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Wilhelm von Kaulbach

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Textdaten
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Autor: G. H.
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Titel: Wilhelm von Kaulbach
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 283–286
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Wilhelm von Kaulbach.

Als unser deutsches Vaterland unter dem Drucke der Napoleonischen Zwingherrschaft es empfinden lernte, daß aus der Tiefe des deutschen Wesens heraus der Geist geboren werden müsse, der die welschen Fesseln brechen könne, als ein tiefer sehnsüchtiger Zug unseres ganzen geistigen Lebens nach der ruhmvollen Glanzzeit der alten deutschen Macht und Herrlichkeit sich regte und dann in der kurzen Epoche der Freiheitskriege dieser Geist mächtig in Flammen schlug und in allen Herzen zündete: da hatten auch die begeisterten Jünger der deutschen Malerei mit kühnem Muthe den Zopfzwang des achtzehnten Jahrhunderts mit seiner sogenannten classischen und akademischen Hohlheit und Lüge abgeworfen und waren in ernstem Streben auf die schlichte Einfachheit und glaubensvolle Innigkeit der altdeutschen und altitalienischen Kunst zurückgegangen, um da den Aufschwung eines neuen Kunstlebens zu gründen. Mit welchem Erfolge jenen Männern das oft verkannte und geschmähete Werk gelungen, davon gibt uns die wunderbare Blüthe Zeugniß, deren die deutsche Kunst in unserm Jahrhundert sich freudig rühmen darf, und deren Ursprung immer wieder auf jene großen Maler, Cornelius, Overbeck und ihre Genossen zurückweist, die damals zu Rom in stiller Zurückgezogenheit die Neugestaltung der verlebten Kunstformen vollbrachten, bis ihnen König Ludwig, der hochherzige deutsche Künstlerfürst, die großen Werke übertrug, an deren Ausführung in München sich eine zahlreiche und blühende Schule heranbildete. Keiner der Nachfolger der ersten Begründer unserer neuen deutschen Kunst hat gleichen Ruhm errungen wie Wilhelm von Kaulbach, der in der Malerei ein ganz neues Feld eröffnet und als der Repräsentant einer künstlerischen Revolution betrachtet werden muß.

Denn keiner der modernen Künstler, Cornelius nicht ausgenommen, hat die Resultate eines bereits ein Jahrhundert währenden geistigen Ringens in Kunst, Geschichte, Philosophie, Politik, ja selbst in den allerneusten materiellen Bestrebungen, so in dem Brennpunkt seiner künstlerischen Thätigkeit zu vereinigen und darzustellen verstanden, wie Kaulbach, und in keinem modernen Künstler charakterisirt sich die moderne Kunst in ihren Licht- und Schattenseiten wie gerade in ihm. Welcher Contrast der Stylart, welcher Aufschwung von jener barock-genialen Composition eines Irrenhauses zu dem großen Styl der Hunnenschlacht, welcher Reichthum, welche Großartigkeit der Anschauungen, welche extensive Kraft von den Schiller- zu den Shakespeare-, von diesen zu den Goethe-Illustrationen – und zuletzt zu den Berliner Fresken, welcher Humor in Reineke Fuchs, welcher künstlerische Ernst in der Zerstörung Jerusalems, welcher Contrast zwischen beiden Schöpfungen, welche künstlerische Objektivität!

Die neueste Aesthetik will zwischen Kaulbach und Cornelius, wie zwischen Idealismus und Realismus unterscheiden. Vergleicht man Kaulbachs Wirksamkeit mit der seines großen Meisters Cornelius, so muß sich aus den verschiedenen Standpunkten bestimmter Kunstanschauungen eine unabsehbare Fülle von Vergleichen ergeben. Wie Raphael mit Michel Angelo, Goethe mit Schiller, Mozart mit Beethoven, so geben diese Meister, mit einander verglichen, zwei leuchtende Glanzpunkte, deren Bedeutung nicht an und für sich beurtheilt werden kann. – Beide vereinigen sich in dem entschiedenen Streben nach der künstlerischen Schönheit, welche die Kunstwahrheit über die Naturwahrheit erhebt, sie schaffen beide in einem idealen Styl. Beide sind keine Coloristen, aber nach dem Lessing’schen Worte, wornach nicht die Hand, sondern das Auge, das Sehen der Dinge den Maler macht, doch große Maler. Ihre Richtungen gehen nicht auseinander, ihre Natur, ihre Begabung ist nur eine verschiedene.

In Kaulbach ist die ganze Fülle moderner Bildung künstlerisch verkörpert. Gehen wir an seine großen historischen Schöpfungen, so treten uns daraus die Resultate der neuesten historischen und philosophischen Forschungen in Gestalten verkörpert entgegen; betrachten wir seine satirischen Zeichnungen, so begegnen wir der Ironie der Romantiker, vermengt mit Heine’schem Witz und Uebermuth, ja sogar mit etwas allerneuestem Kladderadatsch. Und doch ist Kaulbach in diesen scheinbar entgegengesetzten geistigen Richtungen und vielleicht eben wegen derselben ein durch und durch harmonischer Genius, eine künstlerische Natur, die aus dem Zusammenwirken der positiven und negativen Geistesanlage, von nie rastendem Forschens- und Geistestrieb bewegt, sich in sich selbst abrundet, erneut und kräftigt. Aus dieser so verschiedenen Begabung läßt sich auch die große Productivität des Künstlers erklären. Kaulbach [284] steht immer über sich selbst, und wenn bei ihm die Gefahr möglich wäre, zu tief in seine Subjectivität zu versinken, so wäre er es nur, der das Münchhausen’sche Kunststück wirklich vollbrächte, sich bei seinem eigenen Schopfe selbst aus dem Sumpfe zu ziehen. „Die Biographie eines Künstlers sind seine Werke,“ ist Kaulbachs eigener Ausspruch.

In dem kleinen Waldeck 1805 zu Arolsen geboren, ging er durch die Lehrzeit des Goldschmiedehandwerks, das schon die größten Maler aller Zeiten aus sich hervorgehen sah, zur Historienmalerei über, studirte in Düsseldorf und kam mit seinem Meister Cornelius nach München, um, anfangs bei dessen Arbeiten thätig, bald zu dem Gipfel seines eigenen Ruhmes emporzusteigen. Gegründet wurde derselbe in München, verkündet in Berlin, wo er im Treppenhaus des neuen Museums die bekannten geschichtlichen Fresken ausführte. Seinen häuslichen Heerd hat er in München gebaut, wo er seit Cornelius’ Abgang Director der Akademie der bildenden Künste ist.

Ich glaube nicht, daß der berühmte Künstler es als einen Mißbrauch seines Vertrauens auslegen wird, wenn wir unsere Leser in die Werkstätte seines Genius, sein Atelier, einführen. Dasselbe ist im Gebäude der königlichen Akademie, und hier, im ehemaligen Jesuitercollegium, malt Kaulbach, der Maler des Protestantismus, seine Bilder. So haben Häuser ihre Schicksale. Die Treppe hinauf, an den Ateliers der Professoren von Schwind, Anschütz und Folz vorüber, führt der Weg eine weitere kleine Treppe höher in das Atelier des Chefs der Kunstanstalt. Ein weiter, hoher Raum, würdig, die Gedanken eines so großen Schöpfergeistes in sich aufzunehmen, dieser Raum, mit den Tapeten Raphael’s ausgeziert, einem alten kostbaren Schatz des baierschen Königshauses, den, wenn wir nicht irren, König Ludwig der Akademie zum Geschenk gemacht hat.

Wilhelm von Kaulbach.

Ein kolossaler Carton mit gewaltigen Gestalten und Gruppen nimmt fast die ganze eine Hälfte des Raumes ein. Auf den verschiedenen Staffeleien rings umher sind kleinere theils angefangene, theils vollendete Kreidezeichnungen, darunter die neueste Composition des Künstlers zu den Goethe-Illustrationen, Werther’s Lotte im Kreise ihrer jüngeren Geschwister, aufgestellt (links auf der Illustration). Rings an den Wänden umher begegnet das Auge den ersten skizzenhaften Entwürfen zu den weltbekannten Fresken an der Münchner neuen Pinakothek und im Berliner Museum, dazwischen im einfachen Rahmen einer älteren Zeichnung zu Schiller’s Verbrecher aus verlorner Ehre. Die lebensgroße Gestalt eines jungen Mannes mit dem edlen Kopfe und den träumerischen Augen ist eine theure Jugenderinnerung des Künstlers an seinen Aufenthalt in Italien und das Glück der Freundschaft, welches er dort in einem jungen ungarischen Baron P. fand.

Zwischen Staffeleien, Seidendraperien, alterthümlichen Möbeln, Büchern, Schädeln und Todtengebeinen uns durcharbeitend, bleiben wir gefesselt vor einem verstaubten, vielleicht absichtlich in den Winkel gestellten Bilde stehen, einer Frauengestalt in Lebensgröße und in der Tracht und Umgebung des siebzehnten Jahrhunderts, mit einem Kopfe von wunderbarer Schönheit, mit Augen so dämonischen Zaubers, daß sie nur einer Lucrezia Borgia oder einer Lola Montez gehören können; das Letzte ist das Richtige.

Unter den meisterhaften Portraits der Münchner Freunde des Künstlers treffen wir manche berühmte Persönlichkeit. Von der Masse der Studienköpfe zieht uns namentlich die Zeichnung eines interessanten männlichen Kopfes mit einem tief melancholischen Ausdruck an; diesen Kopf hat sich der Künstler zu seinem Hamlet ausersehen; in ihm erblicken wir einen lieben Bekannten, einen Bekannten von halb Europa. Ja, jene Gestalt im schwarzen Sammetmantel und mit den langen Händen, mit dem vergeistigten, wir wollen nicht sagen geisterhaften, Gesichtsausdrucke ist Liszt – der Vater aller langhaarigen Genialität. Und hier (das Bild in der Mitte unserer Illustration) – o, wie schön, wie edel, wie geistvoll! – Prinzessin Marie W., vermählte Fürstin H., im lichtblauen Seidengewand, mit fürstlichem Schmucke, umwallt von langen, luftigen Schleiern, ganz „Fee Abunda“, wie sie Geibel stets zu nennen beliebte.

„Ach, Sie kennen die Prinzessin?“ Mit diesen Worten ist ein Mann in einem langen Talare von dunklem Tuch, in einem grauen Filzhute, mit der Cigarre im Munde, der Reißfeder in der Hand, zu uns getreten – es ist Kaulbach. Ein Carton hatte uns bisher seine Person verdeckt. Ein Anknüpfungspunkt ist gefunden. Er spricht mit begeisterter Anerkennung von den außerordentlichen Eigenschaften der hohen Dame, er ladet uns ein, auf dem grünen Plüschmöbel mitten unter exotischen Pflanzen Platz zu nehmen, er bietet Cigarren an.

Wir nehmen einige Blätter zur Hand, die auf dem Tische liegen. Wir begrüßen in „Gretchen am Brunnen“ eine neue Originalzeichnung. – „Originalzeichnung?“ wiederholt lachend der Künstler – „nein, es ist nur eine Photographie der Originalzeichnung, aber so vollendet, daß am Ende nur der Autor selbst die Unterscheidung machen kann.“ Er spricht dann weiter von den glänzenden Resultaten, zu denen es die Photographie und neuerdings namentlich der Hof-Photograph Albert in München gebracht

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Das Atelier Kaulbach’s in München.

[286] habe, aus dessen Atelier eben dieses Blatt hervorgegangen sei. Wohl schon längst hat uns der Künstler die stille Sehnsucht nach einer Deutung des bereits erwähnten großen Cartons angesehen, von dem der Holzschnitt die eine linke Seite bringt. „Es ist die Schlacht von Salamis,“ erklärt er in etwas gebeugter Stellung und mit sinnendem Blicke vor der gewaltigen Composition stehend, „eines von den für das Münchner Maximilianeum bestimmten, die bedeutendsten Ereignisse der Weltgeschichte darstellenden Bildern, die König Max an verschiedene Künstler in Auftrag gegeben hat. Rechts die Griechen, links die Perser; dort kämpfen Männer wie Themistokles, Aeschylus, der junge Sophokles, hier Weiber, dort Ruhe, edle Begeisterung, hier wilde Hast und verzweifelnde Verwirrung. Ueber dem Griechenheere schweben in lichter Glorie die Geister der homerischen Helden, die den Griechen nach Thukydides sollen beigestanden haben, auf jenem Plateau gegenüber erbebt in wilder Verzweiflung der Perserkönig, dem der Meergott höhnend die Fesseln entgegenhält, mit denen er einst das Meer züchtigen wollte. Denn die Schlacht naht sich dem Ende – der Sieg neigt sich den Griechen zu – und von diesem Kampfe eines kleinen, aber freiheitglühenden Volkes gegen den persischen Koloß, von diesem Siege datirt die griechische Freiheit, von dieser Freiheit die griechische Cultur – und wir sind die Producte dieser Cultur.“

Während er dies spricht, haben wir Gelegenheit, uns seinen Kopf näher zu betrachten. Ein Physiognomiker würde hier ein reiches Feld haben. Auf der wunderbar gewölbten Stirne, in den tiefen Augen der große historische Ernst, um die Lippen so viel Ironie, Sarkasmus, so viel Weltklugheit. Wie alle bedeutenden Menschen, ist er mit der Zunge nicht freigebig. Gedanken kann er besser verwerthen, als für bloße Conversation verschleudern, und leere Worte hält er seiner unwürdig. Er spricht nicht fließend, sobald er aber spricht, ist seine Rede bedeutend und voll Pointe. Wir sind nicht mehr mit ihm allein, die Gesellschaft hat sich um einige Herren vermehrt, um Namen, die in der Wissenschaft und Literatur von gutem Klange sind.

Kaulbach nimmt auf einem grünen Lederstuhle seinen Platz vor einer Staffelei ein, fährt an einer Kreidezeichnung zu arbeiten fort, die Conversation spinnt sich weiter, er nimmt hie und dort mit einem Scherz oder einer feinen Bemerkung daran Theil – endlich steht er auf und gönnt der Gesellschaft den Blick auf den ersten Entwurf zu dem Abschluß der Berliner Fresken, dem Zeitalter der Reformation.

Welche Fülle von Gestalten, welche Vereinigung von Elementen, die jener gewaltigen Epoche der Geschichte vorangingen, sich aus ihr erzeugten, oder in ihr zusammentrafen. Dort die Blutzeugen der Albigenser, hier Albrecht Dürer, da Copernikus sein System an die Wand zeichnend, im Vordergrunde Columbus seine Hand auf die Weltkugel legend, Vasco de Gama, Martin Behaim, Regiomontanus. Dort Petrarca, hier Shakespeare, weiter zurück die Helden des dreißigjährigen Krieges, und in der Mitte des Ganzen, während die geistlichen Gehülfen am großen Werke auf der einen Seite den deutschen fürstlichen Schirmern und Schützern des gereinigten Glaubens den Abendmahlskelch reichen, auf der andern Seite Königin Elisabeth mit ihren Bischöfen erscheint, in der Mitte des Ganzen, Alle überragend, Alle auf sich beziehend, die drei großen Reformatoren, das Zeugniß des neuen Glaubens, das Buch der Bücher hoch und freudig emporhaltend.

„Ja, bei Gott, Kaulbach,“ ruft einer der Freunde des Künstlers entzückt aus, „Sie sind ein großer Maler!“

„Nicht doch, ich bin Director der Akademie,“ erwidert mit schelmischem Lächeln der Künstler. „Die Herrschaften müssen mich jetzt entschuldigen, ich muß zur Conferenz.“
G. H.