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Wir (Zerstreute Blätter V)

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Textdaten
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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Wir
Untertitel:
aus: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung) S. 114–117
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1793
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Wir.


A. Wie weit sind wir im Geschmack aus einander?

B. So?

A. Mich freuen neue Bücher; du suchst die alten aus ihrem Staube hervor.

B. Ich gestehe; bei den Alten finde ich viel Gelehrsamkeit, bei den Neuern viel Leerheit.

A. Es mag wahr seyn, daß die Neuern die Gelehrsamkeit der Alten plündern; sie tragen sie aber artiger vor, und bringen sie erweitert zu Markte.

B. Darinn nun eben ist unser Geschmack verschieden. Du liebst das Vorzeigen; ich das Nachspüren. Dies scheint mir edler, dem menschlichen Geist würdiger.

A. Was hast du jetzt vor;

B. Späße eines zu seiner Zeit nicht übeln Mannes.

A. Sage mir einiges aus deiner alten Welt.

B. Ich weiß nicht, ob es für dich ist; aber lache mit mir. Siehe hier zwei Etymologien: Herzog, sagt mein alter Autor, kommt von Herz und Og, (Auge) her, als ob Stärke und Klugheit in ihm vereinigt seyn sollten. Hoffart leitet er von Hof-Art ab, als ob die Hof-Art ihrer Natur nach Hoffart sei. –

B. Spielereien!

A. Ohne den Stachel, der darinn liegt, mögen sie es seyn; aber auch das gefiel mir, was mein Autor über das Wir in fürstlichen Rescripten sagt.

B. Ich dächte, das brächte der Fürsten höchste Würde und Hoheit mit, daß sie sich selbst anders, als wir einzelne Erdensöhne uns nennen.

A. Mein Autor giebt davon eine andre Ursache an; er hält nehmlich das fürstliche Wir für ein Zeichen der größesten Demuth und Humanität. Denn sagt er, da die Fürsten wissen, daß sie Menschen und für sich unfähig sind, eine so große Menge Menschen zu regieren: so wollen sie, daß nichts in ihrem alleinigen Namen beschlossen, oder geordnet sei; sondern sagen Wir und bekennen, daß darüber Rath eingeholt worden, daß es nach vernommener einmüthiger Zustimmung verfügt werde. So oft du also liesest: Wir, von Gottes Gnaden, mußt du dir das einstimmige Urtheil der klügsten, vorsichtigsten Rathgeber des Vaterlandes dabei denken; welches Wir denn allerdings viel dazu thut, den Unterthanen Zuversicht und Glauben an den Befehl ihres Fürsten zu geben und am Ende Gott die Ehre allein läßt.

A. Das gefällt mir nicht übel.

B. Er fügt noch das hinzu, daß es sich für uns nicht schicke, die Fürsten anders als mit Ich, selbst im Lateinischen, anzureden, damit es nicht aussähe, als ob wir den Sinn ihres Ausdrucks nicht begriffen, oder daran zweifelten.

A. Das mögen sich unsre Halblateiner, unsre gestrengen Herrlichkeiten merken, denen das Wir so gern in den Mund kommt.

B. Uebrigens kümmerts mich freilich nicht sehr, welchen Glauben mein Codex mit seiner Auslegung finde.

A. Wie aber, wenn heut zu Tage ein Fürst blos für einen pompösen Ehrentitel hielte, was einst ein Zeichen der Demuth war, und sein: Wir wollen und befehlen hinschriebe, wo wider den Willen Gottes und den Rath der Seinigen er allein befielt?

B. Dann, sagt mein Autor, thue er der Humanität seiner Vorfahren, der Treue seiner Unterthanen, der menschlichen Verfaßung und Gott selbst Schmach und Unrecht an, die er zeitig gnug büßen werde.