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Wunderliche Leute

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Textdaten
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Autor: Arno Hempel
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Titel: Wunderliche Leute/1. Krawutschke
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 400–403
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[400]
Wunderliche Leute.
1. Krawutschke.


Ein Augustnachmittag in dem vielbesuchte Badeorte W. mit höchst unschuldiger Quelle und herrlichen landschaftlichen Umgebungen. Es ist gegen fünf Uhr. Mit dem Glockenschlage beginnen die Curstunden und das Concert.

Auf einer Anhöhe des Curparkes haben es sich zwei junge Leute bequem gemacht. Diese Anhöhe bietet ihnen, zwischen den dichtschattenden Bäumen hindurch, einen vollen Anblick der Badepromenade. In ihren Hängematten liegend, wohlbewehrt mit Operngläsern zur bevorstehenden Revue über die Curgesellschaft, welche da unten lustwandelt, blasen sie in süßem Nichtsthun den Rauch ihrer Cigarren in die Luft. Die zwei jungen Leute sind mir genau bekannt. Der Jüngling mit schwarzem Haare und militärisch strengem Kaiserbarte ist ein neugebackener königlich preußischer Assessor und – trotz seiner Jugend – Realist von der stricten Observanz. Der zweite junge Mann ist meine erzählende Wenigkeit, und diese Wenigkeit überläßt sich in Allem der orts- und personenkundigen Führung des Freundes.

Die Promenade vor dem Curhause und dem Brunnen füllt sich. Der Assessor schildert mir mit liebenswürdiger Bosheit, welche so häufig dem süßen Nichtsthun ihren Ursprung dankt, manche interessante Specialität der verehrlichen Curgesellschaft. Plötzlich unterbricht er seine pikanten Plaudereien und fragt mich: „Kennst Du Krawutschke, die interessanteste Persönlichkeit des Ortes?“

„Wie sollte ich? Ich bin erst seit einigen Tage hier. – Wer ist denn dieser Krawutschke?“

„Augenblicklich ist er Gastwirth und hauptsächlich ein halbgebildeter Allerweltsmensch. Aber komm’! Du mußt ihn kennen lernen. Ich bin dann und wann ein wenig Pessimist. Wenn ich an Herrn Krawutschke denke, so möchte ich es fast für einen Fehler halten, daß die letzten Jahrzehnte so eifrig daran gearbeitet haben, die Wissenschaften volksthümlich zu machen.“

„O, o,“ rief ich, indem wir uns zu Krawutschke auf den Weg machten.

„Gewiß. Dieser Herr Krawutschke ist der Sohn von Eltern niederen Standes. Wäre er bei einer gesunden, guten Volksschulbildung stehen geblieben, so hätte er, bei seiner leichten Auffassungsgabe, der es nur an Tiefe fehlt, in festbegrenztem, kleinem Kreise ein ganz tüchtiges Mitglied der Gesellschaft werden können. Krawutschke war das verhätschelte Genie des Dorfes und wurde eitel auf seinen ‚Geist‘. Als eitler Mensch blieb er äußerlich. Ein Bildungstrieb wohnt ihm indessen jedenfalls inne. Er las ohne Wahl alles populär Zurechtgemachte, und das Conservationslexicon war und ist sein bester Freund. Kunterbunt würfeln sich in seinem guten Gedächtnisse zusammen etwa: eine gehörte Stelle des Horaz, ein Journalartikel über Spectralanalyse, die Mystik eines Perty und etwas [401] Eduard von Hartmann. So ist seine ‚Bildung‘, von welcher er tief durchdrungen ist, zu Stande gekommen. Diese unverdaute Belesenheit gereicht ihm aber nicht zum Segen. Er hält sich für höchst bedeutend und ist doch nur ein unbedeutender Hans in Allem, der Jeden meistern will. Man darf schon Pessimist sein dieser durch die Popularisirung der Wissenschaft herbeigeführten Halbheit gegenüber.

„Du bist in schlechter Laune oder die Consequenzmacherei des Realisten verleitet Dich zur Ungerechtigkeit. Ich theile Deinen Pessimismus nicht.“

„Gleichviel. Du wirst in Herrn Krawutschke eine höchst schätzenswerthe Bekanntschaft machen. Da sind wir schon.“

In Badeorten ist es gebräuchlich, den Häusern Namen statt der Nummern zu geben. An dem ganz stattlichen Gebäude, welches wir eben betreten wollten, glänzte mit riesengroßen Buchstaben der Name: „Poseidon“.

„Poseidon?“

„Ahnst Du Krawutschke?“ gegenfragte mein Freund.

Wir betraten die Gaststube. Sie war leer und eine drückende Hitze in dem nicht allzugroßen Raume. Die Fliegen schienen hier besonders gehegt zu werden.

„Welche Fliegenplage!“

„Herr Krawutschke würde Dir mit vernichtendem Blicke antworten, daß ein Thier sozusagen auch ein Mensch sei, und ferner würde er Dir, im Hinweise darauf, daß wir eigentlich nicht berechtigt sind, zwischen niedriger oder höher organisirten Wesen vom allgemein sittlichen Standpunkte aus einen nennenswerthen Unterschied zu machen, den guten Rath geben, das Unvermeidliche mit Würde zu tragen.“

Ein Schenkmädchen nahte den Eintretenden.

„Herr Krawutschke zugegen?“

„Der Herr Major ist ausgegangen.“

„Major?“ fragte ich verwundert.

„Zwei Seidel Bier!“ befahl mein Freund. „Allerdings,“ wendete er sich dann zu mir, „Herr Krawutschke ist Major der freiwilligen Feuerwehr. Ob der Titel zu Recht besteht, weiß ich nicht. Genug, er führt ihn und hört ihn nicht ungern.“

Eine kleine, freundliche, wohlgenährte Frau trat ein. Ihre Züge trugen das Gepräge ausgesprochenster Gutmüthigkeit.

„Ah, Frau Krawutschke!“ – Mein Freund erhob sich.

„Bitte, behalten Sie Platz! Mein Mann wird gleich kommen; er ist nur in’s Spritzenhaus gegangen.“ – Die kleine Frau verschwand wieder.

„Will sagen: in eine Restauration, wo er aus dem Stegreif den Gästen einen Vortrag hält und seinen Durst auskömmlich stillt,“ raunte mir der Assessor halblaut in’s Ohr. „Daß er das kann, verdankt Herr Krawutschke dieser kleinen, gutmüthigen Frau. Mit ihr hat er Haus und Vermögen erheirathet, und das schwache Weibchen hat einen solchen Respect vor dem ‚gelehrten‘ Gatten, daß es nie zu einer Opposition ihrerseits kommt.“

Von draußen ertönte das Geräusch herannahender Schritte und das Gewirr durcheinander sprechender Stimmen.

„Jetzt kommt der Major,“ variirte der Assessor singend die Operettenstelle des Monsieur Jakob Offenbach.

Und er kam. Mit kräftiger Hand wurde die Thür aufgestoßen, und herein trat Herr Krawutschke in Begleitung mehrerer Ortsbewohner, die ganz wie Gevatter Schneider und Handschuhmacher aussahen. Er trug die Uniform eines Vorgesetzten der freiwilligen Feuerwehr.

„Attention!“ rief Herr Krawutschke mit erhobener Stimme dem Schenkmädchen zu. „Nach wohlvollbrachtem Tage geziemt dem Hausherrn und paterfamilias ein Seidel Wiener Märzen.“

Ich sah mir den Mann genau an. Eine lang aufgeschossene Figur mit blassem, blutleerem Antlitz. Das hellblonde, etwas dünne und etwas gelockte Haar gab im Bunde mit der blassen Hautfarbe dem Gesicht etwas Verwässertes, Verschwommenes. Ein sorgfältig gepflegter sogenannter Christusbart umrahmte das Antlitz. Kopf und Hals neigten etwas vornüber. Man sagt wohl, die volle Aehre neige sich der Erde zu, die leere trage stolz ihr Haupt den Wolken zugewandt. Den Eindruck machte nun die leichtgebeugte Haltung des Herrn Krawutschke nicht. Sie erschien mir vielmehr als ein Zeugniß des verborgen Kränklichen. Hektisch pflegt man landläufig solche Leute zu nennen.

Herr Krawutschke hatte uns sofort erblickt und ging mit ausgebreiteten Armen auf meinen Freund zu.

„Ah, siehe da! Auch Du, Brutus? Welche Ehre für mein schlichtes Haus, liebwerther Freund und Assessor! Mann des Rechtes – ich grüße Sie.“

„Guten Tag, Herr Krawutschke,“ meinte ziemlich trocken mein Freund. „Ihr Bier ist wieder verdammt matt.“

„So ist’s. Die Diener tragen alle Schuld,“ citirte pathetisch Krawutschke. „Der alte Goethe hilft mir immer aus aller Fahr und Noth.“

Schiller, Herr Krawutschke!“

„Goethe, Herr Assessor!

„Verlassen Sie sich d’rauf, die Stelle ist von Schiller, aus der Braut von Messina.“

„Na, denn nicht!“ brach der Major ärgerlich das Gespräch ab, um es gleich darauf wieder vorwurfsvoll aufzunehmen. „Und Sie stellen mir nicht einmal diesen neuen, werthen Gast des ‚Poseidon‘ vor? Da haben die Leute nun Justinus und Trebonius studirt, aber die Convenienz bleibt ein pia desideria. Das ist auch eine signatura temporus.

Ris, ris, Herr Major!“

Ris, richtig! Sagte ich rus? Ein kleiner horror! Errare est humanum ist ein Spruch aus weisem Munde. – Ihr Name, mein vielwerther Gast?“

Der Assessor nannte ihn. „Auch ein Stückchen Mann der Feder!“ fügte er hinzu. Krawutschke ergriff meine beiden Hände.

„Bruder in Apoll! Seien Sie mir willkommen! Ich bin ein Freund des Geistes und der Feder.“ – Wohlgefällig lächelnd und mit verbindlicher Verneigung ergänzte er sich: „Sie sehen in mir das Referentchen des Ortes. Also soyons amis, Sulla!“

Das Französisch war so schauderhaft, daß wir ganz erschreckt vergaßen, den armen Cinna in seine Rechte einzusetzen. Vornehm fuhr Krawutschke fort:

„Die Herren trinken mit mir zum Willkommgruße einen Ingwer! Keine Widerrede!“ antwortete er unseren ablehnenden Handbewegungen. „Die aromatische Bittere dieses Getränkes ist von wohlthätigster, sanitärer Wirkung auf die gereizten Schleimhäute des gastrischen Systems.“

Der Trank bereitete sich langsam auf sein Erscheinen vor.

„Der Herr ist auch Schauspieler,“ begann der Assessor wieder.

„Was hör’ ich? Die Musik der Sphäroide schlägt an mein Ohr! Oh! Doppelt, dreifach gesegnet sei der Tag, der uns zusammenführte!“ – Und mit Herablassung versicherte Krawutschke: „Ich bin ein Mäcen der Kunst. Ich leite unser Liebhabertheater und schreibe Recensionen, wenn sich einmal eine wandernde Truppe zu uns verirrt. Sie sind ein Fachmann; ich unterschätze das nicht. Aber ich gäbe etwas darum, wenn Sie einmal eine Vorstellung an dem von mir geleiteten Liebhabertheater sehen könnten. Die Bühne leistet unter meiner Leitung außerordentlich Gutes.“

Stolz auf sich selbst, bestellte sich Krawutschke noch ein Seidel. Sein Ingwer war während der letzten Rede verschwunden.

„Alles wendet sich an mich. Für Alle bin ich der Berather –“

Die kleine, gutmüthige Hausfrau nahte sich uns. Man sah es ihrem hochgerötheten Gesicht an, daß sie vom Herdfeuer kam. Schüchtern legte sie dem Gatten die Hand auf die Schulter.

„Lieber Arnim!“

„Was willst Du, mein braves, treues, deutsches Weib?“

„Lieber Arnim, in welchem Hause wohnt denn die russische Herrschaft, welche für heute Abend Beefsteak bestellt hat? Die Beefsteaks sind fertig; ich möchte sie hinschicken.“

„Im ‚schwarzen Kreuz‘, wackere Hausehre.“

„Ich danke Dir. Darf ich einmal von Deinem Bier trinken, Arnim?“

„Nimm und labe Dich!“

„Ich danke Dir, lieber Arnim!“ – Die gutmüthige, kleine Hausglucke trank und verschwand.

„Warum nennt Sie denn Ihre Frau Gemahlin immer Arnim, Herr Major? Tragen Sie diesen Vornamen vielleicht Jemand zu Ehren?“

Mit überlegenem Lächeln brachte Krawutschke den Finger an die Stirn.

[402] „Verlangen Sie von meiner geistig bescheidenen Frau nicht zu viel! Eine Verwechselung ihrerseits, weiter nichts. Ich heiße eigentlich Hermann. Der Name war mir, wenn auch echt deutsch, doch etwas gewöhnlich. Man muß einer Frau immer imponiren, auch in Kleinigkeiten. Ich änderte meinen Namen in die lateinische Form und befahl meinem Weibe, mich Armin zu nennen.“

Er seufzte leise.

„Nun?“

„Weiß der Teufel, mein sonst so braves Weib konnte den Armin durchaus nicht behalten und nennt mich obstinataliter immer Arnim. Hat mich schon oft geärgert!“

Krawutschke that einen tiefen Zug. Seine Melancholie verschwand.

„Sie glauben nicht, meine Herren, wie wohl ich mich inmitten geistreicher Leute von der Feder fühle. Wenn ich nur freier nach außen hin schaffen könnte! Aber ich werde von der agrarischen Bevölkerung des Ortes und der Umgegend so sehr überhäuft, daß ich –“

„Wie so?

Aergerlich schüttelte Krawutschke den Kopf. „Es herrscht hier die leidige Sitte, jeden Festtag oder Trauertag in der Familie dadurch publik zu machen, daß man im Localblatt ein Carmen bringt. Ich werde damit überlaufen, und das absorbirt meine ganze schriftstellerische Kraft. Heute Nacht muß ich wieder einige Stunden opfern. Ich habe einer Familie versprochen in einigen Tagen eine Xenie für einen Verstorbenen zu liefern.“

„Eine Nänie!“ verbesserte der unverbesserliche Assessor.

„Xenie oder Nänie!“ meinte überlegen Herr Krawutschke. „Das wird wohl darauf ankommen, wie ich die Form auffasse.“

Er befleckte sich ein frisches Seidel und fuhr dann fort: „Und doch lohnt es sich hin und wieder, aus der fastalischen Quelle getrunken zu haben. Vorigen Sommer erhielt ich davon einen erhebenden Beweis. Während der Belagerung von Paris ging von hier aus ein Transport mit Liebesgaben ab. Ich betheiligte mich daran und nicht nur mit leiblicher Nahrung. In einer guten Stunde hatte ich ein mark- und saftvolles Vaterlandslied im Genre Béranger’s gedichtet. Im Refrain verwendete ich mit Glück eine frühere Aeußerung des Ministers Eulenburg. Der Refrain lautete:

‚Der Eintracht Band
Umschlingt nunmehr das deutsche Land.
Durch wen? Durch Euch, Ihr Heldensöhne,
Denn Ihr siegtet elegant.‘

Dieses Gedicht ließ ich in tausend Exemplaren drucken und sendete sie zur Vertheilung an das Regiment. Ich denke natürlich nicht weiter daran. Im vorigen Sommer aber tritt ein Unterofficier zu mir in’s Zimmer und fragt:

‚Sind Sie Herr Krawutschke?‘

‚Der bin ich.‘

‚Endlich habe ich also die Ehre. Das Regiment sendet Ihnen durch mich den tiefgefühltesten Dank für Ihr herrliches, begeisterndes Gedicht. Es hat uns wahrhaft gestärkt. Sie sind ein Vaterlandssänger im besten Sinne des Wortes.‘

Er schüttelte mir die Hand mehrmals. Natürlich war er während der Dauer seines Aufenthaltes öfters mein Gast. – Sie sehen, ich bin auch eine Art Tyrtäus.“

Krawutschke schwieg selbstzufrieden.

„Der Unterofficier hatte viel Talent zum Diplomaten,“ meinte der boshafte Assessor.

Das verstand Krawutschke nicht. Tief aufathmend rief er:

„Ja, so etwas thut wohl, meine Herren. Der Dichter braucht den Erfolg, wie der dürre Acker den Regen.“

Krawutschke’s Hausehre trat mit einem verlegenen Gesichte zu uns.

„Lieber Arnim!“

„Mulier taceat in ecclesiae – was bringst Du, Frau?“

„Lieber Arnim, die russische Herrschaft muß doch nicht im ‚schwarzen Kreuz‘ wohnen. Das Mädchen hat mit den Menagen das ganze große Haus durchwandert, aber es wohnen keine Russen dort.“

„Ich irre mich nie.“

„Ne,“ rief die bequeme Dame am Zahltische. „Im ‚Kreuz‘ wohnen die Russen nicht; die wohnen im ‚Anker‘.“

„O Jungfrau, warum öffnetest Du den Zaun Deiner Zähne nicht früher!“ rief der Herr Major mit einem Gemisch von Wehmuth und Entrüstung.

„’s hat mich ja Keener jefragt.“

„Optime! So lasse die Menagen in den ‚Anker‘ tragen, liebes Weib!“

„Aber, lieber Arnim, der ist ja gute zehn Minuten entfernt, und das Essen ist schon so lange unterwegs; es muß ganz kalt sein.“

„Thut nichts. Der Jude wird verbrannt,“ parodirte Krawutschke. „Die Russen sind übrigens, ihren klimatischen Verhältnissen zu Folge, an Kälte gewöhnt. Der Golfstrom mit seiner lebensspendenden Wasserwärme dringt nicht bis an ihr unwirthliches Gestade.“

Eine Handbewegung verabschiedete die Gattin. Sie ging betrübten Herzens, und wir empfanden das tiefste Mitleid für die Angehörigen der verbündeten Nation.

„Es ist noch die Frage, ob der Genuß allzu warmer Speisen nicht der Ur-Hygieine widerspricht,“ nahm Krawutschke das Gespräch wieder auf, indem er mir seine Blume zutrank. „Ich hatte einmal in München Gelegenheit –“. Er stützte, wie nachdenkend, den Kopf in die Hand und schwieg eine Weile. Wir harrten der Dinge, die da kommen sollten. Langsam erhob Krawutschke das Haupt. Nachdenklich starrte er auf die gegenüberliegende Wand, an welcher einige Prämienbilder besserer Sorte und mehrere Gypsstatuetten berühmter Dichter und Künstler prangten. Leise begann er:

„An München knüpfen sich für mich schöne Erinnerungen, und eine meiner teuersten Erinnerungen ist Er – der große Meister.“ – Sein Finger zeigte auf die Statuette Kaulbach’s.

„Standen Sie zu dem Meister in Beziehungen?“ fragte mit teuflischer Theilnahme der Assessor.

„Allerdings. Ich besuchte öfters sein Atelier. Sie müssen wissen, meine Herren, ich bin eigentlich Maler.

„Ah! In welchem Genre? Landschafter? Historie?“

„Nichts weniger als dies,“ antwortete mit unzerstörbarem Selbstbewußtsein Herr Krawutschke. „Porcellan!“

„Wie?!“

„Ich bin Porcellanmaler.“

„Ah!“

„Ja. Also ich besuchte öfters Kaulbach’s Atelier und vertiefte mich in die göttlichen Compositionen. Eines Tages klopft mich Jemand auf die Schulter. Ich wende mich – der Genius steht vor mir. Mit durchdringendem Blicke mustert er mich. Dann fragt er: ‚Auch Künstler?‘ – ‚In Porcellan!‘ antwortete ich, mich verneigend. – ‚Ah!‘ ruft der Meister verbindlich. Mit mildem Lächeln fordert er dann ein eingehendes Urtheil über die von mir soeben betrachtete Composition. Ich lehne es ab, ein Urtheil zu geben. ‚Warum nicht?‘ – ‚Meister, wir Beide können uns gegenseitig nicht beurtheilen. Sie arbeiten in Oel, ich in Porcellan. Ich muß aus dem Dunkeln in’s Helle arbeiten. Sie arbeiten aus dem Hellen in’s Dunkle. Wo bleibt da der Maßstab der Beurtheilung?‘ – Kaulbach sah mich verständnißvoll lächelnd an. Dann führte er mich durch das Atelier an den Ausgang, drückte mir die Hand und sagte beim Abschiede: ‚Es freut mich, meine Zeit nicht an einen ganz Unwürdigen verschwendet zu haben.‘“

Mein Freund biß die Zähne aufeinander. Ich krampfte, um dem Lachreize zu widerstehen, die Hände in den Taschen. Krawutschke erhob sich und mit fürstlicher Vornehmheit bat er uns, ihn zu entlassen, „da er dort drüben Freunde am Tische habe, die seiner bedürften und die nicht ganz zu vernachlässigen ihm Pflicht sei.“

Wir gingen und ließen, vor der Thür angekommen, zunächst der zurückgehaltenen Thätigkeit unseres angeregten Zwerchfelles freien Lauf. Als dies zur Genüge geschehen war, kamen wir zu einer Würdigung meiner neuen Bekanntschaft.

„Wir sollten eigentlich nicht lachen,“ meinte ich.

„So denke auch ich,“ antwortete mein Freund. „Es ist immer traurig, einen Menschen der bis zu einem gewissen Grade begabt ist, auf Abwegen zu sehen, die ihn früher oder später in’s Verderben führen müssen. Was ist nun Herr Krawutschke mit all’ seiner unverdauten, falschen Belesenheit? Eine zum Lachen herausfordernde Persönlichkeit, ein Mensch, [403] der, so sehr er sich der Allgemeinheit widmet, von ihr fast gemieden wird, wenn sie ihn nicht gerade braucht. Dazu sein unsicheres Tasten innerhalb des praktischen Lebens. Der Porcellanmaler wurde Porcellanhändler. Der Porcellanhändler wurde Gastwirth und dies wahrscheinlich nur aus dem Grunde, um sein eigener bester Gast zu sein. Nebenbei ist er Feuerwehr-Major, Director eines Liebhabertheaters, Vorstandsmitglied des Gesangvereins, Präsident des Gemeinnützigen Vereins, Gründer eines Gastwirthvereins, Dichter, und Gott weiß es, was noch. Sein Geschäft geht aber den Krebsgang, und das mit der allzu gutmüthigen Frau erheirathete Vermögen wird täglich dünner. Und was das Schlimmste ist: bei dieser lodderigen, zersplitterten Lebensweise, die im Grunde genommen eine Art Müßiggang ist, befindet er sich auf dem besten Wege, in aller Gemüthlichkeit ein Trinker zu werden. Das aber hilft ihm in ein frühes Grab, denn ich weiß von seinem Arzte, daß sich bei ihm ein allerdings noch in den ersten Stadien stehendes Nierenleiden entwickelt hat und daß ihm spirituöse Getränke aller Art geradezu Gift sind. Wir sollten also nicht lachen.“

„Gewiß nicht!“

„Uebrigens bleibe ich diesem Einzelfalle gegenüber bei meinem Pessimismus. Beiläufig halte ich es für eine dankbare und gebotene Aufgabe, den Mann zu zeichnen. Es giebt wohl noch mehr Krawutschkes, und mancher ist vielleicht noch im Stande, sich zusammenzuraffen.“ –

Ich besuchte Herrn Krawutschke noch mehrere Male. Der Abschiedsbesuch ist mir unvergeßlich.

„Ich bin Zschokkeaner,“ sagte er, „Deist von reinstem Wasser. Ich kenne nur drei Dinge: Deus, Mater und Maître! Verzeihen Sie, daß ich Ihnen diese drei Dinge in zwei fremden Sprachen nenne!“ Sein selbstgefälliges Lächeln bei diesem Aufwande von Geist ist selbstverständlich. – – –

Zwei Jahre vergingen. Ich dachte nicht mehr an Herrn Krawutschke. Da erhielt ich eines Tages von meinem Freunde einen Brief. Von seinem Inhalte führe ich die folgenden Zeilen an: „Der arme Krawutschke ist vor Kurzem gestorben. Sein Leiden wurde immer bedenklicher und nahm einen außerordentlich schnellen Verlauf. Er war ganz zurückgekommen. Die verarmte Wittwe und die unmündigen Kinder sind in traurigster Lage. Seine letzten Lebenstage waren einsam. Die Herren Philister zogen sich von dem verarmten Manne zurück, ‚der immer Alles besser gewußt habe‘. Mir thut er sehr leid und Dir gewiß nicht minder. War mein Pessimismus ihm gegenüber nicht gerechtfertigt?“

Lebe wohl, armer Krawutschke! Es ist Gefahr vorhanden, daß Du nicht der Letzte Deines Stammes bleibst.
Arno Hempel.