Zum Inhalt springen

Wiener Marktleben

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: V. Chiavacci
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Wiener Marktleben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 348–351
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
unkorrigiert
Dieser Text wurde noch nicht Korrektur gelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du bei den Erklärungen über Bearbeitungsstände.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[348] Nachdruck verboten
Alle Rechte vorbehalten.

Wiener Marktleben.

Von V. Chiavacci. Mit Abbildungen von W. Gause.

Das leibliche und geistige Wohlbefinden eines Menschen hängt – so prosaisch es klingt – von den Eigenschaften und Fähigkeiten seines Magens ab. Daß dieser Erfahrungssatz auch auf das tausendköpfige Gemeinwesen einer Großstadt Anwendung findet, ist nicht nur sinnbildlich zu verstehen, wie die bekannte Fabel des Menenius Agrippa, der einst den Plebejern im alten Rom die Notwendigkeit des Zusammenwirkens aller Stände durch das Gleichnis vom Magen und von den Gliedern des Körpers darlegte, sondern er gilt auch im wörtlichen Sinne. Die Antwort auf die Frage, wie sich die Bevölkerung einer Stadt ernährt, giebt uns manchen wichtigen Aufschluß über die natürliche Entwicklung und die Charaktereigenschaften ihrer Bewohner. Das lebensfrohe Wien, mit seiner naiven Freude an materiellen Genüssen und seiner heiteren und geselligen Sinnesart, die ihm den Namen der „Stadt der Phäaken“ eingetragen hat, verdankt sein eigentümliches Gepräge nicht zuletzt der Vortrefflichkeit und glänzenden Fülle der auf seinen Märkten aufgestapelten, Herz und Gaumen erfreuenden Dinge. Versichert doch schon im 16. Jahrhundert der biedere Schullehrer und Poet Wolfgang Schmeltzl in seinem „Lobspruch der Stadt Wienn“ am Schlusse seiner begeisterten Schilderung:

„Der Schmeltzl kein pesser Schmalzgruob fand,
Ich lob diz Ort für alle Land’.“

Der Wildbret- und Geflügelmarkt.

Inmitten des Ueberflusses einer reichgesegneten Landschaft gelegen, vereinigt Wien alle Bedingungen in sich, um den uralten Hang des Wieners für Tafelfreuden als ein natürliches Erzeugnis des Bodens erscheinen zu lassen. An den Hügelgeländen des Kahlengebirges wuchs und wächst heute noch manch prächtiger Tropfen feurigen Weines, der es mit vielen seiner gepriesenen Vettern aus anderen Gauen aufnehmen kann und der in alten Zeiten noch an den Stellen gedieh, wo sich gegenwärtig das Häusermeer der Vorstädte und Vororte ausdehnt. Jenseit des mächtigen Donaustromes bildet die unübersehbare Ebene des Marchfeldes eine wogende Flut von goldenen Aehren. Das obstgesegnete Land ob der Enns sendet schwere Frachtschiffe stromabwärts, die ihren Reichtum an Früchten aller Art an der von altersher bekannten Uferstelle, dem „Schanzl“, aufspeichern. Von Osten her, aus dem Ungarlande, kommen Mastvieh und Geflügel, Melonen und Kürbisse herauf. Die Donau selbst spendet ungezählte Arten von Fischen und Krebsen. Die alten Marktplätze, welche im 16. Jahrhundert der alte Schmeltzl staunenden Auges besah, dienen heute noch zum größten Teil demselben Zwecke. „Am Hof“ und „auf der Freiung“ sowie am „Hohen Markt“ ist noch dasselbe Marktgewühl zu sehen; andere Plätze freilich, wie die Seilerstätte, der Mehlmarkt, Judenplatz, Salzgries, haben ihre ehemalige Bedeutung ganz oder zum Teile eingebüßt. Und auch sonst hat das Marktleben Wiens im Laufe der Zeiten tief einschneidende Veränderungen erfahren. Die Großmarkthalle auf der „Landstraße“, die Markthallen in den einzelnen Bezirken sind, den Bedürfnissen der Neuzeit entsprechend, mächtige, gedeckte Gebäude. Neben ihnen besteht aber, je nach Bedürfnis und Gewohnheitsrecht, in der inneren Stadt und in den Vorstädten noch eine ziemliche Anzahl von offenen Märkten mit ihren „Standeln“ und Bretterbuden fort, die besonders in den Morgenstunden ein lebhaft bewegtes Volkstreiben zeigen und in ihrer Eigenart ein Bild darstellen, das sich wohl wenig von dem vergangener Jahrhunderte unterscheidet.

Das Leben eines solchen vielgestaltigen Organismus beginnt schon in den frühesten Morgenstunden. Der Fremde, den in den ersten Stunden nach Mitternacht sein Weg durch die Schotten- und Herrengasse führt, wird mit Verwunderung die vermummten Gestalten betrachten die, mit mächtigen „Butten“ und Körben beladen schlaftrunken an ihm vorüberhuschen. Desgleichen sieht er Fuhrwerke aller Art, deren Gespann träge dahinschleicht, während der Kutscher, in tiefen Schlaf versunken, im Wagen liegt. In der Herrengasse und auf der Freiung stehen ganze Wagenburgen, mit Butten und „Schwingen“ und sonstigen Gefäßen beladen. Die Besitzer dieser Gefährte sind Landleute, die aus den umliegenden Ortschaften oft schon am frühen Nachmittag des vorhergehenden Tages aufgebrochen sind, um ihre Waren rechtzeitig auf den Markt zu bringen. Um diese Morgenstunde bieten auch manche Kaffeehäuser in der Nähe der Freiung oder am Hof einen eigenartigen Anblick. Sie sind vollgepfropft mit zumeist weiblichen Kunden, die sich durch ihre „Gugel“, das um Kopf und Hals gewundene Wolltuch, durch ihr massives Schuh- und noch massiveres Mundwerk als Marktweiber zu erkennen geben. Sie sitzen vor ganz ungewöhnlich großen Schalen voll dampfenden Kaffees und führen eine sehr lebhafte Unterhaltung, die an Urwüchsgkeit des Ausdrucks und Anschaulichkeit der Bildersprache nichts zu wünschen übrig läßt. Bald darauf wird es auf dem Markte lebendig. Die Zwischenhändler nehmen die Waren in größeren und kleineren Posten den Landleuten ab, und während diese sich mit ihren Fuhrwerken zur Heimfahrt rüsten, richten die Zwischenhändler ihre Marktstände ein.

Das lebendigste und eigenartigste Marktbild zeigt der Naschmarkt am rechten Wienufer, zwischen dem Freihause und der

[349]

Der Fischmarkt.

Elisabethbrücke. In aller Morgenfrühe, wenn die eben geschilderte Toilette des Marktes beendet ist, regt sich ein seltsames Leben. Man hört Geschrei und Hundegebell, als ob der Wilde Jäger im Anzuge wäre. Der Lärm rührt von einer mächtigen Kolonne von Miniaturwagen her, die von Hunden gezogen werden und längs des Wien-Ufers Aufstellung nehmen. Die Besitzer dieser Gefährte, die Greißler (Fragner) gehen in das Marktgewühl, während ihre jeweiligen Karo, Bello, Tiger, Scheckl einen hundertstimmigen Vokalgesang anheben, der Steine erweichen könnte. Gegenüber der einen Front des Freihauses stehen die „Krawaten“, die Marktleute slavischer Abkunft, welche freilich nicht lauter Kroaten sind, mit ihren Bauernwagen, die hochauf mit den Gaben Floras und Pomonas beladen sind: mit Meerrettich und Zwiebelbergen von solcher Mächtigkeit, daß sie dem härtesten Landgrafen Thränen entlocken könnten, mit Kartoffeln, Kraut, Rüben und anderen Gemüsen; und zwischen diesen Wagen schiebt sich ein Gedränge von feilschenden Käufern mit Körben und Butten durch. Auf der andern Seite der Zufahrtstraße befindet sich der Großverkauf von Obst, Nüssen und Südfrüchten. Der Greißler, das Standlweib, das unter einem Hausthor oder in einer Straßenecke seine Verkaufsbude aufgeschlagen hat, suchen hier ihren Vorrat auf die billigste Weise zu erwerben. Aber auch die Besitzer von Luxusgeschäften und Delikatessenhandlungen kaufen ihren Bedarf an Obst und feinen Gemüsen häufig auf dem Naschmarkt ein und geben ihm dann in den raffiniert hergerichteten Auslagen alle erdenklichen exotischen Namen, um ihn zu „exotischen Preisen“ wieder zu verkaufen. Der anspruchsvolle Feinschmecker geht nur zu diesen altberühmten Obstverkäufern der innern Stadt und ist der festen Ueberzeugung, daß man eine solche Ware nirgend sonst in Wien bekommt. Der Händler läßt die vornehmen Kunden bei ihrem Glauben, daß all die teuren Sachen aus Algier, Sizilien und Südfrankreich bezogen sind, und die Morgenpromenade auf den Naschmarkt trägt ihm hundertfachen Nutzen. Ganz anders sieht es auf dem Kleinmarkte ans, der die andere, gegen die Wiedner Hauptstraße gelegene Seite des Naschmarktes einnimmt. Wenn man sich von der Ferne nähert, so glaubt man das Zeltlager eines Nomadenstammes vor sich zu sehen. Die einzelnen „Standln“ der Verkäuferinnen sind nämlich durch riesige Schirme gegen Sonne und Regen geschützt, und diese Hunderte von Leinwanddächern geben dem Marktbilde einen eigentümlich malerischen Anstrich. Den äußersten Flügel dieses Lagers nehmen die Obstverkäuferinnen mit ihren reichbesetzten, künstlerisch aufgebauten Standln ein. Diese sind die eigentlichen „Fratschlerinnen“, welche den Ruf ihrer Gilde als ungemein zungenfertige, mit urwüchsigem Sprachtalente und streitbarem Gemüte ausgestattete Spielart des „schwachen“ Geschlechts durch Jahrhunderte in seltener Reinheit bewahrt haben. Im allgemeinen sind sie jetzt zwar besser als ihr Ruf, und höflich und zuvorkommend, wenn man mit ihnen umzugehen weiß. Wenn sie aber gereizt werden, so kommt auch heute noch die ganze Wildheit ihrer Rasse zum Vorschein. „Frozzeln“ lassen sie sich nicht. Wehe dem Gigerl, der es wagt, mit der Frau Sopherl oder der Frau Xandl anzubinden. Ein ganzes Kehrichtfaß von Schimpfnamen würde sich sofort über sein Haupt ergießen.

Obstverkauf „auf der Freiung“.

„Herda nur da!“ lautet ihr Ruf, „schöne Bergamott-Aepfeln hätt’ i da. Plutzerbirn’, drei um a Sechserl. Kummen S’ her, schöner junger Herr, kaufen S’ mir was a’. Kriag’ i nix z’lösen, Euer Gnaden?“ Wenn sich nun der „schöne junge Herr“, wie auf unserm Bilde S. 353, den Spaß macht, die Dame zu fragen, ob sie keine Wasserstiefeln zum Verkaufen habe, so bekommt er sofort seine Belehrung: „Wasserstiefeln, na, Sö quadralierter Spitaljanker; aber g’fleckelt und doppelt können [350] S’ werd’n, daß Ihner Wasserköpfl net z’lex’nt[1], Sö wacklerter Gaskandelaber. Zupfen S’ an’ Esel die grau’n Haar’ aus, was anders hab’n S’ eh net g’lernt. So a windverdrahts Parapluig’stell will Unseran’ frozzeln? Stecken S’ Ihna Nasen ein, sonst mach’ i mir an’ Fliagnpracker draus. Verschwinden S’ g’schwind, sonst flieg’n S’ so hoch in d’ Luft, daß S’ beim Aberfall’n derhungern!“

Die Klassikerin unter den Wiener Fratschlerinnen war jene Frau Kathie, welche zur Kongreßzeit lebte und ob ihres bösen Mundwerks einen großen Ruf genoß. Ein auswärtiger Fürst, der zu Besuch anwesend war, hatte davon vernommen und begab sich inkognito auf den Naschmarkt, um bei der Frau Kathl ein Privatissimum zu hören. Nach den ersten spöttischen Bemerkungen über ihre schlechte Ware hatte er das Vergnügen, eine ganze Flut von Schimpfnamen anhören zu können. Dem Begleiter des Fürsten wurde es dabei unheimlich zu Mute. Er flüsterte der Frau Kathl zu, wen sie vor sich habe. Diese wurde aber durch den vermeintlichen Aufsitzer noch gereizter und rief zu ihrer Nachbarin hinüber: „Hast g’hört, Sali, der notige G’schwuf will an Fürst sein! Geh’, setz’ ihm Dein Zuspeishäfen auf, daß er si einbild’t, er hat a Kron’ am Kopf.“

Die „Kräutlerinnen“ bei den Gemüseständen sind, vielleicht infolge ihres Umgangs mit den zarten Kindern Floras, schon sanfter geartet. Die mit großer Kunstfertigkeit aufgebauten Gemüsestände bieten durch ihr erfrischendes Grün und die eingestreuten Farbenspiele einen prächtigen Anblick. Zwischen den „Schwingen“ und Körben mit Kohl, Kraut, Salat, Spinat blinken rötliche Karotten und weiße und rote Radieschen hervor, Häupter von Blumenkohl, Spargelbunde und Artischoken, Paradiesäpfel und Rotkraut, Bohnen, grüne Erbsen, Schwämme, Zwiebelkränze, schwarzer Holler, Preiselbeeren, je nach der Jahreszeit. Wie ein niederländisches Stillleben wirkt dieses farbige Bild auf den Beschauer. Weiterhin sind die Wildbretstände, die Fischstände, und querdurch zwischen dem Groß- und dem Kleinmarkt erstreckt sich eine lange Gasse von Verkaufsbuden, in denen die „Kapäunler“ (Geflügelhändler), die Rahm-, Butter- und Eierhändler, die Honigverkäufer und Wursthändler ihre Waren ausbieten. Den äußersten Flügel dieses großen Marktes bilden die Blumenverkäufer. Wie in einem blühenden Garten voll Duft und Farbenpracht sieht man hier die mannigfachsten Topfgewächse, von Veilchen, Nelken, Monatsrosen angefangen bis zu den Fächerpalmen, Rhododendren und Chrysanthemum. Zwischen all diesen Schätzen wogt vom frühen Morgen ab ein buntes Leben von Käufern und Käuferinnen, tönt ein wunderliches Stimmengewirr, bilden sich Gruppen, spielen sich lebhafte Scenen ab. Die „Gnädige“, welche mit Kennerblick die aufgestapelten Waren mustert, hier und da verweilt, um den Preis fragt und feilscht und die erstandene Ware von dem sie begleitenden Dienstboten nach Hause tragen läßt, die Köchin, die so billig als möglich einzukaufen sucht, um das Abgehandelte als „Körbelgeld“ zu behalten, der Lehrjunge, der mit schmaler Börse große Aufträge ausführen soll und sein verantwortungsvolles Amt sich nur dadurch erträglich macht, daß er sich vor allem eine große Salzgurke als Mäkleranteil zuweist, die Arbeitersfrau, die mit sehnsüchtigen Blicken den lockenden Ueberfluß mustert und dabei ihre wenigen Kreuzer bedächtig herumdreht, sind die häufigsten Typen dieses Marktgewühles. Hier geht eine Handwerkersfrau mit ihrem Jüngsten, der, mit begehrlichen Blicken die Fruchtstände verschlingend, seine Mutter unzähligemal an der Rockfalte zupft und ihr Herz mit den in flehendem Tone hervorgebrachten Wünschen zu erweichen sucht: „Muatter, da schaun S’ dö schön’ Aepfel an! – Muatter, an’ Kreuzer auf Boxhörndln[2]! – Muatter, i möcht’ an’ Pamarantschen.“[3] Gefühllos gegen den gehäuften Jammer ihres Sprößlings, schreitet die Mutter vorüber und hält vor einer Bude, wo sie „Bastwaschln“[4] und Reibsand kauft; dann nimmt sie für den Hansi, den Kanarienvogel, Hanf und Wicken und andere Leckerbissen mit; endlich kauft sie bei „ihrer Kräutlerin“ um zwei Kreuzer Suppengrünzeug und um zehn Kreuzer „Kohlrabi“, was alles nicht geeignet ist, die Tantalusqualen ihres Sohnes zu mildern. Auf dem Heimweg begriffen, trifft sie eine Nachbarin und vertieft sich mit ihr in ein sinnreiches Gespräch über einen sonderbaren Traum, der sie in der vergangenen Nacht beschäftigt hat. Es handelt sich da um eine höchst verwickelte Gedankenarbeit und um eine gediegene Kenntnis des ägyptischen Traumbüchels, um aus all den verworrenen Traumgebilden die richtigen spielreifen Nummern herauszudestillieren. Noch sind sie nicht einig, ob sie „tot und lebendig“ mit der Nummer 47 oder den Namenstag der Hingeschiedenen mit der Nummer 15 setzen sollen; da kommt noch eine dritte Nachbarin und zuletzt die alte Köchin von der Hausfrau hinzu, durch deren anerkannt sachkundigen Einfluß die bisherige Traumdeutung wieder vollständig umgestoßen wird. Diesen bedenklichen Augenblick benutzt der kleine Pepi zu einem letzten Ansturm: „Muatter, zwa Kreuzer auf Kerschen!“ – Jetzt greift die Mutter in den Sack und giebt ihm das Verlangte: „Da hast, aber jetzt gieb a Ruh’!“ Sie vergißt dabei ganz ihre Grundsätze, das Kind vor Naschhaftigkeit zu bewahren; denn es handelt sich jetzt um weit Wichtigeres: um einen Terno! Die Lottokollektur im Freihause, hart am Naschmarkt gelegen, macht glänzende Geschäfte. Greißler, Hökerweiber, Dienstboten, Handwerksleute tragen die paar Kreuzer, die sie abgefeilscht oder gewonnen zu haben glauben, in die kleine Lotterie und erkaufen sich damit für ein paar Tage ein rosiges Zukunftsbild – bis zur nächsten Ziehung.

Am äußersten Rande des Marktes haben sich allerlei Kleinhändler und Hausierer angesiedelt, die auch ihr Profitchen von dem lebhaften Markttreiben haben wollen. Da sieht man den Tausendkünstler, der mit seiner Fleckseife selbst den ältesten Kellnerfrack wieder ballfähig macht und mit seinem Porzellankitt die heimlichen Sünden des Küchenpersonals flickt und eine Menge anderer Kunststücke zuwege bringt. Daneben der Mann mit den gelehrten Vögeln, die gewaltige Astrologen sind; denn sie können die „Planeten“ weissagen. Die Marianka oder die Resi erzählt den gefiederten Propheten ihren Traum, und nach kurzem Nachdenken holt ein Fink oder eine Blaumeise ein Papierröllchen mit dem Schnabel hervor, auf dem drei Nummern stehen, die unfehlbar in der nächsten Ziehung „herauskommen“. Man sieht daraus, daß auf dem Naschmarkt auch für die „geistigen Bedürfnisse“ der Kunden gesorgt ist. Mandolettiverkäufer, die bekannten „Krawaten“ mit „Kochlöffel, Spielelei“[5], dann die „Krawatinen“ mit Geldbörsen, Hosenträgern, Zahnbürsten oder auch mit Gollatschen[6], Mohnkipfeln und anderen Eßwaren bilden die sonstige bewegliche Staffage des Marktbildes. Ein großer Troß von Trägern und Trägerinnen und kleinen Jungen, die sich zum Heimtragen der Körbe anbieten, sucht hier seinen täglichen Verdienst. Bettler und Bettlerinnen, zerlumpte Kinder, die kein Heim besitzen, durchstreifen als Marodeure die Stätten des Ueberflusses und suchen angefaultes Obst und Gemüseabfälle, um damit ihren Hunger zu stillen. Wenn der Markt aus ist, sieht man manche dieser Marodeure in den zu Haufen zusammengekehrten Abfällen wühlen. Sie finden darin immer noch Brauchbares für ihren Hunger. Die Marktleute aber ruhen in dem Gasthause an der Ecke des Freihauses bei Leberknödeln und Beinfleisch und einem guten Glase Wein von ihren Strapazen aus. Ehemals saß unter dem offenen Vorbau dieses Gasthauses ein Sextett, das ihnen die Tafelmusik besorgte. Es war ein gemütliches, anheimelndes Bild. Die Musikanten sind aber seit einigen Jahren verschwunden. Der Strom des großstädtischen Lebens hat auch dieses altväterische Bild aus der guten „Backhähndlzeit“ hinweggespült.

Das oben geschilderte Marktbild wiedercholt sich bei den ähnlich eingerichteten Märkten der innern Stadt und der Vorstädte mit geringen Abweichungen. Die Großmarkthalle und die einzelnen in geräumigen Gebäuden untergebrachten Bezirksmarkthallen unterscheiden sich in ihrem äußeren Bilde nur wenig von dem der anderen Großstädte. In der Großmarkthalle fehlt das bunte Treiben des Kleinverkaufes. Das geschlachtete Rindvieh, die Kälber, Schafe, Schweine werden nur in größeren Gewichtsmengen verkauft. Der Wunsch eines großen Teiles der Bevölkerung, auch hier den Verkauf von Fleisch in Posten unter fünf Kilo einzuführen, findet in der Gemeindevertretung nur geringe Unterstützung.

Ein eigenartiges Bild bietet der Obstmarkt am „Schanzl“, wie das Ufergelände in der Nähe der Augartenbrücke genannt wird. In den Morgenstunden landen hier die mit Obst beladenen „Zillen“ (Kähne) aus Oberösterreich in großer Zahl und laden ihre schwere Fracht längs der Böschung des Donaukanales ab. Die Großkäufer kommen mit ihren Butten und Körben auf die Schiffe und die [351] Kleinhändler stellen ihre Waren auf den Ständen aus. Alte Lindenbäume aus der Zeit vor der Stadterweiterung spenden ihren Schatten. Nicht weit davon befindet sich der Fischmarkt, ehemals ein unsauberer mit Standln und Buden besetzter Platz hart an der Stadtmauer, gegenwärtig jedoch näher an den Donaukanal gerückt. Die neuen reinlichen Holzbauten, in denen jetzt die Verkaufsstände untergebracht sind, haben dem Bilde allerdings viel von seiner einstigen Urwüchsigkeit genommen, und die Fischweiber, obgleich noch lange nicht so stumm wie ihre Karpfen, befleißigen sich eines anständigeren Tones im Verkehr mit ihren Kunden. Nur am Karfreitag, wo ganz Wien als katholische Stadt seine Fastenspeise auf dem Fischmarkt holt, lassen sie ihrer Zunge freien Lauf und sind mit ihren Kundeu so „hoppatatschig“ und grob wie der Hausmeister, nachdem er sein Neujahrsgeld bekommen hat. Am Karfreitag und am ersten Weihnachtstage werden in Wien mehr Fische verkauft als in irgend einem Monat des Jahres. Die Donau und die Schwarzenbergschen Teiche in Böhmen liefern den Hauptbedarf hierzu. Merkwürdig ist der verschwindend geringe Verbrauch von Seefischen, der nicht so sehr in der Schwierigkeit der Beschaffung wie in dem konservativen Sinn der Bevölkerung seine Erklärung findet. Außer dem Stockfisch, der übrigens auch mehr Verächter als Bewunderer hat, kommen Seefische fast ausschließlich nur auf den Tafeln der Reichen vor. Der billige Schellfisch, der in anderen Städten ein so wichtiges Nahrungsmittel der Bevölkerung bildet, findet in Wien nur geringen Absatz.

Der Wildbretmarkt, die Fortsetzung des Bauernmarktes in der innern Stadt, zeigt wieder ein anderes Gesicht. Obwohl auch die andern Lebensmittelmärkte eine Abteilung für Wildbret enthalten, ist doch hier der Großhandel zu Hause und in seinen Verkaufsgewölben findet man die stattlichsten Exemplare von Hirschen, Rehen Gemsen, Wildschweinen, ja selbst Bärenschinken und -tatzen gehören nicht zu den Seltenheiten.

Der Blumen- und Kränzeverkauf „am Hof“.

Das buntbefiederte Geflügel, Goldfasan, Wildente, Schneehühner, der prächtige Auerhahn, der Birkhahn, die Wildtaube, das Rebhuhn und die Schnepfe, bildet, zu einzelnen Gruppen gebunden, malerische Stillleben. Die zahlreichen Wildgehege aus den großen Herrschaften in Ungarn, Steiermark, Böhmen und Niederösterreich liefern zu jeder Jahreszeit einen großen Reichtum an Wild. Meister Lampe wird zur Schießzeit in ungeheuren Mengen auf den Markt gebracht und liefert in den Wintermonaten einen verhältnismäßig billigen Braten. Die Singvögel, welche auf den italienischen Märkten in großer Zahl als „uccellini“ verkauft und von den grausamen Italienern zur Polenta verspeist werden, sind in Wien glücklicherweise durch ein Gesetz vor der Mordlust der Bewohner gesichert. Der Wildbretmarkt ist auch das verschämte Rendezvous aller Sonntagsjäger, die hier ihre Beute „erlegen“ – aber bar.

Bevor wir unsern Rundgang durch die Wiener Märkte schließen, sei noch ein specielles Wort über die Blumenmärkte „am Hof“, „auf der Freiung“ und am Hohen Markt gesagt. Der Wiener, obwohl ihm der fabelhafte Blumenluxus, wie er beispielsweise in Paris getrieben wird, bis vor wenigen Jahren fremd geblieben war, hat doch stets gerne seine Sinne an den duftenden Kindern Floras erlabt, und die Tausende, welche an Sonntagen in die blühenden Auen und Wiesengelände des Wiener Waldes hinausziehen, kehren abends mit einem mehr oder minder umfangreichen Strauß von bescheidenen Feldblumen heim, den sie zu Hause mit Wasser und Sonnenschein versorgen, damit er ihnen die lange Woche hidurch von seiner Heimat, von Freiheit und Waldesluft erzähle. Und wenn die kleine Bürgersfrau ihre Einkäufe auf einem der Märkte besorgt hat, so gönnt sie sich häufig eine Luxusausgabe und bringt ein Stückchen Reseda, einen Topf mit Stiefmütterchen, Nelken und Monatsrosen in ihr bescheidenes Heim, wo es dann den ganzen Sommer über am Fenster paradiert. Das ist ein billiger und bescheidener Genuß. In den Blumenhandlungen der Ringstraße und der inneren Stadt sieht man wahre Wunder der Bindekunst, die stolze Farbenpracht der Riviera und die duftenden Kinder der Alpenwelt in prächtigen, bändergeschmückten Körben oder zu kunstvollen Phantasiegebilden vereint. Das ist nun allerdings auf den genannten Märkten nicht zu finden. Doch macht die große Menge und Buntheit der blühenden Pflanzen auf den Beschauer einen freundlichen Eindruck. Nur einmal im Jahre, um die Allerseelenzeit, wird dieser Eindruck durch den Gedanken an die Vergänglichkeit getrübt. Die Stände und Buden sind um diese Zeit fast ausschließlich mit Kränzen beladen, die als Zeichen liebevoller Erinnerung auf den Gräbern der Verstorbenen niedergelegt werden sollen.

Außer den oben geschilderten Marktbildern, welche vornehmlich dem Nahrungsbedürfnis dienen, wären noch manche andere zu erwähnen, deren Schilderung jedoch den Rahmen dieser Skizze überschreiten würde. Von diesen zeigen das eigenartigste Gepräge der „Christkindlmarkt“ am Hof und der „Tandelmarkt“ (Trödelmarkt) in der ehemaligen Vorstadt Roßau, welcher letztere schon früher in der „Gartenlaube“ geschildert wurde.



  1. „z’lexn“ nennt man in der Wiener Mundart das Auseinanderklaffen der Dauben von Holzgefäßen, so daß die Flüssigkeit bei den Spalten durchrinnt.
  2. Die süßen Früchte des Johannisbrotbaumes.
  3. Orangen.
  4. Loses Bündel aus Bast zum Scheuern des Holzgeschirres und der Dielen.
  5. Spielwaren.
  6. Mit Zwetschenmus gefüllte Kuchen.