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Wilhelm Löhes Leben (Band 2)/Das Jahr 1848

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Wilhelm Löhes Leben (Band 2)
Drittes Kapitel »
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Das Jahr 1848.

 Wir haben im Vorangegangenen versucht, die reiche und reichgesegnete pastorale Thätigkeit Löhe’s an dem stillen Orte und innerhalb des engen Kreises seines Berufes als Hirte einer Dorfgemeinde zu schildern. Nun aber brachen Ereignisse herein, die da nötigten, über die engen Grenzen des nächsten Berufskreises hinaus den Blick auf die großen Interessen des staatlichen und kirchlichen Ganzen zu richten. Wir meinen die große Völkerbewegung des Jahres 1848, deren Wellenschlag auch bis an die Ufer des stillen Dörfchens sich fortpflanzte, da Löhe des Amtes waltete. Wir würden in unserer Schilderung der pastoralen Wirksamkeit Löhe’s eine bedeutende Lücke gelassen und namentlich auch die wesentlichsten Voraussetzungen für sein bald erfolgendes Eingreifen in die kirchliche Bewegung des Jahres 1849 verkannt zu haben glauben, wenn wir nicht seine Stellung zu den politischen Ereignissen des Jahres 1848 kurz zu zeichnen versuchten.

 Löhe bewahrte sich gegenüber dem Enthusiasmus, der beim Anbruch des vermeintlichen Völkerfrühlings auch besser Denkende| ergriff, die volle Nüchternheit des christlichen und pastoralen Urteils. Nicht als ob er unempfindlich gewesen wäre für das Sehnen und Streben der Nation, aber seine innere und äußere Stellung brachte es mit sich, daß er jene Bewegung vor allem am Richtmaß des Wortes Gottes und nach ihren Folgen für das Reich Gottes beurteilte. Durch die Stimmen des Bezirks Petersaurach wurde er nebst drei andern am 25. April zum Wahlmann ernannt und wirkte als solcher am 28. April in Ansbach bei der Wahl eines Abgeordneten zum deutschen Parlament in Frankfurt mit. Nach der am 25. April in Petersaurach auf ihn gefallenen Wahl überreichte ihm eine Deputation einen Ehrenstrauß. Er gesteht in seinem Tagebuche, daß ihm die auf ihn gefallene Wahl ein wenig Vergnügen machte. Aber so sehr fühlte er sich als Pfarrer, daß ihm des andern Tages der Wunsch etlicher Gemeindeglieder, daß er doch nicht nach Frankfurt gewählt werden möchte, sofort wieder die Unverträglichkeit activer Betheiligung an der Politik mit seinen Amtspflichten zum Bewußtsein brachte. Später findet sich in seinem Tagebuche noch eine Andeutung, daß er in den Dörfern seiner Pfarrei für Sammlung von Beiträgen für die deutsche Flotte thätig war. Aber diese hie und da sich regenden nationalen Sympathien kühlten sich rasch ab, als im weiteren Verlauf der Bewegung die eigentlichen Motive und Ziele derselben sich bloßlegten. Schon am 26. April schreibt er in sein Tagebuch: „Was für eine Zusammensetzung des Parlamentes gibt es. Lieber Gott! Es ist, scheint mir, ganz gut, gar nichts, am wenigsten für die Kirche, von diesem corpus zu hoffen.“ Zwar verkannte er keineswegs den Wert mancher durch jene große Bewegung geschaffenen Neugestaltungen des politischen Lebens. Die Aufhebung des lästigen polizeilichen Bevormundungssystems, die Proclamation der Freiheit der Culte etc. galten ihm als schätzenswerte| Errungenschaften. Die Aussicht, daß die Gottlosen wider ihren Willen zur Beseitigung beengender Fesseln der Kirche beitragen würden und daß in Folge der dann eintretenden Sichtung Raum für eine würdigere Gestaltung der Kirche geschafft werden könnte, erfüllte ihn, bei sonst trübem Blick in die Zukunft, doch mit Mut und froher Zuversicht. Aber freilich die treibenden Kräfte dieser Bewegung galten ihm im tiefsten Grunde für antichristisch. Er sah in den Stürmen des Jahres 1848 ein Gottesgericht über die Könige, die so lange Israel sündigen gemacht hätten, aber auch ein Gottesgericht über die Völker, über die der HErr in Seinem Zorn einen Geist des Taumels ausgegossen habe, um sie reif zu machen für den Tag seiner Heimsuchung. Daß man in Auflehnung gegen die von Gott gesetzte Obrigkeit Besserung der wirtschaftlichen und bürgerlichen Verhältnisse ertrotzen und erzwingen wollte, war ihm ein Gräuel. Daher betonte er mächtiger denn je seiner Gemeinde gegenüber die Christenpflicht des Gehorsams gegen die Obrigkeit und drang darauf, daß dieselbe ihre Wünsche und Beschwerden auf geordnetem Wege ihrer Herrschaft vorlegte. Löhe war – dies möchten wir hier bemerken – kein Anhänger des Legitimitätsprincips. „Das Princip der Legitimität, meinte er, sei unter Umständen ein revolutionäres Princip. Es gebe im eigentlichen Sinne nur Ein legitimes Herrscherhaus, in dem die Thronfolge göttlich garantiert gewesen sei: die davidische Dynastie. Bezüglich aller übrigen Regenten gelte das Wort: Daniel 2, 21; 4, 29 etc. Daher fasse sich für die Kirche die Summe ihrer staatlichen Pflichten in das Gebot der ‚Unterordnung unter die factisch bestehende obrigkeitliche Gewalt‘ zusammen.“ Auch war Löhe kein starrer Conservativer im Sinne derjenigen, welche das Bestehende, als wäre es keiner Verbesserung bedürftig oder fähig, um jeden Preis erhalten wollen. Er wünschte ein vernünftiges| Maß von freier Bewegung auf socialem und politischem Gebiet. Dagegen die liberale πολυκοιρανίη war ihm widerwärtig, er wünschte eine starke einheitliche Autorität. Von diesem Standpunkte aus begreift es sich, warum er manche Errungenschaften des Jahres 1848 willkommen heißen konnte. Aber die zeitliche Wohlfahrt der Nation, die Verwirklichung ihres Sehnens nach Einheit und Freiheit war ihm etwas Untergeordnetes. Vor allem war es ihm ein Anliegen, zu verhüten, daß nicht über der aufregenden und aufreibenden Betheiligung an den politischen Bewegungen der Gedanke an das Heil der Seelen und die ewigen Interessen des Reiches Gottes in den Hintergrund gedrängt würden. „Jetzt muß man Vaterland predigen“, schrieb ihm ein sonst entschieden christlich gesinnter und mit ihm innig vertraut gewesener Freund.“ „Buße wollen wir predigen dem Pöbelvolk“, antwortete Löhe zurück. Diese kräftige Betonung des kirchlichen und geistlichen Standpunctes in der Beurteilung der Zeitbegebenheiten schuf Löhe vielfachen Widerspruch, erkältete die Beziehungen zu bisher innig verbundenen Freunden und trug vieles zu seiner von da an einsamer werdenden Stellung bei. Daß es auch an pöbelhaften Ausfällen in Zeitungsartikeln jener Tage gegen Löhe nicht fehlte, läßt sich begreifen. Eine Nürnberger Zeitung drohte ihm, „dem pietistischen Chorführer, der schon in dem trüben Blick der Ochsen den Beweis der Erbsünde habe finden wollen“, man werde ihm bei seiner etwaigen Ankunft in Nürnberg unter dem Stadtthore ein Bündel Heu vorwerfen und ihn umkehren, damit er wieder nach Hause trolle. Dergleichen Angriffe nahm Löhe ruhigen Blutes hin, dagegen war es ihm schmerzlich, in Folge seiner politischen und seiner gleichzeitig sich schärfer präcisierenden kirchlichen Stellung manchen werten Freund sich ihm entfremden zu sehen. Der nächste Halbband dieser Biographie wird darüber genauere Aufschlüsse bringen.| Hier wollen wir nur noch ein Referat Löhe’s über eine von ihm veranstaltete Pastoralconferenz am 27. und 28. März 1848, sowie einige Briefe von ihm zum Abdruck bringen, welche theils unter den ersten Eindrücken der Märzstürme des Jahres 1848, theils einige Monate später geschrieben sind.




Mitteilung über eine am 27. bis 28. März 1848 in Neuendettelsau abgehaltene Pastoralconferenz.
Von W. L.

 Die beiden Hauptfragen, welche zur Besprechung kommen sollten, waren folgende:

 1. Was ist das Verhältnis der Kirche zu den gegenwärtigen politischen Bewegungen, und wie hat sich ein Pfarrer in Bezug auf sie zu verhalten?

 2. Welche mögliche Wendungen der kirchlichen Verhältnisse hat ein Pfarrer bei den gegenwärtigen politischen Bewegungen vorläufig in’s Auge zu fassen?

 Die erste Frage erforderte viel Zeit, aber ihr Resultat war kurz. Man erkannte nämlich die Kirche als neutralen Boden, die Pfarrer, als der Kirche oder dem Reiche angehörig, welches nicht von dieser Welt ist, als neutrale Leute. Sie dürften nicht in die Schwankung hineingezogen werden: sie ständen um das Ewige im Leben herum, welches als unnahbar, von zeitlichen Wirren unangreifbar bleibe, es komme, wie es wolle. Es sei Pflicht der Pfarrer, dem übel umhergejagten Volke die Eine heilige Freistätte der Müden, die heil. Kirche, zu erhalten und zu rühmen, das Unwandelbare in ihrem ganzen Leben und Wirken darzustellen. Diese Grundsätze wurden im Allgemeinen anerkannt. Jedermann sah ein, daß man die Kirche und ihre| Sache nicht in der Weise weltlicher Politiker vertreten solle, daß man also viel weniger sich von der Politik des Tages dürfe mit fortreißen lassen, nehmlich von der Politik des Staates. Es sei zu bedauern, wenn die Kirche, statt ihre Wege für sich zu gehen, ihre Interessen Landtagen anvertraue; noch mehr aber, wenn Pfarrer durch Hingabe an politische Wühlerei sich ihren Standpunct verrücken ließen, Politisches auf die Kanzel brächten und nun das ewige Evangelium durch den politischen Staub eines Predigerherzens den Weg zum Volke nicht mehr finde. Das Gespräch verlor sich bis zum Urteil über das Cocardentragen von Seiten der Geistlichen, was die einen auf Grund der neutralen Stellung der Geistlichen und ihrer Pflicht, immer das Ewige zu repräsentieren, mißbilligten, – die anderen aber wenigstens für Fälle verteidigten, wo man dadurch Volksaufregung vermeiden und unnützem Hindernis entgehen könnte.
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 Im engen Zusammenhange mit der ersten Frage oder vielmehr als zu ihr gehörig sah man das Folgende an. Einer schwört dem Louis Philipp. Dieser wird verjagt, eine republikanische Regierung verlangt und empfängt den Schwur. Auch die republikanische Regierung wird verjagt, ein ständiger Diktator tritt auf, verlangt auch Schwur und Treue. Für den gesetzten Fall führte man als Beispiel den Eid der französischen Truppen an, die vormals Louis Philipp, sodann der Regierung eines Ledru Rollin und Consorten den Eid leisteten. Man sah im Verlauf des Gespräches vom Militär ab und es handelte sich nur um die Anwendung des gesetzten Falles auf Pfarrer. Die Antwort war auch auf diese Frage nicht schwer. Es sei christlicher Grundsatz, aller Obrigkeit unterthan zu sein, die Gewalt hat, weil eine jede die Gewalt von Gott habe. [Von dem besonderen Fall der Schilderhebung eines geknechteten Volkes war keine Rede]. Die Gewalt gehe nicht ohne göttliche| Vorsehung von einem auf den anderen über. Ein Pfarrer lege keine Hand an, eine Regierung zu stürzen, weigere sich aber auch nicht, einer neuen Obrigkeit Gehorsam zu leisten. Ein Pfarrer suche unter jeder Obrigkeit die Kirche zu bauen, dem Volke zu nützen. In diesen Grundsätzen fand man Beruhigung auf alle Fälle.

 In Betreff der 2. Frage wurde Folgendes geäußert:

 1. Bisher war die lutherische Kirche vom Staate nicht nur nicht unabhängig, sondern die Herren der verschiedenen Landschaften waren als solche auch oberste Bischöfe ihrer lutherischen Gesammtgemeinden. Unter diesen weltlichen Bischöfen lebte die Kirche als unterm Druck, unter leiserem oder schwererem, und alle Entwickelung der Kirche, als einer sichtbaren, war seit drei Jahrhunderten verkümmert. Längst schon seufzten die Freunde und Hirten der Kirche um Freiheit derselben vom Staate und die Möglichkeit, daß sie gemäß den in ihr liegenden Kräften möge werden können, wozu sie berufen ist – berufen zum Heile der Welt und zur Verklärung ihrer Kinder. Wie diese Lösung vollbracht werden sollte, das war längst die verlegene Frage Aller. Fromme Seelen mochten den Druck nicht aufheben, sie schienen gültige Gewissensgründe zu haben: jedenfalls fehlte Licht, Klarheit und Mut. Manche sagten längst: „Wenn nicht die Gottlosen dem Fasse den Boden ausschlagen und das Bestehende zerstören, ist nicht abzusehen, wie ein Neues und Besseres erstehen soll.“ Das geschieht nun. Freiheit und Gleichheit aller Confessionen und religiösen Richtungen gehört zu den ausgesprochensten Grundsätzen der jetzt herrschenden Richtungen: sie, diese Freiheit und Gleichheit, wird kommen, und obwol es vorerst ein großes und leidenvolles Chaos geben wird, so ist diese Lösung am Ende doch wünschenswert, weil ohne sie das Bessere kaum Platz finden wird.

|  2. Einer der anwesenden Freunde, H., warf die Frage auf, ob zur Lösung der Kirche vom Staate nicht auch unsererseits etwas geschehen solle? Er selbst bejahte die Frage und schlug eine Petition an die Landstände vor, die er auch entworfen hatte und in welcher er außer der Freiheit der Confessionen im Allgemeinen insonderheit auf Niederlegung des landesherrlichen Episcopats drang. Mehrere, z. B. Pfarrer W., waren geneigt, der Meinung des Freundes H. beizutreten. Andere (ich z. B.) standen gar nicht an, ihre etwaige Unterschrift zu geben, im Falle die Petition von andern, etwa von dem Erlanger-Nürnberger-Fürther Kreis beliebt und in’s Werk gesetzt würde; sie waren aber der Ueberzeugung, daß ein Hervortreten mit einer solchen Petition von unserer Seite nicht klug zu nennen sei, sintemal wir der verachtetste Haufe unter unseren Brüdern sind, und allem unseren Thun, wie die Erfahrung zeige, leicht Haß und Neid sonst frommer Leute sich anhänge. Zudem war die zweite Partei der Ansicht, daß die Trennung der Kirche vom Staate auch ohne weiteres Petitionieren von Seiten der Lutheraner zu Stande kommen würde und daß die Aufhebung des landesherrlichen Episcopats eine unausweichliche Folge davon sein müsse, und von den Stimmführern des Volkes gefordert und durchgeführt werden würde. Zwar überwand von beiden Parteien innerlich keine die andere völlig, aber es war ja großer Friede und herzliche Liebe unter uns und wir trafen das Auskunftsmittel, Herrn Pfarrer St. zu bitten, daß er den Gedanken, etwas zur Lösung der Kirche vom Staate zu thun, der Beurteilung der Erlanger-Nürnberger-Fürther Brüder unterbreiten solle.
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 3. In Voraussicht der Trennung warf man sich die Frage auf: „Welche Verfassung wird sich die Kirche geben?“ Man fragte nicht: „Welche Verfassung sollte sie sich geben“, sondern:| „welche wird sie sich, so wie sie ist, geben? Man nahm hier zuerst keine Rücksicht auf den großen Verlust an Menschen, welchen die Kirche nach ihrer und aller religiösen Richtungen Freigebung erleiden würde, – desgleichen keine auf die Art und Weise, wie sich aus dem bisherigen Mischmasch eine wahre Kirche bilden könne; sondern man gieng überdies Nächste hinweg und that die Frage so, wie sie oben steht. So wie nun die Sachen stehen, vermutete man, daß es ziemlich wie in Nord-Amerika werden würde, daß independentische Gemeinden von presbyteralem Regimente sich zu beratenden Synoden zusammenschließen und im günstigsten Falle einen zeitweiligen stehenden Präses der ganzen Körperschaft zur Erledigung laufender Geschäfte (Ordination, Visitation, Pfarrbesetzungen u. s. w.) mit gewissen Vollmachten ausrüsten würden. Eine solche Verfassung sei keineswegs als das Ideal äußerlicher Kirchengestaltung anzusehen, man könne sich aber mit ehrlichem Bekenntnis des wünschenswerten Besseren an sie anschließen. – Beschließende Synoden wurden als viel mehr geeignet erkannt, so jedoch, daß man den Präses als unter der Synode stehend ansehen und behandeln müsse.
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 4. Bei einer etwa bevorstehenden Synodalverfassung befürchtete man eine starke Beimischung von Gemeindegliedern zu den Synoden. Die Heerden wollen heutzutage ihren Hirten gegenüber als gegen Wölfe vertreten sein, und es würde von unseren lutherischen Gemeinden zu viel gefordert heißen, wenn man haben wollte, daß sie von dieser Richtung des Zeitgeistes völlig frei sein sollten. Wenn auch nicht drei Viertheile einer Synodalversammlung, wie Nürnberger Ungläubige vorgeschlagen haben, so doch eine Vertretung in einem numerischen Verhältnis, wie man’s jetzt auf den nordamerikanischen und bayerischen Synoden sieht, werde kaum zu vermeiden sein. Man fand in der Zusammensetzung solcher Synoden gerade nichts| Bedenkliches, wofern nur 1. der Präses der Synode immer ein Geistlicher sei, und 2. von dem Synodal-Ganzen die Ministerialversammlung mit ihrem besonderen Ressort ausgeschieden würde. Ohnehin erweist die Erfahrung, daß die Laiendeputierten in der Regel doch mit dem Presbyterium gehen, wie das auch ganz natürlich ist. Auch hier scheinen die nordamerikanischen Verhältnisse viel Licht zu geben[.]

 5. Von großer Wichtigkeit für eine Neugestaltung der Kirche schien die Unterscheidung von Präsentations- und Episcopatrecht. Jenes kann allenfalls den independentischen Gemeinden zugestanden werden, dieses gehört der Ministerialversammlung und in den Zwischenzeiten der Synodalversammlungen dem im Namen des Ministeriums fungierenden Präses. Auch gegen das Präsentationsrecht der Gemeinden könnte manches eingewendet werden, – auf Grund der Praxis der heil. Apostel. Indeß kann es allenfalls als ein erweitertes Veto der Gemeinden, oder als ein Zeugnis der Gemeinden oder sonstwie günstiger gefaßt werden und Entschuldigung finden. Es handelt sich ja hier nur um Möglichkeiten oder Eventualitäten, in die man sich fügen könne, und die äußerste Grenze des Nachgebens friedfertiger Männer soll bezeichnet werden.

 6. Ueberhaupt aber schien es mehreren, als wenn der Neubau der Kirche nicht von den Umrissen der Verfassung im Allgemeinen anzufangen sei, sondern von einer besseren Gestaltung der Gemeinden, der einzelnen Gemeinden, aus deren Zusammenschluß und Zusammenklang eine Kirche entsteht. Und hierfür schien zweierlei von der allergrößten Bedeutung: 1. die von Christo befohlene Seelsorge und Zucht; 2. die Festhaltung des apostolischen Presbyterats und Diaconats.

 7. Die Seelsorge und Zucht werde gewöhnlich als bloße Pastorensache angesehen, obwol es auf platter Hand liegt, daß| sie, dem Pastor allein überlassen, eine Unmöglichkeit ist. Jedes Gemeindeglied muß das andere und alle anderen mit seelsorgerischer Liebe umfassen und der Hirte ist nur das höchste und letzte Ingrediens dabei. Die berühmte Stelle Matth. 18 („Sündigt dein Bruder an dir“ etc.) ist zunächst keine Anweisung für Pastoren, sondern für alle Christen. Alle helfen zur Seelsorge: in letzter Instanz steht die (nicht Gesammt-, sondern independentische) Gemeinde und an deren Spitze als Mund und Vertreter der Pastor. Wofern die Gemeinden nicht zu heiliger Seelsorge und Zucht zusammenstehen, kann das äußerliche und gottesdienstliche Leben einer Gemeinde nicht gedeihen und die Ehre des HErrn unter den Menschen dadurch nicht gesucht werden. Bekenntnis und Zucht sind gleich notwendige Grundlagen eines christlichen Gemeindewesens. Die gegenwärtigen Gemeinden zeigen es in ihrer Gestalt, was Bekenntnis ohne Zucht ist, wie ohne Zucht auch kein Bekenntnis bleibt. Bei Reinigung und Neubau der einzelnen Gemeinden sei Zucht und Bekenntnis voranzustellen und keine Elemente, die diesem gedoppelten Grundsatze widersprächen, aufzunehmen. Versäume man das, so werde man den ganzen unglücklichen Zustand unserer Gemeinden in die neue Zeit mit hinübernehmen, damit Lähmung und Tod, Angst und Not der Hirten, welche dann abermals allen und jedem das Sacrament reichen, die Perlen vor die Säue, das Heiligtum vor die Hunde werfen sollen. Der HErr vergebe uns unsere alten Sünden und gebe uns den Mut, fernere derselben Art zu lassen! Es ist in der That, das anlangend, genug gesündigt worden.

 8. Was die Diaconie und das Presbyterium anlangt, so wollen wir zugleich aus Act. 15 die apostolische Synode dazu nehmen und folgende Skizze zur Betrachtung und Vergleichung mit der heiligen Schrift vorlegen:

|  Anfangs sind alle verschiedenen geistlichen Amtsgeschäfte im Apostolat beisammen, aus diesem wächst alles andere heraus. Das erste, was sich abzweigt, ist das Diaconat, das zweite ein vom Apostolat abgesondertes [in den Aposteln selbst mit dem Apostolate zusammenhängendes] Presbyterat. Die Presbyter werden nie und nirgends von der Gemeinde gewählt oder präsentiert, sondern Apostel oder Evangelisten (z. B. Timotheus, Titus) setzten sie mit Rücksicht auf das Zeugnis der Gemeinde, der sie vorgesetzt werden, und welche sie kennen muß. Hier ist etwas Aristokratisches.

 Das Diaconat wird ausdrücklich von dem Amte des Wortes und Gebetes (beziehungsweise des Apostolates), vom Amte des Presbyterats geschieden. S. die Worte, mit welchen die Apostel das Diaconat einleiten.

 Die Diaconen werden nach gewissen Normen von der Gemeinde gewählt, vom Presbyterium [beziehungsweise Apostolat] gesegnet (ordiniert) und gesetzt. Hier ist etwas Demokratisches, eine Art Gemeindevertretung der edelsten Art. Vom Volke gewählt, sind die Diaconen Männer des Volksvertrauens. Vom Presbyterium examiniert, ordiniert etc., sind sie Männer des Vertrauens von Seiten des Presbyteriums. Da sie die Weihe vom Presbyterium haben, sind sie keine Antagonisten desselben. Da sie vom Volke gewählt sind, geben sie sich dem Presbyterium nicht zum Nachtheil des Volkes hin. – Ein herrlicher, wunderbarer Stand, die Diaconie!

 Die Synode zu Jerusalem hat Apostel, Aelteste, Brüder. Die Brüder sind nicht Deputierte, sondern die freiwillig teilnehmenden Gemeindeglieder von Jerusalem. Wir sehen hier öffentliche Synoden, bei denen aber die Aeltesten (incl. Apostel) die Thätigsten sind.

 Alles was in den neuen Zuständen wahr ist, kommt| hier zusammen. Da ist keine Einseitigkeit, wie bei den Staaten. Es gibt Brüder (Volk) auf den Synoden, Vertreter (Diaconen) gegenüber den Hirten, die Wölfe sind, Vertreter auch auf Synoden, Presbyter (heilige Aristokratie), deren Anführer die Apostel, – und „Einen HErrn“ Jesum Christum (den παντοκράτωρ, den Monarchen). Die Diaconen verwalten Kirchenschatz und Armenpflege. Kirchenschatz und Armenpflege sind also in den Händen von Volksvertretern, die aber den Aeltesten nicht unnütz opponieren, weil sie selbst geistlichen Standes sind. – In welchen besseren Händen könnte Kirchenschatz und Armenpflege sein, zumal Presbyterium und Synode die Controle führen! – Siehe bewundernd die Diaconie des heil. Laurentius.

 Was könnte sich Schönes bilden, wenn diese ursprünglichen heiligen Ordnungen, zu denen sich in Aehnlichkeit und Dunkelheit die neuen Staatsinstitutionen verhalten wie Schattenrisse zum lichten, heiligen Körper, wieder Platz fänden! Und welch ein Ganzes würde sich aus solchen, so versehenen, so verbundenen Gemeinden bauen! – Es ist hier nicht in’s Einzelne zu gehen, sondern einem Jeden seine Ueberzeugung zu gönnen. – Ich aber würde von dem Wiederaufleben apostolischer Anordnungen für das practische Leben der Gemeinde vieles hoffen.

 9. Schließlich wurde noch die Aussicht, daß die Kirche und Schule getrennt werden dürften, in’s Auge gefaßt und die Ansicht ausgesprochen, daß, nachdem es einmal so stehe, Trennung nicht zu beklagen sei. Was man mit Lehrern dieses Geschlechtes wolle? Sie wären nur gezwungene Kirchendiener. Mögen sie ABC, Schreiben, Rechnen, gemeinnützige Kenntnisse lehren; sie sänken, wie in Nord-Amerika, in ein Nichts, wenn sie Religion, Katechismus, Sprüche, Lieder, Gesang nicht mehr hätten.| Sie fielen in’s Nichts, zumal wenn es der Kirche gelänge, die Besoldungstheile, welche von ihr herrühren, zu retten. Die Kirche würde dann ihre Mesner-, Cantor-, Kirchnerstellen zu großem Nutzen mit jungen Theologen besetzen und durch sie auch Privatschulen errichten, welche, der Kirche ganz ergeben, in ihrem Sinne alles lehren würden und wie in Nord-Amerika über die elenden Staatsschulen den Sieg davon tragen könnten.




An C. v. Raumer.
Neuendettelsau, 15. März 1848. 

 „Theurer väterlicher Freund!

 „Wie Du in diesen Wochen innerlich und äußerlich ergriffen und beschäftigt sein magst, kann ich mir denken. Ich habe mich oft im Geiste in Deine Nähe versetzt, um zu hören, was Du zu alledem sagst. Heute las Hermann Harleß einen Brief seines Bruders in Leipzig über die Vorgänge jenseits und diesseits des Rheins vor, und ich habe mich herzlich gefreut, die Bestätigung meiner eigenen Ansichten in Allem und Allem zu finden. Wahrscheinlich bist auch Du beim Blick auf die wankenden Höhen und die brausenden Tiefen gleich betrübt und erkennst böse Wehen einer neuen, längst geahnten Zukunft. Die Art und Weise der Bewegungen unter uns nehmen mir die Achtung vor Großen und Kleinen und wenn man, wie in Rom (?) beim Tumulte, eine Partei erwählen sollte, würde einem die Wahl, an welche man sich wegwerfen sollte, schwer werden. – Es geht alles darauf aus, die Höhen und mit ihnen die Mahnung zum Höchsten, soweit sie von irdischen Dingen kommen kann, dem Boden gleich zu machen, und statt aller Poesie des Lebens kann es ein gemeines Gewühl der irdischen Interessen geben etc. Ich will nur schweigen.

|  „Das Traurigste ist, daß nun dem armen Volke die ewigen Interessen vollends in den Hintergrund gerückt werden und das Reich, welches nicht von dieser Welt ist, vollends verlassen wird. Es empört mich, wenn ich Pfarrer mit Cocarden sehen und ihnen abmerken soll, daß sie allen Standpunkt verlieren und mit dem Volke dahin rennen. Es wird vielleicht ganz bald die Zeit kommen, wo es den vollen Mut gottverlobter Seelen bedarf, um des HErrn Hütte im Lande zu hüten und in ihr erfunden zu werden. Darauf sollte man sich vorbereiten und in tiefer, wenn auch keineswegs theilnahmloser Stille sich für die Zeit rüsten, wo man zum Heile des Volks für das ewige Vaterland sprechen und handeln muß.

 „Dir werden sich die Erinnerungen früherer Lebenstage aufdrängen, und Du wirst noch einmal durchleben, was so ähnlich und doch so ganz anders ist. Deine Erfahrung, Dein weiser Rath wird nun dem jungen Volke, dem eine so große Stimme in dieser elenden Zeit eingeräumt wird, viel nützen können. Gott sei Dir gnädig und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre Dir in Tagen, wo alle Liebe zu erkalten scheint, Herz und Sinne in Christo Jesu zum ewigen Leben! Amen.

 „Hier in diesem Winkel der Welt, wo bis heute kein Zeichen von Aufruhr zu bemerken war, bemühe ich mich, mein Volk von allem Bösen abzumahnen und zum Gebete anzuleiten.

 „Am vorigen Sonntag habe ich das Friedensgebet beim Mittagsgeläute um 12 Uhr wieder eingeführt, und eine ziemliche Anzahl Familien hat Gehorsam geleistet. Wir beten alle mit dem ersten Glockenton die drei kostbaren Collecten, die sich in der neuen Auflage der Samenkörner am Dienstag finden und mit der Aufschrift „Um Frieden“ bezeichnet sind. Der| HErr erhöre öffentlich, was eine arme Dorfgemeinde in stiller Verborgenheit betet.

 „Lebe wohl! Laß Dir, lieber Vater, dies Blättchen, das Dir von einem bisher ruhevollen Patmos kommt, nicht widerwärtig sein.

 „Der Friede sei mit Dir und

Deinem treuen 
W. Löhe.“ 




An Herrn v. Maltzan.
22. März 1848. 

 „Hochgeehrter, theurer Freund!

 ....„Was für Veränderungen in Monatsfrist! Ein Mond der Gerechtigkeit des HErrn über die Könige; ein Mond neuer Saaten menschlicher Ungerechtigkeit und Sünde, welche nicht minder im Gedächtnis Gottes aufbewahrt werden wird, bis das Maß voll ist und auch dafür die Rache kommt.

 „Obwol die Saat unserer gegenwärtigen Aernte durch die Sünden der Fürsten und durch die Sünden der Demagogen lange gestreut ist, so hätte doch niemand gedacht, daß so mit einem Male die Stunde der Aernte für so weite Lande kommen, so mit einem Male alles reif werden würde für die Sichel. Dieser westliche Sturm, in welchen Teufel hinein heulen, hat Macht von dem HErrn HErrn; darum kann nichts widerstehen und die Herrlichkeit der Könige verwelkt vor ihm wie des Grases Blume. Alles Fleisch ist wie Heu – und welcher Sünder besteht im Gericht?

 „Als ich die Münchener Stürme zuerst las, schien mir alles, so sehr es mich ergriff, doch noch eine versprechende Gestalt zu haben. Nun aber die Wiener und Berliner Stürme, besonders die letzten! Ich las eben einen Zeitungsartikel über| die Berliner Vorgänge bis zum Abend des 18. März. Es scheint mir schrecklich viel Aehnliches mit den Pariser Geschichten da zu sein, – schrecklich viel Verhängnisvolles.

 „Das, was die Völker erzwingen, scheint mir größtentheils besser als die bisherigen Zustände. Ein deutsches Parlament erscheint mir wie ein Rettungsanker, ohne welchen alles in Trümmer gehen könnte. Aber wie erringt man’s! – Ach! ich habe längst die deutschen Kräfte gefürchtet, wenn sie einmal losgebunden würden. Gott sei uns gnädig und helfe uns zu Zuständen, bei welchen die äußere Wohlfahrt gedeihen kann.

 „Nächsten Montag werden sich eine Anzahl meiner enger verbundenen Freunde bei mir treffen, um über das Benehmen zu beraten, das wir Pfarrer in diesen Wirren zu beobachten haben und über die Möglichkeiten, welche aus diesen politischen Wirren für die Kirche entspringen können und wol auch entspringen werden. Ich führe seit Jahren die Rede: ,die Gottlosen werden die Verhältnisse zerstören und die Fesseln zerschlagen, in welche die Kirche von den Fürsten geschlagen ist: eher kann es zu keinem Neubau der äußeren, für die göttliche Pädagogik der Kirche so nötigen Verhältnisse der Kirche kommen.‘ Nun geschieht das Erstere: Gott verleihe das Zweite. Fallen die Höhen und damit viel Poesie des Lebens, verflacht sich alles Irdische, so sei Zion ein grünes Zweiglein des Frühlings und wachse bis zu den ewigen Höhen und erstatte der Menschheit die Verluste, die sie doch auch leiden wird, tausendfach.

 „In unserer nächsten Nähe ist alles in ziemlicher Ruhe. Meine Bauern beten auf mein Anraten seit 14 Tagen das Friedensgebet unter dem Mittagsläuten und haben ihre Forderungen dem Gutsherrn in geordneter Weise vorgelegt. In Nürnberg, Fürth etc. hat es Krawalle gegeben, die auch in kleineren Orten wiederholt wurden. Jetzt ist’s für den Augenblick| auch ruhiger. Am ruhigsten scheint es außer in Mittelfranken in bayerisch Schwaben zu sein. Die Bauernunruhen im Odenwald und Mainthale sind mir äußerst widerwärtig und wegen ihrer Ansteckungskraft sehr bedenklich. – In dieser Zeit erscheint Amerika wie ein Asyl, die amerikanische Sache wie ein stiller Bach Siloah. Ich kann den Gedanken nicht los werden, daß eine Auswanderung der Armen auf Staatskosten das wohlfeilste Mittel gegen Proletariat und Pauperismus wäre.

 „Gott segne Sie, Ihr ganzes Haus, und

Ihren treu ergebenen 
W. Löhe.“ 




An Frau Focke in Essen.
22. März 1848. 

 „Ich habe bei manchen Gelegenheiten in mir etwas wahrgenommen, das nach Thaten dürstet. Aber an diesen Thaten keinen Theil zu haben bin ich herzlich froh. Es sind eitel irdische Interessen, welche sich so gewaltig geltend machen, und dem armen, armen Volke wird sein ewiges Heil vollends in den Hintergrund gedrängt. Es gibt nach oben und unten nur trübe Blicke. Die Höhen sinken und es wird, fürcht’ ich, etwas viel flach werden, wenn sich alles eingerichtet hat. Gut, wenn dann Gottes Kirche heilig und hehr zu den ewigen Höhen ragt und den Seelen, die mit keiner zeitlichen Wohlfahrt und mit keiner Politik zu sättigen sind, zur Zufluchtsstätte wird.

 „Man schreit – und selbst meine Betrunkenen wiederholen es, wenn sie des Abends vom Wirtshaus heim und vor dem Pfarrhause vorübergehen – man schreit: „Freiheit und Gleichheit.“ Man will alle Culte frei haben, und ich wünsche dies auch. Aber es spricht sich in jenem Geschrei auch ein heuchlerischer, finsterer, tyrannischer Geist aus. Das haben wir diese| Tage in Nürnberg erlebt, wo sich die Schaar der Ungläubigen an den König Ludwig wendeten, nicht um eine Kirche der Ungläubigen bilden zu dürfen, was sie natürlich unter gegenwärtigen Umständen leicht hätten erringen können, sondern um Sitz und Stimme und volle Berechtigung in unserer Kirche zu erlangen. Ein echter Teufelskniff, der ihnen nicht hinausgehen wird. Jedenfalls gehen wir ernsten Wendungen der kirchlichen Dinge entgegen. Hier heißt es: Oremus! Meine Hoffnung ist nicht ganz aus, daß bei einer Auflösung der Dinge, wie sie jetzt sind, die h. Kirche sich unter unserm Volke schöner bauen wird.

 „Auf alle Fälle ist Passionszeit, und es wird gut sein, wenn sich die Gleichgesinnten zuweilen ein ernstes Wort zurufen. Die Wege sind dunkel, die Sonne scheint durch Nebel und der Mond ist blutigroth, wie bei der letzten Finsternis. Meinen armen Zuruf vernehmen Sie und Ihr von mir herzlich gegrüßter Gemahl hiemit. Der HErr sei mit Ihnen, erleuchte, stärke, leite Sie bis in’s ewige Leben hinein.

W. L.“ 




An Liesching. Im März 1848.

 „Ich folge bewundernd der Leitung Gottes, sehe auch für die Kirche manches Läuterungsfeuer kommen. Er sei aber willkommen, der Glutbräutigam, der seine Braut mit Feuer taufen, aber nicht verzehren kann. Lassen Sie uns statt der Cocarde die grünen Kräuter des Gründonnerstags auf den Hut stecken und aufschauen zum Vorhang, hinter welchem unser Anker eingeschlagen ist.“




An Denselben, am 10. April 1848.
 „Man vergißt, daß die materiellen Uebel durch alle diese Dinge (Aenderung der Staatsform, Abschaffung gewisser drückender| Misbräuche der Verwaltung) nicht gehoben werden können, ja daß die großen Bewegungen selbst Mehrung dieser Uebel bringen. Und noch mehr vergißt man den Zorn Gottes über den großen Abfall, mit welchem diese großen Bewegungen so nahe zusammenhängen, dessen Ausgeburt sie großentheils sind, wie sich mir diese Ueberzeugung immer mehr und schrecklicher aufdrängt. Das ganze Gebäude der neuen Hoffnungen scheint mir auf einen moderigen Grund gebaut zu werden. Ich möchte keine Hand dabei haben und lasse mir’s nicht nehmen, daß es ebenso das Weiseste wie das Frömmste ist, wenn die Kirche Gottes gestrenge Neutralität bei allem Beginnen zeigt, soweit es nur die theure Pflicht des Bekenntnisses erlaubt. Es wird ohnehin bald gebieterische Pflicht werden, daß die Kirche in den Kampf geht; denn diese Freiheit ist nur den Gottlosen vermeint und den Knechten Gottes erwächst eine tausendköpfige Tyrannei. Ich meinerseits bin auf alles gefaßt.

 „Man spiegelt sich jetzt gerne in den nordamerikanischen Verhältnissen. Und doch ist dort alles anders. Unübersehbare, fruchtbare, noch unbebaute Landstrecken geben die Möglichkeit, dem Pauperismus der großen Städte ein glückliches Loos unzähliger Landbewohner entgegenzustellen: unsere materiellen unvermeidlichen Uebel sind dort nicht. Und die religiöse Freiheit, die mir meines Theils erwünscht kommt, kam dort nicht von Deutschkatholiken und Lichtfreunden, sondern von viel ernsteren, unschuldigeren Händen. Ich sehe jetzt überall Gottes Gerechtigkeit und fürchte deshalb die neuen Saaten und für sie. Dort ist alles anders, wie mich däucht.

 „Ueberlassen wir auch hierin Dem, der das Regiment behält und dem keine Rotte nach der Krone greifen kann, alles und jedes.




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An Herrn v. Maltzan.
30. Juni 1848. 

 „Hochgeehrter, theurer Freund!

 „Zwar schreibe ich Ihnen dieses in ganz anderen Umgebungen und Verhältnissen, als Ihre eigenen sind; aber wir beide und der Geist des Friedens und der Einigkeit, welcher zwischen uns weht und waltet, gibt Beweis und Beispiel, daß die Gemeinschaft der Heiligen durch nichts gehindert und aufgehalten werden kann, wenn sie Gott einmal gestiftet hat. Während Sie thätig in den neuen Bau eingreifen, welcher auch in Ihrem Vaterland sich erheben will, habe ich gar keine Gelegenheit gehabt, irgendwie etwas zu thun, als bei der Abgeordnetenwahl zum Parlament und durch meine Zeitpredigten, welche ich zwischen Ostern und Pfingsten gehalten habe. Während Ihr Auge insonderheit auf der staatlichen Bewegung ruht und haftet, ist meines der kommenden kirchlichen Bewegung zugewendet. Obwol ich lügen müßte, wenn ich sagen wollte, ich ginge den politischen Bewegungen nicht mit möglichster Aufmerksamkeit nach! Meine Freunde und ich merken wahrlich darauf, reden oft und viel davon, und ich meinerseits habe auch meine Pfarrkinder häufig auf die Kräfte der Lüge aufmerksam gemacht, welche jetzt die Welt durchweben und die Menschen durch Hoffnung zeitlicher Wohlfahrt bethören. Ich war je und je liberal und wie oft hat mich H. zürnend einen Radikalen genannt; wie hat mich namentlich jenes System der immerwährenden Bevormundung und Einschränkung persönlicher Freiheit empört, durch welches das Volk in tiefster Seele mit Haß erfüllt werden und ein Tag der Rache dämmern mußte. Welch ein Lügengeist herrschte in der Verwaltung und wie wurde das Volk durch Gebote ohne Zahl demoralisirt! denn da sie nichts ausführen konnten und doch verpflichtet| waren, zu gehorchen, fiengen sie an, verschmitzt und versteckt, für jede Verordnung einen Ausweg und eine Ausrede zu suchen, bei welchen alles beim Alten und ein Jeder bei seinem eigenen Sinn bleiben konnte. – Bei alledem aber ist mir die Art und Weise, wie alle diese Dinge emporgebracht wurden, eine widerwärtige, und ich schaudere vor den Händen, welche solche Werke wirken. Oft habe ich in vorigen Jahren gesagt: ,die Gottlosen werden dem Faß den Boden ausschlagen, und dann können wir auch aufathmen;‘ nun es aber kommt, find’ ich die Gottlosen zu gottlos – und bin recht betrübt über die einzelnen Zeichen des Abfalls im Parlament. Es ist alles so gar anders gegangen, als z. B. in Nordamerika, und ich weiß nicht, wo dauerhaft Gutes herauskommen soll, wenn man so gar ohne Aufsehen zu dem ewigen König bleibt. Die Fürsten sind nicht mehr von Gottes Gnaden, wenigstens in dem früheren Sinne sind sie es nicht mehr. Aber auch ein solches Volk ist nicht von Gottes Gnaden mehr, ich sehe eine massa perditionis.

 „Was ich im amerikanischen Werke erlebt habe, was ich im Neuen Testamente über Gottes Pädagogie im Großen gefunden habe, wovon ich in Ihrer Anwesenheit oft geredet habe, das kömmt mir nun zu Statten. Ich habe für meine Freunde in der Nähe und in Amerika, was ich wußte, zu schreiben angefangen und bereits 25 Bogen, wie Sie den Augenblick einen in der Hand haben, vollgeschrieben. Leider kann ich jetzt nicht davon mit Ihnen sprechen. Meine Arbeit wird wenig Anklang finden und wenig helfen.

W. L. 




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An Oberbergamtssecretär Focke in Essen.
28. Juni 1848. 

 „Ich kann mir’s recht denken, daß auch Ihre Söhne von den politischen Tagesfragen hingenommen sind. Es ist ja auch eine Zeit, die nicht blos Kinder zum Hosianna, sondern auch Steine zum Schreien bringen könnte. Ich wünsche der Jugend den Enthusiasmus von 1812–1813 und die starke Seelenruhe des christlichen Glaubens, welche sich auch damals nicht fand. Ich fürchte aber, daß beide blutselten sein werden. Mir däucht die ganze Bewegung, so wert mir auch die Freiheiten sind, welche sie brachte, doch aus Regionen zu stammen, über welche kein Segen gesprochen werden kann, und ich wünschte, daß meine Kinder nicht blos vom Pesthauch des Zeitgeistes bewahrt bleiben, sondern durch klares Bewußtsein über ihn erhaben und für ihn todt sein möchten. Für die Kirche, welche ewige Verheißungen hat, fürchte ich nichts.“




An C. v. Raumer.
10. Juni 1848. 
 „Es ist Pfingstabend und ich stehe an meinem Pulte. Jesus lebe! Die Dinge dieser Welt, sie mögen sich gestalten, wie sie wollen, verschwinden vor Seiner Glorie und dem Frieden Seines Reiches, den Er gibt und läßt. Verzeih’ mir, wenn ich Dir widerspreche (ich hab’ Dich selbst aber nicht reden hören) und behaupte, es seien Zeiten gewesen, wo es noch mehr drunter und drüber gieng als jetzt (denke an die ersten Verfolgungen, an die Völkerwanderung und ihren Umsturz etc. und ehe Du sagst: ,das war anders‘, suche den Vergleichungspunct), aber die Diener Jesu haben sich nicht irren lassen und sie haben eben damit auch zur zeitlichen Wohlfahrt verholfen. Nie kann Politik vor dem brünstigen Gebete: „Dein Reich| komme!“ den Vorrang haben; echte Vaterlandsliebe, die nicht aufreibt, ruhig und stark ist, kommt aus dem Heiligtum.

 „Leb’ wohl und hasse und verachte nicht Deinen

W. L.“ 




An Liesching, am 8. Januar 1849.
 „Im vergangenen Jahre habe ich’s recht empfunden, wie man vereinsamen kann. Wie giengen da die Meinungen auseinander! die liebsten Freunde wußten sich nicht mehr zusammen zu finden. Das Vaterland und die Politik, die Hoffnung auf zeitlich Glück und Aufschwung deutscher Nation trat in den Vordergrund, und bei manchem erwies es sich, daß er zuvor am Religiösen und Kirchlichen nur in Ermangelung solcher Dinge, wie sie heuer (1848 meine ich) kamen, Theil genommen hatte. Mein Satz: ,die Kirche allezeit und allewege voran‘ hat mir manchen Unwillen und die Erkältung manches Herzens gebracht. Ich kann ja dennoch meinen Satz nicht lassen. Und daß ich mit dem nackten, wirkungslosen Bekenntnis nicht zufrieden sein wollte, daß ich – und zwar eben jetzt, Zucht beantragte, das scheuchte wieder einen Haufen von mir, und es half mir gar nichts, wenn ich die Zucht nicht als Strenge, sondern als Liebe erklärte. Mir war immer, als stünden die Leute auf dem Kopfe und könnten über ihren Bauch nicht hinweg zum Himmel sehen. Was man mir sagte, es überzeugte mich nicht, und so bin ich denn ein Jahr älter und einsamer geworden mit meinem, so scheint’s mir, guten Recht und kann mir nicht helfen. Ich bin wol traurig, aber ich meine, ich müßte weiter gehen und habe deshalb meine wenigen näheren Freunde aufgefordert zu einem gemeinsamen Zeugnis gegen die Schäden der Kirche, die wir sehen. Wir wollen unser Zeugnis bei der zu erwartenden Generalsynode ablegen. Zugleich will| ich, was ich über apostolische Kirchenverfassung aufgeschrieben, obwol ungern, doch auf meiner Freunde Treiben drucken lassen. Es soll schnell kommen und noch zur Generalsynode fertig werden. Ich werde auch hiermit einsamer werden – und ich sehne mich desto mehr nach meinem Volke, von dem ich durch den Todesleib getrennt bin. Ach, wie mir wohl sein wird, wenn ich dort bin! Der HErr helfe mir doch aus Gnaden!“




 Wir sind, indem wir Löhe’s Auffassung der Ereignisse des Jahres 1848 besprachen, bereits hie und da veranlaßt gewesen, seine Stellung zu den bald auftauchenden kirchlichen Fragen zu zeichnen. Die ausführlichere Darlegung derselben wird den Inhalt des folgenden Halbbandes bilden.





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