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Wilhelm Löhes Leben (Band 2)/Die Wendung zum Besseren

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« Die Krisis Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 2)
Die Generalsynode von 1853 »
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Die Wendung zum Besseren.
 Endlich im Herbst des Jahres 1852 trat die erwartete Wendung der Dinge ein. Am 30. September dieses Jahres berief König Max II. den damaligen Oberhofprediger in Dresden, Harleß, an Stelle v. Arnolds, der in den Ruhestand versetzt wurde, an die Spitze der obersten Kirchenbehörde Bayerns. Die Gründe, die ihn zur Annahme dieses Rufes bewogen, legt Harleß im 2. Bändchen seiner „Bruchstücke aus dem Leben eines süddeutschen Theologen“ dar. „Der namentlich seit 1849 sich steigernde Zwiespalt zwischen Löhe nebst seinen entschiedenen Anhängern in der Geistlichkeit und der Mehrzahl der übrigen Geistlichen, der theologischen Fakultät und dem Kirchenregiment hatte bedenklich an Schärfe zugenommen und drohte mit den mißlichsten Eventualitäten. Schon lag im Kabinet ein vom Kultusministerium befürworteter Antrag der obersten Kirchenbehörde auf Amtsentsetzung Löhes und mehrerer seiner eifrigsten Anhänger und nur die königliche Sanktion und Unterschrift fehlte noch. Traf diese Suspension ein, so schien eine kirchliche Separation als mit Gewißheit bevorstehend. Der bisherige Oberkonsistorialpräsident, Nachfolger des im Jahre 1848 durch den Zeitsturm aus seinem Amte verdrängten v. Roth, ein sehr tüchtig geschulter Jurist, erschien der Behandlung kirchlicher Fragen als keineswegs gewachsen. Auch sonst waren Stellen im Oberkonsistorium und Kultusministerium so besetzt, daß man weitere Mißgriffe zu besorgen hatte. Der König selbst machte mir gegenüber geltend, daß er in Bayern niemand habe, der sich als ein bis zu gewissem Grade beiden streitenden Parteien geltender Vertrauensmann zwischen den Riß stellen und die drohende Spaltung verhindern könne. Und dieses Argument mußte ich in soweit gelten lassen, als auch ich keinen Personalvorschlag zur Besetzung der Präsidentenstelle zu machen wußte. Die Quieszierung des bisherigen Präsidenten war| beschlossene Sache. So, aus Liebe zur heimischen Kirche, überwand ich meine anfänglichen, nicht ungerechtfertigten Bedenken.“

 Mit Harleß’ Berufung an die Spitze des bayerischen Kirchenregiments trat fürs Erste ein Stillstand in dem kirchlichen Kampf ein. „Wir hier in Bayern – schreibt Löhe am 14. Februar 1853 an Dr. Petri in Hannover – warten nun auf Harleß’ Wirken. Es ist eine Zeit der Stille und doch auch des Hoffens.“ Schon einige Monate vorher hatte er an Liesching geschrieben: „Wir warten nun hier in Bayern auf Besserung. Wir warten, aber wir schlafen nicht. Wir sind zu lang und zu ernst im Kampfe gewesen, als daß wir unverrichteter Dinge zu Grabe gehen möchten. Aus Menschenvertrauen ergibt sich mancher bei uns dermaßen dem Schlaf, daß er schon jetzt, ehe noch die Probe aufs Exempel gemacht ist, gar nicht mehr sieht, daß und wo es fehlt.“

 Man sieht aus diesen brieflichen Äußerungen, daß Löhes Erwartungen von Anfang an nicht allzu hoch gespannt waren. „Am Ende – schreibt er um dieselbe Zeit an Baron v. Maltzan – zerbricht Harleß’ Kraft am Hindernis wie in Sachsen. Wenn aber nicht, wenn unsre Hoffnung hinausgeht: was ists? Der Mensch wird nicht anders durch neue Ordnungen, und wo keine Wasser sind, helfen auch die Gräben nichts, die man zum Wässern anlegt. Dominus providebit.

 Dazwischen überkamen ihn auch wieder hoffnungsvollere Stimmungen, wie z. B. wenn er anfangs 1853 an Baron v. Maltzan schreibt: „Von Harleß’ Wirksamkeit in München liegen zwar durchaus keine Thatsachen vor, aber Verheißungen sind genug vorhanden, zu viel als daß es bloß leere Worte sein könnten.... König Ludwig liest meine Sachen, namentlich ,Unsere Lage‘ und sagt, es sei kein Wunder, daß wir austreten wollten. Auch von der Pfordten hat sich bei einem Freunde grad für uns ausgesprochen. Wir leben eben von der Zukunft und ihrer Hoffnung.“

|  Harleß selbst fand bald die Schwierigkeiten seiner neuen Stellung und die Hindernisse kräftigen Vorwärtsgehens größer, als er wohl anfangs gedacht hatte. Seine nächsten Bestrebungen giengen auf Herstellung einer der lutherischen Kirche würdigeren Gottesdienstordnung und eines neuen Gesangbuchs an Stelle des untauglichen, rationalistischen Machwerks, das damals im Gebrauch war. Schon hiebei stieß er auf manche hemmende und lähmende Gegenwirkung. Doch durfte er da und dort auch Anfänge der Besserung sehen, welche ihn in der Hoffnung weiteren Gelingens bestärkten. In einem Brief vom 29. März 1853, in welchem er Löhe um sein Privatgutachten über den ihm gleichzeitig zugesandten Agendenentwurf bittet, schreibt er unter anderm: „Gottes Gnade hat einiges bereits gegeben. Was daran noch fehlt oder mir von anderer Seite hineingepfuscht worden ist, sehe ich nicht an. Das durch Gottes Gnade Geschenkte ist so geartet, daß die weitere und vollkommere Lösung nicht ausbleiben kann. Das Erste ist, daß die Reformierten diesseits des Rheins des bisherigen Synodalverbands enthoben sind und ihre eigene Synode nebst Moderamen erhalten.... Das Zweite ist die Genehmigung der konfessionellen Umgestaltung des Missionsvereins. An diese haben sich einige mir nicht liebe Klauseln gehängt, von welchen ich jedoch glaube, daß sie von selbst fallen und dann am wenigsten schaden, wenn man sie schweigend ignoriert. Wenn ich ein Paar gute Stiefel geschenkt erhalte, frage ich nicht darnach, ob einiger Kot an den Sohlen hängt. Den streife ich später ab, wenn ich die Stiefel anhabe. Folgere aber daraus nicht, daß ich nicht am rechten Orte zugleich gesagt, was alles an diesen Genehmigungen fehle, was ich nicht gutheißen könne und was später noch anders werden werde und müsse.
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 Wenn das alles hinaus ist, wird und muß mit größerer Reinigung im eigenen Hause vorgeschritten werden. Da muß ich eines sagen: Die Sache ist leichter und schwerer als man sichs gedacht| hat. Jedenfalls habe ich fleißigem Durchlesen der Akten, eigens entworfener Gutachten und Änderungsvorschläge zu entnehmen gehabt, daß ich die früher gestellten Anträge selbst nicht hätte einfach bejahen können. Sie kennen teils den Thatbestand im einzelnen nicht, teils gehen sie von dem Irrtum aus, daß mit Generalerlassen geholfen werden könne. Das ist aber geradezu unmöglich, so verzwickt und lokal verschieden sind die Übelstände. Zudem kommt, daß die Aktenangaben über die Thatbestände sich öfter widersprechen und ich selbst nicht weiß, ob ich überall klar sehe. Zuletzt wird nichts als Hinausgehen und Selbstsehen helfen.

 Doch über diese Dinge ließe sich vielleicht sprechen, schreiben aber für jetzt noch nicht. Ich würde vielleicht auch über das andere noch nicht geschrieben haben, wäre in Deinem Briefe nicht ein Verlangen nach guter Zeitung zu lesen gewesen. Ich für meinen Teil preise den HErrn selbst dafür, daß er die Freude nur sehr tropfenweise gibt. Es ist eine heilsame Demütigung und ein Fingerzeig, daß Er regiert und nicht wir. Zudem wird es in dieser Zeit nicht über Freude unter Furcht und Zittern hinauskommen“ etc. etc.

 Löhe sah diese Anzeichen und Anfänge einer Wendung zum Bessern in den kirchlichen Verhältnissen seines Heimatlandes mit Freude und Hoffnung. Aber es fehlte viel, daß er von diesen Erstlingsfrüchten der kirchenregimentlichen Wirksamkeit Harleß’ sich hätte wahrhaft befriedigt fühlen können. Er war und blieb auch den sich allgemach in manchen Stücken bessernden Zuständen der bayerischen Landeskirche gegenüber ein „Unzufriedener“. Aber er war ein Unzufriedener nicht aus Lust zur Opposition, sondern aus tiefinnerer Sehnsucht nach dem Vollkommneren. Er war seiner ganzen geistigen Eigenart nach ein Mann des heiligen Vorwärts, ein vir desiderii. Solche Unzufriedenheit, die auf dem Gebiet des persönlichen Christenlebens eins ist mit der immerwährenden Buße und dem Streben nach Heiligung, ist nicht minder ein Zeichen des rechten Christen| wie des rechten Kirchenmannes. Ohne sie gibt es keinen Anstoß zu einer kräftigen Bewegung nach dem das vornen ist. Dies hat am unumwundensten der Mann anerkannt, der durch Löhes Vorwärtsgehen und Vorwärtsdrängen am ersten sich gestoßen fühlen konnte und auch wirklich fühlte: Harleß. Er schrieb in einem Brief vom 11. September 1855 an Löhe: „An jener Thätigkeit, welche der Verein (die Löhesche Gesellschaft für innere Mission) den ausgeschiedenen lutherischen Gemeinden in Deutschland zuwendet, konnte ich nie Anstoß nehmen. Die providentielle Fügung, welche diese Ausscheidung herbeiführte, hat für die Landeskirchen bereits vielfach als heilsames Salz gewirkt. Ich mag nur jene Separation nicht, welche der Väter und des eignen Herzens Mitschuld an gegebenen Übelständen zu ignorieren scheint, die Providenz gewordener Verhältnisse außer acht läßt, auf die Geltendmachung vorhandener kirchlicher Rechte verzichtet, grundsätzlich das Gehen dem Ausgestoßenwerden vorzieht und Kirchen machen will. Von diesen Dingen habe ich Dir nie etwas zugetraut, wohl aber etwas von zu viel Ungeduld. Darin will ich mich um so lieber geirrt haben, je mehr ich weiß, daß ohne Deine „Ungeduld“ es mit vielen Dingen bei uns schlimmer stünde als es jetzt steht.“
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 Dem neuen, ihm verwandteren Geist gegenüber, der mit Harleß’ Berufung an die Spitze des bayerischen Kirchenregiments in dieses Kollegium eingezogen war, änderte sich selbstverständlich auch Löhes Stellung zu demselben. Indessen bildete Löhe und der Kreis der ihm zunächst stehenden Geistlichen, auch nachdem sich die kirchliche Lage in Bayern günstiger gestaltet hatte, dennoch (wenn der Ausdruck gestattet ist) „des bayerischen Kirchenregiments getreue Opposition.“ Dies zeigte sich sofort bei der nächsten Generalsynode, die im Jahre 1853 vom 2. bis zum 20. Oktober in Bayreuth abgehalten wurde.[1]|



  1. Ein nicht unwichtiger Teil des bayerischen Kirchenkampfes spielte sich in den Versammlungen des Centralmissionsvereins in Nürnberg ab, [418] bei denen es hauptsächlich auf Umgestaltung der Statuten desselben in konfessionellem Sinn abgesehen war. Da jedoch Löhe an diesen Kämpfen unsers Wissens keinen persönlichen Anteil nahm, so glauben wir diese Phase des Kirchenkampfes in unserer Darstellung übergehen zu können.


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