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Wilhelm Löhes Leben (Band 3)/Das Schulwesen des Diakonissenhauses

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Wilhelm Löhes Leben (Band 3)
Das Rettungshaus »
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Das Schulwesen des Diakonissenhauses.


 Neben seiner eigenen Pflanzschule, der Diakonissenschule (später von der Farbe des von den Schülerinen getragenen Bandes: „die blaue Schule“ genannt) hatte das Diakonissenhaus fast von Anfang seines Bestehens an eine Schaar jüngerer Schülerinen, die zu ihrer eigenen Ausbildung ihm übergeben waren. Da es die ursprüngliche Absicht des Diakonissenhauses war, neben Krankenpflegerinen auch Lehrerinen (für deutsche Schulen) auszubilden, so war diese Entwicklung der Sache nur erwünscht, sofern dadurch dem Diakonissenhaus ungesuchte Gelegenheit sich bot, seine für das Lehrfach sich ausbildenden Schülerinen auf die bequemste Weise in die Praxis des Lehrens einzuführen. Doch nicht als Selbstzweck, sondern nur als Mittel zu dem genannten Zweck war diese sog. kleine (später: grüne) Schule gedacht. Eben deshalb wollte man eine zu große Ausdehnung dieser Schule von vorneherein vermeiden,| nicht blos aus Rücksicht auf den beschränkten Raum, sondern aus Furcht, „dieselbe möchte durch Vergrößerung ihre Eigentümlichkeit verlieren, d. h. aufhören als ein Teil der Anstalt vom Ganzen wolthätig mitbestimmt zu werden.“ Denn wahre Diakonissenbildung und echt weibliche Bildung fielen für Löhe zusammen: darum war die grüne Schule nicht blos als Übungsschule der werdenden Lehrerinen des Diakonissenhauses, sondern auch als Vorschule der eigentlichen Diakonissenschule gemeint. „Die grüne Schule – sagte Löhe – ist die Mission (das Missionsfeld) der blauen.“ Man hoffte, daß die Töchter Dettelsaus (wie diese grünen Schülerinen nach ihrer Entlassung aus der Anstalt hießen), wenn sie aus dem Pflanzgarten der Anstalt wieder in ihre heimischen Umgebungen zurückversetzt würden, Diakonissensinn und Verständnis für das Diakonissentum dorthin trügen, oder aber noch lieber selbst für den Diakonissendienst begeistert würden und mit dem Entschluß denselben als Lebensberuf zu wählen wiederkehrten. Daher das diese Schülerinen auszeichnende grüne Band der Hoffnung, während die Diakonissenschülerinen das blaue Band trugen, dessen Symbolik keiner Deutung bedarf.

 Mit dem Gesagten ist die Eigenart dieser Bildungsanstalt schon bezeichnet, eine Eigenart, die man nicht nur als durch die Umstände gegeben acceptieren, sondern mit Bewußtsein festhalten wollte. Lieber wollte man auf die dem Diakonissenhause in seinen schweren Anfangszeiten so willkommene „finanzielle Beihilfe des Mädcheninstituts“ verzichten als dem Wunsch mancher Eltern, die für ihre Kinder „Weltbildung, Einführung in den konventionellen Weltton der Gesellschaft“ verlangten, nachgeben. Es war unverrückbarer Grundsatz, daß aller Unterricht im Diakonissenhause auf der Basis der Diakonissenbildung ruhen sollte.

 Man durfte ja mit Recht von der Einfügung dieser Schule in den Organismus des Diakonissenhauses und der dadurch bedingten| Eigentümlichkeit des gesamten Schullebens besondere Früchte erwarten. Schon in einem der frühesten Berichte sagt Löhe hierüber: „Für die Erziehung dieser Schülerinen ist das Zusammenleben mit einer größeren, der Ausbildung für die höchsten Lebenszwecke des Weibes bestimmten Anstalt von großem Nutzen und Segen gewesen; die so oft beklagte große Einseitigkeit und Eitelkeit des weiblichen Institutslebens scheint durch die Verbindung mit der Diakonissenanstalt glücklich vermieden zu sein. Die kleine Schule ist integrierender Bestandteil des Ganzen; die Schülerinen nehmen an allem teil, was das Haus bewegt; während es voller Ernst mit dem Lernen ist, geht ihr Leben doch nicht gar im Lernen auf, sondern sie sind von einem reichen Leben umwogt, dessen Einflüssen sie sich nicht entziehen könnten, auch wenn sie wollten.“ Das Diakonissenhaus herbergte in seiner ersten Zeit in seinen unteren Räumen eine Anzahl leiblich und geistig Kranker. Aber auch in dieser nahen Berührung[1] der Schülerinen mit den Übeln und Gefahren des Lebens erkannte man keinen Nachteil, sondern einen Vorzug der „kleinen Schule“. „Die Gemüter – sagt Löhe – werden so (frühzeitig) mit dem Ernst des Lebens vertraut und die jugendliche Munterkeit und Freude leidet darunter nicht den mindesten Eintrag, wie es am Tage ist.“ Andernteils erschien es ihm auch als ein Vorteil, daß durch Einordnung dieser Mädchenschule in das ganze Anstaltsleben dieses selber einen jugendlich frischeren Charakter bekam. Auch das schien Löhe ein Gewinn zu sein, daß durch Einfügung der Schule in das Leben eines Diakonissenhauses dem Irrtum gewehrt werde, als ob Wissen und Lernen die Hauptsache des Lebens oder auch nur des Dettelsauer Anstaltslebens sei. Schon der Name Diakonissenhaus, die täglich merkbare reiche Bewegung im Diakonissenwesen, die stark hervortretende Überzeugung,| daß alle Frauen hauptsächlich zur Regelung des zeitlichen und häuslichen Lebens, zum Dienst der Armen und Elenden, zur Ermöglichung eines anmutigen und schönen gottesdienstlichen Lebens berufen seien, weist das Lernen und dessen Hochschätzung in bestimmte Grenzen.“ Um dem „Institut“ diesen Charakter zu bewahren, wünschte man keine allzu große Ausdehnung desselben. „Große Institute – sagt Löhe – haben ohnehin ihre besonderen Gefahren, insonderheit würde unsre Bildungsanstalt durch Vergrößerung ihre ganze Eigentümlichkeit verlieren.“ Für den größten, eben aus ihrer Verbindung mit dem Diakonissenhause entspringenden Vorzug dieser Schule erachtete es aber Löhe, daß die Mädchen mit einer immerhin geförderteren Anstaltsgemeinde kirchlich leben lernten. „Die Konfirmierten gehen zum Sakrament, die noch nicht konfirmiert sind, wenigstens zur Privatbeichte und Absolution, und so erfahren sie mit dem ganzen Hause immerzu die große Hilfe, welche für die Erziehung in der kirchlichen Anstalt der Beichte und in der göttlichen der Absolution liegt. Diese Führung „vermied Carcer und Strafen und verbreitete einen Geist der Willigkeit und des Gehorsams, der ohne sie gar nicht möglich gewesen wäre“. In jener geistlich angeregten und lebendigen Frühlingszeit des Diakonissenhauses mochte auch das Wagnis versucht werden, das Statut des Herrn von der gegenseitigen Seelsorge und brüderlichen Zucht (Matth. 18) zur Regel des Gemeinschaftslebens der Schülerinen zu erheben, welchem Zweck die Einteilung derselben in einzelne Riegen unter Aufsicht von Riegenmeisterinen dienten. Löhe rühmt den Geist der Zucht und bessernden Liebe, der „zuweilen“ die Schulen beherschte, sowie die Macht der „stillen halben Stunde“, die, gleichfalls für alle Hausbewohnerinen Regel, den Anbruch des Tages und damit den ganzen Tageslauf heiligen sollte.
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 In dieser Eigentümlichkeit lag der Hauptunterschied der Mädchenschule des Diakonissenhauses von Instituten gewöhnlicher Art,| weniger im Lehrpensum, das mutatis mutandis doch im Ganzen das der höheren Töchterschulen edlerer Art sein mußte. Eigentümliches fehlte jedoch auch hier nicht. Daß der religiöse Unterrichtsstoff eine vorwiegende, um nicht zu sagen eine überwiegende Bedeutung behauptete, ist erklärlich. Mit dem damals neuerweckten Sinn für deutsches Altertum (Löhe hatte sich selbst eine Weile mit germanistischen Studien befaßt) hing es wol zusammen, daß unter die Lehrgegenstände der Mädchenschule sogar das Mittelhochdeutsche aufgenommen wurde. Der Kalender, sowol nach seiner natürlichen als nach seiner historischen Seite, war gleichfalls ein dieser Schule eigentümliches Unterrichtsfach. In den neueren Sprachen begnügte man sich mit der auf sicherer grammatischer Grundlage ruhenden Kenntnis der Sprachen selbst, ohne eine durch bloßen Schulunterricht doch nicht erreichbare Fertigkeit des Sprechens erzielen zu wollen, zumal man das „hie und da beliebte Abrichten“ zum französisch Parlieren „mit dem Ernst des Hauses unverträglich“ fand. Eine gewisse pädagogische Bedeutung wurde dem Unterricht im Schönschreiben, in welcher Kunst Löhe bekanntlich selber Meister war, beigelegt.

 Gesang und (selbstverständlich ärztlichen Unterricht) ausgenommen wurde anfangs aller Unterricht von Löhe selbst gegeben. So lange er es vermochte, noch bis in seine letzten Lebensjahre hinein, pflegte er in jedem Semester, außer dem Katechismusunterricht etliche Stunden zu geben.

 Übrigens löste sich nach einiger Zeit die grüne Schule aus dem engen Verband mit der blauen und wurde von da an selbständig geführt. Der ursprüngliche Zusammenhang wurde aber in der Idee wenigstens immer festgehalten, sofern ihre höchste Bestimmung bleiben sollte, Diakonissensinn und -Bildung in weitere Kreise hinaus zu tragen. Sie galt als integrierender Bestandteil der Diakonissenanstalt, und die ausgeschulten grünen Schülerinen| hatten Erlaubnis und Recht, das Diakonissenhaus nicht minder als ihr Mutterhaus anzusehen wie die blauen.

 Mehr zufälliger Art war die Entstehung der „roten“ Schule (1862), wie auch ihr Verhältnis zum Diakonissenhaus aus diesem Grunde ein äußerlicheres blieb. Da nämlich dem Diakonissenhaus in steigendem Maße auch jüngere Schülerinen in noch schulpflichtigem Alter übergeben wurden, so entstand die Nötigung, dieselben in eine eigene Klasse zusammenzufassen, deren Pensum wesentlich das der deutschen Volksschule war. Dazu kamen als Externe die Kinder einiger gebildeter Familien im Pfarrdorf, für die es eine Wohlthat war, die Dorfschule zu vermeiden und ihre Schulbildung in der Elementarschule des Diakonissenhauses sich aneignen zu können. Auch die rote Schule fand ihre Unterkunft in den Räumen des Diakonissenhauses und hat gewiß davon Segen gehabt, wenn gleich für die schon altershalber unreiferen Zöglinge dieser Schule der nahe Zusammenhang mit dem Diakonissenhause, seinen Zwecken und Werken für weniger bedeutungsvoll erachtet wurde als für die grüne Schule.

 Dem Bestreben der Lehrer und Lehrerinen des Hauses, die Gemeinschaft des Geistes mit ihren ehemaligen Schülerinen zu pflegen und der Anhänglichkeit derselben an den Ort, der so manchen unter ihnen nicht blos eine in dankbarer Erinnerung gebliebene Bildungs-, sondern auch Segensstätte geworden war, verdankte auch eine eigentümliche Blüte Dettelsauer Lebens ihr Dasein: das Heimsuchungsfest der Töchter Dettelsaus, das am Tag Marien Heimsuchung (2. Juli) gefeiert wurde.

 Die Anwesenheit einer größeren Anzahl ehemaliger Schülerinen in den Ostertagen des Jahres 1861 gab beim Liebesmahl am Gründonnerstagabend Anlaß zu der Bemerkung, daß es wol ein Zug des Geistes Gottes selber sei, der so viele frühere Schülerinen auf einmal zur Festwallfahrt nach Dettelsau bewogen habe, und| zur Überlegung, wie man diesen Zug am besten pflegen und stärken könne. Man beschloß, die gewesenen Schülerinen zu einem gemeinsamen Besuch im Mutterhause für den 2. Juli, den Tag Marien Heimsuchung, einzuladen. Der Vorschlag fand bei denselben Anklang. Der anderswo wenig beachtete, vom Diakonissenhause aber selbstverständlich immer mit festlichem Sang und Klang begangene Feiertag, der „die hochsommerliche Zeit, wie ein reicher Thau vom Himmel her das lechzende Land, erquickt“, wurde für Dettelsau nun ein Festtag besondrer Art. „Der Tag – schreibt Löhe –, an dem uns unsre gewesenen grünen und roten Schülerinen besuchen und zwar in der Absicht, die alte Verbindung zu erneuen und sich wieder auf die Grundsätze des Lebens zu besinnen, welche ihnen während ihrer hiesigen Lehr- und Lernzeit eingeprägt wurden, ist nicht allein für die Besucherinen, sondern auch für uns ein Freudentag: wir freuen uns „wie man sich freuet in der Ernte.“ Die Besucherinen haben ja ihren hiesigen Aufenthalt nicht vergessen, sie haben sich nicht so an die Welt angeschlossen, daß ihnen die Gemeinschaft mit einem ernsten christlichen Kreise widerwärtig geworden wäre; sie wollen sich aufs neue mit uns und unter einander in den gleichen Grundsätzen des Glaubens und Lebens zusammenschließen und mit ihrem Dettelsau wie mit einem Lebensmittelpunkte verbunden bleiben. Das aber ist für uns nichts anderes als Ernte unserer Saat“.
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 Es lag Löhe besonders an, diesen Heimsuchungstag für die „Töchter Dettelsaus“ geistlich fruchtbar zu machen. Es war ihm ein Leidwesen, wenn er an diesem Tage von Dettelsau abwesend sein mußte. Als er im Sommer 1863, wo ihn ein leichter Schlaganfall getroffen, zur Erholung im bayerischen Gebirge verweilte, schrieb er an seinen Stellvertreter: „Der 2. Juli ist da, der mich heimzieht. Ich werde aber bis dahin nicht zu Hause sein können. Wie leid ist mirs, daß ich nicht Heimsuchung durch Heimkehr feiern| soll. Für uns ist die Versammlung vom 2. Juli von hohem Wert. Was wir gepflanzt haben, soll begossen, die jungen Bäume der Ewigkeit an Pfählen befestigt werden. Ich habe große Sehnsucht, daß die Vereinigung unsrer Schülerinen immer herzlicher werde... Der Vers des heil. Jakobus, den ich 1861 zur Feier schickte (Kap. 1, 24), leuchte auch diesmal mit Feuer eines himmlischen Transparentes in die Seele. Er zeigt den Inhalt, den die Liebesvereinigung unserer Töchter haben soll... O nunquam retrorsum, allezeit vorwärts, rein ab und Christo an! Die Welt ist mir gekreuzigt und ich der Welt “

 Für die Feier des Tages bildete sich allmählich ein in der Hauptsache feststehendes, in Einzelheiten wechselndes Programm. Am Vorabend die Gräber heimgegangener Schwestern, seit 1872 auch Löhes Grab, zu besuchen wurde bald ständige Sitte. Der Haupttag selbst war gottesdienstlich eingerahmt. In den Zwischenzeiten versammelten sich die Festgäste, um die eingelaufenen Briefe ihrer vom Besuch des Festes abgehaltenen Genossinen verlesen zu hören und über die Angelegenheiten der Kreise (zu denen sie sich zusammenschlossen, um in gemeinsamer Arbeit die Zwecke des Diakonissenhauses zu fördern) Berichte zu erstatten oder Beratungen pflegen etc. Manchmal gab es auch ein Extragericht, z. B. eine Paramentenausstellung etc. Die seelsorgerliche Besprechung, etwa in Form der geistlichen Übung, leitete Löhe selbst, wenn möglich. Den Höhepunkt bildete der Festgottesdienst mit seiner Spitze, der Feier des heil. Abendmahls. Die Freuden der Gemeinschaft, der Andacht, des gemeinsamen Sakramentsempfangs, der Ernst und die Lieblichkeit des ganzen Festes mußte wol auf weibliche Gemüter Eindruck machen.

 Trotzdem scheint Löhe gegen Ende seines Lebens von der nachhaltigen Wirkung dieses Festes geringer gedacht zu haben. Sein letztes Schriftchen enthält eine wehmütige, fast pessimistische Äußerung| darüber. „Wenn – sagt er dort – der (von den Schülerinen in ihrer Dettelsauer Schulzeit) eingesogene Geist zu stark ist, sich in das gewohnte Wesen zu schicken, dann regt er zuweilen seine Flügel wieder, Flügel, wie sie die Zugvögel haben, und es kommen die Tage der Heimsuchung und der starken Erinnerung an die Schulzeit wieder. Dann kehren die Töchter von Dettelsau wieder in ihr Mutterhaus ein und feiern einen Nachfrühling, der wol recht schön ist, aber doch auch zu abnorm, als daß er bleiben und siegen könnte.“





  1. Von Berührung mit ansteckenden Kranken war natürlich keine Rede.


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