Wilhelm Löhes Leben (Band 1, 2. Auflage)/Sechstes Kapitel
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Am 22. September 1835 traf Löhe in Altdorf ein. Sein Aufenthalt hier währte knapp sieben Monate, denn am 22. April des nächsten Jahres zog er bereits als Verweser in Bertholdsdorf ein. Die ersten Eindrücke, die er von Altdorf empfieng, und die Hoffnungen, die er an seinen Aufenthalt für die Zukunft knüpfte, sind in einem Briefe an Frau L. Andreae ausgesprochen, welchen wir hier mittheilen.
„Altdorf ist der ehemalige Nürnbergische Universitätsort, eine schöne, kleine, alterthümliche Stadt in einer lieblichen hügelreichen Gegend. Die Kirche, in welcher ich alle Sonntage Nachmittags um dieselbe Zeit wie bei St. Aegidien predige, ist prächtig und groß. Gleich hinter derselben ist mein Pfarrhaus, welches vorn und hinten zwei Gärtchen mit Brünnlein hat. (Schade, daß es Winter wird!) Das Pfarrhaus ist recht schön. Unten gebe ich meinem Bedienten ein Zimmer, oben richte ich mich in dreien ein, ein großes, die Pfarrstube, ein kleines, meine Schlafkammer, ein drittes für meine Besuche, deren ich hoffentlich manche bekomme, da Altdorf nur vier Stunden von Nürnberg, also nur sechs von Fürth liegt. Meine Einrichtung wird so priesterlich sein, als es für einen Verweser, der bald – nach längstens sechs Monaten – weiter geht, thunlich ist. Dicht an meinem Hause steht das Haus eines greisen dritten Pfarrers, der aber seine Pfarrei eigentlich in Altenthann hat und hier blos wohnt, um auszuhelfen, wenn die beiden Geistlichen zu| beschäftigt sind. Neben diesem stillen Pfarrhaus des alten Pfarrers von Altenthann, der mit seiner alten Frau ganz einsam wohnt, kommen die Schulen, welche mir als Inspector übergeben sind. Daß ich einen Beichtstuhl habe, versteht sich. Was meiner Wirksamkeit in Altdorf eine größere Bedeutung gibt, ist, daß in Altdorf das Seminar ist, auf dem alle protestantischen Schullehrer des Königreichs gebildet werden. Beten Sie, daß ich in der kurzen Zeit meiner Verwesung auch einige junge Lehrer für meinen Heiland gewinne. Als ich vorigen Freitag in Altdorf war, und meine Stelle einstweilen übernahm, setzte ich mich in einen abgelegenen Winkel und da ich mein Neues Testament in die Hände nahm, schlug ich zum großen Trost meiner Seele die Sprüche auf: Luc. 22, 45–49 und 2. Cor. 5, 17-21. Der Herr segne meinen Ausgang und meinen Eingang, meinen Eingang und meinen Ausgang! Beten Sie auch für mich und Altdorf.
„Ich muß freilich auf viel Kleinigkeiten merken – und ich thue es auch mit solchem Ernste, daß einer meiner Bedienten schon mehr als Ein Mal geweint hat; er hat mirs aber immer wieder gedankt. Ich wünschte der Kleinigkeiten überhoben zu sein; weils aber nicht sein kann, bin ich dennoch fröhlich und stärke auf diese Weise mein Gedächtnis. – Ich esse nicht allein, sondern mein Haus mit mir und was ich. Ich bin ja ein christlicher Hausvater.“
Bald freilich sah er ein, daß er sich mit dieser Veranstaltung eine seine Kräfte auch in pekuniärer Hinsicht übersteigende Sorgenlast aufgeladen habe, und richtete deswegen schon nach Monatsfrist sein Hauswesen auf einen anderen Fuß ein, indem er eine alte Magd in seine Dienste nahm.
Was die geistliche Wirksamkeit Löhe’s anbelangt, so war sie auch hier in Altdorf anregend und belebend. Die Achtung und Liebe der Gemeinde hatte er sich so bald erworben, daß dieselbe bereits nach Verlauf eines Monats beim König Schritte thun wollte, um die Verleihung der zweiten Pfarrstelle an Löhe auszuwirken. Löhe verbat sich dies mit dem Bemerken: er wolle durch Gottes Gnaden Pfarrer werden.
„Hoffentlich“, schreibt er der Freundin, der er dies mittheilt, „werde ich auch hier noch das Zeichen treuer Diener, den Haß der Welt erfahren.“ Doch scheint er gerade in Altdorf, so viel wir sehen, von Verfolgungen, wie sie ihm in Kirchenlamitz und Nürnberg beschieden waren, verschont geblieben zu sein.
| Wie aus dem oben mitgetheilten Brief an Frau L. Andreae ersichtlich ist, war es Löhe’s Hoffnung und Wunsch, unter den Jünglingen, die im Altdorfer Seminar für den Lehrerberuf vorgebildet wurden, Seelen für den Herrn zu werben. Dieser Wunsch wurde ihm auch erfüllt. Er wurde von den Seminaristen viel besucht; in Haufen bis zu zwölf kamen sie zu ihm, er widmete ihnen gerne seine freie Zeit und hatte die Freude zu erleben, daß bei mehr als einem der jungen Leute aus dem ersten Anschluß ein dauerndes Verhältnis sich entwickelte. „Wir waren“, schreibt einer von den damaligen Seminaristen, der Löhe bis zu dessen Tode treue Freundschaft hielt, „von 120 Seminaristen etwa ein Dutzend, denen Löhe ein Führer, ein geistlicher Vater wurde. Wir fühlten uns sofort angezogen von ihm und mit Bewunderung gegen ihn erfüllt und wünschten nichts mehr, als ihm persönlich näher treten zu können. Wir erhielten die Erlaubnis, wöchentlich ein bis zwei Mal in den Freistunden ihn zu besuchen. Die Einfachheit der Einrichtung, aber die allenthalben hervortretende Ordnung und Reinlichkeit fiel uns auf und erregte unsere Bewunderung ebenso sehr als die männliche Bedienung, die Löhe hatte. Bei jedem Besuch trat uns sein tiefer Ernst wie sein freundlich väterliches Entgegenkommen an die Seele; es waren Stunden gesegneter Gemeinschaft, ein fördernder Aufenthalt für Erkenntnis und Glauben ohne pietistisches Drängen. Seine Gespräche waren für uns junge Leute aufs Praktische gerichtet, er sprach mit uns über den Hang und das Streben junger Leute nach Freiheit und Ungebundenheit, statt sich in von Gott geordnete Verhältnisse willig zu fügen; über das sechste Gebot, sodann über die Angriffe, welche damals die Organe des Zeitgeistes gegen das Christenthum machten; auch über die in der schönen Literatur jener Tage proclamierte Emancipation des Fleisches und anderes| mehr. Segnend entließ er uns stets beim Weggang. Bald aber fieng der widerchristliche Geist der Seminaristen an, in den Löheanern die Zielscheibe seines Hasses zu finden. Bei Rückkehr von den Besuchen im Pfarrhaus wurden wir von dem Haufen mit rohem Spott und Hohn empfangen, und immer lauter wurde das Toben und der Spektakel. Bei unserer Rückkehr aus den Osterferien war der neue Pfarrer bereits aufgezogen, und Löhe in Bertholdsdorf; aber ein für Zeit und Ewigkeit gesegnetes Semester war für uns das Wintersemester 1835 bis 1836.“
Altdorf liegt nahe genug an Fürth, Nürnberg und Erlangen, um zwischen Löhe und seinen Verwandten und Freunden einen ziemlich lebhaften Verkehr zu ermöglichen. In Erwartung zahlreicher Besuche hatte Löhe ja auch, wie wir sahen, in seinem Pfarrhaus ein eigenes Zimmer eingerichtet. Es fehlte auch nicht an Gästen, die ihn namentlich in den Festzeiten oft in Haufen heimsuchten. Wie Löhe in solchen Zeiten in Anspruch genommen war, läßt sich aus einem Brief an Frau L. Andreae ersehen, den wir Beispiels halber hier mittheilen.
„Mein lieber Bruder Löhe!
„Im Vertrauen auf Ihn, der mich von Kindesbeinen an geleitet an Seilen der Liebe, der mich auf Adelers Fittigen sicher geführet, habe ich mich nun fest entschlossen, dem Drange, den ich schon seit Jahren in meinem Inneren empfunden, zu gehorchen, und, so der Herr will, im nächstkünftigen Septembermonat in das Land zu reisen, da mein lieber Herr Jesus Christus zu meinem Heile geboren ward von einer Jungfrau, da Seine Füße gewandelt haben; da Ihn, den Sohn des lebendigen Gottes, Menschenaugen gesehen, Menschenhände betastet haben.
„Es gibt ein Oertlein in Gottes Wort, auf welches der Christ täglich das Licht seines Glaubens, das ihm leuchtet in der Finsternis, feststellet, dieses Oertlein ist 1. Joh. 1, 1. Eben weil der Christ mit den eigenen Ohren seines Geistes gehöret, mit den eigenen Augen gesehen und beschauet, mit den eigenen Händen betastet hat, kann ihn der Geruch keines Straußes der Giftblumen betäuben, kein Wind einer neuen Lehre kann auslöschen das Licht seines Glaubens, denn das stehet unantastbar sicher auf 1. Joh. 1, 1. – Selig, selig ist es und lieblich, solch sicheres Oertlein gefunden zu haben und bei sich zu tragen in seinem Herzen; es findet’s aber nur der, in dessen Herzen schon entzündet ist die Liebe zu dem Herrn. Wie soll mans aber denn machen, daß in diesen Tagen der allgemeinen Erkaltung recht viele arme kalte Herzen wieder entflammt werden zu dieser Liebe? Ihr Auge blickt ja gar nicht auf zu Ihm, ,der hochgelobten Schönheit‘, sondern starrt beständig nach einer| leeren Wand hin, an welcher die Welt mit ihrer Lust ihnen ein buntfarbiges Schattenspiel vormacht. Wie wäre es denn, wenn man an das Gemäuer auch ein Bildlein anderer Art hinfallen ließe. Man malt ihnen vor Augen die grünenden Hügel Philistäas, Thabors liebliche Höhen, Jerusalems Berge, den thauenden Hermon und siehe, mitten auf den bewegten Blättern der gemalten Haine wird der Gesang der Turteltaube vernommen: ‚Wache auf, du Seele, die schläfet, der Frühling ist draußen auf den Bergen.‘ Es ist ein Menschenliedlein, das der Maler singt, aber es gehet nach der Melodie 1. Joh. 1, 1, und mitten in den Menschentext mischen sich Worte und Kräfte des himmlischen Urtextes. – Das, was ich da eben geschrieben habe, ist der Inhalt des Reisepasses, der mir von München nach Jerusalem ist ausgestellt worden. – Wie denn aber? hat denn auch der Herr schon den Paß unterzeichnet?„Mein lieber Löhe, seit etlichen Monaten habe ich meines Herzens Drang und Sehnen ganz wieder zurückgelegt in meines Herrn Hände. Ich habe Ihn inbrünstig angefleht, Er solle beide herausreißen aus meinem Herzen, solle meinen Weg mir mit Dornen vermachen, wenn er Thorheit ist in Seinen Augen. Aber siehe, durch dieses Aussehen auf den Herrn bin ich immer freudiger, immer versicherter geworden; Sein Geist hat es bezeuget meinem Geiste, daß Er mir ein gnädiger Gott sein wolle, auch in dieser Sache, ich kann täglich bitten: ‚Herr, erlaube Du mir diesen Weg und leite mich auf ihm an Deiner Hand und gib Kraft und Segen, daß jeder Schritt zu Deines Namens Ehre gereiche.‘
„Nun kommt aber die Hauptsache des Werbebriefleins, das ich eben schreibe. Du hast, wie mir mein Schwiegersohn Ranke erzählt, eine Veranlassung und Beruf im Werk und Angelegenheit eures Missionsvereins in Nürnberg nach Syrien| zu reisen. Magst Du nicht am nächsten Weihnachtsfeste in der evangelischen Kirche zu Jerusalem in deutscher Zunge über das Evangelium von der Geburt Christi predigen; magst Du nicht Deine Reise in Angelegenheiten des Missionswesens mit unserer Reise vereinen? – Bald nach Ostern oder doch an Pfingsten des nächsten Jahres sind wir mit seiner Hilfe gesund wieder hier im Lande und predigen von dem Namen des Herrn und aller Seiner Güte. – Antworte mir bald, mein lieber Löhe.„Wir gehen, so der Herr will, von Wien auf der Donau hinab nach Constantinopel, von da nach Smyrna, Beirut, Joppe, Jerusalem u. s. w. Die Kosten für eine Person können sich wohl auf und über 1000 fl. belaufen, wiewohl mir ein wohlunterrichteter Mann einen Anschlag machte, der geringer war.
„Der Herr segne Dich und behüte Dich. Sein Geist sei mit Deinem Geiste. In Seiner Liebe treu verbunden
Das Büchlein gibt großen Theils mit den Worten Luthers einen einfachen Unterricht über die Beichte, deren verschiedene Arten, Nutzen etc. und über die Absolution.
Löhe selbst war, nach einer Aeußerung in seinem Tagebuch zu schließen, mit seinem Büchlein nicht sehr zufrieden, er fand es scharf, nicht aus einem Guß, nicht frei von Wiederholungen. Diese Mängel zugegeben, bleibt das Schriftchen doch immer ein bemerkenswerthes Zeugnis von der Urtheilsreife und dem Reichthum seelsorgerlicher Erfahrung seines jugendlichen Verfassers. Gewisse pastorale Grundgedanken, die Löhe in seiner beichtväterlichen Wirksamkeit sich mannigfach bestätigten, standen ihm schon damals fest. Wir erinnern beispielsweise nur daran, mit welch überzeugender Wärme er in diesem Schriftchen die Uebung einer dem kirchlichen Bewußtsein der damaligen Zeit vollständig abhanden gekommenen Sache, der Privatbeichte, empfiehlt, in der er schon damals ein wichtiges Mittel nicht nur zur Belehrung und Bildung des Volks, sondern vor allem zur Weiterführung erweckter Seelen auf dem Weg der Heiligung erkannte.
Um auch der persönlichen Verhältnisse Löhe’s noch mit einem Wort Erwähnung zu thun, mag bemerkt werden, daß bei der zunehmenden Aussicht auf baldige Anstellung ihm von den Seinigen auch der Gedanke des Heirathens nahe gelegt wurde. Seine Neigung entschied sich, wenn auch nach kurzem, anfänglichem Schwanken für Helene Andreae. Doch blieb dies einstweilen sein Geheimnis.
In den mit Helene und ihrer Mutter nach deren Abreise von Nürnberg gewechselten Briefen pur seelsorgerlichen Inhalts ist keine Andeutung seines inneren Verhältnisses zu ersterer zu| finden, und übrigens wurde dieser Briefwechsel schon Anfangs 1836 auf Wunsch des Herrn F. Andreae abgebrochen, der sich weitere Briefe des Herrn Verwesers aus dem Grunde verbat, weil durch dieselben seine Tochter in ihrem Entschluß bestärkt würde, sich gänzlich von allen weltlichen Vergnügungen zurückzuziehen, was er nicht mehr zugeben könne und werde. Uebrigens würde er sich freuen, wenn die Verhältnisse sich so gestalten wollten, daß der Herr Verweser sich an Ort und Stelle durch den Augenschein überzeugen könne, daß weder Frankfurt und noch weniger sein Haus eine Hölle sei. Löhe gab dem Vater auf der Stelle sein Wort, nicht mehr an seine Tochter zu schreiben. Sein Stillschweigen gegen Helene dauerte vom Februar 1836 bis April 1837. Ganz leicht wurde ihm die Befolgung dieses Verbots nicht. „Es thut eben all dergleichen wehe“, schrieb er beim Empfang des Andreae’schen Briefes in sein Tagebuch; doch obgleich oder vielleicht gerade weil er sich damals über die Art seiner Gefühle für Helene Andreae klar wurde, war er von nun an desto ängstlicher bestrebt, auf sein Verhältnis zu ihr, das bisher ein rein seelsorgerliches gewesen war, keinen Schatten fallen zu lassen. Als daher die Verhältnisse der Frau Andreae ihr einen Aufenthalt außerhalb Frankfurts rathsam erscheinen ließen, suchte Löhe mit allem Ernste zu verhindern, daß ihre Wahl nicht auf Nürnberg oder sonst einen Ort in seiner Nähe fiele. Den Brief, in dem er dies thut, halten wir hier für mittheilenswerth, weil er zeigt, mit welch selbstverleugnender Strenge er seelsorgerliche Verhältnisse von allen persönlichen Wünschen und Interessen unabhängig zu erhalten wußte.
„Theurer, väterlicher Freund!
Werthe, mütterliche Freundin!
„Heute bin ich schon den ganzen Tag mit Austreibung der Taubenkrämer beschäftigt, denn diese verderben mir meine Jugend – und meine Jugend hat sie selbst verklagt. Ich bin in Arbeit – und nun Alles im Zuge ist, meine Theure, muß ich meine Arbeit wieder liegen lassen, Gott überlassen, auf daß Niemand auf Menschen vertraue, sondern an Gott sich halte, auf daß ich, Jesu nach, auch andern Städten das Evangelium predige. So lernt man nach und nach nicht auf die Ernte, sondern auf das aufgegebene Geschäft eines Säemanns schauen. So lernt man sich der Blüthen freuen und melancholische Gedanken entfernen, welche von dem Abfallen der meisten Zeugnis und drohende Weissagung geben etc.“
Hier in Bertholdsdorf verbrachte Lohe die Zeit vom 22. April bis 19. October 1836. Bertholdsdorf, ein Dörfchen im Aurachthale, ist nur eine gute Stunde von Neuendettelsau entfernt, und Löhe sah diesen Ort seiner nachherigen lebenslänglichen Wirksamkeit zum ersten Mal, als er als Verweser von Bertholdsdorf dem Senior des Kapitels, Pfarrer Weigel, die Aufwartung machte.
| Das Thal, in dem Bertholdsdorf liegt, ist lieblich und kann ein Auge, das für eine anspruchslose landschaftliche Schönheit empfänglich ist, befriedigen und erquicken.Löhe wenigstens, obwohl aus der viel anmuthigeren Umgebung Altdorfs angekommen, wußte an seinem neuen Aufenthaltsort so viel Schönheit zu entdecken, daß er sich in dieser Hinsicht vollkommen zufrieden gestellt fand. Er äußert sich hierüber in einem Brief an seine Schwester, Frau Dorothea Schröder, den wir, weil er auch Einsicht in Löhe’s tägliches Leben und seine berufliche Thätigkeit in Bertholdsdorf gestattet, hier folgen lassen.
„Liebe Schwester!
„Das Schönste in meinem jetzigen Leben ist mein Wohnort, oder vielmehr die Lage desselben. Im Aurachthal erhebt sich ein niedriger Hügelzug, welcher das ohnehin kleine enge Thal in zwei noch engere Thäler scheidet. Wo sich der Hügelzug erhebt, erhebt sich auch um dessen ,Vorgebirge‘ (so zu reden) Bertholdsdorf. Wenn man sanft angestiegen ist auf der Dorfgasse, kommt man über etwa zwölf bis fünfzehn Staffeln auf den Gottesacker, auf dem das Kirchlein liegt. Das Kirchlein ist heimlich und nett. Vom Kirchhof führt ein gepflasterter Weg vor dem Schulhaus vorüber in den ummauerten schönen Pfarrhof, in welchem das Pfarrhaus wie ein schönes Schlößlein mit seinen zwei Gärtchen liegt. Im einen Gärtchen blühen viel hundert Rosen und schöner als diese, weiße, glänzende Lilien die Menge – und diese Lilien sind des Verwesers Freude. Im Pfarrhof ist auch noch ein und das andere Oeconomiegebäude für Pfarrer, die ihre Frucht- und Blutzehnten selbst einheimsen wollen. Durch ein Thörlein kann der Verweser ein Heckengäßchen hinab in beide Thäler und auf die höheren Theile| des Hügelzuges gehen. Dicht unter dem Pfarrgarten ringsher liegt ein Baumgarten, über dessen Aeste zwar nicht, aber durch dessen Aeste man vom Pfarrgarten aus lieblich ins Thal schauen kann. Man hat viel schöne Spaziergänge in Bertholdsdorf – als z. B. zu fünf lauteren Quellen von gesundem Wasser, welche im Thale fließen. Die Parochialorte sind sämmtlich schöne Spaziergänge und keines, mit Ausnahme eines einzigen, über eine halbe Stunde entfernt. Eine halbe Stunde weit ist auch der still und schön gelegene Edelsitz des Herrn von Axthelm, Oberpostmeisters in Nürnberg, genannt Jakobsruhe. Des Verwesers Lieblingsruhe und Jakobsruhe oder Bethel ist aber Bertholdsdorf und sein Gärtchen, wo die Lilien Gottes von heidnischen Sorgen und Gottgelassenheit reden.„Unter der Woche geht der Verweser vom Montag bis Donnerstag täglich drei Stunden in die Schule, zuerst von sechs bis acht Uhr, das zweite Mal gegen ein halb zehn Uhr. Nach Tisch geht er in Begleitung seines Schullehrers, wenn kein Hindernis dazwischen kommt, täglich zwei, drei, vier Stunden auf Hausbesuche. Abends sitzt er im Garten und trinkt ein oder zwei Gläser Wasser neben seinem Schullehrer und Gemeindepfleger, und wenns um neun Uhr zum Gebet läutet, geht er in die Kirche – aber nicht allemal – stellt sich an den Altar oder auf die Kanzel und denkt gewöhnlich an Nichts, als etwa, daß es so still ist und die zum Gebet läutenden Kinder des Schullehrers so sanft athmen und so heimisch thun.
„Am Mittwoch, Morgens fünf Uhr, wird das Zeichen zur Gebetsvorbereitung mit der Glocke gegeben, um sechs Uhr läuten alle Glocken zusammen, dann singt der Verweser auf dem Altar das Kyrie eleison und Litanei und die Schule singt entgegen. Dann verhört und erklärt er Luthers Katechismus und Sprüche. Am Freitag ist abermals Betstunde, in welcher zuerst für alle| Stände und für alle Anliegen der Menschheit gebetet, dann die Passion des HErrn fortlaufend erklärt wird. – Am Sonntag geht der Verweser früh sechs Uhr bis etwa ein halb acht Uhr in die Sonntagsschule, um neun Uhr geht er Gottes Wort zu predigen in die Kirche, um ein Uhr abermals zur Kinderlehre, in welcher aber auch die Alten antworten, dann singen in seinem Garten Sonntagsschüler und Sonntagsschülerinnen heilige Lieder mit dem Schullehrer, und der Verweser wird von nun an das Accordeon dazu spielen.„Ich bin gesund am Leibe, gesünder als je, und die Landluft schlägt meinem Leibe so gut an, daß meine Kleider mir zu enge werden. Aussichten und Pläne auf Anstellungen habe ich keine; obwohl meine Freunde bald dies, bald jenes wissen wollen, sinds doch nur sanguinische Hoffnungen, welche die demüthigende Hand des HErrn zernichtet. Es ist auch gut; denn ob ich wohl gegenwärtig nur ein Dorfvicar bin, vermag ich doch nicht einmal diesen Platz auszufüllen, was auch die Gemeindeglieder bemerken, von denen mich daher eins und das andere auf die gröbste und auffallendste Weise schimpft und schilt. Ueber den verzweifelt bösen Zustand der Gemeinde und eigenes Elend trage ich Leid; aber ich bin doch getröstet und erkenne eben, daß das Leben kein Spaß, sondern bitterer Ernst, und die Ewigkeit Freude ist.
„Weiter weiß ich nichts.
Friede mit Dir und
Löhe’s Leben in Bertholdsdorf verfloß in ländlicher Stille, durch keine bemerkenswerthen Ereignisse unterbrochen. Nur zwei Vorkommnisse in seinem Bertholdsdorfer Amtsleben verdienen bemerkt zu werden. Das eine war die Taufe eines jüdischen Proselyten, die Löhe am Pfingstfest in Windsbach vollzog, das andere ein besonderer Pastoralfall, dessen Beschreibung wir mit Löhe’s eigenen Worten mittheilen, zum Beweis, wie frühzeitig ihm Gelegenheit gegeben wurde, auf einem dunkeln Gebiet der Seelsorge Erfahrung zu sammeln, und Kraft und Weisheit, auch in so schwierigen Fällen seelsorgerlichen Rath und Dienst zu leisten.
„Unter dergleichen Fällen wird es mir empfindlich, daß die Hauptwissenschaften der Theologie, die praktischen, freilich die mühsamsten, welche sich auch nicht blos in der Studierstube oder auf der Kanzel und in Kinderlehren herausbringen lassen, in neuerer Zeit so gar verlassen und unangebaut sind. Ich will mich nun einmal darüber machen und im nächsten Jahre im Correspondenzblatt die Hauptstücke dieser Wissenschaft aus den Alten und den vielen katholischen Pastoraltheologien referierend und würdigend zur Aufmunterung meiner Brüder im Amte und meiner eigenen Gründung vortragen. Erbitte Du, mein Theurer, mir hiezu Gottes Segen, Licht, Klarheit, Kraft und Demuth.
Hier in Merkendorf, wo Löhe vom 1. November 1836 bis Ende März 1837 verweilte, sollte endlich sein Wanderleben zu Ende gehen, und er eine feste Stätte zum Wohnen finden, die er mit keiner anderen mehr vertauschte als mit jener zukünftigen, die da ewig bleibt. Unterm 16. December 1836 erhielt er nämlich von Herrn von Eyb folgendes Präsentationsschreiben:
„Hochwürdiger, hochedelgeborener Herr!
Hochgeschätzter Herr Verweser!
„Ihre allenthalben gerühmten guten Eigenschaften, der mir bekannt gewordene Wunsch der Gemeinde Neuendettelsau, Sie als ihren künftigen Seelsorger zu besitzen und vorzüglich die kräftige Fürsprache Ihres Gönners, Herrn Decans Brandt, bestimmten meinen Entschluß, Ihrer vorerwähnten Bitte, von mir auf die Pfarrei Neuendettelsau präsentiert zu werden, zu entsprechen.
„Indem ich Ihnen dieses, dann, daß ich nicht säumen werde, die erforderliche Präsentation an die Königliche Regierung zu befördern, hiermit bekannt mache und das vorschriftsmäßige Annahme-Attest von Ihnen gewärtige: vertraue ich wegen gewissenhafter und thätiger Erfüllung Ihrer künftigen Berufspflichten ganz auf Ihre mir schriftlich gegebene Zusicherung und verharre hierbei mit ausgezeichneter Hochschätzung
Euer Hochwürden Hochedelgeboren
Den näheren Hergang seiner Berufung nach Neuendettelsau erzählt Löhe selbst in einer im Jahre 1843 verfaßten Pfarrbeschreibung folgendermaßen:
„Ich wurde im Spätherbst Verweser in Merkendorf, und Pfarrer Weigel wurde nach Leutershausen befördert. Ich hatte noch keine Stelle, so mußte ich also meine Hand nach Neuendettelsau ausstrecken. Ich übergab einen einfachen Privatbrief meinem väterlichen Freund (Herrn Decan Brandt) zur Besorgung an Herrn v. Eyb, und siehe, zu meinem fast unwilligen Erstaunen sagte mir Herr v. Eyb die Stelle zu. Man gratulierte mir allenthalben zu der guten Anfangsstelle! Ich wußte nichts von ihrer Güte – und wunderte mich, Landpfarrer zu sein. Auch meine Freunde, die mich lieber in einer Stadt gewußt hätten, wunderten sich über Gottes Wege.
„Nun mußte aber meine Pfarrei erst ein halbes Jahr verwest werden. Ich bat um die Verwesung aus guten Gründen. Sie wurde mir abgeschlagen und dem jetzigen Herrn Pfarrer von Elpersdorf, meinem Freunde Tretzel, gegeben. Da dieser eine ganz andere, schneller wirkende Art und Weise der Amtsführung sich angeeignet hatte, so fürchtete ich, es möchte mir das Herz der Gemeinde Neuendettelsau durch die Trefflichkeit meines| Freundes entwendet, mir mein Anfang schwer gemacht werden. Ich schrieb an Herrn v. Eyb, er möge lieber Tretzel’n die Pfarrei geben, erhielt aber keine Antwort. Es gieng nun, wie ich gefürchtet hatte. Als ich am 1. August 1837 hier ankam, waren mir die schlimmsten Gemeindeglieder am meisten gewogen, aus Haß des Verwesers, und die besten waren mir ferner getreten. Meine Verweserseigenthümlichkeiten hatten manchem nachfolgenden Pfarrer den Anfang erschwert; nun kostete ich selbst diese Bitterkeit – und danke Gott dafür. Ich habe schwere Zeit gehabt im lieben Neuendettelsau, ich habe sie noch. Aber der Herr gibt dennoch Gnade! Ihm sei Dank für alles.“Ebenso faßt Löhe den Einwand ins Auge, daß ja auch Moses um der Herzenshärtigkeit willen Scheidung in mehreren Fällen erlaubt habe. Dagegen bemerkt er aber: „Hier ist nicht von Scheidung, sondern von Copulation, nicht von Moses, sondern von der Kirche Christi und des Neuen Testaments die Rede. Es ist kein Zweifel, daß viele sogenannte Christen auf alttestamentlichem Standpunkte stehen und nach demselben behandelt werden müssen; aber sie können darnach eher vom Staate, der das Gesetz repräsentiert, als von der Kirche behandelt werden, welche nur einen Standpunkt hat, den sie nie verlassen darf, den, welchen ihr das Wort Christi, also im gegebenen Fall Matth. 19, 9 und die Parallelstellen anweist.“
„Durch Verweigerung der Befolgung dieser heiligen Amtspflicht und den hiedurch an den Tag gelegten Ungehorsam gegen die Obrigkeit würde das Pfarramt nicht blos gegen den geleisteten Diensteid, sondern selbst gegen das göttliche Gebot (Röm. 13, 1-5) handeln. Glaubt indeß ein Geistlicher, daß sein Gewissen mit der Erfüllung dieser Amtspflicht in Collision gerathe und jenes die Ausführung nicht zulasse, so bleibt demselben kein anderer Weg (wiewohl eine solche Ansicht irrig und zu misbilligen ist), als um Entbindung von dem übertragenen Amte zu bitten und auf fernere Uebernahme einer Pfarramts-Verwaltung zu verzichten.
„Hiernach ist der Pfarramtsverweser Löhe in Merkendorf zu belehren und zu bescheiden und zur Trauung des N. N. nach dessen Verlangen anzuweisen und anzuhalten.“
Löhe blieb hierauf nur ein Schritt noch übrig, nämlich eine Remonstration beim Ober-Consistorium. Seine Eingabe ist von dem hohen Ernst der Entscheidung, die ihm bevorstand, durchdrungen. Nach einer summarischen Darstellung des Falls vertheidigt er sich gegen den Vorwurf des Ungehorsams und der Verletzung seines Diensteides und bittet Angesichts der für seinen Lebensgang so entscheidenden Folgen der Entschließung der obersten| Kirchenbehörde um Berücksichtigung und Schonung seines Gewissens. Wir theilen den Wortlaut der betreffenden Stelle mit:„Da Amtshandbuch p. 260 Beweis ist, daß der Staat in Verweigerung der Trauung, welche von katholischen Geistlichen nach den Grundsätzen ihrer Kirche geschieht, keine Verletzung des Diensteides erkennt; so wird auch der protestantische Geistliche, welcher vor dem Gesetze dem katholischen gleichgeachtet ist, wofern er, auf klaren Aussprüchen des göttlichen Wortes stehend, eine Trauung verweigert, nicht als eidbrüchig betrachtet werden können. Wäre das nicht der Fall, so hätte eine Seele, welche in Matth. 19, 9 gefangen ist, nichts übrig, als eine Anwendung von Römer 13, 1–5 zu beweinen und in kleinen Sachen demüthig auf das Wort des großen Apostels Act. 4, 19. 5, 29. zu provocieren.
„Ob nun zwar der unterthänig gehorsamst Unterzeichnete bereit ist, um sein Gewissen zu retten, von dem geistlichen Amte nach der hohen Consistorial-Entscheidung abzutreten; so ist doch ein solcher Schritt für den Lebenslauf eines Menschen nichts Kleines.
„Ich habe seit sieben Jahren die Köstlichkeit meines Lebens in dem heiligen Amte suchen und finden lernen, habe über diesem Amte alles Andere so hintangesetzt, daß ich zu einem andern Werke keine Tüchtigkeit in mir finde. Ich unterwinde mich daher, ehe ich der hohen Consistorialentscheidung Folge leiste, Ein Königliches Oberconsistorium demüthigst zu bitten:
„Es wolle gnädigst von den Acten Kenntniß nehmen und entscheiden, ob der unterthänig gehorsamst Unterzeichnete, welcher in Fällen, wie der gegenwärtige, nicht trauen darf, ohne daß es ihm zur Sünde wird, auf das Pfarramt zu verzichten habe, oder eine gleiche Berücksichtigung seines| Gewissens, wie alle katholischen Geistlichen seines Vaterlandes nach Amtshandbuch p. 260, finden könne? In völliger Ergebung verharrt mit tiefster Devotion
Eines Königlichen Oberconsistoriums
unterthänigst gehorsamster
Am 18. März 1837 erfolgte die Entscheidung des Oberconsistoriums folgenden Inhalts:
„In dem rubricierten Betreff hat das Königliche Oberconsistorium die abschriftlich folgende Entschließung, welche dem Königlichen Decanat Windsbach zu seiner Belehrung und Diensteskenntnis und zur Bekanntmachung an den Pfarrverweser Löhe in Merkendorf eröffnet wird, erlassen.
„Obgleich der Pfarrverweser Löhe durch die gegen den N. N. ausgesprochene Weigerung, die von demselben mit vollem Rechte begehrte Trauung zu vollziehen, sich gegen seine Amtspflicht sehr verfehlt hat, kraft welcher ihm in seiner, von dem Seelsorgeramte wohl zu unterscheidenden Eigenschaft eines Kirchendieners oblag, auf den neuen Ehebund des N. N. die von der Kirche vorgeschriebene Form anzuwenden, und obgleich hiernach auf seine wiederholte Einwendung dagegen keine Rücksicht zu nehmen ist, vielmehr bei fortgesetzter Weigerung mit den verordnungsmäßigen Zwangsmitteln gegen ihn einzuschreiten und nöthigenfalls seine Entlassung von der Pfarrverwesung zu verfügen wäre; so hat man dennoch bei den besonderen, in dem Berichte des Decanats berührten Umständen der Lage der Sache angemessen befunden, das Königliche Consistorium, wie hiemit geschieht, aufzufordern, die thunlichste Einleitung zu treffen, daß die Trauung des N. N. durch einen anderen Geistlichen vollzogen werde.
| „Da das Letzte nach Bericht vom 14. huj. geschehen ist, so ist dieser Punkt erledigt und beruht.„Ansbach, den 18. März 1837.
Löhe meinte in einem Brief an Professor Guerike, dem er den Ausgang dieser Trauungsgeschichte mittheilte, man habe ihn in München nach dem Grundsatz behandelt: „Ich will ihn züchtigen und loslassen.“ Dieser Fall gab übrigens die Anregung, daß durch den damaligen Consistorialrath von Dobeneck bei dem Landtag der Antrag auf Abänderung der in den ehedem Markgräflichen Provinzen geltenden preußischen Gesetze in Ehesachen gestellt wurde, und am 19. August 1837 im ersten Ausschuß der Kammer der Abgeordneten auf Vortrag des Referenten Dr. Stahl folgender Schlußantrag desselben zur Annahme kam:
„Seine Königliche Majestät mögen die verfassungsmäßigen Organe der protestantischen Kirche über die Feststellung der Ehescheidungsgründe zum Zwecke gleichmäßiger bürgerlicher Gesetzgebung, beziehungsweise der Herstellung eines gemeinen protestantischen Kirchenrechtes für die sieben älteren Kreise des Königreiches mit Gutachten vernehmen und einen dem beantragten Zwecke entsprechenden Gesetzentwurf den Ständen des Reiches zum Beirath und zur Zustimmung vorlegen lassen.“
Das war der Ausgang dieser Angelegenheit, welche einen für Löhe so ernsten Verlauf zu nehmen gedroht hatte. Trotz der Spannung, in welcher ihn dieser ernste Zwischenfall erhielt, fand Löhe doch Zeit und Ruhe zur Ausarbeitung eines Büchleins, mit dessen Plan er sich schon seit längerer Zeit trug.
Bereits in Nürnberg nämlich hatte Löhe die Absicht gehabt, ein kleines Beicht- und Communionbüchlein zu schreiben. In| Merkendorf kam dieser Plan zur Ausführung. Seinen dortigen Confirmanden zu Lieb und Dienst schrieb er sein „Beicht- und Communionbüchlein für evangelische Christen“, bekannter unter dem Namen „Prüfungstafel“. Diese im Jahre 1871 in fünfter Auflage erschienene Schrift ist freilich in dieser ihrer neuen Gestalt viel stattlicher von Ansehen und viel reicher an Inhalt geworden als sie es ursprünglich war. Die Anlage des Büchleins jedoch, welches in zwei Abschnitten, Beicht- und Abendmahlsgebete sammt einem Liederanhang enthält, ist auch in allen späteren Auflagen dieselbe geblieben, und die ursprüngliche Auswahl von Gebeten und Liedern bildet auch in der sehr erweiterten späteren Gestalt des Buches den Kern des Ganzen. Löhe sagt in der nur ein Jahr vor seinem Tod geschriebenen Vorrede zur fünften Auflage der Prüfungstafel: „die verschiedenen Auflagen des Buches suchen gleichen Schritt mit der sacramentlichen Neuentwickelung der lutherischen Kirche einzuhalten“. Dies ist eben so wahr, als daß auch seine eigene fortschreitende kirchliche Entwickelung in denselben in ihrem Stufengang zur Erscheinung kommt. Die belehrenden Abschnitte (Summarien), sowie die auf die liturgische Ausgestaltung der Sacramentsfeier sich beziehenden Stücke fehlen in der ersten Auflage, welche mit Ausnahme der Form der Prüfungstafel, etlicher Fragen und eines einzigen Gebets lauter Gebete und Betrachtungen aus dem Schatz des Alterthums, d. h. der Väter unserer lutherischen Kirche enthielt. Einem Bündlein Kräuter unter dem Märzenschnee hervorgeholt verglich Löhe diese Sammlung von Gebeten und Liedern der Väter. „Der Reichthum unserer Kirche“, sagt er, man erlaube uns diese schöne Stelle aus der Vorrede mitzutheilen, – „ist wie eine fette Wiese unter dem Schnee des Frühlings: dies Büchlein ist ein Bündlein Kräuter, unterm Schnee hervorgeholt zu Liebe denen, welche die Wiese lieben.| Wenn nun der Schnee gar hinweg ist und die Sonne mächtiger wird (wer freut sich nicht darauf?), dann wird das liebe reiche Grün und Gottes Segen über ihm vor aller Augen offenbar werden! O liebe Sonne, Frühlingssonne, komm empor und unter deinen Flügeln Heil!“Dieses Büchlein, sowie das schon früher erwähnte über die Beichte, beide aus reicher Kenntnis der geistlichen Schätze der lutherischen Kirche und inbrünstiger Liebe zu ihr selbst geboren, lenkten auf Löhe die Aufmerksamkeit einiger Männer, die, eben so sehr wie er der lutherischen Kirche zugethan, sich darnach sehnten, sie wieder gebaut und ihre Steine und Kalk zugerichtet zu sehen. In einem Briefe Löhe’s aus jener Zeit finden wir folgende Stelle: „Mein Leben ist auch sonst gegenwärtig recht interessant, da mir mein kleiner Beichtunterricht einen Briefwechsel mit Leuten, wie Huschke, Wermelskirch, Rudelbach etc. gebracht hat, und ich auf diese Weise die edelsten Seelen kennen lerne, welche es nicht für Schmach, sondern für Ehre halten, einer so kleinen Schaar anzugehören, wie die jetzige, sehr verachtete lutherische Kirche ist.“
Löhe hatte die Kämpfe der Schlesischen Lutheraner schon seit Jahren mit reger Theilnahme verfolgt, nun aber trat er mit einigen der Leiter jener Bewegung in persönliche, wenn auch zunächst nur briefliche Verbindung. In einem besonders nahen Verhältnis stand er damals zu Professor Guerike in Halle, an dessen persönlichem Ergehen in jener für Letzteren so schweren Zeit er eben so innigen Antheil nahm, als er bemüht war, etwa auftauchende Differenzen zwischen ihm und den Schlesiern, z. B. über die Frage von den Laienältesten, zu ermitteln. Er fühlte mit klarem Bewußtsein die Verwandtschaft seines Strebens mit jener lutherischen Bewegung in Preußen, die einen geistigen Zusammenschluß der Gleichgesinnten in Bayern und Preußen| natürlich erscheinen ließ. „Auch uns“, sagt er in einem Briefe an Professor Guerike, „bewegt eine und dieselbe wichtige Angelegenheit, wie wir nämlich immer mehr wieder in den geistigen Besitz unserer Väter kommen mögen. Darum sind wir Eure Brüder, Euch zugethan mit Herz, Mund, Rath und That, mit Euch trauernd und mit Euch erfreut: sammt Euch streitend, mit Ihm siegend, triumphierend.“Am Ostermontag den 27. März hielt Löhe seine letzte Predigt in Merkendorf und kehrte noch an demselben Tage in seine Vaterstadt zurück. Hier verlebte er ohne amtliche Thätigkeit die Frühlings- und ersten Sommermonate des Jahres 1837. Es war für ihn ein Frühling besonderer Art, wo die Blüthenpracht der Natur ihm von Verheißungen Gottes weissagte, die schon im Sommer zur Erfüllung reisen sollten. Gott hatte ihm in diesem Jahr eine bleibende Stätte des Wirkens im Pfarrhause und in der Gemeinde Neuendettelsau bereitet, nun ließ er ihn auch die Gehilfin finden, die leider nur auf so kurze Jahre seines Hauses Ehre und Freude werden sollte. Am 26. April erhielt er von Jungfrau Helene Andreae das bräutliche Ja. In den schon erwähnten Erinnerungsblättern erzählt Löhe den Hergang seiner Verlobung in folgender Weise:
„Im Frühjahr 1837 wurde ich Pfarrer dahier (zu Neuendettelsau), wider Verhoffen. Ich brachte die Zeit von Ostern bis 1. August in meiner Vaterstadt zu. Zwar war ich in Fürth nicht geachtet, aber ich war doch Pfarrer und in einer guten Pfarrei, NB. Anfangspfarrei. Grundes genug, daß man vom Heirathen redete. Auch die Meinigen redeten davon. Meine jüngere Schwester hatte einen richtigen Blick in mein Gemüth gethan, sie rieth mir Helene Andreae, welche damals ihr achtzehntes Jahr verlebte. Auch meine übrigen Verwandten waren derselben Meinung, meine liebe Mutter voran. Aber wie nun| die Sache anfangen, da man von Herrn Ferdinand Andreae kein leichtes Ja hoffen konnte? – Meine jüngste Schwester, die mit Frau Andreae bekannt war, schrieb an diese. Dieselbe stimmte vollkommen zu, wußte auch aus Helenen’s einfältigem Herzen so viel zu erforschen, daß ich der Tochter wie der Mutter sicher sein konnte, ohne daß die Tochter von einer nahenden Bewerbung etwas zu wissen bekam. Frau Andreae rieth, ich möchte mich geradezu an ihren Mann wenden, bei welchem sie selbst die Sache nicht vorzubringen wage. Ich schrieb also an Herrn Ferdinand Andreae. Ich bekam nicht auf der Stelle eine Antwort, sondern nur ein Recepisse mit Hinausschiebung der Antwort auf einige Tage. Herr Ferdinand Andreae fragte bei Herrn Naumann etc. über meine Vermögensumstände an, von denen ich ihm die Wahrheit geschrieben und meine Armuth gestanden hatte. Er bekam falsche, auf der Wohlhabenheit einiger Verwandten basierende Antwort und gab mir dann in seinem und meiner Schwiegermutter Namen Ja und Amen.„Von meiner Liebsten habe ich hernach gehört, daß man Familienrath gehalten, und daß eine Tante gerathen hatte, Helenen den Pfarrer nicht zu versagen, da sie bei ihren Grundsätzen schwerlich einen andern Mann bekommen würde. Sie wußte nicht, daß zwei andere bereits um die liebe Hand geworben, aber von Helene ein Nein empfangen hatten.
„Mein Schwiegervater hatte mir aufgetragen, das Ja meiner Helene selbst brieflich einzuholen. Mein Brautbrief und ihre heilige, einfältige, schöne Antwort findet ihr in dem Briefwechsel, den ich aufbewahrt habe. Meine alte Mutter vergoß über ihren Brief Freudenthränen, und viele haben mir gesagt, daß sie einen solchen Brief nie gelesen hätten.“
Wir lassen den eben erwähnten Brief, in welchem Löhe die Zusage Helenens empfieng, sowie denjenigen, welchen nach| Eintreffen von Helenens Jawort Löhe’s Mutter an die Mutter der Verlobten ihres Sohnes richtete, hier folgen.
„Der dreieinige Gott vereinige sich immer mehr und inniger mit uns, daß wir beide Gottes Tempel seien, wo Seine Ehre wohnt. In unserem Bunde sei Christus der Dritte. Unser Gott mache auch mich würdig des Berufs und erfülle an uns alles Wohlgefallen der Güte und das Werk des Glaubens in der Kraft, auf daß an uns gepriesen werde der Name unseres Herrn Jesu Christi. Amen.
„Viele herzliche Grüße an Ihre geehrte Mutter, Frau Schröder und übrige werthe Familie von mir. Meine liebe Mutter wird selbst schreiben, obgleich ihr das Schreiben heute sehr viel Mühe kostet, denn sie ist sehr angegriffen. Der HErr erbarme sich ihrer und stärke sie. Meine Familie hat mir auch Grüße an Sie aufgetragen, sie freut sich, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen.
„Der HErr sei mit uns in dieser wichtigen Zeit. Er segne Sie und schenke Ihnen und mir immer mehr Gnade und Seinen Frieden in reichem Maaße. Amen.
„Verehrte, theure Frau Andreae!
„Helene, die jüngste nun meiner Töchter, bringt und muß ja meinem Hause Segen bringen! Sie ist eine fromme Tochter, und das ist die edelste Zierde, die sie haben kann! Sind Sie versichert, daß ich schon früher, wie viel mehr noch jetzt Helene herzlich liebe, es soll die Freude meines Alters sein, wenn ich sehe, daß sie fröhlich und glücklich in dem Besitz meines Sohnes ist. Sie hat sich mir empfohlen und ist mir nahe gelegt. Was im Glauben angefangen worden, wird auch im Glauben enden. Der Zielpunkt unserer Kinder ist ein ewiger! Lassen Sie uns ihnen voran gehen, auf daß wir dereinst mit der Schaar der Unsern gekleidet in Gerechtigkeit und Reinigkeit erfunden werden als Auserwählte vor dem Throne Gottes. Lassen Sie uns täglich vor Ihm uns vereinigen in Bitte, Gebet und Fürbitte! Er wird unseren Kindern geben, was sie bedürfen an Leib und Seele. Unser Vertrauen sei fest und unwandelbar, denn Er ist ein Schatten in der Hitze, eine Zuflucht im Ungewitter! Preis Ihm ewiglich. Amen!
„Meinen Sohn sollte ich billiger Weise auch Ihnen empfehlen zu mütterlicher Liebe und Treue. Aber brauche ich denn da zu bitten, wo schon im Voraus gewährt ist? Halten Sie ihn ferner Ihrer Liebe und Gewogenheit werth, vergessen Sie mich Mutter, sammt meinen übrigen Angehörigen nicht! Helene,| meine liebe Tochter, grüße ich herzlich, gleich wie meine Kinder alle. Wilhelm’s Grüße stehen und gehen allen andern voran. „Ich aber verharre in Liebe und Hochachtung als
Ihre ergebenste
Das Tagebuch Löhe’s ist während der drei Monate seines Brautstandes sehr knapp und die Aussprache seiner Empfindungen karg und maßvoll. Einen etwas reicheren Blick in sein Inneres lassen einige Briefe thun, in welchen er Freunden seine Verlobung anzeigt. Wir lassen diese Briefe, von denen der eine an Professor Guerike, der andere an Pfarrer Kündinger gerichtet ist, hier folgen.
„Mein theurer, herzlich geliebter Bruder!
„Siehe, da weißt Du meine Sachen! Der HErr hat mir einen Sinn gegeben, daß ich Sein zu sein, Ihm zu leben und Ihm zu sterben begehre! Sein Name werde geheiligt, Sein Reich komme, Sein Wille geschehe! Amen.“
„Mein theurer Bruder und Gevatter!
„Was ich Dir, meine Person anlangend, zu sagen habe, ist etwas, was Du längst erfahren hättest, wenn nicht mich immerfort das eitle Geschwätz so umschwärmte, daß ich dadurch beinahe die Stimme mit meinen Freunden darüber zu reden verloren hätte. Also Summa: ich habe, gleichwie mich Se. Majestät zum Pfarrer von Neuendettelsau gemacht hat, die Jungfrau Helene Andreae von Frankfurt a. M. zur Pfarrerin| ernannt und werde sie in den letzten Tagen des Julius, will’s Gott, heimholen. Ein Bräutigam muß seine Braut nicht loben, wohl aber lautet es nach dem letzten Capitel der Sprüchwörter schön, wenn „der Mann sein Weib lobt“. Die Ehe muß die Trefflichkeit der Wahl darthun – an sie verweise ich meine Freunde. Wenn ich durch Helenen meine Kraft verliere, für den HErrn zu leben und zu sterben, wie Simson durch Delila, – wenn mein Blick von meinem Hause, meinem Weibe verschlungen wird und ich aufhöre zu arbeiten für Ihn, wenn die Haussorge angeht: dann bin ich ein geschlagener Mann. Ist aber das nicht, bin ich des HErrn und werde es desto mehr, beweise ich durch meine Ehe, daß die Ehe heilig ist, bewähre ich meinen Glauben in Amt und Haus; bin ich hinfort vier Arme und vier Beine zum Besten der Gemeinde und zwei Herzen, zu beten für derselben Nothdurft – bin ich Alles, was ich war, mehr und reiner: dann hat mein Herr meine Gedanken zu Helenen, Helenen’s Herz zu mir geführt – und der Beweis ist da, daß Ehe und Priesterthum, nicht aber Cölibat und Priesterthum zusammengehören. Im Namen des HErrn hab ich begonnen. Er wird verhindern, wird mich behüten, daß ich nicht im Fleisch vollende! – – – Siehe, mein Bruder, meine Freudigkeit und bete mit mir ein Amen.
Es handelte sich nun, wann der Bräutigam die Braut besuchen sollte. Ihr Vater meinte, an Pfingsten; aber Helene konnte an Pfingsten den Bräutigam nicht gebrauchen, weil der Brautbesuch Unruhe verursachte, sie aber mit ihrer Mutter Ruhe haben wollte, um zum Hl. Mahle zu gehen. Der Brautbesuch pressierte nicht so. Darum schrieb sie:
So trat Löhe erst in der Woche nach Pfingsten seine Brautreise an. Mit ernsten Gedanken schickte er sich zu dieser Brautfahrt an. „Ich bitte den Herrn“, heißt es in seinem Tagebuch, „er wolle meine Seele vor Bräutigamsleidenschaft bewahren und mir Helenen gegenüber ein reines, stilles Herz schenken, das Seinen Frieden verkündigt mit klugem Worte und männlichem, heiligen Benehmen, wie es eines Knechtes Christi würdig ist. Der Herr erbarme sich, daß ich nicht untüchtig werde für das heilige Amt, nicht an einer Klippe Schiffbruch leide, an welcher schon so manches Schiff eines pfarrlichen und christlichen Gemüthes zerbrochen ist.“
Diesen seinen ersten Besuch und Aufenthalt im Hause seiner zukünftigen Schwiegerältern hat Löhe nach dritthalb Jahrzehnten, aber mit noch frischer Erinnerung in dem 1861 geschriebenen Lebenslauf der Frau Emilie Fresenius Andreae geschildert, den wir bei den folgenden Mittheilungen benützen. Der Vater der Braut nahm den zukünftigen Schwiegersohn an der Post in Empfang, während diese selbst mit ihrer Mutter im stillen Frauenzimmer auf die Ankunft des Mannes wartete, der ihr selbst fremd geworden war, obwohl sie sich entschlossen hatte, mit ihm durchs Leben zu gehen. Helene war eine schlanke Jungfrau, rosigen Angesichts, welche mit der natürlichen Anmuth eine Art von stiller, schweigender und ernster Einfalt verband. Kaum reichte sie, nach Uebereinkunft, um sich dem Bräutigam kenntlich zu machen, der fürchtete, beim ersten Zusammentreffen sie nicht mehr zu kennen, kaum reichte sie ihm die Hand, um ihm zu verstehen zu geben, sie sei die Seine. Als sie nach den ersten Stunden der Begrüßung ihrer Stille wegen von der Mutter| gemahnt wurde, stand sie auf, führte den Bräutigam zu ihrem Saitenspiel, rührte es und sang mit heller Stimme: „Seelenbräutigam, Jesu Gottes Lamm“. Helene war allezeit still, des Bräutigams und seines Umgangs nicht bedürftig, ihn nicht suchend, sich bei gemeinsamen Gängen oftmals der Unterhaltung mit ihm entziehend, auffallend bis zur Besorgnis der Aeltern still. Und doch zeigte sichs dann wieder zuweilen ganz einfach und unwiderleglich, daß sie ihres Weges ganz gewiß und in ihrem Stande seelenvergnügt war. Sie war schon damals die entschiedene Christin, die ohne Nachdenken, durch das Licht ihrer großen Einfalt gefunden hatte, daß einer verlobten Braut und ihrem Bräutigam mehr die ehrerbietige Ferne gezieme als die annahende Liebe. „Als ich nach achttägigem Aufenthalt weggieng, um in meine Heimath zurückzufahren, saß sie mit ihrer Arbeit freundlich im Garten. Als ich sie fragte:, Gehst Du mit mir bis zur Post, Helene?‘ stand sie auf, reichte mir freundlich die Hand und sagte: ,Nein, wenn Du wieder kommst, geh’ ich ganz mit Dir.‘ Die Braut war in meinen Augen hoch gestiegen.“Nur ein Vierteljahr währte Löhe’s Brautstand, eine kurze, für ihn aber heilige Zeit, die ihm nach mehr als dreißig Jahren in der Erinnerung duftete und blühte. Löhe hat in dem kleinen Denkmal, das er seiner entschlafenen Lebensgefährtin geweiht hat (in der zweiten Ausgabe), einen Auszug aus dem Briefwechsel, den seine Verlobte während der Brautzeit mit ihm unterhielt, gegeben, auf den wir hier verweisen.
Am 25. Juli 1837, an demselben Tage, an welchem er sechs Jahre vorher die heilige Ordination empfangen hatte, wurde er zu Frankfurt a. M. in der St. Katharinenkirche getraut. Am 1. August zog er in Neuendettelsau ein und am nächsten Sonntag hielt er seine Antrittspredigt, von der wir, des an sie sich knüpfenden Interesses wegen, einen gedrängten Auszug mittheilen.
| Der Text der Predigt war Luc. 11, 28: „Selig sind die Gottes Wort hören und bewahren.“Die Gemeinde – sagte Löhe – habe Gottes Wort seit Jahren rein und in dem letzten Jahre rein und mit Beweisung des Geistes und der Kraft gehabt. „Ihr seid ein Land, über das Gottes Regen schon oft gekommen ist (Ebr. 6, 7), so daß von euch zu erwarten wäre, daß ihr bequemes Kraut dem himmlischen Gärtner trüget.“ Er bezeugte hierauf seine innige Geistesgemeinschaft mit dem abgegangenen Verweser (Wilhelm Tretzel), der im Segen an der Gemeinde gewirkt hatte. „Er bringe“ – fährt er hierauf fort – „der Gemeinde dasselbe Wort Gottes wie ihre ihm vorangegangenen Lehrer. Das Wort Gottes sei aber Gesetz und Evangelium. Mit mir“ – sagt er – „kommt die Predigt des Gesetzes, den Unrath der Sünde wie mit einer hellen Fackel zu beleuchten. Wohlan, Schwert des HErrn – Hammer, der Felsen zerschmeißt – Feuer, das jeden Widerstand verzehrt – mache dich auf, mache dich auf, zeuch aus mit mir und wirf dahin in den Staub deine Feinde, daß sie nicht, nicht mehr deine Feinde seien! – Gottes Wort ist andern Theils Evangelium, die Freudenbotschaft der völlig, umsonst vollbrachten Erlösung, die Botschaft, daß auch die, welche am meisten Ursach hätten, sich vor dem Gesetz zu fürchten, zu trauern, zu verzweifeln, Freudenöl für Traurigkeit und schöne Kleider für ihren betrübten Geist erhalten sollen. Wohlan darum, ihr Sünder betrübten Herzens, ihr unter die Laster wie unter Mörder gefallenen Seelen: hie bin ich und mit mir Gottes Wort, Gottes Evangelium, die Oelflasche des barmherzigen Samariters, das Blut der Versöhnung, aller Sünder Trost.“
„Aber es genüge nicht“ – so fährt die Predigt fort – „Gottes Wort zu haben, man müsse es auch hören.
„In diesem Stück schieden sich die Gemeindeglieder fürs| erste in solche, die Gottes Wort hören, und solche, die es nicht hören.“ Den beharrlichen Verächtern des göttlichen Worts kündigt Löhe hier an, seine Liebe zu ihnen werde sich zwar gleich bleiben, er werde sie auch hie und da zu gewinnen suchen, aber bei fortwährendem Widerstreben sie nicht weiter belästigen, vielmehr den Staub vor ihren Thüren abschütteln und sie einem andern befehlen, der die Herzen lenkt wie die Wasserbäche und Seine Zeiten und Stunden für die Seelen hat.„Aber“ – sagt Löhe weiter – „auch nicht alle, die da hören, seien selig zu preisen. Manche hören ohne Verstand und Interesse, wie diejenigen, von denen es in der heiligen Schrift heiße: Sie haben Ohren und hören nicht. Solchen tauben, todten Ohren wird ein kräftiges göttliches Hephatha gewünscht. Andere kämen in boshafter, unlauterer Absicht, um giftigen Honig zu saugen, d. h. um Stoff zum Spott und zur Lästerung sich zu sammeln und sich über Prediger und Predigt unter der Rotte von verlornen und leichtfertigen Buben lustig zu machen.“ Ihnen sagt Löhe: „Wenn sie die Ordnung und Ruhe der ihm anvertrauten Gemeinde stören wollten, so habe er Lust und Muth genug, seine Herde wider Wölfe und seinen Weinberg wider wilde Schweine zu vertheidigen.“ Im übrigen gibt er ihnen den Rath, nur recht eifrig zuzuhören, es sei gefährlich – so zu sagen – dem Worte Gottes zuzuhören, es habe schon manchen Paulus gemacht und manchen Spötter zum Beter umgewandelt, denn der HErr habe die Verheißung zu siegen mitten unter Seinen Feinden. Um so mehr aber heiße er diejenigen willkommen, welche mit Lust und Eifer kämen und in Gottes Wort die Quelle ihrer Seligkeit erkennten.
„Indessen“ – so lenkt die Predigt zum dritten Theile ein – „dürfe nicht vergessen werden, daß der Text noch einen Zusatz habe: ,Selig sind die Gottes Wort hören und –| bewahren.‘ Man müsse das Wort Gottes, wie jedes Wort bewahren vor allem im Gedächtnis – aber so, daß man es hat, wenn man es braucht, sonderlich für die Stunden der Anfechtung. Es sei leicht für den Menschen am Wort fest zu halten, so lange der Prediger da sei, welchem man die Erweckung verdanke – aber es gelte nicht an Menschen das Herz zu hängen, sondern dem ewigen Tröster im Worte Gottes, dem puren Worte sich zu vertrauen und das gelernte Wort zu bewahren. Wer dieses Wort hört und bewahrt“ – so schließt die Predigt – „der wird hier schon selig gepriesen und wahrlich – mit Recht. Wer das Wort bewahrt, bewahrt sich Gewißheit der Vergebung der Sünden, den Frieden, bekommt Kraft zum guten Kampfe etc. Dies alles, schon in dieser Welt und erst in jener Welt, wo man zu dem gelangt, der das Wort gesprochen – dem man’s geglaubt hat wider alle Einreden des Teufels, wenn man den sieht, dem man hier geglaubt und alles sieht und schmeckt und erfährt was man hier geglaubt – wie sollte dort nicht selig sein, wer Gottes Wort hier gehört und bewahrt hat.“
« Fünftes Kapitel | Johannes Deinzer Wilhelm Löhes Leben (Band 1, 2. Auflage) |
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