Wiegenlied (Adolf Marquardt)
Wiegenlied.
Hier in der alten verfallenen Pracht
Schlummere, Knabe, schlummere sacht!
Wohl hat die Sonne noch goldenen Stand,
Wohl zieht rauschend die Welle durchs Land,
Aber du
Träume nur zu –
Sonne und Strom auch, die wandernden, nah’n,
Träumend zu ruhen, dem Ocean.
Hörst du im tiefen Walde, mein Kind,
Dunkle Märchen flüstern den Wind?
Dort bei der Eichen düsterem Platz
Hütet der Riese den funkelnden Schatz;
Aber in Ruh’
Schlummere du!
Horch, wie die Spindel geht – hörst es so gern,
Mutter wacht und der Riese ist fern.
Selig, wen rein das Leben ließ –
Du darfst noch schauen das Paradies,
Darfst mit den Engeln spielen im Traum –
Stille! sie kommen, noch hörst du sie kaum,
Aber schon klingt’s,
Schwingt sich und singt’s,
Leise schließe die Augen, schlaf’ ein,
Und der Himmel, der ganze, ist dein!
Weit ist die Welt und enge dein Reich,
Kannst es umfah’n mit den Aermchen weich –
Nicht in der Ferne einst suche das Glück,
Kehrest nur müde zur Heimath zurück;
Mutterhut
Meint es so gut,
Geh’ nicht, so lang sie dich schirmen mag,
Ach, es endet der schönste Tag!
Müde schon schicken die Blumen den Hauch,
Neigen das Köpfchen und schlafen auch,
Bald glüh’n Sterne in dunkelndem Feld,
Heim zieh’n die Herden, es schweigt die Welt,
Hält nun wie du
Selige Ruh’ –
Darum hinein in die heilige Nacht
Schlummere, Knabe, schlummere sacht!
Adolf Marquardt.
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