| Nr. 3.
Gunzenhausen am 8. Oktober 1849.
Königliches Oberkonsistorium!
Vorstellung der unterthänigst Unterzeichneten, Wahrung des Bekenntnisses und Einführung in seine Rechte innerhalb der lutherischen Kirche Bayerns betreffend.
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Bei der diesjährigen Generalsynode wurde eine Anzahl von Geistlichen und Gemeindegliedern unterm 21. Jan. ein Antrag auf Wahrung des Bekenntnisses und Einführung desselben in seine Rechte innerhalb der lutherischen Kirche Bayerns“ schriftlich gestellt, an welchem sich auch die Unterzeichneten größtenteils durch Unterschrift beteiligt haben. Die Petenten fanden am Schlusse der Synode, daß ihrem Antrag sehr wenig, fast keine Folge gegeben war, und doch war es nicht ein Antrag ordinärer Art, sondern er betraf heilige und unveräußerliche Rechte der lutherischen Kirche, welche durch Unrecht der Zeit gefährdet und in Frage gestellt waren, – Zustände, welche im Sinne der lutherischen Kirche allerdings als „unerträglich“ bezeichnet werden zu können schienen. Manche von den Petenten sahen damals bei der ungeheuren Minorität, in welcher sie sich befanden, für sich und ihr Gewissen keinen Ausweg, als den, von der Landeskirche, deren oberstem Rate eine Rückkehr auf die alte Basis der lutherischen Kirche unthunlich erschien, auszuscheiden und sich irgend einer Kirchengemeinschaft von unzweifelhaft lutherischem Bestande anzuschließen. Während sie damit umgiengen, dämmerte jedoch eine Hoffnung herauf, wie wenn es vielleicht doch noch möglich wäre, die alte Basis der Kirche zu gewinnen. Einige Glieder der theologischen Fakultät in Erlangen erklärten, die beiden Kardinalpunkte, um welche sich die ganze Petition vom 21. Januar drehte, zu den ihrigen machen und sie in einer Eingabe an das königliche Oberkonsistorium
| vertreten zu wollen. Hiemit schien uns viel gewonnen zu sein; wir hielten gerne ein, legten die Sache vertrauensvoll in die Hände der Professoren und lebten der Überzeugung, daß, wenn nur einmal jene zwei Punkte wieder in Übung gebracht sein würden, alle andern in der Petition vom 21. Januar noch enthaltenen als natürliche Folgen von selbst kommen oder doch leicht zu erreichen sein müßten. Ob und wie weit nun diese Eingabe, die sicherem Vernehmen nach bereits bei einem Kgl. Oberkonsistorium zur Vorlage gekommen ist, zur Erfüllung jener Hoffnung beitragen wird, steht zur Zeit noch zu erwarten. Dem ohngeachtet aber halten es die unterthänigst Unterzeichneten nicht für überflüssig, inzwischen auch ihrerseits das Mögliche zu thun, um die Sache, um die es sich handelt, zur Anerkennung zu bringen und erlauben sich zu dem Ende einem Kgl. Oberkonsistorium jene zwei Kardinalpunkte in der gedoppelten Bitte vor Augen zu stellen daß
- 1) wieder eine Verpflichtung der Geistlichen und Religionslehrer auf sämtliche lutherische Symbole im Sinne des wohlverstandenen quia hergestellt und gehandhabt, ferner
- 2) zum Beweise des völligen Ernstes, mit welchem dies geschieht, denjenigen, welche gegenwärtig, obwohl zum Gebiete der lutherischen Kirche gerechnet, doch im schreienden Widerspruch gegen dieselbe und ihre Lehre stehen, die Kirchengemeinschaft aufgekündigt werden möge, bis sie von ihrem Gegensatz abstehen und sich zur lutherischen Lehre bekennen können.
Was die
Verpflichtung anlangt, so würde uns jene, älterem Brauche sich genau anschließende Formel, welche von der Generalsynode der lutherischen Kirche Preußens im Herbst 1848 angenommen wurde (s. die Synodalbeschlüsse S. 157 [15]), am meisten Zusagen. Indessen würden wir auch eine neue Formel willkommen heißen, welche, indem sie dem Sinne des
quia entspräche, doch auch wieder den zagenden Gewissen so mancher erst im Anfangsstadium konfessioneller Erkenntnis stehender Geistlichen zur Hilfe käme. Wären nun alle symbolischen Bücher wie die Augsburgische Konfession oder die Schmalkaldischen Artikel in „Artikel“ abgeteilt, gäbe das Wort Artikel einen völlig genauen
| Begriff; so würden wir mit einer Verpflichtung auf
die Artikel des christlichen Glaubens, wie sie vor Zeiten bestanden hat, ganz zufrieden sein. Da aber jenes nicht der Fall ist, so halten wir einen verdeutlichenden Beisatz für um so nötiger, als auch die gegenwärtige Lehrpraxis uns solches unabweisbar zu gebieten scheint. Früher war Glaubens- und Sittenlehre nicht getrennt, man faßte deshalb unter dem Namen „Glaubensartikel“ auch die Dogmen der Ethik zusammen. Nun aber ist die Scheidung von Dogmatik und Ethik bis in die Dorfschule durchgedrungen, und man versteht unter „Glaubensartikel“ nicht mehr wie früher auch die ethischen Dogmen. Deshalb hielten wir es für kein eigentliches
novum, wenn bei etwaiger Abfassung einer neuen Verpflichtungsformel auf Anerkennung der „in sämtlichen Symbolen enthaltenen Artikel der christlichen Glaubens- und Sittenlehre“ gedrungen würde. Jede Verpflichtungsformel findet ihre dringende Veranlassung und völlige Berechtigung in der Unverläßlichkeit menschlicher Geister und Gemüter. Je bestimmter sie ist, desto mehr verschwindet das Mißtrauen, desto mehr entspricht sie ihrer Bestimmung, eine menschliche Garantie für das arme Volk zu sein, daß nicht mancherlei subjektive Meinung und Lehre, sondern die eine reine Lehre der Kirche ihm werde geboten werden.
Das königliche Oberkonsistorium erkennt gewiß die Einfalt unseres Verlangens. Vielleicht werden wir nicht bloß mit unserer Bitte um Verpflichtung überhaupt, sondern auch darin erhört, daß die Verpflichtungsformel jede Deutung, als sollte bloß auf die Glaubensartikel in modernem Sinn, d. h. auf einen Teil der Lehrartikel unserer Symbole verpflichtet werden, recht offenbar ausschlösse.
Es werden übrigens viele gar nicht glauben, daß eine Garantie für die reine Lehre gegeben sei, so lange nicht auch die bereits im Amte stehenden Geistlichen zur Anerkennung der Verbindlichkeit der Verpflichtungsformel auch
für sie gebracht werden. Man kann die Wahrheit einer solchen Behauptung nicht in Abrede stellen, doch soll es, wenn wir nicht um nachträgliche Verpflichtung der im Amte stehenden Geistlichen bitten, nicht Inkonsequenz genannt werden, da wir es bloß aus
| Vertrauen gegen ein Kirchenregiment unterließen, welches, wenn einmal die nachfolgenden Geschlechter zur Anerkennung der Bekenntnisse gebracht werden müßten, gewiß es für Redlichkeit halten würde, auch in betreff der in Amt und Würden stehenden das Entsprechende zu thun.
Mehr aber als an einer nachträglichen Verpflichtung der bereits im Amte stehenden Geistlichen und Lehrer schien uns deshalb die Lehrzucht betont werden zu müssen. Nicht bloß war hierin – wenn auch nicht in allen Teilen der Zucht – die lutherische Kirche früherhin wirklich treu, sondern es liegt auch auf platter Hand, daß eine Verpflichtung auf die Symbole ohne Kontrolle fast so viel wie keine ist. Man hat oftmals auf Sachsen hingewiesen, wo bei strenger Verpflichtung der Abfall dennoch so groß werden konnte. Allein dies Beispiel beweist nicht die Nutzlosigkeit von Verpflichtungsformeln überhaupt, sondern nur deren Nutzlosigkeit ohne Verbindung mit der Lehrzucht und einer sie übenden Aufsichts- und Visitationsstelle. Es ist offenbar, daß es zu allen Zeiten unredliche Menschen genug gibt, welche Verpflichtungen übernehmen, wenn sie sicher voraussehen, daß sie niemand anhalten wird, denselben nachzukommen. Laxheit des Kirchenregimentes stellt am Ende alle kirchlichen Institutionen in Frage. Darum fühlten wir uns auch zu obigem zweiten Petitionspunkt gedrungen, den wir, die unterthänigst Unterzeichneten, zum Teil in einer bei einem Kgl. Oberkonsistorium bereits eingereichten, zum Teil in einer mit vorliegender Petition zugleich abgehenden besondern Eingabe weiter auszuführen und zu begründen uns erlaubt, und den wir lediglich in der Absicht hier mit eingereiht haben, um den Zusammenhang anzudeuten, in welchem er mit dem ersten Petitionspunkte steht.
Indem die unterthänigst Unterzeichneten, welche sich jedem Fortschritt hold, jedem Rückschritt in göttlichen Dingen abhold wissen, welche der Richtung der lutherischen Kirche getreu bleiben wollen, die oben ausgesprochene Doppelbitte in die Hand des königlichen Oberkonsistoriums vertrauensvoll niederlegen, bekennen sie zugleich ehrlich und offen, daß sie in der Erfüllung derselben noch keineswegs das volle Heil der Kirche erkennen, sondern die erbetenen zwei Stücke, wie bereits oben angedeutet,
| lediglich als die Quell- und Anfangspunkte für alles andere ansehen, was in der Petition vom 21. Januar beantragt worden ist. Sie haben durch alles, was man seit Monden gegen ihre Überzeugungen gesagt hat, keine veränderte Überzeugung gewonnen. Im Gegenteil ist es ihnen immer klarer geworden, daß ihre Ansicht der heimatlichen Zustände richtig, ihr Sehnen und Verlangen nach Abstellung der bekenntniswidrigen Mißbräuche und Mißstände nicht eine fieberische Erregung dieser Zeit, sondern treuer Wille ist. Sie können es nicht anders sagen, als daß eine Kirche, welche die erwähnten Mißbräuche auf die Dauer vertragen oder gar verteidigen und hegen könnte, wenigstens nicht in dem Sinne eine lutherische genannt werden könnte, wie die lutherische Kirche der früheren Zeiten. Durch ein Beharren und Beruhen in jenen Mißbräuchen und Mißständen würde entweder das Benehmen und die Geschichte der früheren lutherischen Kirche gerichtet, oder aber es würde selber durch diese gerichtet.
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Deshalb wenden wir uns gewiß auch im Sinne mancher Anderer an das königliche Oberkonsistorium mit der inständigen Bitte um Abhilfe. Es handelt sich gewiß nicht um Konzessionen für irgend eine schroffere Partei, da wir ja offenbar und erweislich um nichts anderes bitten, als was die heilige Schrift, die Symbole und Kirchenordnungen der Lutheraner je und je gefordert und geboten haben. Wir können keine Partei sein, es wäre denn, daß die eigentlich lutherische Richtung durch die große Majorität Andersgesinnter zur Partei umgestempelt zu werden vermöchte. Es handelt sich auch – wenigstens in unseren Augen – keineswegs um die Erhaltung einer Anzahl von Dienern der lutherischen Kirche im Verband der heimatlichen Kirche, sondern es handelt sich um Erstrebung der
Lehreinheit in den durch den Streit und die Entwickelung der Jahrhunderte festgestellten
Artikeln der Glaubens- und Sittenlehre durch Verpflichtung und Lehrzucht. Darnach aber zu streben, ja zu ringen ist nicht sträfliches Beginnen unruhiger Köpfe, sondern heilige Pflicht aller, die das heilige Amt haben und zwar vornehmlich im Interesse der Herden, deren Herzen, zumal in der so allgemeinen geistigen Verwirrung dieser Zeit,
| zu keinem einigen festen Glauben kommen können ohne reines und einiges Lehren: Die Uneinigkeit der Lehrer verschuldet die leichtsinnige Zerfahrenheit des Volkes mit, und dazu die Empfänglichkeit für die Ideen und Lügen des Zeitgeistes, gegen welche es kein Bollwerk gibt als die moralische Macht einer in Lehre und darum in Urteil einigen Kirche. Verhüte Gott, daß nicht die Kirche je länger, je lauer und flauer werde, daß nicht von ihr mit Wissen und Willen ihrer Diener und Hirten ihr Hort genommen werde, – die eine, reine Lehre – dieser Hort, der bis jetzt, hoffen wir, nur verborgen ist und des Tages harrt, wo er neu gehoben der Kirche großen Segen und Gedeihen verspricht.
Mit schuldiger Ehrerbietung verharren
Eines königlichen Oberkonsistoriums
unterthänigst gehorsamste etc.