Zum Inhalt springen

William Shakspeare's sämmtliche Gedichte/Tarquin und Lucretia

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
<<< Tarquin und Lucretia
aus: William Shakspeare's sämmtliche Gedichte
Seite: 169 - 237
von: [[{{{AUTOR}}}]]
Zusammenfassung: {{{ZUSAMMENFASSUNG}}}
Anmerkung: {{{ANMERKUNG}}}
Bild
[[Bild:{{{BILD}}}|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[[Index:{{{INDEX}}}|Wikisource-Indexseite]]
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe

[169]

Tarquin und Lucretia.


_________


[170]

 Dem hochgebornen Herrn

Heinrich Wriothesly,
Grafen von Southampton und Baron von Tichfield.
________

Die Liebe, die ich Euer Gnaden widme, ist ohne Ende, und dieses Büchelchen, ohne Anfang, ist nur ein überflüssiger Theil derselben. Die Zuversicht, mit der ich auf Ihre gnädige Gewogenheit hoffe, nicht der Werth meiner schutzlosen Zeilen, sichert diesen eine günstige Aufnahme. Was ich geleistet habe, gehört Ihnen; was ich leisten werde, gehört Ihnen, da es ein Theil des Ganzen ist, das ich Ihnen weihte. Wäre mein Werth größer, so würden meine Leistungen sich größer zeigen; indeß sind sie, wie sie sind, das Eigenthum Euer Gnaden, denen ich ein langes Leben, durch jedes Glück noch verlängert, wünsche.

Euer Gnaden
 ergebenster
William Shakespeare.

[171]

Von Ardeas[1] Belagerung entflieht,
Auf Flügeln unrechtmäß’ger Gier getragen,
Tarquin,[2] vom Römerheere lust-entglüht,
Mit Feuer nach Collatium zu jagen,

5
Das lichtlos, asch’erdrückt droht aufzuschlagen;

Den schönen Leib zu fah’n in schmutz’gem Triebe,
Lucretia’s,[3] Collatinens keuscher Liebe.

Der Keuschen“; dieses „keusch“ gerade mußte
Verschärfen seiner wilden Neigung Qualen,

10
Als Collatinus,[4] unvorsichtig, wußte

Der Farben Glanz mit Worten auszumalen,
Die an dem Himmel seiner Wonne strahlen,
Wo ihn allein zwei Erdensterne ehren,
So glänzend schön, wie die der Himmelssphären.

15
Denn letzte Nacht, im Zelte des Tarquin,

Entdeckt’ er seinen Schatz, sein glücklich Leben;
Welch fürstlich Gut die Götter ihm verlieh’n,
Als sie die schöne Gattin ihm gegeben;
Mocht’ so sich seines Glückes überheben:

20
Daß Kön’ge wohl sich größerm Ruhm vermählten,

Doch nimmer so vollkommne Schönheit wählten.

[172]

O nur von Wenigen genoßnes Glück!
Genossen selbst, wie welkt’s bald und erbleichet!
So schmilzt des Morgenthaues Silberblick,

25
Wenn ihn der Sonne goldner Strahl erreichet,

So flieht die Zeit, begonnen kaum, und weichet.
Schützt Ehr’ und Schönheit doch selbst Eigners Arm,
Hier in der Frevelwelt, nur schwach vor Harm.

Die Schönheit überzeugt durch sich allein

30
Das Aug’, und ohne Worte wird sie strahlen;

Was einfach ist, mag unbewiesen sein,
Drum war es unnütz, sie so auszumalen.
Und durfte Collatinus mit ihr prahlen?
Mußt’ er nicht den Juwel, weil er sein eigen,

35
Den köstlichen, vor Diebesohr verschweigen?


Ob nun sein Prahlen mit Lucretiens Werth
Des Fürsten heiße Gluth zum Ausbruch brachte, –
Wie unser Ohr denn oft das Herz bethört, –
Ob um den Schatz, den reich er, einzig achte,

40
Im aufgeregten Geist der Neid erwachte,

Empört, daß ein geringer Mann sich brüste
Mit goldnem Loos, das er, sein Obrer, mißte,

Genug, wenn Beides nicht, unzeitig drängt
Ein Einfall ihn zu gleich unzeit’gem Eilen.

45
An Freunde, Stand und Ehr’, an nichts er denkt,

Verläßt den Platz und flieget ohne Weilen,
Von innerm Brand, ihn stillend, sich zu heilen.
O rasche, falsche Gluth, die Reue kalt
Umschließt, du welkst im Lenz und wirst nicht alt.

[173]

50
Als in Collatium ab der Falsche stieg,

Hieß freundlich ihn die Römerin willkommen,
In deren Antlitz Schönheit um den Sieg
Mit Tugend stritt; wer mehr ihr Ruhm gewonnen;
Rühmt Tugend sich’s, wird Schönheit schamentglommen,

55
Und prahlt mit Roth die Schönheit, wird verdrossen

Ihr Glüh’n von Tugend silberweiß begossen.

Die Schönheit, die ein Recht auf’s Weiß gewann
Durch Venus Tauben, heischet ihr Gefilde;
Der Schönheit Roth verlangt die Tugend dann, –

60
Wie sie’s, daß es die Silberwang’ vergülde,

Dem goldnen Alter gab; – und wählt’s zum Schilde,
Und lehrt sie, wenn die Scham bedroht, es nützen:
Dann müsse Roth, das Weiß, umschließend, schützen.

Die Wappen in Lucretiens Gesicht,

65
So Schönheits-Roth und Tugend-Weiß andeuten,

Der Farben jede weicht der andern nicht,
Da sie vom Weltbeginn ihr Recht herleiten;
Und doch läßt sie ihr Stolz fortwährend streiten,
Da beider Herrscherrecht so unbeschränkt,

70
Daß eine oft vom Thron die andre drängt.


Den Kampf von Lilienweiß und Rosenglüh’n
Erblickt Tarquin im Feld der schönen Wangen;
In ihre Reih’n läßt er sein Auge zieh’n,
Und zwischen beiden faßt ihn Todesbangen.

75
Er giebt, ein Feigling, sich besiegt gefangen

Zwei Heeren, die ihn lieber ziehen ließen,
Als über solchen Feind Triumph genießen.

[174]

Er glaubt nun fest, des Gatten seichter Zungen,
Als sie der Geiz’ge so freigebig pries,

80
Sei ihrer hohen Schönheit Bild mißlungen,

Für die sich sein Gehirn zu schwach erwies;
Darum, was Collatin am Lob verstieß,
Das zollt Tarquin, argwöhnend jetzt, mit Augen,
Die, still bewundernd, nur Entzücken saugen.

85
Die Heilige, verehrt von diesem Teufel,

Beargwöhnt wenig seine falsche Gluth.
Ein unbefleckter Geist hegt selten Zweifel,
Kein Dickicht scheut die nie gefangne Brut
Der Vögel; unschuldsvoll und wohlgemuth

90
Naht sie dem hohen Gast mit Ehrerbieten,

Deß inn’re Mängel äuß’re nicht verriethen.

Denn jene hohe Würde, die ihn zieret,
Verbirgt den niedren Sinn in Majestät,
In der, was ungeordnet, sich verlieret;

95
Bewund’rung nur zu oft sein Aug’ verräth,

Das, Alles habend, doch nach mehr noch späht,
Im Reichthum arm, im Ueberfluß entbehrend,
Von Vielem übersatt, doch noch begehrend.

Sie, deren Augen nie mit fremden streiten,

100
Versteht nicht, was aus jenen Blicken spricht;

Kann lesen nicht versteckte Heimlichkeiten,
Die solcher Bücher Spiegelrand umflicht;
Berührt nicht Köder, fürchtet Angel nicht,
Und kann aus seinem Wollustblick nur schließen,

105
Daß seine Augen gern das Licht genießen.


[175]

Er singt ihr ihres Gatten Ruhm in’s Ohr,
So weit Italiens reich Gefilde grenze;
Hebt preisend Collatinens Würd’ empor,
Der hoch in mannhaft tapfren Thaten glänze,

110
Geschmückt durch Waffenbeut’ und Siegeskränze.

Sie hebt die Händ’ empor mit frohem Blick,
Und dankt dem Himmel wortlos für dies Glück.

Entschuld’gung seines Hierseins fehlt ihm nicht,
Noch ist er fern von seines Kommens Zwecken;

115
Kein Wölkchen, das von bösem Wetter spricht,

Läßt auf der heitern Stirne sich entdecken,
Bis daß die schwarze Nacht, der Quell der Schrecken,
Den Tag in ihres Kerkers Wölbung schließt,
Und trübes Dunkel auf die Erde gießt.

120
Da wird Tarquin, der müd’ und schläfrig schien, –

So stellt er sich, – zur Lagerstatt gebracht,
Denn nach dem Mahle wußt’ er hinzuzieh’n
Die Plauderei mit ihr tief in die Nacht;
Doch jetzt kämpft Lebenskraft mit Schlafesmacht,

125
Die Jedermann das Lager suchen heißt,

Nur Diebe, Gram nicht und unruh’gen Geist.

So liegt Tarquin und denkt an die Gefahren,
Um die sich seiner Lust Erfüllung dreht;
Es drängt ihn, seinen Lüsten zu willfahren,

130
Ob schwache Hoffnung gleich zum Absteh’n räth,

Wie Siegsverzweiflung oft auf Sieg ausgeht,
Und wenn ein großer Schatz als Lohn uns winket,
Ob Tod drauf steh’, der Tod nicht Tod uns dünket.

[176]

Wer viel begehrt, hat, in Gewinn verliebt,

135
Nicht was er hat; er weiß es nicht zu nützen,

Und wird, weil achtlos er’s aus Händen giebt,
Stets mehr verhoffend, wen’ger stets besitzen.
Gewinnt er viel, dann wird des Goldes Blitzen
Mit Kummer ihn beladen und Beschwerden,

140
Reich arm, wird im Gewinn bankrott er werden.


Der Zweck ist nur, zu pflegen unser Leben
Mit Reichthum, Ehr’ und Ruh in alten Tagen;
Doch also kämpfen wir bei diesem Streben,
Daß Eins für All’ und All’ für Eins wir wagen;

145
Für Ehre Leben in die Schanze schlagen;

Der Reichthum kostet Ehr’, und er allein
Wird Aller Tod oft, Aller Ende sein.

Wir geben’s auf, wenn wir zu viel erlangen,
Das, was wir sind zu sein, um künft’ges Glück,

150
Und diese Schwäch’, hochmüthiges Verlangen

Nach großem Gut, läßt quälend Fehl zurück
Am jetz’gen Eigenthum: denn so den Blick
Dem, was wir haben, achtlos abgekehrt,
Wird Was aus Unverstand zu Nichts vermehrt.

155
Tarquin muß mit dem Wagstück sich befassen,

Verliebt, der Lust verpfänden seine Ehr’,
Und für sich selbst muß er sich selbst verlassen: –
Wo wär’ auch Treu’, wenn nicht Selbsttreue wär’!
Gerecht erwarte nicht den Fremden mehr

160
Wer selber sich betrügt, sich hingegeben

Der Lästerzung’, und wüst verhaßtem Leben.

[177]

Der Tod der Nacht hat nun die Zeit beschlichen,
Der Wesen Aug’ hat schwerer Schlaf verdeckt;
Die Sterne sind, die tröstlichen, verblichen,

165
Kein Laut; Tod kündend Eul’ und Wolf nur schreckt,

Die ihre Zeit zum Ueberfall jetzt weckt;
Still ist das Lamm, Ruh’ reinem Geist geworden,
Wach Lust und Raub zu[5] schänden und zu morden.

Da, glühend, springt vom Lager auf Tarquin,

170
Hängt schnell den Mantel um den Arm; ihn treiben

Begierd’ und Furcht wahnsinnig her und hin;
Süß schmeichelt jene, diese mahnt zu bleiben,
Dem Wollustzauber weicht die Furcht beim Sträuben;
Sie sträubt sich lang’, doch endlich unterlieget

175
Die redliche, von niedrer Gier besieget.


Leicht schlägt an einen Stein er mit dem Schwert,
Und eine Fackel dann von Wachs entzündet
Er an dem Strahl, der aus dem Kiesel fährt,
Als Leitstern, daß den Weg das Auge findet;

180
Und ihrer Flamm’ er so den Willen kündet:

Wie ich aus kaltem Stein hieß Funken springen,
Muß ich Lukretia mir zu Willen zwingen.

Doch bleich vor Furcht, erst die Gefahr erwäget
Er nun von solch abscheulichem Begeh’n;

185
Die lange Reih’ von Trübsal überleget

Sein Inneres, die daraus mag entsteh’n:
Mit Abscheu nur kann er die Waffe seh’n
Nach unterdrückter Lust; muß sie verachten,
Und tadelt so mit Recht sein unrecht Trachten:

[178]

190
Verlisch, o Fackel! leihe nicht dein Licht

Zu trüben das, das heller als das deine!
Stirb hin, unheiliger Gedank’, und nicht
Befleck’ Unlauteres die göttlich Reine!
Nur reinen Weihrauch bring’ solch reinem Schreine:

195
Scheu’ eine That, o schöne Menschlichkeit,

Die es befleckt, der Liebe weißes Kleid.

O Ritterthum und Waffenglanz erblaßt!
Der Ahnen Grab wird diese That entehren!
Gottlose That, die alles Bös’ umfaßt:

200
Ein Krieger läßt von Wollust sich bethören!

Der wahre Muth soll wahre Liebe schwören;
So niedrig, schmachvoll drum wird mein Vergeh’n
Dem Antlitz lebend eingegraben steh’n.

Ja, stürb’ ich, mein Verbrechen würde leben,

205
Dem Goldgewand als Schandfleck aufgeprägt,

Und ein verhaßtes Mal dem Herold geben,
Zu zeichnen mich, der solche Lust gehegt;
Und mein Geschlecht, mit Brandmals Schmach belegt,
Wird, mich verfluchend, gern den Wunsch gesteh’n,

210
Daß ich, ihr Vater, nie das Licht geseh’n.


Was hätt’ ich, könnt’ ich meinen Wunsch erlangen?
Traum, Hauch und Freudenrausch, der schnell entfährt.
Wer kauft Minutenlust um Wochenbangen?
Verkauft um nicht’gen Tand, was ewig währt?

215
Wer ist, der um ’ne Traub’ die Reb’ zerstört?

Wo ließe wohl ein Bettler, um zu tragen
Der Krone Glanz, vom Scepter sich erschlagen?

[179]

Wird Collatin, wenn ihm mein Vorsatz träumt,
Vom Schlaf nicht mit Verzweiflungswuth auffahren?

220
Mein schändlich Werk zu stören, ungesäumt

Hereilen, seine Eh’ vor Sturm zu wahren?
Zu wehren Jugend Schmach, Gram weißen Haaren,
Der Tugend Tod, der Schande ewig Leben, –
Und mich endlosem Tadel übergeben?

225
Wie mag mein Geist Entschuldigung nur finden,

Zeihst du mich solcher That? – Mein schwach Gebein
Wird zittern, meiner Zunge Sprach’ entschwinden,
Verlieren wird das Auge seinen Schein.
Wenn groß die Schuld, wird Furcht stets größer sein;

230
Und große Furcht kann flieh’n nicht das Verderben,

Auch kämpft sie nicht, nein zitternd muß sie sterben.

Hätt’ Collatin mir Vater, Sohn erschlagen,
Wollt’ meuchlings er mir an das Leben geh’n;
Wär’ er mein Freund nicht, – wäre mein Betragen

235
Entschuldigt, seinem Weibe nachzusteh’n:

Es wäre dann aus Rache nur gescheh’n;
Doch da Verwandtschaft uns und Freundschaft bindet,
Bleibt’s eine Schmach, die nie Entschuld’gung findet.

Entehrend ist’s! – ja, wenn bekannt es wär’:

240
Gehässig ist’s! – die Liebe kann nicht hassen.

Ich fleh’ um Liebe sie, – die frei nicht mehr:
Das Schlimmste wär’, wollt’ sie mich nicht umfassen.
Längst hat mein Wille die Vernunft verlassen;
Wer Urtheil scheut und weisen Spruch der Alten,

245
In Furcht wird den bemalte Leinwand halten.


[180]

So läßt er frech sein glühend heiß Begehren
Zu Rath mit eisigem Gewissen geh’n;
Weiß bessere Gedanken abzuwehren,
Daß schlechtere Gefühl’ im Vortheil steh’n,

250
Die jeden guten Vorsatz gleich verweh’n,

Und bald dahin gelangen, einen Schein
Von edler That dem Schändlichen zu leih’n.

Wie freundlich, spricht er, hielt sie meine Hand,
Als scharf sie in mein lüstern Auge spähte,

255
Ob böse Post nicht von des Heeres Stand,

Wo Collatinus weilet, ich ihr böte;
Wie Furcht da ihrer Farben Schmelz erhöhte!
Erst Rosenroth, auf Linnenweiß entglommen,
Dann Linnen, wenn die Rosen fortgenommen.

260
Wie sie dann ihre Hand in meine legte,

Die ihre treue Furcht zu zittern zwang,
Was ihr mehr banges Zittern noch erregte,
Bis ihres Gatten Wohlfahrt ihr erklang,
Worauf ein Lächeln ihr in’s Antlitz drang,

265
Daß nie Narciß, mit solchem Blick beschenkt,

In sich verliebt, sich in der Fluth ertränkt.

Wie mag ich nur noch nach Entschuld’gung jagen?
Des Redners Kunst verstummt, wo Schönheit spricht;
Mag dummen Tropf Gewissensmißbrauch plagen,

270
Ein Herz, das Liebe kennt, scheut Schatten nicht.

Mich führt die Lieb’, und wenn die Liebe spricht,
Wenn erst ihr reich geschmücktes Banner weht,
Kämpft auch der Feigling, dem dann Muth entsteht.

[181]

Drum fort, unmünd’ge Furcht! stirb Ueberlegen!

275
Vernunft und Scheu dient runzelvollen Greisen:

Nie stellt mein Herz den Augen sich entgegen;
Ernst zweifeln, tief erwägen ziemt den Weisen,
Doch so ist Jugendgluth nicht abzuweisen.
Lust sei Pilot mir, Schönheit meine Beute!

280
Für solchen Schatz, – wer ist, der’s Sinken scheute?


So will unbänd’ge Lust beinah’ ersticken
Vorsicht’ge Furcht, wie Unkraut gute Saat;
Fort schleicht er, offnen Ohrs, mit Lauscherblicken.
Hier niedre Hoffnung, eitle Scheu dort naht,

285
Begleiter beide stets der Missethat,

Die widersprechend sich mit Rath durchkreuzen,
Bald ihn zum Friedensschwur, zum Krieg bald reizen.

Ihm in Gedanken thront ihr Himmelsbild,
Und Collatin macht auch den Sitz sich eigen.

290
Sein Aug’, das sie erblickt, es macht ihn wild;

Ihr Aug’, das ihn erblickt, will hehr sich zeigen,
Nicht zu so schlechtem Anblick niedersteigen;
Doch an ein Herz den reinen Ruf es richtet,
Das, schon verderbt, auf Besseres verzichtet.

295
Dort pflegt er Kräfte, dienend ihm verbunden,

Geschmeichelt von des Führers heiterm Schein,
Die Lust voll füllen, wie Minuten Stunden,
Und wie ihr Herr in Uebermuth gedeih’n,
Dem sie Tribut, mehr als sie schuldig, weih’n.

300
So tollkühn zu Lucretiens Bette schreitet

Roms Herrscher, von verworfner Gier geleitet.

[182]

Gesprengt, zieht jedes Schloß, das ihr Gemach
Von seinem Willen trennt, die Riegel ein;
Doch schilt den bösen Vorsatz ihr Gekrach,

305
Und heißt den feigen Dieb vorsichtig sein:

Er hört die Thüren knarrend ihn bedräu’n,
Nachtwiesel kreischen, als sie dort ihn schauen;
Sie schrecken ihn, doch er besiegt das Grauen.

Wie jede Pfort’ erzwungne Bahn gewähret,

310
Da kämpft durch Spalt’ und Ritzen mit dem Licht

Der Fackel, heft’ger Windzug, der ihm wehret,
Und bläs’t, sie löschend, Rauch ihm in’s Gesicht,
Daß ihre Leitung fast ihm schon gebricht;
Doch weiß sein heißes Herz mit andern Winden,

315
Mit Sehnsuchtsgluth, sie wieder anzuzünden.


Und er gewahrt, als dieses Licht ihm glitzt,
Lucretiens Handschuh’, die am Boden lagen;
Er griff danach, doch eine Nadel ritzt
Die Finger blutig ihm, als wollt’ sie sagen:

320
Der Handschuh will dein Tändeln nicht ertragen,

Du hast’s gefühlt, leg’ schnell sie wieder hin:
Der Putz ist keusch wie die Gebieterin.

Doch all solch schwach Verbot kann ihn nicht stören,
Er giebt den schlimmsten Sinn der Störung nur;

325
Nicht Thüre, Wind, noch Handschuh darf ihm wehren:

Er sieht in Allem nur des Zufalls Spur,
Gewichte gleichsam, die die Stundenuhr
Im Lauf verzögernd hemmen, bis der Stunde
Die Schuld bezahlt hat jegliche Secunde.

[183]

330
Stets, sprach er, wird Verzug die Zeit begleiten,

Wie schwache Fröste noch im Frühling dräu’n,
Daß um den Lenz sich höh’re Freuden breiten,
Den Sang die Vögel fröhlicher erneu’n;
Für Köstliches darf man Gefahr nicht scheu’n;

335
Es droh’n Piraten, Stürme, Furcht zu stranden

Dem Kaufmann, eh’ er reich daheim darf landen.

Des Zimmers Thür hat er nunmehr erreicht,
Die ihn vom Himmel seiner Wünsche trennt;
Nichts mehr als eine Klinke, die bald weicht,

340
Verschließt ihm, was sein höchstes Gut er nennt;

Und so Gottlosigkeit sich selbst verkennt,
Daß er vom Himmel seine Beut’ erfleht,
Als werd’ der Sünd’ erhört dort ihr Gebet.

Doch während seiner unfruchtbaren Bitten,

345
Die zu den ew’gen Mächten kühn sich wenden,

Daß sich die Schön’ ergeb’ unreinen Sitten,
Und sie zur günst’gen Stund’ ihm günstig ständen,
Fährt mit dem Ruf er auf: Ich muß sie schänden!
Die Mächte, die ich bitte, müssen scheu’n

350
Die That, – wie können sie mir Hülfe leih’n?


Drum Glück und Lieb’, ich folge eurem Rath!
Den Willen unterstützt entschloss’ner Muth;
Gedanken sind nur Träume, fehlt die That,
Die schwerste Sünd’ ist, wenn verziehen, gut;

355
Drum Eis der Furcht, schmilz an der Liebe Gluth,

Des Himmels Aug’ erlosch, und düstre Nacht
Deckt süße Lust und Scham, wenn wir erwacht.

[184]

Nun hebt die Sünderhand die Klink’ empor,
Und öffnet mit dem Knie die Thüre weit;

360
Die Taube schläft, die diese Eul’ erkor,

Verrath, eh’ man Verräther sieht, gedeiht.
Wer eine Schlang’ erblickt, der springt bei Seit’, –
Doch sie, den Todesstich nicht ahnend, liegt
Ihm Preis gegeben, süß in Schlaf gewiegt.

365
In ihre Kammer bösen Sinnes schleichet

Er jetzt, und sieht ihr Bett, noch unentweiht;
Nicht von dem fest geschloss’nen Vorhang weichet
Sein gierig Aug’, das wild im Kopfe dräut,
Und seinem Herzen mit Verrath gebeut,

370
Die Hand nach jenen Wolken auszustrecken,

Die dieses Mondes Silberglanz verdecken.

Wie, wenn den Wolken sich die Sonn’ entwindet,
Ihr Feuerstrahl uns raubet das Gesicht,
So auch beginnt, als die Gardine schwindet,

375
Sein Aug’ zu blinzeln in dem hellen Licht:

Sei’s nun, daß es den Glanz, der sie umflicht,
Nicht tragen kann, sei’s daß ihn Scham beschlich,
Genug, blind ist es und nicht öffnet’s sich.

Warum, ach! starb’s in dunk’ler Haft nicht hin?

380
Dann sah’s nicht selbstgeschaffne böse Zeiten!

Dann ruht in reinem Bette Collatin
Noch glücklich wieder an Lucretiens Seiten;
Doch mußt’s aufgehend Untergang bereiten
Dem keuschen Bund, und diesem Blicke muß

385
Die Heil’ge opfern Leben und Genuß.


[185]

Die Lilienhand liegt unter Rosenwangen,
Wo sie rechtmäß’gen Kuß dem Kissen raubt:
In Hälften dies, auf jeder Seit’ zergangen,
Schwillt zornig auf, weil es gekürzt sich glaubt;

390
Und zwischen seinen Hügeln ruht ihr Haupt.

So liegt sie wie ein Denkmal da der Tugend,
Und dient zur Augenlust unheil’ger Jugend.

Die andre Hand ruht auf der grünen Decke
Außer dem Bett, und ihre Weiße lacht

395
Wie im April Schneeglöckchen an der Hecke,

Beperlt mit Schweiß, als wie vom Thau der Nacht;
Gleich Sonnenblumen liegt der Augen Pracht
In dunkler Hülle, bis sie sich erschließen,
Und auf den Tag ein hellres Licht ergießen.

400
Im Athem steigt ihr goldnes Haar und fällt!

Welch’ üpp’ge Zucht, welch’ zücht’ge Ueppigkeit!
Triumph des Lebens zeigt’s im Todesfeld,
Zeigt düstern Tod in Lebens Sterblichkeit;
In ihrem Schlaf verschönern sie sich beid’,

405
Als ob es Zwist nicht zwischen ihnen gäbe,

Leben im Tod und Tod im Leben lebe.

Der Busen, eingehegt mit blauen Banden,
Gleicht zweien unbesiegten Liliengloben,
Die nur im Gatten ihren Sieger fanden,

410
Und ihm allein auch Treue angeloben.

Tarquin’s Begier wird nur durch sie gehoben;
Er gleicht dem bösen Räuber einer Krone,
Und sinnt, wie er den Eigner stürzt vom Throne.

[186]

Was konnt’ er seh’n, das er nicht mußt’ betrachten,

415
Und was betrachten, das er nicht begehrt’?

Sein Auge blickt und muß nach Allem schmachten,
Daß es vor Müdigkeit sich schon empört.
Zu hohem Staunen wird sein Blick vermehrt
Von ihrer Haut, azurner Adern Wallen,

420
Dem Grübchenkinn, den Lippen von Korallen.


Wie auf dem Raub der Löwe steht, – das Glüh’n
Der Siegeslust stillt fast des Hungers Gier, –
So steht bei dieser Schlafenden Tarquin,
Das Anschau’n dämpft die Wollustgluth auch hier;

425
Doch wird sie nicht gelöscht, denn wie er ihr

Zur Seite steht, wirft Aufruhr in die Adern
Sein Aug’ ihm, das schon erst begann zu hadern.

Und denen – gleich hartherzigen Vasallen
Und Knechten, die für Beute nur sich schlagen,

430
Die sich in Mord und Schändung wohlgefallen,

Mit Mutterthränen kein Erbarmen tragen –
Schwillt nun der Stolz; sie wollen Alles wagen,
Sobald der Herzschlag Angriffszeichen giebt,
Und thun sie läßt, was ihnen dann beliebt.

435
Sein Aug’ erfrischt sich an des Herzens Schlagen,

Es dienet dann zur Leitung seiner Hand;
Und diese, stolz so große Ehr’ zu tragen,
Nimmt dann schweißtriefend, eilig ihren Stand
Auf nackter Brust, Herz ihrem ganzen Land.

440
Die Thürmchen, als die Hand sie stürmt, erblassen

Von ihren blauen Aderreih’n verlassen.

[187]

Sie zieh’n, sich sammelnd, in die stille Kammer,
Wo ihre liebe Herrin, Herrschrin, liegt,
Und melden, was gescheh’n mit lautem Jammer.

445
Sie, die ob der Verwirrung wild erschrickt,

Schlägt ihr geschloss’nes Aug’ auf und erblickt
Bestürzet den Tumult; doch schnell auch wendet
Sie’s ab, von seiner Fackel Licht geblendet.

Um Mitternacht, von Phantasie’n gerüttelt

450
Denk’ eine Frau dir aus des Schlafes Tod,

Sie wähnt, und jedes Glied wird ihr geschüttelt,
Von grausigem Gespenste sich bedroht:
Wie schrecklich das – sie ist in größrer Noth!
Der Schlafgestörten stellt ein Bild sich dar,

455
Das macht des Traums vermeinte Schrecken wahr.


Sie liegt von tausend Aengsten wirr befangen,
Dem Vogel gleich, der kaum dem Schuß erlegen,
Wagt nicht zu seh’n, doch blinzelnd scheint der Bangen,
Das Aug’ anwidernd, etwas sich zu regen:

460
Wie geistesschwache Schatten dichten mögen,

Die, zürnend, daß die Augen sich verschließen,
Als Schreckgebllde Nachts vorüberschießen.

Die Hand, die auf dem Busen ihr geblieben,
Ein rauher Sturmbock solchem Marmorwall –

465
Fühlt drin das Herz verwundet, sich betrüben,

Fühlt, wie’s emporsteigt, fühlet seinen Fall;
Sie selber wird erschüttert durch den Schall. –
Das steigert seine Gluth, heißt Mitleid schweigen,
Heißt Bresch’ ihn legen und die Burg ersteigen.

[188]

470
Die Zunge, wie Trompete zum Beginn,

Ruft auf den bangen Feind, sich zu vertragen;
Der hebt aus weißer Deck’ ein weißres Kinn,
Nach unbefugten Lärmens Grund zu fragen;
Den schweigend er erklärt durch sein Betragen:

475
Doch auf die Fahne dringt sie nun mit Fleh’n,

In deren Farbe Unbill ihr gescheh’n.

Er spricht: „Die Farb’ in deinem Angesicht,
Deß Weiße selbst die Lilie beneidet,
Deß Röthe selbst der Rosengluth gebricht,

480
Sie ist es, die für meine Liebe streitet;

Das ist die Fahne, die zu dir mich leitet,
Zum Sturm auf deine Burg; die Schuld ist deine,
Dein eignes Aug’ verrieth dich an das meine.

So straf’ ich deinen Grund zum Schelten Lügen,

485
Die eigne Schönheit gab dir diese Nacht;

Du mußt in ihr dich meinem Willen fügen,
Ihm, der zu meiner Erdenlust dich macht;
Den ich umsonst bekämpft mit aller Macht:
Denn als Vernunft ihn und Verweis beschworen,

490
Ward er durch deine Schönheit neu geboren.


Ich weiß, Unheil wird mir mein Angriff bringen,
Ich seh’ den Stachel, der beim Honig wacht;
Der Dornen denk’ ich, die die Ros’ umringen:
Dies Alles hat die Einsicht wohl bedacht;

495
Doch läßt der taube Will’ es außer Acht,

Nur Augen hat er, Schönheit anzustaunen,
Und folgt, trotz Recht und Pflicht, des Blickes Launen.

[189]

In tiefster Seel’ hab’ ich das Leid erwogen;
Den Gram, die Schande, die mein Thun gebäre,

500
Doch nichts bezwingt der wilden Neigung Wogen,

Nichts, das der Wuth achtlosem Stürmen wehre.
Ich weiß, es folgt der That der Reue Zähre,
Schmach, Vorwurf folgt, Todfeindschaft dem Vollbringen,
Doch streb’ ich, eigne Schande zu erringen.“

505
Und damit schwingt er hoch die Römerklinge,

Die wie der Falke, der zum Himmel steigt,
Den Vogel drunten bannt in Nacht der Schwinge,
Weil, hebt er sich, der Schnabel Tod ihm zeigt.
So unter Schwertes Dräu’n ohnmächtig beugt

510
Lucretia sich; sie weiß, was er begehrt,

Ein Vogel, der des Falken Glocke hört.

Lucretia“, spricht er, „mein bist du die Nacht,
Und weigerst du’s, bricht die Gewalt mir Bahn;
Du wirst von mir im Bett hier umgebracht,

515
Der niedern Sclaven einen würg’ ich dann,

Und Ehr’ und Leben wird dir abgethan;
An deine todte Brust werd’ ich ihn legen,
Und schwören: dort traf ihn mein rascher Degen.

So wird zur Schmach dein Mann dich überleben,

520
Ein Ziel des Hohnes jedem Auge sein;

Was dir verwandt, darf nie das Haupt erheben,
Die Kinder wird der Bastardnam’ entweih’n,
Und dir, der Schande Stifterin, im Reim
Wird dein Vergeh’n dir lange noch erklingen,

525
Und Kinder werden’s spätern Tagen singen.


[190]

Doch giebst du nach, bleib’ ich, dein Freund, verschwiegen,
Verschwiegne Schuld ist Schuld, die nicht verübt.
Ein kleiner Fehl muß gutem Zweck sich fügen,
Auch wird, was recht ist, dadurch nicht getrübt;

530
Selbst das, was einfach giftig ist, das giebt,

Wenn wir’s mit reinen Stoffen nur verbinden,
Als heilsam sich, und läßt das Gift entschwinden.

Um Gatten, Kinder willen hör’ mein Werben;
Nicht Schmach, von der kein Kunstgriff sie befreit,

535
Nicht einen Vorwurf lasse sie ererben,

Der nie vergessen wird, der schlimmer weit
Als Sclavenmal sich und Geburtsmal beut.
Denn Mäler, die Natur uns giebt als Zeichen,
Die können uns zur Schande nicht gereichen.“

540
Mit Basiliskenblick, der Tod andräu’t,

Rafft er sich auf und läßt die Rede schwinden;
Und sie, das Bild der reinsten Frömmigkeit,
Wie in des Geiers Klau’n die weiße Hindin
In rauher Oede, wo kein Recht zu finden,

545
Fleht zu dem Thiere, das Gesetz nicht ehrt,

Und nur auf seine niedre Lüste hört.

Wie wenn auf Fluren droh’nde Wolken hängen,
In feuchte Nebel hüllen Bergeshöh’n;
Dann von der Erd’ sie sanfte Lüftchen drängen,

550
Die, theilend, ihren dichten Dunst verweh’n,

Und wir den nahen Fall gehindert seh’n:
So scheint es, daß ihr Wort die Gluth ihm kühlt,
Wie Pluto mürrisch blinzt, wenn Orpheus spielt.

[191]

Doch, eine nächt’ge Katze, treibt er Scherz

555
Nur mit der Maus, die schwach der Kralle wehrt,

Ihr traurig Müh’n ergötzt sein Geierherz,
Ein Strudel, der im Ueberfluß entbehrt;
Ihr Flehen hat ein Ohr, kein Herz gehört;
Die Thränen sind’s, die Gier zu schärfen pflegen,

560
Doch weicht selbst Marmor endlich langem Regen.


Betrübt in sein Gesicht, von Grausamkeit
Durchfurcht, ihr mitleidflehend Auge blickt;
Ihr sittsam Wort hat Seufzer zum Geleit,
Was ihre Red’ mit größrer Anmuth schmückt;

565
Oft wird von seinem Ort der Satz verrückt,

Und wie die Stimm’ ihr bei der Red’ oft bricht,
Beginnt sie zweimal, eh’ sie einmal spricht.

Bei Zeus beschwört, dem mächtigen, dem hehren,
Bei Ritterthum sie ihn und Freundschaftseiden

570
Bei ihren Thränen, ihres Gatten Ehren,

Bei Menschenrecht und Treu’, den allgeweihten,
Bei Erd’ und Himmel und der Macht von beiden.
Heim in sein Bett, das gastliche, zu kehren,
Auf Ehre, nicht auf schnöde Lust zu hören.

575
O wolle nicht, wie du dir vorgesetzt,

Mit schwarzer That die Gastfreundschaft beschenken!“
Spricht sie, „trüb’ nicht den Quell, der dich geletzt:
Was nie zu bessern, wolle nimmer kränken,
Noch kannst den Schuß von schlechtem Ziel du lenken;

580
Verächtlich ist der Schütz, der je den Bogen

Auf eine arme Hindin angezogen.

[192]

Mein Mann ist Freund dir, seinethalb verschon’ mich,
Um deinetwillen laß mich unverzüglich,
Du stark, ich schwach, verstricke nicht in Hohn mich,

585
Du gleichest nicht Betrug, drum nicht betrüg’ mich;

Mein Seufzen gern, wie Wirbelwind, forttrüg’ dich;
Konnt’ Weiberklage je dem Manne wehren,
So sei gerührt von meinen Seufzern, Zähren,

Die, gleich dem aufgeregten Weltmeer, schlagen

590
An Brust und Herz dir, die mir Schiffbruch dräu’n,

Sie zu besänftigen durch stetes Klagen;
Zu Wasser wird ja, lös’t man ihn, der Stein,
O! willst du härter noch als Kiesel sein?
An meinen Thränen schmilz’, laß Mitleid sehen,

595
Mitleid kann ja durch Eisenthüren gehen.


Im Bild Tarquin’s betrogst du meine Laren,
Du gehst, zur Schmach ihm, als Tarquin einher!
Ich klag’ dich an vor allen Himmelsschaaren;
Du thust ihm weh’, an Fürstennam’ und Ehr’.

600
Du bist nicht, was du scheinst, und wenn es wär’,

Scheinst du nicht, was du bist; das Scepter führen
Soll, Göttern gleich, der Fürst und recht regieren.

Im Alter, welche Frucht soll Schmach dir tragen,
Wenn so dein Laster keimt im Lenze schon?

605
Kannst du, in Hoffnung noch, so Böses wagen,

Was wagst du einst, wenn auf dem Königsthron?
O denk’ daran, daß selbst vom Knecht der Hohn
Der Missethat nicht abgewaschen werde;
Nie birgt des Königs böse That die Erde.

[193]

610
Die That wird Lieb’ dir nur aus Furcht eintragen,

Da gute Fürsten Furcht durch Lieb’ erringen.
Gezwungen duldest du, was Andre wagen,
Wenn sie Beleidigung an dir vollbringen.
Schon darum such’ den Willen zu bezwingen;

615
Denn Fürsten sind für Unterthanenaugen

Das Buch, die Schule, draus sie Lehren saugen.

Willst du die Schule sein, wo Wollust lerne?
Das Buch, wo sie zum Schänden Lehre finde?
Willst du der Spiegel sein, in dem sie gerne

620
Vollmacht zur Unthat sieht, Bürgschaft der Sünde?

Willst du, daß Schand’ in dir ihr Recht begründe?
Mit dir beut Schmach dann ew’gem Ruhm die Stirne,
Und guten Ruf machst du zur feilen Dirne.

Ward dir Gewalt? durch den, der sie verlieh,

625
Vertreibe Böses aus des Herzens Falten!

Und nicht dein Schwert zum Schutz des Lasters zieh’,
Zu tödten diese Brut, hast du’s erhalten!
Wie könntest du dies Fürstenamt verwalten,
Wenn man die schnöde Sünde sagen hörte:

630
Er war es, der des Lasters Pfad mich lehrte!


Welch niedrig Schauspiel, denk’, würd’ es dir sein,
Ließ’ dein Vergeh’n bei Andern sich entdecken!
Der Mensch sieht selten eigne Fehler ein,
Da er parteiisch will die Schuld verstecken;

635
Dies schien’ im Bruder selbst todwürd’ger Flecken;

O wie sind sie in Schande tief gerathen,
Die seitwärts seh’n bei eignen Missethaten!

[194]

Zu dir laß mich, mit aufgehobnen Händen,
Zu deiner Lust nicht, der verführend blinden,

640
Um Rückruf ferner Majestät mich wenden.

Sie kehr’ zurück, und Truggedanken schwinden;
Ihr Anseh’n wird die falschen Triebe binden,
Vom Nebel dein bethörtes Auge rein’gen,
Dir deinen Zustand zeigen, Trost dem mein’gen.“

645
Genug“! ruft er, „die unbezwungne Fluth

Weicht nicht zurück, schwillt höher nur am Wehr;
Ein Lichtchen bläs’t sich aus, nicht Flammengluth,
Beim Winde gährt und wüthet sie nur mehr;
Das winz’ge Flüßchen, das dem salz’gen Meer

650
Tribut bezahlt, kann durch sein rasches Fließen

Die Fluth wohl mehren, doch sie nicht versüßen.“

Du bist“, spricht sie, „ein König, bist ein Meer,
Doch sieh’, in deine wilden Wogen gießen
Sich brausend schwarze Wollust, Schand’, Unehr’,

655
Die Schmutz in deines Blutes Wellen ließen.

Sollt’ in dein Gutes all dies Schlechte fließen,
Dann wird das Meer in eine Pfütze fallen,
Nicht hin zum Meer die schwache Pfütze wallen.

Zu Fürsten mach’ die Sclaven, sink’ hinab

660
Erniedrigt du zum Sclaven, sie erhöht;

Ihr heitres Leben, sei es dir das Grab,
In Schmach sei du, in Hoheit sie verschmäht!
Ist’s recht, daß Niedriges vor Hohem steht?
Die Ceder bückt sich nicht zu niedern Knorren,

665
Nein, ihr zu Füßen müssen sie verdorren!


[195]

Drum deine Sinne, diese Knechte, laß –“
Nichts mehr, beim Himmel!“ ruft er, „will ich hören;
Ergieb der Liebe dich, sonst soll mein Haß,
Statt sanfter Liebe Druck, dich rauh zerstören;

670
Ist das gescheh’n, will ich, dich zu entehren,

Mit dir zum Bette schlechten Knechtes eilen,
Und Tod soll der, schmachvollen, mit dir theilen!“

Er spricht’s – schon löscht sein Fuß der Fackel Schein,
Denn Lust und Acht sind auf den Tod entzweit,

675
Hüllt Sünde sich in nächtlich Dunkel ein,

Uebt, wen’ger sichtbar, sie mehr Grausamkeit.
Der Wolf erfaßt den Raub, das Lämmchen schreit,
Bis ihr Geschrei, vom eignen Vließ erdrückt,
Hinstirbt, im eignen süßen Mund erstickt.

680
Denn er, zu wehren ihren Jammertönen,

Ihr mit dem Nachtgewand das Haupt bedeckt,
Und kühlt sein Angesicht in ihren Thränen,
Die ihr im keuschen Auge Gram erweckt.
Daß Wollust so ihr reines Bett befleckt!

685
Könnt’ Weinen seine Flecken nur verdrängen,

Mit ew’gen Thränen würde sie’s besprengen.

Ach! sie verlor, was mehr ihr werth als Leben,
Und er gewann, was gern er möcht’ entbehren.
Erzwungner Bund muß neuen Zwiespalt geben,

690
Die kurze Freude Monatspein gebären.

Der heiße Wunsch sich kalt in Abscheu kehren:
Die reine Keuschheit ihren Schatz verlor,
Die Lust, der Dieb, ist ärmer als zuvor.

[196]

Wie Falk’ und Jagdhund, wenn sie übersatt,

695
Zum Fliegen und zum Wittern ungeschickt,

Die Beute lassen, oder doch nur matt
Verfolgen mögen, was sie sonst beglückt:
So wird nun von der Nacht Tarquin erdrückt,
Sein Vollgenuß, ihm herbes Nachweh’ bringend,

700
Den Willen, der verschlingend lebt’, verschlingend.


O Sünde, tief, daß nimmer bis zu ihr
Die regste Phantasie kann niedersteigen!
Ausspeien muß, was sie empfing, die Gier,
Noch eh’ sich ihr die eigne Schmach kann zeigen.

705
Kein Zuruf wird die heiße Wollust beugen;

Nichts zügelt sie, wenn sie begehrend wüthet,
Bis, wie der Gaul, sie durch sich selbst ermüdet.

Und dann entfärbt und matt, mit bleichen Wangen,
Mit trübem Aug’ und mit geschwächtem Schritt,

710
Beweint den Fall demüthig das Verlangen,

Gleich einem Reichen, der Bankrott erlitt.
Da stark das Fleisch, es keck mit Schönheit stritt,
In der es schwelgt; doch wenn das schwach vergeht,
Der schuldige Rebell um Gnade fleht.

715
So muß Roms schuld’ger Herrscher sich nun finden,

Er steht am Ziel, das glühend er begehrt;
Nun muß er selbst sein Urtheil sich verkünden:
Durch aller Zeiten Lauf sei er entehrt,
Der Seele schöner Tempel ihm zerstört;

720
Und Sorgenschaaren zieh’n zu dessen Trümmern,

Durch Fragen die befleckte zu bekümmern.

[197]

Sie spricht: der Unterthanen schnödes Wagen
Hab’ ihr zertrümmert ihren heil’gen Wall,
Ihr die Unsterblichkeit in’s Joch geschlagen

725
Durch ird’sche Sünden, und als Sklavin fall’

Lebend’gem Tod sie heim und ew’ger Qual:
Sie habe längst all das vorhergesehen,
Und dennoch nicht vermocht zu widerstehen.

So denkend schlich er fort in finstrer Stunde,

730
Ein Sieger, der besiegt den Sieg bereut,

Und trägt in sich die unheilbare Wunde,
Von deren Narb’ ihn keine Kunst befreit;
Doch läßt er seine Beute größerm Leid:
Sie trägt die Bürde seiner schnöden Lust;

735
Er Geistes Last, denn er ist schuldbewußt.


Er kriecht, gleich einem dieb’schen Hund, von hinnen,
Sie liegt, ein müdes Lamm; ihr Herz, es bricht;
Er haßt und schmäht sein sündiges Beginnen,
Sie gräbt die eignen Nägel in’s Gesicht;

740
Er flieht, schweißtriefend von der Schuld Gewicht,

Sie bleibt, verwünscht die Marternacht mit Flüchen;
Er eilt und schilt auf Freuden, die erblichen.

Er zieht von dannen, schwor die That zu büßen,
Sie bleibt zurück, die hoffnungslos verloren;

745
Er sehnet sich, das Morgenlicht zu grüßen,

Sie hat, den Tag nicht mehr zu seh’n, geschworen;
Denn“, spricht sie, „Tag deckt auf, was Nacht geboren,
Und nie hat es mein Aug’ versucht, die Flecken
Mit listerfahrner Stirne zu bedecken,“

[198]

750
Er glaubt, daß diese Schmach, die ihm bekannt,

Auch keinem andern Auge sich verhehle;
Drum hält er gern im Dunkel seinen Stand,
Daß Niemand ungesehne Schuld erzähle:
Denn Thränen sprächen selbst von meinem Fehle,

755
Und grüben mir, wie Wasser Stahl zerstört,

Den Wangen ein die Schmach, die mich verzehrt.“

Sie schilt auf Ruh’ und Rast in ihrem Schmerz,
Gebeut den Augen ewiges Erblinden;
Schlägt ihre Brust, erwecket so ihr Herz,

760
Befiehlt ihm fortzueilen, aufzufinden

Sich eine Hülle, die noch rein von Sünden,
Und schmäht, vom Gram zur Raserei gebracht,
So die verschwiegne Heimlichkeit der Nacht:

O Nacht, trostwürgende! du Höllenbild!

765
Du, jeder Missethat Auszeichnerin!

Du schwarze Trauerbühne, morderfüllt!
Du sündenbergende Ernährerin
Der Laster, du verhüllte Kupplerin!
Du Todeshöhle, flüsternd mit Verschwörern,

770
Im Bunde mit Verrath und Fraunentehrern!


Verhaßte Nacht, gefüllt mit gift’gen Dämpfen:
Da mein unheilbar Fehl du konntst erzeugen,
So wolle nun das Morgenlicht bekämpfen,
Verwirr’ der Stunden wohlgeschloss’nen Reigen!

775
Und läßt du doch hinauf die Sonne steigen,

So woll’ ihr, eh’ sie sinkt, das Haupt umwinden,
Das goldene, mit gift’gen Wolkenbinden!

[199]

Mit faulem Dunst entweih’ die Morgenlüfte,
Der Reinheit Urquell selbst, das höchste Schöne,

780
Daß ungesunder Pesthauch es vergifte,

Eh’ müd’ die Sonn’ an’s Mittagsziel sich lehne!
Laß dichte Nebelreih’n so weit sich dehnen,
Daß, raucherstickt, das Licht schon untergehe,
Eh’s Mittag noch, und ew’ge Nacht entstehe!

785
Tarquin (das Kind der Nacht), wenn Nacht er wär’,

Die Kön’gin würd’ im Silberglanz er schänden;
Nicht schauten die entehrten Zofen mehr,
Die schimmernden, aus schwarzer Nacht Gewänden;
Theilnehmer so an meiner Qual sich fänden:

790
Genossenschaft im Leid wird Leiden lindern,

Wie Wandrer plaudernd Wegeslänge mindern.

Mir fehlen die, die dann mit mir erröthen,
Die Arme kreuzen, ihre Häupter senken,
Die Stirn verhüllen, Schutz der Schande böten;

795
Allein muß ich die tiefe Schmach bedenken,

Mit heller Thränen Fluth die Erde tränken,
Und Zähren hier mit Seufzern still verbinden
Für ew’gen Jammer, Mäler, die verschwinden.

O Nacht, aufsteigend schmutz’gen Rauches Herd’,

800
Zeig’ nicht dem neid’schen Tage mein Gesicht,

Das, von der Schmach unbänd’ger Qual verheert,
Im Schutze deines schwarzen Mantels liegt!
O weich’ von deinem düstern Platze nicht,
Daß die in deinem Reich begangnen Sünden

805
Zugleich ihr Grab in deinem Schatten finden!


[200]

O gieb mich nicht dem Tagsgeschwätze Preis!
Das Licht giebt von der Keuschheit Falle Kunde;
Mir in die Stirn geätzt ist’s, Jeder weiß
Den bösen Bruch an heil’gem Ehebunde;

810
Ja, Ungelehrte werden, aus dem Munde

Gelehrter Bücher Räthsel aufzulösen
Zu ungeübt, die That im Aug’ mir lesen.

Mit meiner Sage stillt die Amm’ ihr Kind,
Und schreckt die Knaben mit Tarquinens Namen;

815
Der Redner, seine Red’ zu schmücken, spinnt

Tarquinens Schand’ und mein Vergeh’n zusammen;
Und wenn zum Festgelag die Sänger kamen,
Dann singen sie, um Hörer anzuzieh’n,
Wie mich Tarquin betrog, ich Collatin.

820
Laß meines guten Namens stille Weihe

Um Collatinens willen unbefleckt;
Denn kommt im Zweifeln auch an ihn die Reihe,
Sind Aeste fremder Wurzel angesteckt;
Mit unverdienter Schmach wird er bedeckt,

825
Er, rein von diesem Schimpf, den ich erlitten,

So wie ich selbst bisher von reinen Sitten.

O Schmach! Unsichtbar dem nur, der sie trägt,
O Narbe, die, Stolz beugend, heimlich schwäret;
Schandstempel, Collatinen aufgeprägt,

830
Deß Umschrift, fern, Tarquinens Aug’ erkläret:

Der ward im Frieden, nicht im Krieg versehret.
Wie mancher muß Entehrungswunden tragen,
Die er nicht kennt, nein der, der sie geschlagen!

[201]

Sollt’ deine Ehr’ in mir, o Gatte, wohnen,

835
Geraubt hat sie mir frecher Ueberfall;

Hin ist mein Honig, gleich bin ich den Drohnen,
Von meines Sommers Reichthum bin ich kahl,
Da ruchlos plündernd mich ein Dieb bestahl;
Denn eine Wesp’ hat, in den Korb gedrungen,

840
Der keuschen Biene Honig dir verschlungen.


Zwar trag’ ich Schuld am Schiffbruch deiner Ehren,
Doch dir zur Ehr’ hieß ich ihn übernachten:
Er kam von dir, konnt’ ich ihm Eintritt wehren?
Entehrung war dir’s, wollt’ ich ihn nicht achten;

845
Auch nannt’ er klagend sich den Ueberwachten,

Und sprach von Tugend nur. – O wer sieht Leid,
Wenn solcher Teufel Tugend frech entweiht!

Wie brütet Guckucks Brut in Sperlingsnesten?
Wie mag in Knospen schon der Wurm sich setzen?

850
Wie reinen Quell der Kröte Gift verpesten?

Wie Tyrannei in reine Brust sich ätzen?
Wie sein Gesetz der König selbst verletzen?
O, nichts Vollkommenes ist zu entdecken,
Denn Fehler müssen jedes Gut beflecken!

855
Der Greis häuft in den Kisten Goldes Haufen,

Indeß er Schmerz und Krankheit dulden muß.
Zum Anschau’n möcht’ er sich mehr Augen kaufen,
Und sitzt verschmachtend doch wie Tantalus;[6]
Häuft seiner Klugheit Früchte mit Verdruß,

860
Weil andre Freud’ ihm sein Gewinn nicht beut,

Als Qual, daß er nicht heilen kann sein Leib.

[202]

Er hat es erst, wenn’s ihm nicht nützt, in Händen,
Und läßt es bald den Kindern zum Verwalten,
Die schnell in ihrem Stolz es schlecht verwenden,

865
Und – weil hier Schwäche fehlt, wie Kraft dem Alten, –

Ihr fluchgesegnet Gut nicht lang behalten.
Verwünschte Säure aus erwünschtem Süßen
Wird’s gleich, wenn wir als unser es begrüßen.

Den holden Lenz begleiten wilde Stürme,

870
Bei schönen Blumen wächst das gift’ge Kraut,

Wo Vögel singen, zischet auch Gewürme,
Die Sünde stört, was Tugend aufgebaut,
Es giebt kein Gut, dem sicher man vertraut:
Gelegenheit ist Allem beigegeben,

875
Die Schätzbarkeit ihm raubet oder Leben.


Gelegenheit, o deine Schuld ist groß!
Verräthern hilfst du den Verrath vollbringen,
Du stellst dem Wolfe bald das Lämmchen blos,
Bestimmst der Sünde Zeit für ihre Schlingen,

880
Und machst Gesetz, Recht und Vernunft verklingen.

In deiner dunkeln Zelle, ungeseh’n,
Greift Sünde Seelen, die vorübergeh’n.

Durch dich bricht die Vestalin ihre Weihe,
Du schürst die Gluthen an, die Scham verletzen,

885
Die Redlichkeit verstrickst du, mordest Treue,

Verruf’ne Kupplerin, durch niedres Hetzen,
Hilf’st Schande sä’n und guten Ruf zersetzen;
Verrätherin, dein Honig wird zur Galle,
Zu Leid und Kummer deine Freuden alle.

[203]

890
Der heimlich stillen Lust folgt offne Schmach,

Und offnes Fasten stillen Festlichkeiten,
Zerrißner Name Schmeicheltiteln nach,
Die süße Zung’ wird Wermuthstrank bereiten,
Vergänglich nur sind deine Eitelkeiten;

895
Gelegenheit, wie hast du’s angefangen,

Da du so schlecht, daß Viele dich verlangen?

Wann wirst du freundlich dich zum Armen wenden?
Ihn leiten, wo die Bitt’ erhört mag sein?
Wann Zeit erwählen, langen Zwist zu enden?

900
Von Elendsketten Seelen zu befrei’n?

Trost Leiden bringen, Kranken Arzenei’n?
Wer arm und lahm und blind, er kriecht und schreit
Zu dir, und trifft dich nie, Gelegenheit!

Der Kranke stirbt, der Arzt, er schläft indessen;

905
Die Waise darbt, weil sich ihr Dränger nährt;

Die Wittwe weint, das Recht labt sich beim Essen;
Es schwelgt der Rath, weil sich die Pest vermehrt;
Zu milder That hast du nie Zeit gewährt,
Doch wüthet Raub, Verrath und Mord, so dienen

910
Gehorsam deine Schandthatsstunden ihnen.


Bedarf die Tugend deiner Hülf’ und Treu’,
Dann hindert tausendfach sie Schwierigkeit,
Sie kaufet dich, die Sünd’ ist sportelfrei,
Sie kommt umsonst, und du bist gern bereit,

915
Du hörest und erfüllst, was sie gebeut;

Gleich wie Tarquin, wär’ Collatin geeilt
Zu mir, durch dich nur hat er sich verweilt.

[204]

Schuld bist nur du an Mord und bösem Trug,
Schuld an Empörung und an falschem Eid,

920
Schuld an Verrath und Hinterlist und Lug,

Schuld am Incest und jeder Schändlichkeit:
Mitschuldige durch deine Willigkeit
An Sünden, die vollbracht und noch gescheh’n,
Vom Weltbeginn bis zum Weltuntergeh’n.

925
Heillose Zeit! Genossin du der Nacht,

Du Bote, listig schnell, daß Gram er bringe,
Der Lüste Sclav’, der Jugend welken macht,
Packpferd der Sünden du, der Tugend Schlinge,
Du pflegest und vernichtest alle Dinge;

930
O höre mich, betrügerische Zeit,

Verschuld’ auch meinen Tod, wie schon mein Leid!

Wie deine Sclavin, die Gelegenheit,
Verrieth sie Stunden, mir zur Ruh’ gegeben;
Zerstörte mir mein Glück, gab mich dem Leid,

935
Endlosen Fesseln hin, die ewig leben.

Das Amt der Zeit ist: Feindes Haß zu heben,
Der Meinung Kind, dem Irrthum, soll sie wehren,
Nicht frommen Bettes Morgengab’ verzehren.

Der Ruhm der Zeit ist: Fürstenzwist beilegen,

940
Entlarven Trug, an’s Licht die Wahrheit bringen,

Der Vorzeit That den Stempel einzuprägen,
Den Morgen wecken, Nacht mit Wach’ umringen,
Ihr Unrecht zu vergüten, Zwinger zwingen,
Dem Bau des Stolzes seine Dauer kürzen,

945
Und seine Thürme tief in Staub zu stürzen;


[205]

Mit prächt’gen Monumenten Würmer füttern,
Vergessenheit mit dem Verfall der Dinge,
Den Inhalt alter Bücher zu verwittern,
Den Kiel zu zieh’n aus alter Raben Schwinge,

950
Zu seh’n, daß Saft den jungen Sproß durchdringe,

Am harten Stahl des Alterthums zu nagen,
Das Wirbelrad des Glückes umzuschlagen.

Laß ihre Enkel alte Frau’n betrachten,
Zum Manne mach’ das Kind, den Mann zum Kinde,

955
Den Tiger schlachte, der sich nährt vom Schlachten,

Das Einhorn zähme, wilde Löwen binde,
Den List’gen fang’ im eignen Truggewinde!
Laß reicher Erndte sich den Landmann freu’n,
Und höhl’ mit kleinen Tropfen aus den Stein!

960
Warum auf deiner Wandrung Unheil mehren,

Da Rückkehr, es zu bessern, sich nicht beut?
Ein Augenblick, der dürfte wiederkehren,
Erkaufte Freunde dir auf Lebenszeit,
Dem Klugheit leih’nd, der schlechten Schuldnern leiht.

965
Nur eine Stunde dieser Nacht voll Graus

Gieb mir zurück, dem Schiffbruch wich’ ich aus.

Laß, ew’ge Ewigkeitsbegleiterin,
Tarquin auf seiner Flucht nur Unglück finden!
Das Aeußerste des Aeußersten ersinn’:

970
Laß ihn verfluchen diese Nacht der Sünden,

Vor bleichen Schatten mag sein Aug’ erblinden,
Ihn foltre seine böse That mit Grauen,
Laß ihn in jedem Busch Gespenster schauen.

[206]

Verstör’ ihm ruhelos der Ruhe Stunden,

975
Laß ächzen ihn im Bett, ihn Schmerzen pein’gen,

Auch dort ihn kläglich Mißgeschick verwunden,
Das Seufzer auspreßt; tröste nicht die Sein’gen,
Laß Herzen, härter noch wie Stein, ihn stein’gen;
Der Frauen Sanftmuth und ihr milder Sinn

980
Sei für ihn wilder, als die Tigerin.


Vergönn’ ihm Zeit, daß er sein Haar verstreut,
Vergönn’ ihm Zeit, sich wüthend selbst zu schmäh’n,
Vergönn’ ihm Zeit, zu zweifeln an der Zeit,
Vergönn’ ihm Zeit, als Sclaven sich zu seh’n,

985
Vergönn’ ihm Zeit, bei Bettlern Brod zu fleh’n,

Und Zeit, wo die, die selbst von Mitleid leben,
Verschmäh’n, verschmähte Brocken ihm zum geben!

Laß Zeit ihm, daß er Freund’ als Feinde sehe,
Daß lust’ge Narr’n ihn höhnen im Verein;

990
Und Zeit, zu seh’n, wie langsam Zeit vergehe

Zur Zeit des Gram’s; mach’, daß ihm kurz erscheine
Die Zeit der Lust und Lasters Zeit wie seine,
Und seine unsühnbare Schuld laß dauern
Für ewig, laß ihn Zeitmißbrauch betrauern.

995
Zeit, Mutter du von Bös’ und Gut! mir gieb

Flüche für den, den du gekonnt belehren;
Am eignen Schatten werde toll der Dieb,
Mag er, sich selbst zu tödten, stets begehren,
Die selbst entehrte Hand mag ihn zerstören;

1000
Denn wer ist sonst so feiggesinnt und schlecht,

Ein Henker sein zu wollen diesem Knecht?

[207]

Er sinkt noch tiefer, da er Königs Kind,
Wenn schlechte That die schöne Hoffnung bannt;
Je mächtiger der Mann, je mächt’ger sind

1005
Die Ding’, wodurch er Ruhm und Schande fand,

Die größte Schmach folgt stets dem höchsten Stand;
Der Mond wird, decken Wolken ihn, vermißt,
Da man den Stern, verbirgt er sich, vergißt.

Wohl mag im schwarzen Schlamm die Krähe ruh’n,

1010
Und fort mit unbemerktem Schmutze fliegen;

Doch will der weiße Schwan ein Gleiches thun,
Bleibt auf dem Silberflaum der Fleck ihm liegen.
Der Knecht ist Nacht, der Fürst des Tages Siegen;
Es achtet Niemand auf den Flug der Mücke,

1015
Doch auf den Adler schauen Aller Blicke.


Schweigt, leere Worte, Diener seichter Narren!
Nutzlose Tön’, armselige Vermittler:
Dem Schulstreit mögt, mit Kenntniß, ihr euch sparen,
Dort zankt, wo Zeit dient tollen Zungenrittern;

1020
Und da vermittelt, wo Clienten zittern:

Nicht halmeswerth Vernunftbeweis’ ich schätze;
Nicht Recht hilft meiner Lage, noch Gesetze.

Vergebens schimpf’ ich der Gelegenheit,
Der dunkeln Nacht, der Zeit, Tarquinen nach;

1025
Vergebens gegen meine Schand’ ist Streit,

Vergebens trotz’ ich anerkannter Schmach.
Nicht Wortdurst ist’s, der mich entschuld’gen mag,
Kein Mittel giebt’s, das Hülfe mir verhieße,
Als daß mein Blut, das tief entehrte, fließe.

[208]

1030
O Hand! warum bei dem Entschlusse beben?

Ehr’ selbst dich, mich von Schande zu befrei’n!
In dir wird, sterb’ ich, meine Ehre leben,
Doch meines Lebens Schand’ ist, leb’ ich, dein;
Da du nicht Schutz der Herrin konntest leih’n,

1035
Zu feige warst, unzücht’gem Feind zu wehren,

So tödte dich und sie, für dies Gewähren!“

Sie springt aus dem zerwühlten Bette hier,
Um eine Todeswaffe aufzufinden:
Doch dies, kein Schlachthaus, nichts gewährt es ihr

1040
Zu einem Thor, den Athem auszumünden,

Der durch die Lippen dringt, um zu verschwinden,
Wie Rauch vom Aetna in die Lüfte steigt,[7]
Ihn beim Entladen die Kanone zeigt.

Ich leb’ umsonst, und such’ umsonst nach Wegen,“

1045
Ruft sie, „zu enden schnell mein heillos Leben!

Vor Tod erbebt’ ich, vor Tarquinens Degen,
Und will zu gleichem Zweck nach Messern streben?
Ich war ein treues Weib noch beim Erbeben:
Ich bin es noch – ach nein, das ist nun hin!

1050
Der Treue Zierde raubte mir Tarquin.


Ach! hin ist das, weshalb ich Leben schätze;
Drum darf ich fürchten nicht des Todes Bande.
Wenn ich den Flecken durch den Tod ausätze,
Geb’ Ehrenzeichen ich dem Schmachgewande,

1055
Ein sterbend Leben der lebend’gen Schande.

Die Hülf’ ist schlecht, wenn Schätze fortgetragen,
Das Kästchen zu verbrennen, wo sie lagen.

[209]

Nie sollst du, theurer Collatin, erfahren
Den bitteren Geschmack verletzter Treu’!

1060
Die Kränkung will ich deiner Liebe sparen,

Daß sie durch Eidbruch hintergangen sei.
Nein, nimmer dieses Bastardreis gedeih’,
Nie rühm’ er sich, der deinen Namen geschändet,
Daß Vaterlieb’ du seiner Frucht gespendet.

1065
Nie höhn’ er in Gedanken heimlich dich,

Noch mit Gefährten spott’ er deiner Lage;
Du aber wisse, nicht dem Golde wich
Dein Heiligstes, entführt ward’s sicherm Hage.
Doch ich, ich bin die Herrin meiner Tage,

1070
Und will mich vom Vergehen frei nicht sprechen,

Bis Leben zahlt dem Tod mein erst Verbrechen.

Ich will dich nicht mit meiner Schmach beflecken,
Nicht Ausflucht such’ ich, fein und klug erdacht,
Will nicht der Sünde Schwarz mit Farben decken,

1075
Die Wahrheit bergen dieser falschen Nacht;

Kund Alles geb’ die Zung’, und mit der Macht
Des Bergstroms, der die Thäler tränkt, entladen
Sich Thränen dann, die schmutz’ge Mähr’ zu baden.“

Die Trauerklage Philomelens schwieg,

1080
Es war verstummt ihr Wirbel nächt’ger Sorgen;

Zur Höll’ hinunter, trübe schleichend, stieg
Die finstre Nacht; da sieh’, der ros’ge Morgen
Leiht schönen Augen Licht, die gern es borgen:
Lucretia nur mag sich vor Scham nicht seh’n,

1085
Und möchte traurig drum in Nacht vergeh’n.


[210]

Tag will sich, scheint’s, durch jede Spalte saugen,
Und sie, die Weinende, nur will er seh’n;
Doch sie seufzt auf zu ihm: „O Aug’ der Augen,
Was blickst du mir durch’s Fenster, laß das Späh’n,

1090
Dein Strahl mag andre Augen kitzeln geh’n;

Nicht mir brandmark’ die Stirne, scharfes Licht,
Das Werk der Nacht bedarf des Tages nicht.“

So hadert sie mit Allem, was sie sieht;
Von tiefem Gram ist wohl das Kind ein Bild,

1095
Dem, mürrisch einmal, nichts nach Sinn geschieht.

Verjährter Schmerz, nicht junger Harm, wird mild:
Indeß die Dauer jenen zähmt, wird wild,
Gleich ungeübten Schwimmern, dieser sinken
Und ungeschickt, zu viel sich müh’nd, ertrinken.

1100
So in ein Meer von Sorgen tief versenket,

Lebt sie mit Allem, was sie sieht, im Streit;
Mit ihrem Gram vergleicht sie, was nur kränket,
Und Alles weckt des Kummers Heftigkeit;
Wenn Eines weicht, ist Andres gleich bereit:

1105
Stumm ist ihr Kummer bald, und Wort’ entbehrend,

Bald wüthend, deren nur zu viel gewährend.

Der Vogel treibt mit frohem Morgengruß,
Süß tönendem, zum Wahnsinn ihre Klagen;
Denn Frohsinn wühlt zum Grund auf den Verdruß,

1110
Nicht heitern Kreis kann trüber Sinn ertragen;

Bei Gram mag Gram am besten sich behagen;
Ein tiefes Leid fühlt sich nur da zufrieden,
Wo sich Gefühle gleicher Art ihm bieten.

[211]

Zwiefach stirbt der, der nah der Küst’ ertrinkt;

1115
Der Speisen Anblick mehrt des Hungers Wuth;

Mehr schmerzt die Wund’, in die die Salbe dringt;
Es weckt den Gram, was man zum Trost ihm thut;
Ein tiefes Leid, es gleicht der stillen Fluth,
Die über’s Ufer schwillt, wird sie gedämmt;

1120
Geneckter Gram nicht Maß noch Grenze kennt.


Spottvögel“, sagt sie, „laßt die Töne weichen,
Vergönnet in den Kehlen ihnen Rast!
Seid still und stumm, so weit mein Ohr kann reichen,
Mein ruheloser Kummer Freuden haßt;

1125
Ein trüber Wirth erträgt nicht frohen Gast:

Mit heitrem Sang ergötzt ein frohes Ohr,
Betrübniß zieht die Trauertöne vor.

Komm Philomele, singe vom Entehren,
Mach’ dir mein wirres Haar zum Trauerhain!

1130
Wie Thäler weinen, die dein Leiden hören,

Will ich an deine Klagen Thränen reih’n,
Und tiefe Seufzer dir zum Grundton leih’n;
Dumpftönend soll Tarquinens Nam’ einklingen,
Wenn du, kunstreicher, wirst von Tereus singen.

1135
Du lehnst am Dornbusch dich, daß er dich ritze,

Um deinen herben Kummer aufzuwecken,
Ich will gleich dir des scharfen Messers Spitze
Auf’s Herz mir richten, um mein Aug’ zu schrecken,
Und blinzt es, soll sein Stoß mich niederstrecken.

1140
Dies Mittel spannt zum Aushauch meiner Leiden,

Wie’s Instrument der Steg, des Herzens Saiten.

[212]

Doch, armer Vogel, nicht im Tagslicht möge
Ein Aug’ dich, wenn du singst, beschämend seh’n.
Laß eine dunkle Oede, fern vom Wege,

1145
Wo Gluth nicht sengt, im Frost wir nicht vergeh’n,

Uns suchen; dort schwermüthig ernst ertön’
Den Thieren unser Lied, sie zu verwandeln,
Da Menschen viehisch, daß sie menschlich handeln.“

Wie aufgeschreckt ein Reh scheu um sich blicket,

1150
Und wild, bedenket welchen Weg es flieh’,

Wie der, den wirr ein Labyrinth umstricket,
Die Bahn nicht findet, die er rüstig zieh’;
So mit sich selbst im Widerspruch ist sie,
Was vorzuzieh’n, ob Leben oder Tod,

1155
Wo Schmach dem Leben, Schmach dem Tode droht.


Mich tödten“, spricht sie, „ach, Entehrung übt
Ich wie am Körper an der Seele dann!
Wer halb verliert, geduldiger ergiebt
Sich der, als dem Ruin sein Alles nahm.

1160
Die Mutter kennt kein Mitleid, die im Gram,

Wenn von zwei süßen Kindlein eins erliegt,
Das andre tödtet, und nun keins mehr wiegt.

Geist oder Körper, welches schätzt’ ich höher,
Als dieser rein noch, jener göttlich schien?

1165
Und wer von ihnen war in Lieb’ mir näher,

Geweiht dem Himmel beid’ und Collatin?
Ach! stolzer Pinie den Saft entzieh’n,
Macht, daß sie welke, daß ihr Saft verschwinde;
So meine Seel’, entkleidet ihrer Rinde.

[213]

1170
Geplündert ist ihr Haus, die Ruh’ gestört,

Ihr Aufenthalt vom Feinde eingerannt,
Beraubt ihr heil’ger Tempel und entehrt,
Er ist von trotz’ger Schande frech umspannt.
Drum werd’ es nicht Gottlosigkeit genannt,

1175
Wenn ich die schon gefallne Burg zerschlage,

Und fort die kummervolle Seele trage.

Doch sterb’ ich nicht, eh’ meines Todes Grund,
Des frühen, noch vernahm mein Collatin,
Daß Rach’ er schwör’, in meiner letzten Stund’

1180
An dem, der mich zum Selbstmord trieb, an ihm,

Dem ich mein Blut vermache, an Tarquin;
Von dem’s befleckt ward, dem ich jetzt es spende,
Und ihm verschreib’ in meinem Testamente.

Und meine Ehre soll das Messer erben,

1185
Das vom entehrten Körper mich befreit.

Zur Ehre wird’s, ist man entehrt, zu sterben;
Die Ehre wird mir durch den Tod erneut;
Ruhm ist’s, was meiner Schande Asche beut,
Durch meinen Tod werd’ ich den Hohn durchbohren,

1190
Ist todt die Schmach, wird Ehre neu geboren.


Doch Herr des theuren Schmucks, der mir geraubt,
Welch Erbe, Theuerster, vermach’ ich dir?
Es ehre mein Entschluß dein liebes Haupt,
Das Vorbild deiner Rache find’ in mir.

1195
Wie man Tarquin begegne, lies es hier:

Ich, Freundin, tödte deine Feindin, mich.
Dasselb’ erleid’ um mich Tarquin durch dich.

[214]

In Kürze so bestimm’ ich meinen Willen:
Sei Seel’ und Leib des Himmels und der Erde,

1200
Mein Muth, er soll, mein Gatte, dich erfüllen,

Die Ehre sei des Stahls, der mich versehrte,
Die Schande deß, der meinen Ruf zerstörte;
Und all mein Ruhm, der lebt, ihn will ich schenken
All denen, die nicht schmähend mein gedenken.

1205
Den Willen, Collatin, sollst du vollstrecken,

Nicht säh’st du ihn, trug ich wachsame Scheu!
Es soll mein Blut des Unglücks Schmach bedecken,
Mich mache Tod von Lebensschande frei.
Ermatte nicht, o Herz! sag’ fest: es sei!

1210
Ergieb der Hand dich, ihr mußt du erliegen,

Und bist du todt, starbt beide ihr im Siegen.“

Als sie geordnet hat des Todes Plan,
Die salz’ge Perl’ im lichten Aug’ besiegt,
Heißt heiser, tonlos, sie die Zofe nah’n,

1215
Die schnell gehorchend zu der Herrin fliegt;

Denn leicht beschwingt, wie Geistes Flug, ist Pflicht.
Der Magd erschienen so Lucretiens Wangen
Wie Winterwiesen, wenn der Schnee zergangen.

Sie beut der Herrin freundlich „Guten Morgen,“

1220
Mit leiser Sprache der Bescheidenheit,

Und sieht mit Trauer der Gebietrin Sorgen,
Denn ach, ihr Antlitz trug des Kummers Kleid;
Nur fehlt zu fragen ihr die Dreistigkeit,
Warum ihr Sonnenpaar wolkenumhangen?

1225
Warum so grambenetzt die schönen Wangen?


[215]

Doch wie die Erde weint beim Sonnensinken,
Daß jede Blum’ ein schmelzend Auge scheint,
Begannen Thränen bei der Magd zu blinken
Im runden Aug’, das um die Sonnen weint,

1230
Die der Gebietrin Himmelsantlitz eint.

In salz’ger Fluth erlosch ihr Licht, das macht
Das Mädchen weinen, wie die thau’ge Nacht.

So ziemlich lang die schönen Wesen standen,
Cisternen gleich mit weißen Wasserröhren;

1235
Mit Recht weint Eine, bei der Andern fanden

Sich Thränen nur, Gesellschaft zu gewähren.
Die Schönen leih’n gar willig ihre Zähren,
Und härmen sich, errathend Andrer Schmerz;
Es weint ihr Auge oder bricht ihr Herz.

1240
Stein ist des Mannes, Wachs der Frauen Sinn,

Drum wie’s der Stein will, wird sich’s Wachs gestalten:
Die Schwache nimmt gedrückt von Freunden hin
Die Form, die Kunst ihr giebt und rohes Walten.
Wollt nicht für Schöpfrin ihres Fehls sie halten,

1245
So wenig ihr’s dem Wachs zurechnen mögt,

Wenn’s eines Teufels Bildniß auf sich trägt.

Ihr sanft Gemüth, ein freundlich offnes Feld,
Läßt jedes Würmchen seh’n, das darauf kriecht;
Im Mann ein rauh verwachs’nes Dickicht hält

1250
Das Bös’ umhüllt, das dort im Dunkeln liegt:

Kristallne Wand verbirgt auch Staub selbst nicht;
Wenn Männerschuld kühn finstre Blicke decken,
Ist’s Fraungesicht ein Buch für eigne Flecken.

[216]

Ach, nimmer der verwelkten Blume lache;

1255
Den Winter, der die Blume tödtet, schilt;

Nicht das Zerstörte, den Zerstörer mache
Zum Ziel des Hohns. – O, sei es frei enthüllt,
Wenn Männer erst das Weib mit Schmach gefüllt,
Dann mögen sie, – o wie sind sie zu tadeln! –

1260
Das Weib zur Trägrin ihrer Schuld entadeln.


Ein Beispiel dessen sieh’ Lucretia;
Wie Nachts sie, schwer von Schrecknissen bedrängt,
Den Tod hier vor sich sieht, dort Schande nah,
Die durch den Tod auf den Gemahl sich lenkt.

1265
Am Widerstand Gefahr so drohend hängt,

Daß lähmend sie des Todes Grau’n anhauchen;
Und wer kann eine Leiche nicht mißbrauchen?

Lucretia begann nun mild zu sprechen,
Und wandt’ sich so zum Abbild ihrer Klage:

1270
„Warum, mein Mädchen, weinst du? oder brechen

Dir von der Wange Thränenströme, – sage, –
Vor Gram um Leiden aus, die schwer ich trage?
Mein Kind, o könnten Thränen Schmerz besiegen,
So würden meine meinem Schmerz genügen!

1275
Doch, Mädchen, sprich, wann zog (und hier versagt

Die Stimm’ ihr und sie seufzt) Tarquin von hinnen?“
„Ach, Herrin, eh’ ich wach“, versetzt die Magd,
Drum schalt ich trägste mich der Dienerinnen;
Doch mag mir dies wohl als Entschuld’gung dienen:

1280
Lang war ich wach vor Tages Anbruch schon,

Und doch war, früher noch, Tarquin davon.

[217]

Doch, hohe Frau, wär’ deine Magd so dreist,
Sie würd’ um deine Schwermuth dich befragen.“
„O“, rief Lucretia, „still! ob du’s auch weißt,

1285
Nicht läßt sich’s durch Erzählen leichter tragen:

Denn schwerer ist’s, als daß ich’s könnte sagen;
Wohl Hölle kann man diese Martern nennen,
Die mehr, als Menschensprache malt, mich brennen.

Geh’, bringe Dinte, Feder und Papier –

1290
Doch halt, ich hab’ es ja, du magst nur weilen.

Was wollt’ ich doch? – Laß meine Sclaven mir
Sich fertig halten, schnell mit ein’gen Zeilen
Zu meinem lieben, theuren Herrn zu eilen:
Zur Reise sei die Rüstung schnell betrieben,

1295
Die Sache heischt’s, und bald hab’ ich geschrieben.“


Als fort die Magd, will sie zum Briefeschreiben;
Doch wird vom Kiel nichts auf das Blatt gebracht,
Weil harten Kampf Gedank’ und Gram erst streiten;
Es löscht der Wille, was der Geist erdacht:

1300
Das ist zu fein, zu plump ist das gemacht;

Gleich wie am Thore beim Gedräng’ von Wandrern,
Drängt ein Gedank’ um Vortritt hier den andern.

Zuletzt begann sie so: „Dir würd’gem Gatten
Unwürd’gen Weibes Gruß und Wohlergehn!

1305
Du wollest, Lieber, gütig mir gestatten

(Willst du Lucretia noch, die deine, seh’n),
Um eiligsten Besuch dich anzufleh’n.
Aus unserm Trauerhause. – So empfehle
Ich kurz mich dir, mit schwer betrübter Seele.“

[218]

1310
Hier faltet sie den Brief, worin ihr Wehe,

Ihr tiefes Leid sich schwankend offenbart:
Aus kurzem Zettel Collatin ersehe
Den Kummer zwar, doch nicht des Kummers Art,
Deren Entdeckung sie besorgt noch spart,

1315
Daß nicht für eigne Missethat er’s achte,

Eh’ blut’ge Sühne noch ihr Blut vollbrachte.

Auch spart der Leidenschaft Gefühl und Leben
Sie bis dahin, wo er sie selber höre,
Wo Thränen dann und Seufzer Zierde gäben

1320
Der Schande Kleid, und kräft’ger ihre Ehre

Vom Weltverdacht befrei’n, der sie beschwere:
Sie will den Brief mit Worten nicht beflecken,
Bis Thaten sühnend diese Worte decken.

Der Trauer Anblick seh’n spricht zum Gemüth

1325
Viel mehr als hören blos; das Aug’ erklärt

Dem Ohr dann die Bewegung, die es sieht,
Wenn jeden Theil ein Theil des Leids beschwert;
Doch Theil nur bleibt’s des Schmerzes, was man hört.
Die seichte Furth rauscht mehr als tiefe See,

1330
Und von der Worte Wind verstummt das Weh’.


Gesiegelt ist der Brief und überschrieben:
„Nach Ardea meinem Herrn mit schnellster Schnelle.“
Der Bote harrt, empfängt ihn, und getrieben
Zur Eile wird der mürrische Geselle,

1335
Gleich wie der Nordsturm vor sich peitscht die Welle.

Eil’ über Eil’ ist lässig ihr und kühl,
Denn Leidenschaft kennt weder Maß noch Ziel.

[219]

Der ungelenke Sclave neigt sich tief,
Empfängt, indem er starrend auf sie sieht,

1340
Erröthend, ohne Ja und Nein, den Brief,

Und mit verschämter Unschuld fort er zieht;
Doch Jeder meint, dem Schuld im Busen glüht,
Daß seine Schmach sich Aller Augen böte,
Sie glaubt, daß er ob ihrer Schand’ erröthe.

1345
Bei diesem Knecht war’s Mangel nur gewesen

An Lebensklugheit, offner Dreistigkeit;
Wenn sich die Ehrfurcht solcher guten Wesen
In Thaten zeigt, verspricht mehr Eiligkeit
Ein Andrer frech, und thut‘s mit Lässigkeit:

1350
So, Muster einer Zeit, die längst entschwand,

Gab offnen Blick der, Worte nicht zum Pfand.

Sein Feuereifer facht ihr Mißtrau’n an,
Daß Doppelgluthen Beider Antlitz sprüht;
Sie glaubt, er wisse, was Tarquin gethan,

1355
Und da sie schärfer in’s Gesicht ihm sieht,

Bewirkt ihr Blick, daß heftiger er glüht;
Sie glaubt, je mehr das Blut zur Wang’ ihm steige,
So mehr sein Späh’n nach ihrer Schand’ es zeige.

Ihr scheint der Bote lange fortzubleiben,

1360
Und doch verließ der Eil’ge kaum den Saal;

Sie weiß die trübe Zeit nicht zu vertreiben,
Denn Weinen, Seufzen, Aechzen ist ihr schaal:
Ihr Leid ist matt durch Leid, die Qual durch Qual,
Daß kurze Zeit sie absteht, sich zu plagen,

1365
Und neue Mittel aufsucht, um zu klagen.


[220]

Da von dem Königssitze Priam’s[8] fällt
Ein kunstreich Bild ihr ein, lang hängend schon.
Der Griechen Macht war vorne dargestellt,
Die um Helenens Raub[9] Verheerung droh’n

1370
Und Noth dem wolkennahen Ilion[10],

Deß Zinnen also kühn der Maler zeigte,
Daß sich der Himmel, schien’s, sie küssend neigte.

Wohl tausend traur’gen Gegenständen lieh’n,
Naturgetreu, des Künstlers Hände Leben:

1375
Und manche schön gemalte Thräne schien

Die Gattin eines Todten kund zu geben;
Das rothe Blut rühmt laut des Malers Streben;
Manch sterbend Auge glimmt in mattem Licht,
Wie’s Nachts von ausgebrannten Kohlen bricht.

1380
Schanzgräber sind hier rüstig auf den Beinen,

Von Staub und Schweiß und Sonne ganz berußt;
Von Troja’s Thürmen dort, lebendig scheinen,
Aus enger Schießschart’, Menschenaugen just
Auf’s Griechenheer zu schau’n, mit wenig Lust.

1385
So strenger Fleiß war auf das Werk verwandt,

Daß Trauer ward im fernen Aug’ erkannt.

Man sieht der großen Führer Majestät
In ihrem Angesicht; der lebensreichen
Beherzten Jugend kecke Mien’ ihr seht;

1390
Auch bringt der Maler hier und da die bleichen

Muthlosen an, die bebend vorwärts schleichen;
Verzagten Bauern gleichen sie vollkommen:
Man schwor, man hab’ ihr Zittern wahrgenommen.

[221]

An Ajax und Ulysses, wie geschickt[11]

1395
Zeigt seine Kunst sich da im Angesicht!

Jedwedes Herz in Jedes Zügen liegt,
Daß klar die Handlungsweis’ im Antlitz spricht:
Muth, Grausamkeit aus Ajax Augen bricht;
Ulysses’ Auge, schlau, nur Milde kennt,

1400
Und zeigt, fein lächelnd, kluges Regiment.


Da redend auch der greise Nestor[12] steht,
Als feur’ er grad’ die Griechen an zum Streit;
Die ruh’ge Handbewegung, scheint es, geht
Auf’s Blickefesseln aus und Achtsamkeit;

1405
Der weiße Bart bewegt sich, voll und breit,

Beim Sprechen auf und ab, der Lipp’ entwinden
Sieht man den Hauch sich, und in Luft entschwinden.

Von gaffenden Gesichtern ein Gedränge,
Verschlingend scheint’s des Weisen Rath zu hören;

1410
Verschieden an Gedanken horcht die Menge,

Als ob bezaubert ihre Ohren wären:
Vom Maler tief gestellt und hoch, bethören
Die Sinne Manche; wo der Leib versteckt,
Scheint’s, daß der Scheitel noch empor sich streckt.

1415
Hier Eines Hand ruht auf des Andern Haupt,

Deß Nas’ umschattet seines Nachbars Ohr;
Gedrängt wich dieser hier, der Luft beraubt,
Roth aufgeblasen rückwärts, flucht’ und schwor,
Und solche Wuthausbrüche kamen vor,

1420
Daß, schien es, galt’s nicht Nestor’s goldne Worte,

Das Schwert ein Loch in die Berathung bohrte.

[222]

Viel Werk der Phantasie enthält das Ganze,
Auf Täuschung wohlberechnet, schön vereint:
So, statt Achillens[13] Bild, steht seine Lanze

1425
Von stahlbewehrter Hand umfaßt; man meint

Ihn hinten, ihn, der nur dem Geist erscheint;
Oft steht Gesicht nur, Hand da, oder Fuß,
Statt der Gestalt, die man sich denken muß.

Auf Troja’s hartbedrängten Mauern weilen,

1430
Weil fort der edle Hektor,[14] ihr Vertrau’n,

Zum Kampf zieht, Mütter, die die Freude theilen,
Die Söhn’ im leichten Waffenschmuck zu schau’n:
Sie leih’n der Hoffnung so gar weiten Raum,
Daß durch die leichte Freud’ oft, schwarz beschwingt

1435
Wie Flecken durch den Spiegel, Ahnung dringt.


Und vom dardan’schen Strande, wo sie ringen,
Strömt roth zum schilf’gen Simois das Blut,
Deß Wogen, wie die Schlacht nachahmend, dringen
Die steile Höh’ hinan; hier bricht mit Wuth

1440
Am rauhen Felsenufer ihre Fluth,

Und weicht, um neuen Reih’n sich anzuschließen,
Die in den Simois den Schaum ergießen.

Zu diesem Bilde nun Lucretia kam,
Gesichter suchen, die nur Trauer zeigen:

1445
Sie sah wohl deren eingefurcht von Gram,

Doch keins, dem Schmerz genug und Trübsal eigen,
Bis Hekuba[15] sie sah verzweifelnd neigen
Das alte Haupt, das ihren Priamus
Zu Pyrrhus’ Füßen bluten sehen muß.

[223]

1450
Hier zeigt der Maler ganz der Zeit Ruin,

Der Schönheit Untergang, des Grams Gewalt;
Wie Furchen durch’s Gesicht und Runzeln zieh’n,
Blieb keine Spur der früheren Gestalt;
Schwarz ist das Blut, das in den Adern wallt;

1455
Es zeigt, da längst sein Nahrungsquell versiegt,

Ein Leben nur, das schon im Leichnam liegt.

Lucretia sucht (sie läßt das Schmerzbild nicht),
Auf sich das Weh’ der Alten anzuwenden,
Der zum Erwiedern nur der Schrei gebricht,

1460
Und Worte, Fluch auf ihren Feind zu senden;

Der Maler war kein Gott, ihr die zu spenden;
Doch wird er von Lucretien drum verklagt,
Daß Gram er ihr verlieh’n, das Wort versagt.

„Du arme Laute, keinen Ton zu haben!“

1465
Spricht sie, „ich bin’s, die Klagen für dich fand!

Mit Balsam will ich Priam’s Wunden laben,
Will Pyrrhus fluchen, der ihm Tod gesandt;
Mit Thränen lösch’ ich Troja’s langen Brand;
Den Griechen allen, die dir Feinde, dringe

1470
In’s böse Auge meines Messers Klinge.


Die Dirne zeig’ mir, die den Hader schuldet,
Von meinen Nägeln werd’ ihr Reiz zerstört;
Um deine Wollust, eitler Paris,[16] duldet
Nun Ilium den Brand, der es verzehrt;

1475
Dein Aug’ erzeugte Gluth, die wild sich mehrt,

Um deiner Augen Schuld muß Troja seh’n
Sohn, Vater, Mutter, Tochter untergeh’n.

[224]

Warum muß eines Einzelnen Ergötzen
Das allgemeine Elend Vieler zeugen!

1480
Laß Sünd’, allein verübt, auch mit Entsetzen

Allein nur auf des Sünders Haupt sich neigen;
Laß Strafe nicht schuldlose Seelen beugen;
Um Eines Missethat nicht Viele weinen:
Des Einen Schuld gestraft am Allgemeinen!

1485
Wie Hekuba hier weint, dort Priam stirbt!

Nie Troilus’[17] und Hektor’s Heldenbrust
Hier sinkt! Dort Freund bei Freund im Blut verdirbt,
Der Freund den Freund verwundet unbewußt!
Und all’ die Leben tödtet Eines Lust!

1490
Wacht’ Priam ob des Sohns Begierden treuer,

In Ruhm strahlt’ Troja dann, und nicht in Feuer.

Gefühlvoll weint sie hier um Troja’s Weh’n,
Denn Gram fährt fort, gleich schwerer Glocken Schlage,
Einmal in Schwung gesetzt, von selbst zu geh’n,

1495
Und wen’ge Kraft weckt Grabgeläutes Klage:

So auch Lucretia; die trübe Sage
Erzählt sie hier den schöngemalten Sorgen,
Leiht ihnen Worte, muß die Blicke borgen.

Auf dem Gemälde fährt ihr Aug’ umher,

1500
Und Mitleid wird von ihr dem Leid geschenkt;

Zuletzt sieht sie ein Bild in Banden schwer,
Das fleh’nde Blicke auf die Hirten lenkt. –
Zufriednen Blicks, obgleich von Gram bedrängt,
Gen Troja mit den plumpern Bauern schien

1505
Es mit der Ruh’, die Leiden höhnt, zu zieh’n.


[225]

Was irgend Trug verhüllt, hat hier verwandt
Des Malers Kunst; sie lieh harmlosen Schein
Dem Gehenden, die Trauer war verbannt;
Es schien die Stirne sich des Grams zu freu’n,

1510
Gemischt die Wang’, nicht roth, nicht weiß zu sein,

Daß sie nicht mög’ erröthend Schuld bezeugen,
Noch bleich die Furcht, die falschen Herzen eigen.

Doch ein vollendet eingefleischter Teufel,
Wahrt er vom strengsten Guten so die Züge,

1515
Verschanzt er so sein Böses gegen Zweifel,

Daß selbst der Argwohn nie Bedenken trüge,
Es könne schleichender Betrug und Lüge
Solch hellem Tage Unheilsnacht gesellen,
Die heil’gengleichen Formen Sünd’ entstellen.

1520
Das kluge Weib hat schnell im Bild erkannt

Den list’gen Sinon,[18] der die Mähr’ erdacht,
Durch welche Priamus sein Unglück fand;
Deß Worte, wie ein Freuermeer, die Pracht,
Des stolzen Iliums zu Fall gebracht.

1525
Der Himmel weinte, und die Sterne wichen

Von ihrem Platz, als Ilium erblichen.

Aufmerksam schauend prüft sie dies Gemäld’,
Und schilt des Malers Kunst, zeiht Mißbrauchs ihn
Der edlen Form, für Sinon ausgewählt,

1530
Da ihr das Bild zu schön für’s Laster schien;

Und fort und fort blickt sie nach diesem hin,
Bis Wahrheit ihr im offnen Blick so klar
Erscheint, daß sie das Bild nicht hält für wahr.

[226]

„Es kann nicht sein“, spricht sie, „daß so viel Trug –

1535
Sie wollte sagen: laur’ in solchem Blick;

Da fiel Tarquin’s Gestalt ihr ein, und schlug
Das laur’ in solchem auf der Zung’ zurück
Vom kann nicht sein; in diesem Sinn sie schwieg.
Und wandt es so: „es kann nicht sein, ich meine,

1540
Daß solch Gesicht nicht niederm Sinn sich eine. –


Denn wie der list’ge Sinon dargestellt,
So sanft, so stiller Trauer zugewendet,
So abgespannt, von Gram und Müh’n entstellt,
Ganz so kam auch Tarquin zu mir; so blendet

1545
Durch äußre Sittsamkeit auch er, so schändet

Auch inn’re Schlechtheit ihn: wie Priam diesen,
Pflegt’ ich Tarquin; – mein Troja mußt’ es büßen.

Schau’, wie aus Priam’s Auge Mitleid spricht!
Sieh’ ihn um Sinon’s Zähren hier sich grämen;

1550
Du bist, o Priam, alt, doch weise nicht!

Ein Troer stirbt für jede dieser Thränen,
Die nicht als Wasser, nein als Feuer strömen.
Die klaren Perlen, die dein Mitleid finden,
Sind Feuerbälle, die die Stadt entzünden.

1555
Die Teufel stehlen kalter Höll’ ihr Gut!

Der glüh’nde Sinon scheint vor Frost zu beben,
Doch in dem Frost heiß brennend wohnt die Gluth;
In Eintracht weiß der Widerspruch zu leben
Mit sich, um Thoren mehr Vertrau’n zu geben:

1560
So giebt auch Sinon’s Thräne Priam Glauben,

Er läßt durch diesen Quell sich Troja rauben.“

[227]

Von wüthend wilder Leidenschaft befallen,
Zersprengt hier Ungeduld die Brust ihr fast’;
Den falschen Sinon möchte sie zerkrallen,

1565
Vergleichend ihn mit jenem Unglücksgast,

Um dessen That sie jetzt sich selber haßt;
Doch lächelnd giebt sie’s endlich auf und spricht:
„O Thörin, diesen schmerzen Wunden nicht.“

So fluthen stets und ebben ihre Sorgen,

1570
Und Zeit ermüdet Zeit bei ihren Klagen:

Sie wünscht die Nacht, und sehnt sich nach dem Morgen,
Und möchte Eins um’s Andre von sich jagen.
Lang’ scheint auch kurze Zeit, wo Schmerzen nagen.
Sei Kummer noch so träg’, er schläft doch nicht,

1575
Der wachende sieht, wie die Zeit hinkriecht.


Sie hat dem Grübeln diese Zeit entnommen,
Die sie bei jenen Bildern hingebracht;
Von ihres Grams Gefühlen abgekommen,
Hat sie nur Andrer Leiden überdacht,

1580
Sah fremdes Weh’, ließ ihres außer Acht;

Zu seh’n, wie Andre seinen Kummer theilen,
Erleichtert Manchen, kann’s ihn auch nicht heilen.

Doch endlich kommt der Bote, dienstbereit,
Mit ihm sein Herr und reich Geleit gezogen;

1585
Lucretia finden sie im Trauerkleid,

Und um die thränenlosen Augen wogen
Ihr blaue Kreise, gleich wie Regenbogen;
Die zeigen in der trüben Atmosphäre,
Daß der vertobte Sturm auf’s Neu’ sich näh’re.

[228]

1590
Betrübten Blicks naht ihr der Gatte sich

Und sieht bestürzt ihr trauriges Gesicht:
Roth ist ihr Aug’ und wund; sein Glanz erblich,
Des Todes Qual zerstört der Farben Licht.
Er hat die Kraft, sie zu befragen, – nicht;

1595
Er steht, wie Freunde wohl in fernen Gassen

Entfernt vom Haus sich seh’n, und kaum es fassen.

Doch endlich faßt er ihre kalte Hand
Und spricht: „Welch wild Geschick traf dich, welch Leid,
Daß, süßes Lieb, ich dich so bebend fand?

1600
O welcher Gram hat dir die Herrlichkeit

Der Farb’ entwandt? Warum dies Trauerkleid?
Enthüll’, o Theure, dieses finstre Brüten,
Nenn’ deinen Schmerz uns, daß wir Hülfe bieten.“

Dreimal seufzt sie nach Sprache für den Gram,

1605
Bis einmal sich ein Leidenswort gewähre;

Zuletzt, da Kraft ihr, ihm zu gnügen, kam,
Versucht sie, wie sie ihn davon belehre,
Daß sich ein Feind bemächtigt ihrer Ehre;
Da Collatin und seine Reis’gefährten

1610
Mit traur’ger Spannung ihres Worts begehrten.


Im feuchten Neste fängt der bleiche Schwan
Sein Trauerlied nun an vom nahen Enden,
Und spricht: „Der Schuld steh’n wen’ge Worte an,
Da nicht Entschuld’gung kann den Fehltritt wenden;

1615
Ich hab’ mehr Leid als Worte jetzt zu spenden,

Und allzu lang ist meines Jammers Sage,
Als daß sie eine müde Zunge klage.

[229]

Drum sei dies Alles, was sie künden mag:
Geliebter Mann, ein Fremder kam und raubt’

1620
Dir deines Bettes Heiligthum, und lag,

Wo du zu ruhen pflegst dein müdes Haupt,
Und was Ihr sonst an Unthat immer glaubt,
Die niedrer Zwang an mir je dürfe wagen,
Das mußt’, ach, deine arme Gattin tragen.

1625
Bei düstrer Nacht unholdem Schweigen schlich,

Von Fackellicht geführt, in mein Gemach
Mit blankem Schwert ein kriechend Unthier sich,
Und flüstert’ leise: Römerin, erwach’!
Gieb meiner Liebe dich, sonst ew’ge Schmach

1630
Häuf’ ich die Nacht auf dich und was dir theuer,

Wenn du dich sträubst, zu löschen dieses Feuer!

Erst deiner Knechte einen, also droht’
Er mir, wenn ich nicht wiche seinem Willen,
Töd’ ich zuerst, dann geb’ ich dir den Tod,

1635
Und schwöre: Beide traf ich euch im Stillen

Der Wollust an und tödtet’ euch deswillen,
Die Buhler, bei der That; und Ruhm bringt mir
Dies Werk dann ein, und ew’ge Schande dir.

Da fuhr ich auf und fing laut an zu schrei’n,

1640
Doch auf mein Herz sah ich sein Schwert ihn heben,

Hört’ schwören ihn: gäb’ ich mich nicht darein,
Sollt’ ich kein Wort zu sprechen mehr erleben,
Stoff zur Erzählung meiner Schande geben;
Und daß man ewig dann in Rom gedächte,

1645
Wie ich gestorben sei mit einem Knechte.


[230]

Mein Feind war stark, und ich, ich arme Schwache,
Ward schwächer noch durch Furcht, die mich beschwert’;
Der Zunge wehrt’ mein blut’ger Richter Sprache;
Vertheid’gung ward dem Recht da nicht gewährt;

1650
Doch seine Wollust kommt als Zeug’ und schwört:

Mein Reiz die Augen ihm gestohlen habe,
Und wer dem Richter stiehlt, verfällt dem Grabe.

O weise du Entschuldigung mir nach!
Laß mind’stens dies zur Zuflucht mir gedeih’n,

1655
Daß, da mein Blut befleckt von dieser Schmach,

Doch tadellos sei mein Gemüth und rein;
Dies zwang er nicht, es blieb in Liebe dein,
Und hielt sich, fern von Mitschuld, klar und helle
In seiner pestbehauchten, schwarzen Zelle.“

1660
Und er, der hoffnungslos dies Leid muß tragen,

Beginnet nun, das Haupt zur Brust gesenkt,
Mit starrem Aug’, die Arme eingeschlagen,
Den Lippen zu entsenden, was ihn kränkt;
Doch wird das Wort vom Schmerz zurückgedrängt.

1665
Der Arme! Fruchtlos muß das Streben sein,

Was er ausathmet, trinkt sein Athem ein.

Wie durch den Brückenbogen wilde Fluth
Dem Aug’ enteilt, das sich auf sie gewandt,
Zurück im Strudel dann, gebrochner Wuth,

1670
Zum Sunde eilt, der tobend sie entsandt

Und nunmehr heim sie holt, da’s Zürnen schwand:
So seufzet er; zur Säge wird sein Leid,
Stößt vor und drängt zurück die Traurigkeit.

[231]

Sie folgt dem Leid, das sprachlos ihn bewegt,

1675
Und weckt ihm so des Geists erlosch’ne Kraft:

„Geliebter Herr, dein Gram, von Neuem regt
Er meinen auf, wie Regen Fluth erschafft;
Nur schmerzlicher macht deine Leidenschaft
Mein tiefes Weh’; o sei dir’s zur Genüge,

1680
Daß einem Gram ein Augenpaar, erliege.


O, schon für mich, wenn sie noch werth dir scheint,
Die dein einst hieß, um meinetwillen höre:
Nimm augenblicklich Rach’ an meinem Feind,
Mein, dein, sein eigner Feind; und glaub’, Abwehre

1685
Von dem sei’s, was gescheh’n, denn Hülfe wäre

Nun doch zu spät! Es sterbe der Verräther;
Denn schont das Recht, vermehrt’s die Missethäter.

Doch eh’ ich, edle Herrn, ihn nenn’ (so wandte
Sie sprechend sich an Collatin’s Geleit),

1690
Gebt mir eu’r ehrenhaftes Wort zum Pfande,

Verfolgend schnell zu ahnden dies mein Leid;
Denn schön ist, ehrenvoll ein solcher Streit,
Wenn, treu dem Eid, der Ritter Rächerarm
Das Unrecht tilgt und richtet Frauenharm.

1695
Die gegenwärt’gen Herrn, auf dies Begehr,

Mit Edelmuth, laut Beistand ihr verhießen,
Wie’s Ritterthum gebeut und ihre Ehr’,
Den Feind nur möchten sie bezeichnet wissen;
Doch sie kann zum Bericht sich nicht entschließen.

1700
„O was“, so fällt sie in die Schwüre ein,

„Was wäscht mich von erzwungnen Flecken rein?

[232]

Von welcher Art ist mein Verbrechen! Hat
Verein des Schrecklichsten es nicht erzwungen?
Kann je mein reiner Sinn die schmutz’ge That

1705
Verzeih’n, die Ehre heben, die gesunken?

Bleibt meinem Mißgeschick ein Hoffnungsfunken? –
Befreit doch selbst vom Schmutze sich der Bach,
Warum nicht ich von aufgedrungner Schmach?“

Einstimmig hier aus Aller Munde bricht:

1710
„Des Leibes Flecken rein’ge ihr Gemüth“;

Doch freudlos lächelnd dreht sie das Gesicht,
Darin man tief von Thränen eingeglüht,
Des harten Mißgeschickes Spuren sieht.
„Nein“, ruft sie, „nicht soll Frau’n, die nach mir leben,

1715
Was mich entschuldigt, Recht auf Nachsicht geben!“


Und seufzend jetzt, als wollt’ das Herz ihr brechen,
Stößt sie Tarquinens Namen aus; er, er,
Und nichts als er kann ihre Zunge sprechen;
Bis sie nach langem Müh’n, aufathmend schwer,

1720
In unklar krankem Ton, zuletzt nichts mehr,

Als dies noch spricht: „Er ist’s, ihr Edlen, er,
Der diese Hand zum Stoße führt – hieher.“

Und so durchbohrt sie mit der scharfen Schneide
Die treue Brust, empor die Seele fährt;

1725
Geheilt hat sie der Stoß von tiefem Leide,

Das im entehrten Kerker sich genährt.
Der Geist, befreit von müden Seufzern, kehrt
Zum Himmel heim, und durch die Wund’ entschwebt
Dem Erdenschicksal das, was ewig lebt.

[233]

1730
Bestürzt stand bei dem Todeswerke da,

Versteinert, sammt den Edlen, Collatin;
Doch als ihr Blut Lucretiens Vater[19] sah,
Sank auf den selbstgefällten Leib er hin;
Den Stahl will Brutus[20] aus der Wunde zieh’n,

1735
Und diesem stürzen, als er ausgezogen,

Wie Rache suchend, nach des Blutes Wogen.

Und sanft von ihrem Busen rieselnd, scheiden
Zwei Ströme sich, daß purpurhelles Blut
Um ihren Körper kreis’t, zu beiden Seiten,

1740
Worin er, ein zerstörtes Eiland, ruht; –

Entvölkert, nackt, in dieser Schreckensfluth.
Ein Theil des Blutes rein und roth noch sprudelt;
Doch schwarz scheint andres, von Tarquin besudelt.

Rings um das trauernd starre Antlitz scheint

1745
Dies schwarze Blut zum Wasserreif zu steigen,

Der jenen schmachbedeckten Platz beweint. –
Seitdem, um diesem Leid Mitleid zu zeigen,
Ist schlechtem Blut solch Wasserzeichen eigen.
Roth immer nur das unbefleckte bleibt,

1750
Es schämt sich deß, das so zur Fäulniß treibt.


„O Tochter, Tochter!“ schrie Lucrez gebeugt,
„Mein war dies Leben, nie durftst du’s entwenden;
Wenn in dem Kind des Vaters Bild sich zeigt,
Wohin mich, da Lucretia todt, nun wenden?

1755
Nicht zeugt’ ich dich, daß so du solltest enden!

Stirbt vor den Eltern hin das Kind, dann sind
Nachkommen diese, und nicht mehr das Kind.

[234]

Du arm zerbrochnes Glas, wie oftmals galt
Ich mir in deinem Bild für neu geboren!

1760
Nun, schöner Spiegel, zeigst du, trüb’ und kalt,

Mir ein Geripp’, das Zeit und Tod durchbohren;
Durch dich hat deine Wang’ mein Bild verloren,
Das Glas zerschlugst du mir, das, ach! so schön;
Und nimmer, was ich war werd’ ich mehr seh’n.

1765
Nicht länger währ’, o Zeit! Hör’ auf zu fliegen,

Wenn die, die leben sollten, so erlagen!
Soll Kräft’ge nur der Tod boshaft besiegen?
Und schlotternd Schwache nur das Leben plagen?
Sirb, alte Biene! Laß die jungen tragen

1770
Zum Korb den Honig! Lebe du, und mich

Den Vater, siehe sterben, nicht er dich!“

Erst jetzt fährt, wie vom Traum, auf Collatin,
Und bittet ihn, daß seinem Schmerz er weiche,
Sinkt in Lucretiens strömend Blut dann hin,

1775
Und badet sein Gesicht, das schreckensbleiche;

Den Andern scheint’s, er werd’ mit ihr zur Leiche,
Bis ihm, nicht feig zu sterben, Scham gebot,
Nein lebend kühn zu rächen ihren Tod.

Die tiefe Qual, die seinen Geist beschwerte,

1780
Hat Schweigen seiner Zunge aufgedrängt;

Zwar wüthend, daß ihr Gram den Lauf verwehrte
So lang’, und ein erleichternd Wort beschränkt,
Beginnt sie nun; doch durch die Lippen zwängt
Sich solches Wortgewühl, sein Herz zu heben,

1785
Daß Niemand, was er sprach, weiß anzugeben.


[235]

Vernehmlich nur sprach er Tarquinens Namen,
Doch durch die Zähn’, als ob sie ihn zerrissen:
Und dieser Sturm, bis Regenschauer kamen,
Hielt Kummers Fluth zurück zu starkern Güssen;

1790
Doch endlich schweigt der Wind, und Ströme fließen,

Und Sohn und Vater weinen um die Wette,
Wer mehr für Weib, für Tochter Thränen hätte.

Der Eine, wie der Andre nennt sie sein;
Doch Keiner will des Andern Anspruch tragen.

1795
„Mein ist sie!“ sagt der Vater, „mein, o mein!“

Der Gatte ruft, „das Vorrecht soll, zu klagen,
Mir Keiner nehmen, Keiner trauernd sagen:
Er wein’ um sie, die Niemands ist als meine;
Drum Collatin, sonst Keiner sie beweine.“

1800
Ach!“ stöhnt Lucrez, „ich gab dies Leben ihr,

Das sie zu früh und doch zu spät zertreten.“
„Weh’, weh’!“ seufzt Collatin, „Weib war sie mir,
Mein Eigenthum; konnt’ sie, was mein war, tödten!“
„Mein Kind!“ – „Mein Weib!“ die Jammertöne wehten,

1805
Hin mit Lucretiens Leben durch die Luft,

Die dumpf zurück: „mein Kind! mein Weib!“ nur ruft.

Doch Brutus, er, der aus Lucretiens Seite,
Den Stahl zog, sieht den Kummer, und er schmückt
Nun seinen Geist mit neuem stolzen Kleide;

1810
Der Thorheit Schein wird hier im Blut erstickt;

Bis jetzt hat Rom in Brutus nur erblickt
Der Kön’ge geckenhaften eitlen Thoren,
Nur gut, durch Scherz zu kitzeln Fürstenohren.

[236]

Ablegt er dies entstellende Gewand,

1815
Worin er klug sich eingehüllt bis jetzt,

Und scheucht, mit lang verborgenem Verstand,
Den Gram, der Collatinens Augen netzt:
„Auf!“ spricht er, „edler Römer, schwer verletzt,
Laß mich, der unerforscht, euch Thor geheißen,

1820
Nun die verständ’ge Klugheit unterweisen.


Wie, Collatin! Hast Leid du Leid geseh’n,
Und Wunden Wunden heilen? Schmerz Verbrechen?
Heißt selbst dich schlagen Bubenthat an dem,
Durch den dein schönes Weib hier blutet, rächen?

1825
Der Kinderzorn mag schwachem Geist entsprechen;

So kam’s, daß auch dein Weib im Opfer fehlte,
Die statt des Feinds sich selbst zu tödten wählte.

O Römer, laß dir nicht das Herz bedecken,
Vom thränenreichen Thau nutzloser Klagen!

1830
Knie’ hin mit mir, und laß uns dann erwecken

Die Götter Roms, die anzufleh’n wir wagen,
Daß aus den schönen Straßen Roms zu jagen,
Schandthaten, die in ihnen Rom entehren,
Sie unserm starken Arme nicht verwehren!

1835
Jetzt bei dem hohen Capitole schwöret,

Bei diesem keuschen Blute, frech entweiht,
Beim Sonnenlicht, das Erdenreichthum nähret,
Beim wohlbeschützten Recht, deß Rom sich freut,
Und bei Lucretiens Seele, die ihr Leid

1840
Uns kaum geklagt, bei dieses Stahles Roth,

Zu rächen dieses treuen Weibes Tod!“

[237]

Er spricht’s, und auf die Brust die Hand ausstreckend,
Küßt er die Unglückskling’, als Eides Zeugen,
Die Uebrigen zu gleichem Eid erweckend,

1845
Die sich, erstaunend, seinen Worten neigen,

Dann knieend sich vereint zur Erde beugen;
Und Brutus wiederholte, wie zuvor,
Das heilige Gelübd’, und Jeder schwor.

Nachdem sie dieses Strafgericht beschworen,

1850
Beschlossen sie, Lucretia fortzutragen,

Und bei dem Leichnam vor der Römer Ohren
Tarquin’s verworfne Missethat zu klagen;
Dies ward sofort vollbracht, wie vorgeschlagen,
Und willig von den Römern insgesammt

1855
Tarquin für ew’ge Zeit aus Rom verbannt.



Anmerkungen von Wikisource:

  1. Ardea ist ist eine Gemeinde in der Provinz Rom in der italienischen Region Latium.
  2. Sextus Tarquinius war der Sohn von Lucius Tarquinius Superbus, welcher der Sage nach der letzte König von Rom war.
  3. Lucretia war eine römische Frau aus der halbmythischen Frühzeit, Tochter des Spurius Lucretius Tricipitinus und Gattin des Collatinus aus der königlichen Familie der Tarquinier. Sie war berühmt für ihre Schönheit und noch mehr für ihre Tugendhaftigkeit.
  4. Lucius Tarquinius Collatinus war nach Livius neben Lucius Iunius Brutus einer der beiden ersten Konsuln der jungen römischen Republik, und der Ehemann von Lucretia.
  5. Druckfehler aus der Vorlage ( u ) ausgebessert.
  6. Tantalos ist in der griechischen Mythologie der Stammvater des Geschlechts der Tantaliden. Er frevelte gegen die Götter und zog damit einen Fluch auf sein Haus, der über fünf Generationen hinweg seine Nachkommen in eine lange Kette von Gewalt und Verbrechen stürzen sollte.
  7. Der Ätna ist mit etwa 3.323 m s.l.m. der höchste und aktivste Vulkan Europas und liegt auf der italienischen Insel Sizilien in der Nähe von Catania und Messina.
  8. Priam war in der griechischen Mythologie der 6. und letzte König von Troja, während des von Homer geschilderten trojanischen Krieges.
  9. Helena war in der griechischen Mythologie die aus einem Ei geborene Tochter des Zeus und der Leda. Sie wählte sich Menelaos – den Prinzen von Mykene und damit späteren König von Sparta – als Freier, wurde aber später von Paris nach Troja entführt. Dies führte schließlich zum Trojanischen Krieg.
  10. Ilion ist ein alternativer Name für die Stadt Troja.
  11. Ajax und Ulysses waren beide Helden der griechischen Mythologie und nahmen auf Seite der Griechen am Trojanischen Krieg teil.
  12. Der greise Nestor war ein Held der griechischen Mythologie und sagenhafter Herrscher von Pylos. Auch er nahm am Trojanischen Krieg teil.
  13. Achilleus ist ein Held der griechischen Mythologie und nahm ebenfalls auf der Seite der Griechen am Trojanischen Krieg teil.
  14. Hektor ist vor seinem jüngeren Bruder Paris der älteste Sohn des Königs von Troja, Priamos und dessen Frau Hekabe. Er ist der wichtigste Held und Heerführer Trojas im zehnjährigen Trojanischen Krieg.
  15. Hekabe ist in Homers Ilias Königin von Troja und Frau des Priamos.
  16. Paris ist in der griechischen Mythologie der Sohn des trojanischen Königs Priamos und der Hekabe. Er entführte Helena nach Troja, was der Auslöser des Trojanischen Krieges ist.
  17. Troilus ist der jüngste Sohn des Königs Priamos von Troja.
  18. Sinon war in der griechischen Mythologie ein griechischer Held während des Trojanischen Krieges. Im antiken Konflikt spielte er eine Schlüsselrolle bei der List zur Eroberung Trojas, indem er die Trojaner überzeugte, das Trojanische Pferd der Griechen als Sieges- oder Weihe-Geschenk für Athena anzunehmen.
  19. Spurius Lucretius Tricipitinus.
  20. Lucius Iunius Brutus war der Sage nach der erste Konsul bzw. praetor maximus der römischen Republik nach dem Sturz des letzten Etruskerkönigs.