Wintersonnwende (Die Gartenlaube 1888/49)
Nun geht das alte Jahr zu Ende;
Die Zeit der Wintersonnenwende
Hüllt Feld und Wald in lichtes Weiß.
Die Tannen frühlingsgrün nur ragen,
Doch ihre stolzen Häupter tragen
Ein flimmernd Diadem von Eis.
Es sinkt die Nacht; die Stunden rinnen,
Die ihren dunkeln Mantel spinnen;
Kein Stern hält heute treue Wacht;
Die Eichenwipfel weh’n im Sturme,
Und durch den Wald vom nahen Thurme
Dröhnt laut es zwölfmal: – Mitternacht!
Da legt es sich, da raunt’s, da flüstert’s!
Da schleicht’s, da springt es und da knistert’s!
Die Sonnenwende übt ihr Recht.
Lebendig werden Busch und Hecken,
Es schlüpft aus mancherlei Verstecken
Der Zwerge winziges Geschlecht.
Die Grubenlämpchen glühn und flimmern;
Den Wald, o Wunder! hat ihr Schimmern
verwandelt in ein Feenreich.
Wo eben mitternächtig Dunkel,
Herrscht zauberhaftes Glanzgefunkel,
Sich spiegelnd im beeisten Teich.
Hier spielt’s in feinen Birkenzweigen,
Die zierlich erdenwärts sich neigen,
Wie farbenbunter Demantglanz.
Dort sprüht es bläulich aus dem Moose,
Roth, wie der Kelch der wilden Rose
Flammt in dem Gras ein Purpurkranz.
Wo zack’gen Eises nur ein Glöckchen,
Wo weißen Schnees nur ein Flöckchen,
Bricht tausendfacher Glanz hervor.
Und horch! der Wundernacht zum Preise
Tönt durch den Wald die frohe Weise
Des Zwergenvölkchens muntrer Chor:
„Hei, längste Nacht! Hei, Sonnenwende!
Gesellen, rührt Euch, seid behende,
Weihnachten naht, der Liebe Fest!
Ihm tönet Preis von allen Zungen,
Zu uns auch ist herabgedrungen
Der Jubelgruß aus Ost und West!
Schafft Tannen her zu Weihnachtsbäumen,
Davon die jungen Herzen träumen,
Und Beeren roth vom Stacheldorn!
Auch Moos fürs Kripplein bringt zur Stelle;
Bald tönt Knecht Ruprechts Silberschelle,
Die Säumigen bedroht sein Zorn!
Christkindlein setzt ihn uns zum Meister,
Alljährlich ruft die kleinen Geister
Er aus verborgnem Felsennest.
Hei, längste Nacht! Hei, Sonnenwende!
Gesellen, rührt Euch, seid behende –
Weihnachten naht, der Liebe Fest!“ –
Das ist ein Bücken, Klettern, Biegen!
Es klingt die Axt, die Späne fliegen;
Sie gönnen sich nicht Rast, noch Ruh.
Und bei der Arbeit, welch Frohlocken!
Rothkehlchen schauen unerschrocken
Dem Liebeswerk der Zwerge zu.
Und wißt, die haben’s ausgeplaudert!
Ich aber habe nicht gezaudert
Und schildert’s Euch in Bild und Lied.
Das biet’, Ihr lieben guten Leute,
Ich Euch als Weihnachtsgabe heute –
Doch sagt nicht, daß ich’s Euch verrieth!