Wilhelm Löhes Leben (Band 2)/Löhe als Prediger
« Zweites Kapitel | Johannes Deinzer Wilhelm Löhes Leben (Band 2) |
Löhe als Liturg » | |||
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
| |||||
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Sicherlich war es auch nicht allein die Naturbegabung, die ihn zu seiner großen Wirksamkeit als Prediger befähigte. Es war vielmehr die Plerophorie des Glaubens, aus welcher heraus sein Zeugnis quoll, es war die Tiefe und der Reichtum der Schriftauslegung und Schriftanwendung, die bei allem Schwung der Gedanken doch immer praktische Haltung und endlich auch die oft elastische Schönheit der Form seiner Rede, was seinen Predigten ihre ungemeine Anziehungskraft und ihre durchschlagende Wirkung verlieh.
Man fühlte es Löhe’s Predigten ab, daß er von der Wahrheit des göttlichen Wortes selbst innig durchdrungen war. Darum war er auch im Stande, die göttliche Wahrheit überzeugend darzustellen. Daß die Bibel das Wort Gottes sei, davon waren auch diejenigen seiner Gemeindeglieder überzeugt, deren Leben ganz und gar der Bibel nicht gemäß war.
Vor Allem war Löhe ein biblischer Prediger. Nicht geistreiche Gedanken über den Text wollte er geben, sondern einfach die göttlichen Gedanken aus dem Text ans Licht stellen. Wenn andere Prediger häufig sich begnügen, des Textes Oberfläche zu schürfen, grub er als ein kundiger Bergmann in die Tiefe, um aus den Schachten der heiligen Schrift das Gold der göttlichen Wahrheit zu Tage zu fördern. Dabei war seine Auslegung so einfach und einleuchtend, daß er nicht menschliche Zuthat zu dem Text gegeben, sondern nur die Decken von den Augen und das Hüllen von dem Text weggethan zu haben schien, wodurch andere gehindert wurden zu sehen was er sah. Der exegetische Gehalt war es, der seinen Predigten vor Allem| Wert verlieh. Nicht als ob er ein Mann der wissenschaftlichen Exegese gewesen wäre – das war er nicht und maßte sich auch nicht an es zu sein, wol aber war er ein Meister jener keryktischen Exegese, von welcher Rudolf Stier mit Recht sagt, daß in ihr erst der Text mit seinem vollen Inhalt und dem Reichtum seiner Beziehungen zum Rechte komme. Es ist natürlich nicht möglich, dies an gegenwärtigem Ort mit Beispielen zu belegen. Wir müssen auf die im Druck erschienenen Predigten Löhe’s, namentlich auf seine Epistelpredigten, verweisen. Aber an einigen Einzelheiten möchten wir doch zeigen, wie gewissenhaft Löhe es mit der obersten Forderung, welche man an die Predigt stellt, der Forderung der Textgemäßheit, nahm. Bekanntlich erlaubte er sich zu diesem Zweck hie und da auch eine Correctur der lutherischen Übersetzung. Doch that er dies nicht aus Lust an Silbenstecherei, sondern nur dann, wenn die Ersetzung des freieren Ausdrucks durch einen knapper an den Wortlaut des Originals sich anschließenden der Erleichterung des Verständnisses diente oder sonst auch einen praktisch verwertbaren Vorteil bot. So z. B. übersetzte er ἀνεπίληπτος 1. Tim. 3, 2 mit „unantastbar“, weil dies deutsche Wort genau den Sinn des griechischen wiedergibt; das Wort νεόφυτος ebenda mit „Neubekehrter“, weil „Neuling“ härter klingt als der griechische Ausdruck. In einer Predigt über Phil. 4, 7 übersetzte er die Worte ἡ ὑπερέχουσα πάντα νοῦν „der Friede Gottes, der alle Vernunft überragt“, denn in dem griechischen Text liege gleichsam die Bemühung der Vernunft ausgedrückt, die sich höher und höher schwinge, den Frieden Gottes zu erfassen, der sich aber ihrer Bemühung ihn zu erreichen immer wieder entziehe, weil er weder begriffen noch gefühlt, sondern nur geglaubt werden könne. In derselben Predigt machte er darauf aufmerksam, daß das Verbum φρουρήσει nicht Optativ, sondern Futurum sei. In dieser viel| bestimmter lautenden Fassung („Der Friede Gottes wird bewahren etc.“) fand er die Gewißheit dieses Gottesfriedens, seine Unabhängigkeit von subjectiven Empfindungen und Gefühlsstörungen angedeutet. – Einen praktisch noch wichtigeren Gebrauch wußte er in einer Predigt am 10. Sonntag nach Trinitatis von der hier unumgänglich nötigen Correctur der lutherischen Uebersetzung von Luc. 19, 42 zu machen, wo übrigens schon die Vulgata das Richtige hat: „O daß doch auch du erkennetest, und zwar an diesem deinem Tage, was zu deinem Frieden dient“. Hier behauptete er, im Gegensatz zu dem Irrtum des Terminismus, daß die Gnadenzeit so lange währe als die Lebenszeit, daß aber innerhalb der Gnadenfrist sich besondere Heimsuchungstage hervorhöben (wie der Tag des Einzugs Jesu in Jerusalem ein solch auserwählter Gnadentag für Jerusalem gewesen sei), durch deren Versäumnis man sich, je öfter man sie ungenützt verstreichen lasse, die Annahme des Heils immer mehr erschwere, daher es gelte, die gegenwärtige Gnadenzeit, das „Heute“ zu benutzen etc.Die andere Predigt, gleichfalls vor der Diakonissengemeinde gehalten, behandelte einen wichtigen Gegenstand des inwendigen Lebens. Löhe redete auf Grund von 2. Cor. 11, 2 und Apocal. 14, 1–5 von der Gabe der Jungfräulichkeit.
Was ist die Jungfräulichkeit, von der in diesen Texten die Rede ist, nicht? fragte Löhe zuerst und antwortete darauf: Keine blos weibliche Tugend, denn sie wird Apocal. 14 männlichen Gemütern zugeschrieben; auch keine Tugend der Ehelosen allein vgl. 2. Cor. 11, 2. Freilich könnte man dagegen aus Apocal. 14 einen Einwurf erheben. Indessen kann die Ehe, die Gott selbst gestiftet hat, kein μολύεσθαι μετὰ γυναικῶν heißen; ja es wäre eine Schande, so etwas nur im Ernste denken zu wollen. Die Jungfrauschaft, von der hier die Rede, ist weder die weibliche noch die leibliche Jungfrauschaft.
Was ist sie denn? fragte er weiter, und gab darauf die Antwort: In dem hohen Styl des h. Johannes bezeichnet| παρθένος nicht die Jungfrau schlechtweg, sondern die bräutliche, die verlobte Jungfrau. Die Jungfräulichkeit ist also nicht blos einseitig, sondern so zu sagen zweiseitig zu fassen: Freiheit von der Welt und allen Erdendingen und bewußte Hingebung an Jesum, Nachfolge des Lammes. Auch männliche Gemüter müssen sich Christo gegenüber gleichsam weiblich fassen. Das alte Wort bekannten Tones: „Rein ab und Christo an!“ kommt hier zur Anwendung.Wie ist sie beschaffen? Einfalt (ἁπλότης εἰς Χριστόν 1. Cor. 11, 2) ist ihre schönste Form. Sie erscheint auch als eine Art von Hoheit. Natürlich ist sie nicht, sie ist keine Frucht menschlichen Ringens, sondern eine mühelos von Oben gegebene Sache, eine Gabe des Geistes. Dieser Umstand macht den gewählten Text pfingstmäßig.
Was wirkt sie denn? Ich erinnere an das Wort der Väter: In cruce virgo virgini virginem tradidit. Eine Jungfrau (Jesus) hat vom Kreuz herab eine Jungfrau (Maria) einer Jungfrau (dem Johannes) anvertraut. Daraus demonstriere ich mir: Die Jungfräulichkeit bekommt hohe und herrliche Geschäfte in Zeit und Ewigkeit.
Ferner lesen wir Apocal. 14, 3 daß nur die jungfräulichen Seelen das neue Lied, das vom Himmel her erklang, haben lernen können. Daraus schließe ich: Die Jungfräulichkeit macht tüchtig für die höchsten Freuden und reif für die seligsten Erfahrungen.
Wollt ihr Euch nicht sehnen nach dieser edlen Gabe, nicht an Pfingsten sie Euch erbitten? Jeder kann sie erlangen. Wenn ein Weib zu mir käme, das sich im Schmutz der Lüste gewälzt hätte, und mich fragte: Kann ich auch noch jungfräulich werden? so würde ich in die Hände klatschen vor Freuden und sagen: Auch Du!
Gebet um jungfräulichen Sinn und eine gottverlobte Seele.
| Es sind ja freilich nur dürftige Skizzen, die wir im Vorstehenden unsern Lesern bieten konnten. Aber einen Eindruck von der Herrlichkeit der Festpredigten Löhe’s und von der Hohheit der Gedanken, die er an solchen Tagen seiner Zuhörerschaft vorlegte, können sie doch geben.Natürlich predigte er anders vor seiner Dorfgemeinde, namentlich an gewöhnlichen Sonntagen. Da wußte er von den Höhen der Betrachtung auch herabzusteigen in die Niederungen des Lebens und der ordinären Wirklichkeit. Wenn es galt, Schäden und Sünden der Gemeinde zu strafen, wenn Texte wie 1. Thess. 4, 1 ff. oder Eph. 5, 1 ff. dazu biblischen Anlaß boten, da scheute er sich nicht, die Dinge beim wahren Namen zu nennen und der Gemeinde ihre Sünden mit derben Ausdrücken zu Gehör zu bringen.
Da fielen zwischenein wol auch harte Aeußerungen, wie wenn er einmal seine Gemeinde einen elenden Pöbel, ein stumpfes Volk nannte, das durchs Leben träg und dumpf hinsimple etc. Von ihm vertrug die Gemeinde auch so herben Tadel, denn sie kannte doch sein väterlich Herz und fühlte es durch, daß auch das strenge Wort von Liebeseifer um die Seelen, nicht von ordinärer Lust am Schelten eingegeben sei. Er wußte auch anstößige Dinge z. B. des geschlechtlichen Lebens in einer Weise zu besprechen, die gleichweit entfernt von Prüderie wie von gemeiner Deutlichkeit war. Die natürliche und doch keusche Sprache der heil. Schrift von solchen Dingen galt ihm hierin als Muster. Daß für einen Prediger, der bei gegebenem Anlaß sich nicht scheute, auch so heikle Materien in den Bereich der Besprechung zu ziehen, die Gefahr nahe lag, die Grenzlinie des Schicklichen zu streifen, daß ein sehr geheiligter Sinn und viel Tact dazu gehörte, diese Gefahr zu vermeiden, ist zuzugeben. Einmal entsinne ich mich doch, daß die Gemeinde über| die Behandlung derartiger Dinge in der Predigt ungehalten war. Löhe hatte eine Reihe von Predigten angekündigt, in welchen er die Culturzustände der Gemeinde und die daraus für das sittliche Leben erwachsenden Gefahren besprechen wollte. In der ersten Predigt kam er auf die Uebelstände der Schlafräume etc. zu sprechen, und welche demoralisierenden Wirkungen das Zusammenschlafen von Aeltern und Kindern, heranwachsender Kinder beiderlei Geschlechts, roher Knechte mit den Knaben des Hausvaters auf Einem Lager, der Uebelstand, daß die Schlafstellen der männlichen und weiblichen Dienstboten oft nicht einmal durch einen Verschlag geschieden seien etc. notwendig zur Folge haben müsse, daß derartige Zustände unvermeidlich eine Brunnenstube der Unsittlichkeit und des Lasters seien. Dabei wurde auch die schlechte Beschaffenheit der Lagerstätten selbst und die Rücksichtslosigkeit gegen Alte und Kranke gerügt, die auf schmutzigen Betten in dumpfen, unheizbaren, finstern Winkeln von Kammern lägen, wo in einer Ecke vielleicht das Waschschaff mit der schmutzigen Wäsche, in der ändern die duftende Krautkufe stehe etc. Von diesem freilich getreuen Bild ihrer Cultur- und Sittenzustände war die Gemeinde selbstverständlich wenig erbaut; es hieß: „In eine solche ,Bettpredigt‘ gehen wir nicht mehr.“ Ob Löhe derartige Urteile zu Ohren kamen oder nicht, weiß ich nicht, doch blieb es bei der Einen Predigt und aus dem angekündigten Cyklus wurde nichts.So sehr war es Löhe gegeben, auch volkstümlich zu reden – oft bis zur Derbheit.
Doch naturgemäß war ihm die schöne, gewählte Form der Rede. Nicht als ob er auf den Schmuck der Rede irgend welchen Fleiß verwendet hätte, Form und Gestalt gewannen ja seine Gedanken immer erst in lebendiger Wechselwirkung mit der Gemeinde im Moment des Vortrags. Es war die harmonische| Vollendung seiner Persönlichkeit, die sich in der künstlerisch schönen Form seiner Rede wiederspiegelte. War ja doch auch schon im gewöhnlichen Verkehr seine Ausdrucksweise ungemein und edel. Ungesucht bot sich ihm auch für die Einkleidung seiner Gedanken das Bild. Oder vielmehr seine ganze Weise zu denken war so concret, so intuitiv, so sehr das Gegentheil der fleisch- und blutlosen Abstraction, daß unwillkürlich auch der Ausdruck des Gedankens sich plastisch, greifbar und lebensvoll gestaltete. Nie ermüdete er durch Ausmalen auch des beziehungsreichsten Bildes; einige Andeutungen, flüchtige Pinselstriche genügten ihm. Die ganze Reihe von Vorstellungen, die er durch so ein Bild wie mit einem Schlage erweckte, vor der Seele sich vorüberzuführen: diese Aufgabe überließ er dem Zuhörer. Wie prächtig aufflammende Meteore beleuchteten solche Bilder oft ganze Gedankenreihen mit plötzlicher Klarheit.Gewis, das waren nicht rhetorische Bilder, sondern gewaltige Intuitionen, die auch dem Hörer von schwächerer Fassungskraft ein ahnendes Verständnis des Textes erschlossen.
Als Löhe in den Wochenkirchen der Gemeinde den Galaterbrief auslegte, sagte er einmal: „Wenn man den h. Apostel Paulus malen wollte, so müßte man ihn darstellen, wie er mit dem einen Fuß auf den Trümmern der Götzenbilder steht, und mit dem mächtigen vorgesetzten rechten Fuß tritt er auf all die Kessel und Pfannen des Tempels und alle jüdischen Satzungen, und mit dem Auge schaut er frank und frei dem Herrn Jesus ins Angesicht und spricht: ,So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.‘“
Ein andermal wollte er die Herrlichkeit der λογικὴ λατρεία, der neutestamentlichen Anbetung im Geist und in der Wahrheit, preisen. Da kam nun als Gegenbild hierzu – eine Schilderung des alttestamentlichen Opferdienstes, wie man Drastischeres nicht leicht hören konnte. Die blökenden Opferthiere, die ganze priesterliche Schlächterei, der Qualm der schmorenden Fettstücke auf dem Brandopferaltar – das Alles wurde mit abschreckender Naturwahrheit dargestellt, Alles zu dem Zweck, um im Sinne des Hebräerbriefs die größere Herrlichkeit des neuen Bundes und seiner Gottesdienste vor denen des alten Bundes zu preisen.
Dafür, daß solche Schilderungen nicht misverstanden wurden,| wurde schon bei anderer Gelegenheit gesorgt. Wie oft konnte man ihn umgekehrt von der Feierlichkeit und Herrlichkeit des alttestamentlichen Tempeldienstes oder auch – zur Beschämung seiner Gemeinde – von den gewaltigen Ansprüchen reden hören, die derselbe an die Opferwilligkeit der Israeliten erhob. So sagte er einmal in einer Wochenpredigt über den Spruch: „Opfere Gott Dank und bezahle dem Höchsten Deine Gelübde etc.“ – nachdem er gezeigt, was für ein materielles Opfer es für den Israeliten war, wenn er bei so häufigen Anlässen seine Lämmer- oder Rinderheerde decimieren mußte, um seiner religiösen Pflicht zu genügen, – indem er seine Zuhörer plötzlich apostrophierte: „Und Du – was opferst denn Du? Du gibst Deinem Gott gar nichts, Du speisest ihn mit Worten ab, und das hältst Du nach Art mancher Protestanten für eine Anbetung im Geist und in der Wahrheit. Oder ja – Du gibst vielleicht, wenn Du gerührt bist, einen Pfennig, und wenn Du im Ueberschwang der Andacht bist, legst Du einen Zweier ein. Und wenn Du einmal in der Not bist, dann gelobst Du ein paar Kerzen und bringst dann ein paar Dinger daher so dünn wie Regenwürmer etc.“Man begreift, welche Anziehungskraft eine solch plastische Darstellung der Textesgedanken auf die Hörer machen mußte.
Dazu kam die Ruhe und Kraft des Vortrags. Das Göthe’sche Wort (das Löhe selbst gern im Munde führte) von dem urkräftigen Behagen, aus dem die Rede quellen müsse, wenn sie die Herzen der Hörer zwingen solle, konnte man an ihm verstehen lernen. Auch im höchsten Affect war eine wunderbare Ruhe und Gehaltenheit an ihm wahrzunehmen. Seine Action war mäßig und würdevoll. Keine Aufregung, kein künstliches Echauffement, das so oft zum Ersatz des wahren Affects dienen muß, bemerkte man. Die gewaltige Stimme war in den Jahren| seiner Kraft gleichwol reichster Modulation fähig. Er konnte in allen Tönen und Tonarten reden, so schön und zart und innig und so stark und erschütternd als er wollte. So erklärt es sich, wie seine Predigt nach allen Seiten hin anregte. Es ist richtig was ein Sachverständiger urteilte, der ihn Jahre lang in seiner Kraftperiode hörte, daß er mit seiner Predigtweise Erkenntnis und Phantasie, Gefühl und Willen gleich stark in Anspruch nahm. Daher kam die mächtige Gesammtwirkung auf den ganzen Menschen. Man gieng erleuchtet, mit neuen Anschauungen und Gedanken bereichert, innerlich gehoben und gestärkt aus der Predigt. Man hatte Speise fürs ewige Leben empfangen und nicht blos etwas Befriedigendes und Schönes gehört, sondern man nahm eine Aufgabe fürs Leben mit.„Denn einer tiefen Furche gleicht sein Geist,
Aus der des weisen Rates Fülle sprießt.“
Was er mit seiner Postille anstrebte und wie er seine Leistung selbst beurteilte, darüber gibt die Correspondenz mit seinem Verleger, dem ihm sehr befreundeten und von ihm hochgeschätzten Buchhändler Samuel Gottlieb Liesching, interessante Aufschlüsse.
„Von Jugend auf“ – schreibt er ihm unter dem 10. Dezember 1846 – „hat sich in mir die Sehnsucht Frucht zu bringen mit der nach stillster Ruhe gestritten. Die Worte: „Er ruhete von aller Seiner Arbeit“ und: „Mein Vater wirket bisher, und ich wirke auch“ haben mir so wohl gefallen, daß ich nicht wußte, welchem den Vorzug geben. Könnte ich meinem Volke eine Postille geben, die ihm nützte und frei wäre von den Gebrechen, welche die Zeit trägt (andere Gebrechen würde sie genug haben), so wäre mir’s lieb – und dann Stille. Ich sehne mich, ich verlange auf das Brünstigste die Stille Seines heiligen Tempels.“
„Sie wissen“ – schreibt er etwas später demselben – „daß ich einen Theil meiner Vorbereitungszeit zu meinem Heimgang auf die Ausarbeitung einer Postille theils gewendet habe, theils noch wende. Rudelbach versuchte in seinen bei Heyder in Erlangen herausgegebenen Heften seiner Zeit etwas zu bieten, was eine etwas längere Dauer hätte als der Schwarm von Erbauungsbüchern, welche, von der Zeit, an ihr spurlos vorübergehen und nur von der großen Schwachheit dieser Zeit der Nachwelt berichten. Ich bin nicht Rudelbach, aber derselbe Gedanke ist meiner.“
| Sein Ziel hatte sich sonach Löhe allerdings hoch gesteckt. Es erreicht zu haben, maßte er sich nicht an.Am 1. Juni 1847 schreibt er an Raumer: „Ich weiß, wie unvollkommen alle meine Sachen sind; auch die, welche ich gut verstehen sollte; ich kann kein κτῆμα εἰς ἀεί der Kirche geben. So will ich eben noch einmal zufrieden sein anzuregen und mich freuen, wenn aus meinem vergänglichen Samen ein unvergängliches Leben hie und da entsproßt.“
Aehnliche Aeußerungen finden sich in Briefen an seinen Verleger, so z. B. in einem Briefe vom 25. August 1847: „Sie schreiben mir tröstliche Worte vom Eindruck meiner Postille auf Sie. Mein schriftliches Predigen ist meist hinter meinem mündlichen zurückgeblieben, und mein’ jetziges Predigen im Allgemeinen ist an Frische und Kraft nicht mehr wie zur Zeit, da ich in Kirchenlamitz, Nürnberg oder Altdorf predigte. Ich bin noch kein alter Mann, und ich komme mir doch recht alt geworden vor, so viel Jugend und Jugendschmuck des Lebens liegt hinter mir. – Sie finden einen Unterschied zwischen meiner Postille und andern Predigten; ich finde ihn auch. Der bescheidene Titel ,Postille‘ decke meine Mängel. Ich weiß, daß ich nicht gelehrt, noch wissenschaftlich bin, und lasse darum andern gern die Palme; aber so bin ich, und so gerät mir’s. Ich habe mich richtig beurteilt, verehrter Freund, als ich sagte, ich könne das Manuscript zu den Predigten nicht auf einmal versprechen; ich wußte wol, daß die Unvollkommenheit meiner Leistungen mich zu schwer drücken würde, als daß es mir gelingen könnte, ohne äußern Anstoß bis zu Ende zu kommen. Ich frage mich oft, was mich zum Schreiben treibt; ich verliere über dem Jagen nach meinen Idealen alle Ideale und behalte das Gefühl meines Nichts und meiner Sünde, das mir Gott zu wahrer Buße segnen wolle.“
| Bei der Zusendung des letzten Manuskripts schreibt er demselben: „Ich habe gemeint, ein wenig zum Besten der Kirche thun zu können, ich lege aber reichlich gedemütigt und fast jammernd die Feder nieder. Es kommt mir alles so ex abrupto gesagt, so unverbunden und schlecht gesagt vor, und jeder Correcturbogen, den ich lese, macht mir bang, es möchte dem Leser gehen wie mir. Es ist Alles so ungefeilt, so unvollendet, daß mich in meinem Urteil auch der Umstand nicht irre machen würde, wenn die Postille eine günstige Aufnahme fände.“Und ein andermal schreibt er unter dem gleichen Eindruck: „Obwol misgestaltet und misraten in jeder Weise hangt meine Seele doch an dem Gedanken, daß sich alles Wahre und Gute im Schönen vollenden müsse, und da hinaus geht mir Alles. Es ist ein Schrei nach Vollendung in mir, den ich mit der Menge meiner Sünden doch nicht übertäuben kann. Wenn mein seliger Freund Fritz (Liesching) und meine selige Freundin, die mir noch näher gewesen, noch bei mir wären, so würde ich mit jenem nach dem Ausdruck dessen gesucht haben, wovon ich sinne und sage, und an dieser und ihrem Verständnis erprobt haben, ob ich zum Inhalt die Form, die Form der einfältigen Schönheit gefunden. Wie es jetzt ist, lehre mich allein der HErr, der heilige Geist, der die Sprachlosen reden lehrt. Von Ihm kommt ja alleine Verstand und Weisheit.“
Die erste Auflage der Evangelien-Postille widmete Löhe seiner greisen Mutter. „Ich möchte“ – schreibt er am 4. October 1847 seinem Verleger – „die Predigten gern meiner Mutter dedicieren. Als ich hörte – als Knabe –, daß Epaminondas seine Siegeskränze seiner Mutter gebracht, wünschte ich mir Siegeskränze, um sie meiner Mutter zu geben. Ich hab keine und halt auch meine Postille für keinen. Dazu ist meine Mutter eine bescheidene, 77jährige Frau, die von der Erwähnung,| daß sie noch lebe, schon unangenehm berührt werden könnte. Kann ich dies Letzte überwinden, so folg ich dem Zuge, den ich dennoch habe. Wenn nicht, so widme ich ihr mein Buch incognito.“Das christliche Publicum hat bekanntlich über Löhe’s Postille ein ohne Vergleich günstigeres Urteil gefällt als er selbst. Das Buch ist im August 1874 in vierter Auflage erschienen und wird aller Wahrscheinlichkeit nach noch länger einen dankbaren Kreis von Lesern besitzen, die ihr Bedürfnis nach Erbauung in demselben befriedigen. Von den vielen anerkennenden Urteilen, die Löhe auf schriftlichem Wege über seine Evangelien-Postille zugiengen, ist ihm eins besonders wertvoll gewesen und geblieben. Es ist ein Brief Schuberts vom 21. März 1856. Ich denke, er darf hier zum Schluß dieses Abschnitts eine Stelle finden.
„Ein alter, armer Mitknecht an der Verheißung in Christo, welche auch die Armen reich, die Verzagten mutig und getrost macht, möchte Ihnen, geliebter Bruder in dem HErrn, schon längere Zeit her seine Hand reichen und mit Ihnen im Geist gemeinsam seine Kniee beugen vor Dem, der aus Gnaden Sie gewürdigt hat, ein Gefäß des lebendigen Wassers zu sein und zu werden, das viele Seelen getränkt hat mit Kräften des ewigen Lebens. Auf Seine Füße, welche nur den Weg zu unserm Heil am Kreuze giengen, kann ich armer, alter, von Ihm geretteter Sünder meine Thränen der Liebe und des Dankes nicht weinen; ich habe sie aber oft geweint, wenn ich die lebendigen Worte in den Wächterrufen Ihrer evangelischen Hauspostille las. Das Engelbrot, welches Elias dort unter dem Wachholderbusch gereicht wurde, war ein anderes Brot als das irdische, um dessen Gabe wir an jedem Tage bitten, denn in Kraft derselben Speise gieng der Prophet vierzig Tage.| Das himmlische Manna aber, das hochheilige Sacrament: der wahre Leib und das wahre Blut unsers HErrn Jesu Christi, hat noch ganz andere Kräfte als das Engelbrot beim Wachholderbusch. Lasse der HErr, mein Gott, die Kräfte dieses wahren Brotes vom Himmel an Ihrem Geiste wie an Ihrem Leibe kund werden. Möge es Ihm gefallen, Sie noch vierzig Jahre seiner Kirche zum Heil und zum Trost zu erhalten.Wie habe ich mich gestern an Ihrer Gründonnerstags-, heute an Ihrer Charfreitagspredigt gestärkt und erhoben. Der Herr hat Sie berufen und geweiht, dem unheiligen Geist unserer Zeit gegenüber ein Verkündiger und Zeuge der Himmelskräfte zu sein, die im Sacrament des Altares liegen.
Er segne und behüte Sie.
München, 21. März 1856.
« Zweites Kapitel | Johannes Deinzer Wilhelm Löhes Leben (Band 2) |
Löhe als Liturg » | |||
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|