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Wilhelm Löhes Leben (Band 3)/Der Betsaal

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« Grundbesitz und Ökonomie Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 3)
Die verschiedenen Zwecke und Thätigkeiten der Diakonissenanstalt. Die Blödenanstalt »
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Der Betsaal.


 Das gottesdienstliche Bedürfnis der Diakonissenanstalt drängte auch, und zwar schon in den ersten Jahren, zu räumlicher Ausdehnung resp. zu einem Neubau. Als gottesdienstliches Lokal für die täglichen Hausandachten diente in den ersten Jahren der größte, gegen Süden gelegene Saal des Diakonissenhauses. Bei der rasch wachsenden Bewohnerschaft desselben erwies sich jedoch dieser Raum bald| als unzulänglich. Man entschloß sich daher zu einem Neubau, wiewol nicht leichten Herzens, da die bereits vorhandenen Schulden schwer auf den verantwortlichen Trägern und Leitern des Ganzen lasteten. Allein die Verhältnisse ließen keine andere Wahl, zumal der Besitz eines eigenen Lokals für die sonntäglichen Gottesdienste sich als ein immer unabweisbareres Bedürfnis geltend machte. In den ersten Jahren hatte die Anstaltsgemeinde dem sonntäglichen Gottesdienst in der kleinen und unansehnlichen Dorfkirche von Neuendettelsau beigewohnt; ein Notstand, der mit den Jahren zu einem immer unerträglicheren Übelstand wurde. Als schließlich ein einflußreicher Mann in der Gemeinde, ein Zimmermann von Handwerk, erklärte: „von dem Hauch der vielen Weibsbilder (!) werde die Kirche feucht, und das Balkenwerk morsch“ konnte man das sonntägliche Gastrecht in der Dorfkirche für die Diakonissen nicht mehr länger beanspruchen. Löhes Anerbieten, durch Erweiterung der Dorfkirche der Platznot abzuhelfen, wurde von der Kirchenverwaltung Neuendettelsau, obwol der Gemeinde außer Hand- und Spannfrohn keine weiteren Leistungen angesonnen wurden, kurzsichtiger Weise abgelehnt. So unerwünscht für Löhe im Augenblick dieser Ausgang der Sache war, so muß man doch im Blick auf die Zukunft darin eine providentielle Fügung erkennen, da für das Gedeihen der Anstalt eine selbständige Gemeindeexistenz und gesonderte pastorale Führung geradezu eine Lebensbedingung war.
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 So schritt man denn ans Werk, und am 20. August 1858 wurde der Grundstein zum Bau des Betsaals gelegt. Die Form desselben ähnelte der Basilika, an das Langhaus schlossen sich Seitenhallen an, die zum Aufenthalt der Schwachen und Kranken dienen und ihnen die Wohlthat gewähren sollten, die freie Luft unter bedachtem Raum zu genießen. Deshalb und da auch der Turm fehlte, machte das Ganze von Außen einen wenig kirchenartigen Eindruck, um so wohlthuender wirkte aber das Innere| durch seine einfache Schönheit und würdige Gestaltung auf den Besucher. Es ist begreiflich, daß (wie Löhe sagte) der werdende Betsaal bald „der Augenstern der ganzen Gemeinschaft“ wurde, und mit einer Liebe für denselben geopfert wurde, wie für kein andres Werk vorher oder nachher.

 Der Bau gieng trotzdem langsam vor sich, auch die Mittel, die ja nur aus dem ohnehin schon reichlich in Anspruch genommenen Neuendettelsauer Freundeskreis flossen, kamen nur allmählich zusammen, da der Bau die für damalige Dettelsauer Verhältnisse nicht unbeträchtliche Summe von 10544 fl. forderte. Löhe hatte den Entschluß ausgesprochen, den Betsaal nicht eher zu gottesdienstlichem Gebrauch zu benutzen, als bis er dem HErrn als schuldenfreies Opfer übergeben werden könnte, (ein Ziel, das dann doch nicht ganz erreicht wurde). Dies spornte zu außerordentlichen Anstrengungen. Da er selbst armutshalber auf keine andre Weise seinen Beitrag geben konnte, opferte er das Honorar für die „Rosenmonate“ zu dem Bau des Betsaals. War der Bau langsamer und mühseliger als manch andrer zu stande gekommen, so war aber auch die Freude um so größer, als der Betsaal am Weihnachtsfest 1859 zum ersten Male dem gottesdienstlichen Gebrauch übergeben werden konnte, gleichsam als „eine Krippe, darinnen der HErr seine Wohnung haben möge.“ Von einer eigentlichen Weihe (außer derjenigen, welche in dem erstmaligen gottesdienstlichen Gebrauch selber lag) sah Löhe ab – aus naheliegendem Grunde.

 Nur für die „hausgottesdienstliche Erbauung“ hatte die kirchliche Behörde anfänglich die Benutzung des doch lediglich aus privaten Mitteln erbauten Betsaals gestattet. Es bedurfte noch längerer Verhandlungen, bis endlich Anfangs Mai 1860 die immer noch verklausulierte Erlaubnis zur Abhaltung eines vollständigen Hauptgottesdienstes mit Sakramentsfeier für die Anstaltsgemeinde| eintraf. Das Kirchenregiment schien zu besorgen, daß bei dem Wunsch der Diakonissenanstalt nach einem eignen Betsaal separationssüchtige Hintergedanken im Spiele sein möchten. Erst nach und nach wurde der dem gottesdienstlichen Leben der Anstalt anfangs so karg zugemessene Raum zu freier Bewegung erweitert. Es geschah dies im Zusammenhang mit der Errichtung einer eigenen Hausgeistlichenstelle am Diakonissenhause, welche Löhe beantragte, als ein im Jahre 1863 erlittener leichter Schlaganfall ihn mahnte, zur Regelung des Verhältnisses der Diakonissenanstalt zum Pfarramt der Dorfgemeinde und zur Sicherung der ihr nötigen Unabhängigkeit von letzterem Schritte zu thun. Durch ein Reskript des Oberkonsistoriums vom 3. Mai 1864 wurde das Recht zur Wahl eines Hausgeistlichen der Muttergesellschaft zuerkannt, der Parochialverband mit der Pfarrei Neuendettelsau zwar aufrecht erhalten, der Hausgeistliche aber direkt dem Dekanat Windsbach unterstellt und befugt, auch die Parochialakte im engeren Sinn „in Stellvertretung des Parochus“ vorzunehmen. Sein Wirkungskreis blieb indes auch jetzt noch so streng auf die eigentlichen Anstaltsangehörigen eingeschränkt, daß selbst der Besuch des sonntäglichen Hauptgottesdienstes allen der Anstalt Nichtangehörigen mit Ausnahme „etwa zum Besuch der Anstalt anwesender Fremder“, die Teilnahme an der Abendmahlsfeier aber auch diesen untersagt wurde. Doch diese und ähnliche Beschränkungen, die übrigens längst dahingefallen sind, konnten nicht hindern, daß sich in den einfach schönen Räumen, sonderlich in den Festzeiten des Kirchenjahres, eine Blüte gottesdienstlichen Lebens entfaltete, die denen, welche sie miterlebten, in der Erinnerung heute noch duftet. Gar manchesmal ist ihnen der Betsaal zu einem Bethel und einer Pforte des Himmels geworden. Sie haben es verstehen lernen, wie der Apostel die korinthische Gemeinde zu der Fülle der über sie ausgegossenen Gaben und dem daraus erblühenden Reichtum ihres gottesdienstlichen| Lebens beglückwünschen und dasselbe wie eine Vorstufe der mit Christi Wiederoffenbarung eintretenden, nur durch sie noch zu übertreffenden Herrlichkeit der Gemeinde Gottes preisen konnte. (1 Kor. 1, 7.)
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 Durch den höheren Bildungsgrad der Gemeinde, die Löhe im Betsaal vor sich hatte, und den gefördertem Stand ihres geistlichen Lebens wurde auch seine homiletische Produktion mächtig angeregt. Das beweisen die Themata, die er zuweilen vor seiner Zuhörerschaft im Diakonissenhause abhandelte, immer an der Hand von biblischen Texten und mit reichlicher exegetischer Grundlegung, Themata, wie man sie nicht vielen Gemeinden wird bieten dürfen. Es sei beispielsweise genannt eine Predigt über die Freundschaft im Anschluß an Joh. 15, 13–15, über Natur und Gnade (Gal. 6, 15), über Bildung und Wiedergeburt (Eph. 2, 10); was von dem (in gläubig reformierten Kreisen damals sehr lebendigen) Verlangen nach einer reichlicheren Ausgießung der außerordentlichen Gaben des h. Geistes und der damit Hand in Hand gehenden Forderung ernsteren Heiligungsstrebens zu halten sei (1 Cor. 12, 31 und 1 Cor. 14, 1),[1]über den ängstigenden Widerspruch zwischen Ruhe und| Unruhe im Herzen frommer Menschen, hervorgerufen durch die doppelte Wirkung des Gesetzes und des Evangeliums (Röm. 5, 20) etc. Ein Professor der Theologie, selbst ein Meister im Fach der Homiletik, der die Jahre 1861–1863 in Dettelsau zubrachte, der sel. Zezschwitz, sagte dem Schreiber dieses von Löhes Predigten aus dieser Zeit: „wenn sie einen Fehler gehabt hätten, so sei es der des Luxurierens mit Geist gewesen.“ Besonders erhebend war die Feier der großen Feste des Kirchenjahres. „Was kommt doch darauf an, wie die Kirche die großen Thatsachen, auf denen unser Heil ruht, uns vermittelt“ sagte der eben genannte akademische Lehrer unter dem Eindruck einer Dettelsauer Osterfeier. Ein eigenartiges Stück Dettelsauer gottesdienstlichen Lebens war die Mette in der Christnacht zu Ehren des Neugebornen und die nachmittägige Andacht am Karfreitag zur Anbetung des Gekreuzigten. Besonders ergreifend war die letztgenannte Feier, die ihren Höhepunkt um die dritte Stunde des Nachmittags erreichte.| Mit dem Schlag dieser Stunde fiel die ganze Gemeinde (auch das Diakonissenhaus feierte diesen Tag mit der Dorfgemeinde) auf die Kniee und stimmte unter dem Geläute aller Glocken den hohen Lobgesang an: Wir danken Dir, HErr Jesu Christ, daß Du für uns gestorben bist. Gegen Abend fand dann eine eigenartige Nachfeier im Betsaal statt, so recht geeignet, die geistliche Anspannung, in welche die Betrachtung und Vergegenwärtigung der Passionsgeschichte die Seele versetzt hatte, zu lösen und die großen Eindrücke des Tags im Gemüt sanft verklingen zu lassen. Nochmals gieng während der Verlesung der Leidensgeschichte nach Matthäus die Passion des HErrn an der Seele vorüber, zwischen den einzelnen Lektionen ertönten Palästinas Improperien und andre altkirchliche Gesänge, und in den beruhigenden Akkorden der Arie „Am Abend, da es kühle war“ etc. und des Schlußchors der Matthäuspassion von S. Bach klang die Feier lieblich aus. Die musikalische Ausgestaltung dieser Feier war das Verdienst des musikkundigen Conrektors Lotze (jetzt Oberkirchenrat in Gera), die Weihe durchs Wort erhielt sie von Löhe, dessen Ansprache, oft mehr laute Meditation als Predigt, das Ganze schloß. Es war, ohne daß der Name für die Sache bereits vorhanden gewesen wäre, eine liturgische Andacht, in jenem tieferen Sinn des Worts, in welchem, wie Löhe einmal in einer Predigt über Luc. 24, 6 sagte, alle Religion Andacht, nämlich Erinnerung, Erweckung des Andenkens an die heilige Vergangenheit, gläubige Vergegenwärtigung der großen Thaten Gottes zu unserm Heile ist.
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 So manches Psalmwort, das Liebe und Sehnsucht nach und Freude an den „schönen Gottesdiensten“ des HErrn ausspricht, wurde damals dem Hörer aus eigener Erfahrung verständlich, und der Betsaal selbst ihm dadurch ein lieber und werter Ort. Jetzt freilich hat er, da er für die stets wachsende Anstaltsgemeinde nicht mehr genügte, aufgehört dem gottesdienstlichen Zweck zu dienen| und steht neben der neuen viel prächtigeren Laurentiuskirche, wie die außer gottesdienstlichen Gebrauch gesetzte Stiftshütte neben dem salomonischen Tempel stand.

 Als Anhang zum Vorigen und als Probe, wie in Neuendettelsau in dem mit Fichtengrün geschmückten und im Lichterglanz strahlenden Betsaal der Diakonissen „die Nacht, da uns erschienen des großen Gottes Freundlichkeit“ gefeiert wurde, mag hier die letzte Ansprache, die Löhe an einem solchen Weihnachtsabend nach vorausgegangener liturgischer Feier im Betsaal hielt, mitgeteilt werden.

 „Als der allmächtige HErr aus dem Nichts die Welt gerufen hatte, da jauchzten Ihm die Majestäten und preiseten Ihn alle Kinder des Lichts, da brauseten der Himmel Ozeane und die Meere der armen Welt; da blühten in der Welt, der werdenden, auf Sein Geheiß Millionen und Millionen von Pflanzen und Blumen; da kreisten am Himmel Sonne, Mond und Sterne; da rauschten die Lüfte vom Gesang der Vögel, da rauschte das Meer von seinen Fischen; da trat der Mensch, aufrechten Angesichts, vor Ihn; da betete an alles, was Er geschaffen und gieng in Erfüllung, was geschrieben steht, daß Er alle Dinge zu Seiner Ehre geschaffen.

 Als aber die Welt in Sünde gefallen war, da sann Sein Herz auf eine Wiederbringung dessen, was Ihm der Satan gestohlen hatte. Jahrtausende ließ Er vergehen und schwieg im Geheimnis Seiner Majestät, bis daß die Nacht erschien, die wir feiern – Hallelujah! – bis die Sonne hervorbrach aus der Höhle und vor ihr alles erbleichte, die Welt des Lichts erbleichte im Dunkel der Mitternacht – Hallelujah! – bis daß die Morgensterne sanken, bis der Engel Heer herniederkam und alles, was Gott an Geistern erschaffen hatte, anbetete – ein Menschenkind – Hallelujah! Da Er den Erstgeborenen in die Welt einführte, sprach| Er: „es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.“ Den beten die Engel an, für die Er nicht starb – was sollen wir denn thun, für die Er starb? Wir stimmen die Harfen, wir erheben die Lieder, wir fallen auf unsere Kniee, wir sinken in den Staub, wir jauchzen den himmlischen Chören nach, jauchzen in die Ewigkeiten der Ewigkeiten: (hier fiel – ein ergreifender Augenblick – die ganze Gemeinde ein) Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!

 Angebetet sei der Vater, angebetet sei der Sohn, der Gottes- und Menschensohn, Einer in zwei Naturen, der sich erniedrigt, der sich erhöhet hat, der zur Rechten der Majestät sitzt, der da wiederkommt mit Herrlichkeit – o Schrecken! vor dem die Welt erbeben, vor dem die Welt vergehen wird, bei dem aber ewig in Seinem Frieden bleiben wird Seine Kirche, auf daß sie mit Ihm ewige Freude habe und Er mit ihr. Demselben sei Lob und Preis jetzt und immerdar, Ehre und Lob mit Wort und That, mit Herz und Mund, und alles spreche zu Ehren dem, der Mensch geworden ist: Halleluja!“





  1. Als Beispiel ist vielleicht dem Leser die Mitteilung der Disposition obiger Predigt, wie sie sich in Löhes Aufschreibungen fand, nicht unwillkommen.
    Warum dieser Text gewählt ist?

     1. Er handelt von der Hochschätzung der außerordentlichen Gaben und der Liebe, als der Quelle aller wahren Sittlichkeit und Heiligung.
     2. Er erinnert an ein doppeltes desiderium der Kirche in unserer Zeit: Mehr außerordentliche Gaben, mehr Liebe (höhere Heiligungsstufe). – Es mangelt an beidem.
     3. Er erinnert aber auch an einen Abweg dieses Verlangens, der alt und neu ist.
     Übertreibung bezüglich der Gaben fand sich im Montanismus,
     Übert"eibungbezü"lich der Heiligung beim Novatianismus und Donatismus, bei letzterem auch in Bezug auf die Beurteilung der öffentlichen kirchlichen Zustände.

    [232] In neuerer Zeit übertreibt es der römische Katholizismus rücksichtlich der sinless perfection
    amerik. Methodismus
    württemberg. Pietismus

    sowie der Irvingianismus etc. bezüglich der geistlichen Gaben.
     4. Er ermahnt das richtige Verhältnis zwischen Glauben und Heiligung einerseits, und dem alleinigen Grund unseres Heils andrerseits festzuhalten (Baum und Früchte).
     5. Er warnt vor Vereitelung des angestrebten Zwecks.
     Denn indem man durch jene Übertreibung und Überschätzung vor der Größe der ordentlichen Gnadengaben und Gnadenmittel das Auge zudrückt,

    die Tiefe der Sünde und des Werks der Heiligung miskennt,
    verliert man die Einsicht in den Anfang und die Vollendung des Heils,
    wird seicht in der Buße und im Werk der Heiligung,
    kommt in Gefahr der Selbstzufriedenheit, des Selbstbetrugs und grober Sünden.

     Daher σωφροσύνη! Vor allem Buße und Glauben! Das das Allernötigste. Dann Gaben und Heiligung, jene für diese. Gott helfe uns! Amen.


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