Wilhelm Löhes Leben (Band 3)/Der Betsaal
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Der Bau gieng trotzdem langsam vor sich, auch die Mittel, die ja nur aus dem ohnehin schon reichlich in Anspruch genommenen Neuendettelsauer Freundeskreis flossen, kamen nur allmählich zusammen, da der Bau die für damalige Dettelsauer Verhältnisse nicht unbeträchtliche Summe von 10544 fl. forderte. Löhe hatte den Entschluß ausgesprochen, den Betsaal nicht eher zu gottesdienstlichem Gebrauch zu benutzen, als bis er dem HErrn als schuldenfreies Opfer übergeben werden könnte, (ein Ziel, das dann doch nicht ganz erreicht wurde). Dies spornte zu außerordentlichen Anstrengungen. Da er selbst armutshalber auf keine andre Weise seinen Beitrag geben konnte, opferte er das Honorar für die „Rosenmonate“ zu dem Bau des Betsaals. War der Bau langsamer und mühseliger als manch andrer zu stande gekommen, so war aber auch die Freude um so größer, als der Betsaal am Weihnachtsfest 1859 zum ersten Male dem gottesdienstlichen Gebrauch übergeben werden konnte, gleichsam als „eine Krippe, darinnen der HErr seine Wohnung haben möge.“ Von einer eigentlichen Weihe (außer derjenigen, welche in dem erstmaligen gottesdienstlichen Gebrauch selber lag) sah Löhe ab – aus naheliegendem Grunde.
Nur für die „hausgottesdienstliche Erbauung“ hatte die kirchliche Behörde anfänglich die Benutzung des doch lediglich aus privaten Mitteln erbauten Betsaals gestattet. Es bedurfte noch längerer Verhandlungen, bis endlich Anfangs Mai 1860 die immer noch verklausulierte Erlaubnis zur Abhaltung eines vollständigen Hauptgottesdienstes mit Sakramentsfeier für die Anstaltsgemeinde| eintraf. Das Kirchenregiment schien zu besorgen, daß bei dem Wunsch der Diakonissenanstalt nach einem eignen Betsaal separationssüchtige Hintergedanken im Spiele sein möchten. Erst nach und nach wurde der dem gottesdienstlichen Leben der Anstalt anfangs so karg zugemessene Raum zu freier Bewegung erweitert. Es geschah dies im Zusammenhang mit der Errichtung einer eigenen Hausgeistlichenstelle am Diakonissenhause, welche Löhe beantragte, als ein im Jahre 1863 erlittener leichter Schlaganfall ihn mahnte, zur Regelung des Verhältnisses der Diakonissenanstalt zum Pfarramt der Dorfgemeinde und zur Sicherung der ihr nötigen Unabhängigkeit von letzterem Schritte zu thun. Durch ein Reskript des Oberkonsistoriums vom 3. Mai 1864 wurde das Recht zur Wahl eines Hausgeistlichen der Muttergesellschaft zuerkannt, der Parochialverband mit der Pfarrei Neuendettelsau zwar aufrecht erhalten, der Hausgeistliche aber direkt dem Dekanat Windsbach unterstellt und befugt, auch die Parochialakte im engeren Sinn „in Stellvertretung des Parochus“ vorzunehmen. Sein Wirkungskreis blieb indes auch jetzt noch so streng auf die eigentlichen Anstaltsangehörigen eingeschränkt, daß selbst der Besuch des sonntäglichen Hauptgottesdienstes allen der Anstalt Nichtangehörigen mit Ausnahme „etwa zum Besuch der Anstalt anwesender Fremder“, die Teilnahme an der Abendmahlsfeier aber auch diesen untersagt wurde. Doch diese und ähnliche Beschränkungen, die übrigens längst dahingefallen sind, konnten nicht hindern, daß sich in den einfach schönen Räumen, sonderlich in den Festzeiten des Kirchenjahres, eine Blüte gottesdienstlichen Lebens entfaltete, die denen, welche sie miterlebten, in der Erinnerung heute noch duftet. Gar manchesmal ist ihnen der Betsaal zu einem Bethel und einer Pforte des Himmels geworden. Sie haben es verstehen lernen, wie der Apostel die korinthische Gemeinde zu der Fülle der über sie ausgegossenen Gaben und dem daraus erblühenden Reichtum ihres gottesdienstlichen| Lebens beglückwünschen und dasselbe wie eine Vorstufe der mit Christi Wiederoffenbarung eintretenden, nur durch sie noch zu übertreffenden Herrlichkeit der Gemeinde Gottes preisen konnte. (1 Kor. 1, 7.)Als Anhang zum Vorigen und als Probe, wie in Neuendettelsau in dem mit Fichtengrün geschmückten und im Lichterglanz strahlenden Betsaal der Diakonissen „die Nacht, da uns erschienen des großen Gottes Freundlichkeit“ gefeiert wurde, mag hier die letzte Ansprache, die Löhe an einem solchen Weihnachtsabend nach vorausgegangener liturgischer Feier im Betsaal hielt, mitgeteilt werden.
„Als der allmächtige HErr aus dem Nichts die Welt gerufen hatte, da jauchzten Ihm die Majestäten und preiseten Ihn alle Kinder des Lichts, da brauseten der Himmel Ozeane und die Meere der armen Welt; da blühten in der Welt, der werdenden, auf Sein Geheiß Millionen und Millionen von Pflanzen und Blumen; da kreisten am Himmel Sonne, Mond und Sterne; da rauschten die Lüfte vom Gesang der Vögel, da rauschte das Meer von seinen Fischen; da trat der Mensch, aufrechten Angesichts, vor Ihn; da betete an alles, was Er geschaffen und gieng in Erfüllung, was geschrieben steht, daß Er alle Dinge zu Seiner Ehre geschaffen.
Als aber die Welt in Sünde gefallen war, da sann Sein Herz auf eine Wiederbringung dessen, was Ihm der Satan gestohlen hatte. Jahrtausende ließ Er vergehen und schwieg im Geheimnis Seiner Majestät, bis daß die Nacht erschien, die wir feiern – Hallelujah! – bis die Sonne hervorbrach aus der Höhle und vor ihr alles erbleichte, die Welt des Lichts erbleichte im Dunkel der Mitternacht – Hallelujah! – bis daß die Morgensterne sanken, bis der Engel Heer herniederkam und alles, was Gott an Geistern erschaffen hatte, anbetete – ein Menschenkind – Hallelujah! Da Er den Erstgeborenen in die Welt einführte, sprach| Er: „es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.“ Den beten die Engel an, für die Er nicht starb – was sollen wir denn thun, für die Er starb? Wir stimmen die Harfen, wir erheben die Lieder, wir fallen auf unsere Kniee, wir sinken in den Staub, wir jauchzen den himmlischen Chören nach, jauchzen in die Ewigkeiten der Ewigkeiten: (hier fiel – ein ergreifender Augenblick – die ganze Gemeinde ein) Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!Angebetet sei der Vater, angebetet sei der Sohn, der Gottes- und Menschensohn, Einer in zwei Naturen, der sich erniedrigt, der sich erhöhet hat, der zur Rechten der Majestät sitzt, der da wiederkommt mit Herrlichkeit – o Schrecken! vor dem die Welt erbeben, vor dem die Welt vergehen wird, bei dem aber ewig in Seinem Frieden bleiben wird Seine Kirche, auf daß sie mit Ihm ewige Freude habe und Er mit ihr. Demselben sei Lob und Preis jetzt und immerdar, Ehre und Lob mit Wort und That, mit Herz und Mund, und alles spreche zu Ehren dem, der Mensch geworden ist: Halleluja!“
- ↑ Als Beispiel ist vielleicht dem Leser die Mitteilung der Disposition obiger Predigt, wie sie sich in Löhes Aufschreibungen fand, nicht unwillkommen.
Warum dieser Text gewählt ist?
1. Er handelt von der Hochschätzung der außerordentlichen Gaben und der Liebe, als der Quelle aller wahren Sittlichkeit und Heiligung.
2. Er erinnert an ein doppeltes desiderium der Kirche in unserer Zeit: Mehr außerordentliche Gaben, mehr Liebe (höhere Heiligungsstufe). – Es mangelt an beidem.
3. Er erinnert aber auch an einen Abweg dieses Verlangens, der alt und neu ist.
Übertreibung bezüglich der Gaben fand sich im Montanismus,
" " der Heiligung beim Novatianismus und Donatismus, bei letzterem auch in Bezug auf die Beurteilung der öffentlichen kirchlichen Zustände.
[232] In neuerer Zeit übertreibt es der römische Katholizismus rücksichtlich der sinless perfection amerik. Methodismus württemberg. Pietismus sowie der Irvingianismus etc. bezüglich der geistlichen Gaben.
4. Er ermahnt das richtige Verhältnis zwischen Glauben und Heiligung einerseits, und dem alleinigen Grund unseres Heils andrerseits festzuhalten (Baum und Früchte).
5. Er warnt vor Vereitelung des angestrebten Zwecks.
Denn indem man durch jene Übertreibung und Überschätzung vor der Größe der ordentlichen Gnadengaben und Gnadenmittel das Auge zudrückt,- die Tiefe der Sünde und des Werks der Heiligung miskennt,
- verliert man die Einsicht in den Anfang und die Vollendung des Heils,
- wird seicht in der Buße und im Werk der Heiligung,
- kommt in Gefahr der Selbstzufriedenheit, des Selbstbetrugs und grober Sünden.
Daher σωφροσύνη! Vor allem Buße und Glauben! Das das Allernötigste. Dann Gaben und Heiligung, jene für diese. Gott helfe uns! Amen.
- die Tiefe der Sünde und des Werks der Heiligung miskennt,
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