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Wiederfinden

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Johann Wolfgang von Goethe
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Titel: Wiederfinden
Untertitel:
aus: Morgenblatt für gebildete Leser, 13. Jahrgang, Nr. 207, S. 825
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1815
Erscheinungsdatum: 30. August 1819
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Stuttgart und Tübingen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
Vorabdruck des Gedichtes aus „West-östlicher Divan“. Stuttgart, 1819, S. 168–170 Deutsches Textarchiv
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[825]
Wiederfinden.[1]


Ist es möglich? Stern der Sterne,
Drück’ ich wieder dich ans Herz!
Ach! was ist die Nacht der Ferne
Für ein Abgrund, für ein Schmerz.

5
Ja du bist es! meiner Freuden

Süßer, lieber Widerpart;
Eingedenk vergangner Leiden
Schaudr’ ich vor der Gegenwart.

Als die Welt im tiefsten Grunde

10
Lag an Gottes ew’ger Brust,

Ordnet’ er die erste Stunde
Mit erhabner Schöpfungslust,
Und er sprach das Wort: Es werde!
Da erklang ein schmerzlich Ach!

15
Als das All, mit Machtgebärde,

In die Wirklichkeiten brach.

Auf that sich das Licht! sich trennte
Scheu die Finsterniß von ihm,
Und sogleich die Elemente

20
Scheidend auseinander fliehn.

Rasch, in wilden wüsten Träumen,
Jedes nach der Weite rang,
Starr, in ungemessnen Räumen,
Ohne Sehnsucht, ohne Klang.

25
Stumm war alles, still und öde,

Einsam Gott zum erstenmal!
Da erschuf er Morgenröthe,
Die erbarmte sich der Qual;
Sie entwickelte dem Trüben

30
Ein erklingend Farbenspiel,

Und nun konnte wieder lieben,
Was erst auseinander fiel.

Und mit eiligem Bestreben
Sucht sich, was sich angehört,

35
Und zu ungemessnem Leben

Ist Gefühl und Blick gekehrt.
Sey’s Ergreifen, sey es Raffen,
Wenn es nur sich fasst und hält!
Allah braucht nicht mehr zu schaffen,

40
Wir erschaffen seine Welt.


So, mit morgenrothen Flügeln
Riß es mich an deinen Mund,
Und die Nacht mit tausend Siegeln
Kräftigt sternenhell den Bund.

45
Beyde sind wir auf der Erde

Musterhaft in Freud und Qual,
Und ein zweytes Wort: Es werde!
Trennt uns nicht zum zweytenmal.


  1. *) Aus: „Der Divan, von Goethe,“ das so eben in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung erschienen ist.