellen. Zum andern muß er seinem Fürsten eben so treu dienen, als er will, daß ihm diejenigen thun sollen, die ihm unterworfen sind. 3 soll er sich gegen seinen älteren Bruder so aufführen, wie er will, daß sich sein jüngerer Bruder gegen ihn aufführen möge. 4 soll er sich so gegen seine Freunde verhalten, wie er will, daß sich seine Freunde gegen ihn verhalten sollen. Ein Vollkommener nimmt diese Pflichten unaufhörlich in acht, so gemein sie auch aussehen. [1514] Wird er gewahr, daß er was versehen: so kan er nicht ehe ruhen, bis er solches Versehen wieder gut gemachet. Erkennet er, daß er eine Schuldigkeit, die wichtig ist, unterlassen habe; so ist keine Gewalt so groß, welche er sich nicht anthut, solchen Mangel vollkommen zu ersetzen. Er ist in seinen Reden bescheiden, er hält an sich und redet nie etwas ohne Vorbedacht; wenn ihm gleich noch so viele Worte einfallen: so unterfänget er sich doch nicht damit heraus zu brechen, u. er hält also damit zurück. Mit einem Worte: er ist so ein strenger Richter über sich selbst, daß er sich nicht eher zufrieden giebt, bis seine Worte mit seinen Wercken, und seine Wercke mit seinen Worten übereinstimmen. 6) Es ist so nothwendig, daß ein Printz tugendhaft sey, daß, wo er es nicht ist, die Gesetze des Himmels einem Unterthanen alsdann auflegen, freywillig aus dem Lande zu gehen, u. sich ein ander Vaterland zu suchen. 7) Die Demuth, Bescheidenheit, an sich Haltung u. Liebe des Nächsten sind Tugenden, welche ein Weiser nicht einen Augenblick bey Seite setzen kan, wo er anders nicht aufhören will ein Weiser zu seyn. 8) Die Missethaten grosser Herren sind allezeit weit grösser als die Missethaten anderer Menschen. 9) Wenn du was für andere thust: so thue es mit eben so grossem Fleisse, als wenn du für dich selbst bemühet wärest. 10) Erinnere dich, daß du ein Mensch bist; daß die menschliche Natur gebrechl. ist, u. daß du leicht fallen kanst: so wirst du nie fallen. Soltest du aber vergessen, was du bist, u. fallen: so verliere das Hertze nicht, sondern erinnere dich, daß du wieder aufstehen kanst. Denn es lieget bloß an dir, die Bande, so dich an die Laster anfesseln, zu zerreissen, u. die Hindernisse zu überwaltigen, so dich von dem Wege der Tugend abhalten. 11) Laß dir angelegen seyn, deine Gedancken zu reinigen. Denn wenn deine Gedancken nicht böse seyn, so werden auch deine Thaten nicht böse seyn. 12) Wer in seinem Studiren sich gantz u. gar auf die Ubung leget, und die Betrachtung dabey fahren lässet, der wendet seine Zeit übel an. Aber derjenige, der sich gantz u. gar auf die Betrachtung leget, u. die Arbeit u. Ubung auf die Seite setzet, muß sich auch nothwendig verirren u. verlohren gehen. Der erste kommt nie zu einer vollkommenen Erkenntniß, seine Wissenschaft wird allezeit mit Finsterniß u. Zweifel vermischet seyn. Der letztere aber wird nichts als einen Schatten erjagen, seine Wissenschaft wird nie sicher u. gewiß, und niemals rechtschaffen gegründet seyn. Darum arbeite, laß aber dabey die Betrachtung nicht fahren. Betrachte und dencke nach, aber setze dabey die Arbeit nicht auf die Seite. 13) Der Weise allein ist allezeit vergnügt. Die Tugend macht seine Seele ruhig. Es beunruhiget ihn nichts, weil er nicht der Belohnung wegen tugendhaft lebet. Die Ausübung der Tugend ist die eintzige Belohnung, so er hoffet. 14) Der Himmel verkürtzet nicht des Menschen Leben: sondern der Mensch verkürtzet dasselbe durch seine Missethaten. Du kanst die Trübsal, so vom Himmel kommt, vermeiden; derjenigen aber nicht entgehen, so du dir durch deine Missethaten auf den Hals ziehest. S. La Morale de Confuc. Budd. Delin. Hist. Phil. c. VI. §. 39. 40. Prosper. Interceota, Christ. Herdtwig, Frantz Rougemont u. Phil. Couplet Confuc. Sinor. Phil. Frantz Noe, Sinensis Imperii libri classici VI. Bülfinger Spec. Doctrin. veter. Sinarum Moralis & Politicae.