Wilde Jagd
Die rührende Liebe, mit der die Araber und andere orientalische Völkerstämme an ihren Rossen hängen, ist weltbekannt und wohl Mancher hat schon im Stillen über die Sorgfalt gelächelt, mit welcher die Stammbäume und Geburtsregister eines jeden Pferdegeschlechtes geführt und geprüft werden.
Wie stolz ist der Besitzer eines Thieres, dessen Abkunft von der Stute des Propheten in gerader Linie nachgewiesen werden kann! Wie ängstlich wacht man darüber, daß keine Mesalliance mit minder angesehenen Linien stattfindet! Das letzte Brod, den letzten Trunk erhält der treue Genosse, und wahrlich, wer das Pferd als schönes und nützliches Thier kennen gelernt hat, wird dieses beinahe zärtliche Verhältniß rechtfertigen. In unseren Gegenden verbieten verschiedene Lebensweise und Mangel an der patriarchalischen Einfachheit jener Nomadenvölker eine solche ausschließliche Pflege; nur durch Reichthum bevorzugte Persönlichkeiten sind im Stande die Zucht der edlen Thiere in ausgedehnterer Weise zu betreiben. Zahlreiche Gestüte, auf dem Continente und den britischen Inseln zerstreut, geben Zeugniß, welchen Werth die Kenner aller Länder auf die regelrechte und verständige Zucht des Pferdes legen, wenn auch der Zweck dieser Zucht meist nur der ist, bei öffentlichen Gelegenheiten mit der Schönheit und Schnelligkeit der Thiere zu prunken.
Von anderen Grundsätzen, d. h. von dem Wunsche ausgehend, die Pferdezucht in Württemberg zu höchstmöglicher Blüthe zu bringen, hat der verstorbene König Wilhelm der Erste schon im Jahre 1810 noch als Kronprinz in Scharnhausen ein Gestüt errichtet. Möge uns der freundliche Leser auf wenige Minuten dahin begleiten, um einen Blick auf das daselbst herrschende interessante Leben und Treiben zu werfen.
Der Weg, welcher nach dem ungefähr zwei und eine halbe Stunde südöstlich von Stuttgart gelegenen Dorfe Scharnhausen führt, bietet auf seiner ganzen Länge ein reizendes wechselvolles Gemälde. Außer dem herrlichen Einblicke in die verschiedenen Thäler, wird das Auge von der Kette der schwäbischen Alb gefesselt. Die alte Veste Hohenneuffen tritt trotzig hervor, während die entfernteren, langgedehnten Gebirgsmassen blauduftig in weitem Halbkreise dahinter ruhen. Bald ist die Domäne erreicht; in leichten Krümmungen an Staketenzaun und Hainbuchenhecken vorüber führt der Weg zu einem langen Gebäude, dem Fohlenstalle, an dessen Ende sich der Eingang befindet.
Wenden wir uns zuerst nach dem Stalle, in welchem die arabischen Mutterstuten (etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Stück) untergebracht sind. Die Thiere stehen in sogenannten Laufständen (boxes), gewöhnlich den Kopf nach dem Gange herausgestreckt, welcher zwischen den Ständen hindurchläuft, und betrachten neugierig alle Vorkommnisse. Die Einrichtung ist im Uebrigen die zweckmäßigste, das Local geräumig und heizbar. Nur zur Züchtung bestimmt, bleiben die Thiere mit jeder Arbeit verschont; indessen ist, wie wir unten sehen werden, für hinreichende Bewegung gute Vorsorge getroffen. Der Fohlenstall, durch Doppelthüren in einzelne Abtheilungen getrennt, beherbergt die auf dem Gestüte selbst gezüchteten Fohlen; die besonderen Abtheilungen enthalten die sorgfältig geschiedenen Jahrgänge, und eine jede faßt etwa zwanzig Fohlen, welche sich frei umher- und durcheinandertummeln. An den Wänden sind Krippen angebracht, aus denen sie ihr Futter nehmen.
Im Sommer kommen die Fohlen, sorgfältig nach Jahrgängen getrennt, auf die großen, prächtigen Weideplätze. Ebenfalls abgesondert werden die Geltstuten (nicht trächtige) und Stuten mit noch säugenden Fohlen gehalten. Kaum kann man sich ein anziehenderes, lebendigeres Bild vorstellen, als das fröhliche und lebhafte Umhertummeln der herrlichen Thiere. Welche Stufenleiter der Bewegungen zwischen dem vierjährigen Reitschlagfohlen und dem dreimonatlichen Saugfohlen; ersteres mit eleganten, elastischen Bewegungen, in wildem Uebermuthe, in noch ungetrübtem Genusse der Freiheit umherspringend oder den feinen Kopf zum ruhigen Weiden gesenkt, während letzteres, noch schüchtern und täppisch, meist der Mutter zudrängt und nur hin und wieder das Wagniß eines Sprunges oder eines kleinen Galopps unternimmt.
Ein anderes Bild bieten die täglichen Bewegungen im Winter, wo man die Thiere auf die vor dem Stalle befindliche, eintausend zweihundert Fuß lange Bahn führt. Durch das Peitschengeknall der in den Ecken postirten Wärter aufgeregt, stürzt der ganze Trupp wie rasend in der Bahn hin und her; dieses ventre à terre mit weitgeöffneten Nüstern, jenes in der tollsten Laune zeitweise den Kopf zwischen die Vorderbeine streckend, während die sehnigen
[301][302] Hinterbeine, von einer Wolke Streu gefolgt, kräftig ausschlagen. Unmöglich ist es das Durcheinander und das Geräusch zu schildern, welches durch das Stampfen und Schnaufen der Pferde, den Zuruf der Wärter und das Peitschengeknall hervorgebracht wird. Die beigegebene vortreffliche Zeichnung, von dem Künstler nach dem Leben ausgenommen, giebt ein treues Bild der bunten, wilden Jagd.
Scheu vor Fremden zeigen die Thiere fast gar nicht, einerseits weil die Zahl der Besucher, besonders im Sommer, eine ziemlich bedeutende ist, andererseits ist die Behandlung eine so überaus freundliche, daß diesen glücklichen Stallbewohnern weder die schwarzen Eigenschaften der Menschen, noch die Nothwendigkeit der Thierschutzvereine zur Kenntniß kommen; – ein beneidenswerthes, idyllisches Dasein, aus welchem nur diejenigen Fohlen, die nach Ablauf von vier Jahren als Wagenschlag zum Verkauf kommen, fühlbar gerissen werden.
Die Rücksicht, welche auf die Gesundheit und das Wohlergehen der Thiere genommen wird, ist bewundernswerth; sie erstreckt sich sogar auf die sorgfältige Regulirung des Wärmegrades in den Ställen, sowie auf Stallarrest bei schlechtem oder zu heißem Wetter. Was die Nahrung anbelangt, so besteht dieselbe für die nicht trächtigen Stuten in etwa sechs Pfund Heu und sechs Pfund Hafer täglich, für die tragenden und säugenden in acht bis neun Pfund Hafer und acht Pfund Heu; die Fohlen dagegen erhalten, nachdem sie nach vier bis sechs Monaten Säugens abgesetzt worden sind, täglich sechs Pfund Hafer, nach Belieben Heu und Gerstenstroh, auch geschrotene Gerste und Mohrrüben. Die Fohlen, deren gewöhnlich achtzig bis hundert vorhanden sind, werden nach vollendetem vierten Jahre entweder zur Zucht nach Weil – einem weiteren königlichen Privatgestüte – oder in den königlichen Leibstall gethan. Der nicht entsprechende Ueberschuß wird theils im April nach dem Pferdemarkt gebracht, theils im October in Stuttgart versteigert. – Der Vorzug, den alle Kenner den auf dem königlichen Gestüte gezüchteten Pferden geben, ist der beste Beweis für die Vortrefflichkeit des Instituts und der Grund, daß die enormen Preise von sechshundert, eintausend, ja fünfzehnhundert Gulden für das Stück erzielt werden.
Der hier gezüchtete Schlag ist unbedingt der edelste und vollkommenste. Kein anderes europäisches Gestüt hat so vortreffliche Exemplare der arabischen Race aufzuweisen, und zwar übertreffen die im Lande gezüchteten Pferde die Original-Araber – ein Ergebniß, das durch zweckmäßige Züchtung erreicht und durch die vielfach an die Hand gegebenen Vergleiche mit original-arabischen Rossen bestätigt worden ist. Schon die Größe und Stärke überbietet die der orientalischen Eltern; Stuten von sechszehn Faust und darüber sind ganz gewöhnlich.
Fremde Pferdekenner, welche noch nichts von dem Scharnhausener Gestüte vernommen haben, sind stets erstaunt, in Stuttgart eine solche stattliche Anzahl der schönsten Reit- und Wagenpferde zu sehen, und benützen, nachdem sie Kunde von dem Wunderlande erhalten haben, gar eifrig die Gelegenheit, dasselbe zu ihrem hohen Genusse zu besuchen. Bei der zuvorkommenden Freundlichkeit, mit welcher der Oberstallmeister Baron von Hügel die Erlaubniß zum freien Besuche ertheilt, und der Artigkeit und Bereitwilligkeit, womit die Beamten am Orte selbst dem Besucher entgegenkommen, wird nicht nur der Kenner, sondern jeder Freund des Schönen und der Natur bei einem Besuche in der schwäbischen Hauptstadt dieses Mustergestüt in Augenschein nehmen.
Dem Gestüte selbst, als einem Orte des Schönheitscultus, wollen wir das erfreulichste Fortblühen wünschen.