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Wie kamen die Bonapartes auf den Thron?

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Titel: Wie kamen die Bonapartes auf den Thron?
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 87–88
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[87] Wie kamen die Bonapartes auf den Thron? Am Morgen des 16. Januar dieses Jahres wurde durch Maueranschläge und die Zeitung „Figaro“ ganz Paris und ein großer Theil von Frankreich mit einem „Manifest“ überrascht, in welchem der als „Plon-Plon“ bekannte Prinz Napoleon den Staat als der Zerrüttung entgegengehend schildert und auf sein erbliches Anrecht hinweist, sich der Nation als Retter desselben anzubieten. Dieser Anlauf zu einem dritten Napoleonischen Kaiserthume veranlaßt uns zur Aufstellung und Beantwortung der Frage, welche die Ueberschrift dieses Artikels bildet.

Am 20. Juni 1792 rotteten Pariser Pöbelmassen sich vor den Tuilerien zusammen, um in der Demüthigung des Königthums einen gewaltsamen Schritt weiter zu gehen. Als Zuschauer folgte der tobenden Menge mit einigen Kameraden ein französischer Oberlieutenant. Im Garten der Tuilerien nahm er einen Stuhl, und unter dem Schatten eines Baumes sah er finsteren Blicks, wie Haufen um Haufen sich zum Schlosse heranwälzten und endlich in dasselbe einbrachen. Da erschien auf dem Altan, dem Geschrei des „Volkes“ nachgebend, der König, und in demselben Augenblicke setzte eine rohe Faust ihm eine blutrothe Jacobinermütze auf das Haupt. Dieser Anblick riß den Officier blitzschnell empor; wüthend zerschmetterte er seinen Stuhl und rief:

„Wie konnte man diese Canaillen hereinlassen! Fegte man ihrer vier- bis fünfhundert mit Kartätschen hinaus, die anderen liefen nach. Ein Königshaupt, das sich so gebeugt, kann sich nie wieder erheben.“

Drei Jahre später, am 4. October 1795, saß in der Nachtsitzung des Convents auf einer Tribüne mitten zwischen lärmendem Volke ein bleicher, abgezehrter, schlecht gekleideter und schlecht gepuderter junger Mensch, ein abgesetzter Brigadegeneral. Plötzlich hört er seinen Namen nennen. Er ist zum Führer der Truppen im Innern von Paris im Kampfe gegen die drohende aristokratische Gegenrevolution ausersehen – und schon am Abend des nächsten Tages hatte er seinen „13. Vendemiaire“, den Sieg des Convents, vollendet, wurde im Conventssaale als „Retter der Versammlung, der Republik und des Vaterlands“ begrüßt und zum [88] Divisionsgeneral erhoben. Das Pariser Volk aber nannte ihn den kleinen Kartätschengeneral.

Zwei Jahre später finden wir denselben Mann als Obergeneral in Italien wieder. Er hat Oesterreich besiegt, und nun umgiebt ihn in Mailand die dreifache Pracht eines Hauptquartiers, einer Regierung und eines Congresses. Bonaparte und Josephine sind die Sterne des „Hofes von Mailand“, wie die Soldaten voll Stolz die Umgebung ihres Feldherrn nannten.

Aber noch war die Zeit des Usurpators nicht gekommen. Die Machthaber in Paris erkannten die Gefährlichkeit des ruhmgekrönten Triumphators und gestatteten ihm deshalb gern die Romantik eines Kriegszuges nach Aegypten. Während dieses Jahres 1798 und Anfang 1799 geriethen die inneren und äußeren Verhältnisse Frankreichs in die äußerste Zerfahrenheit und Verwirrung, sodaß das französische Volk selbst den vom ägyptischen Kriegszuge als Flüchtling heimkehrenden General als „des Vaterlandes Retter und Befreier“ begrüßte.

Und fest stand nun sein Plan, aber nicht der der Erlösung des Volkes, sondern seiner eigenen persönlichen Erhebung. Längst hatte sein Scharfblick die Männer ausgewählt, welche entweder als Hinderniß drohend beseitigt, oder als gefügige Werkzeuge an sein Schicksal gefesselt werden mußten, und nachdem er so das fünfköpfige Directorium zum Fall reif gemacht und das Schicksal des Raths der Alten und der Fünfhundert genau bestimmt, wagte er seinen 18. und 19. Brumaire. Sein Bruder Lucian, der Präsident des Raths der Fünfhundert, war sein treuer Helfer in List und Gewalt. Das Directorium ward zersprengt; im Rath der Alten siegten die mit Bonaparte Verschworenen; den Rath der Fünfhundert, vor dessen Volksmajestät der General doch gezittert hatte, als er ihm als Redner zu imponiren gedachte, und aus dem nur seine Grenadiere ihn retteten, stürmte er mit seinen Soldaten und „reinigte“ ihn so, daß derselbe noch am Abend des 19. Brumaire eine Dankadresse für Bonaparte und seine Truppen beschloß. Ein 10. November war’s, wo um Mitternacht unter Verrath und Gewalt die französische Republik geknebelt worden war. Von da an sind alle Schritte Bonaparte’s, vom „Ersten Consul“ und „Consul auf Lebenszeit“ bis zum Kaiserthron, nur Komödienspiel gewesen, befohlene Wünsche, die seine Creaturen gehorsam ausführten, bis er an einem zweiten December (1804) mit seiner Krönung in Notre-Dame durch den greisen Pius den siebenten die Spitze des furchtbaren Gewaltbaues erreichte.

Immer aber bleibt das Geschichtsbild dieses Bonaparte ein so großartiges, daß es selbst durch die emsigsten Enthüllungen der gemeinen menschlichen Gebrechen dieses Heros nicht verkleinert werden kann. Ein Riesengeist, gleich groß im Schaffen und Verwüsten, ist mit ihm über die Erde gegangen, wie die Weltgeschichte keinen zweiten aufweist – und darum konnte es auch keinen zweiten Napoleon geben.

Der sogenannte Napoleon der Zweite, sein Sohn, hat unter der Sorge von Metternich’s Jesuiten seinen kurzen Lebensgang bis in die Kaisergruft zu Wien schon 1832 vollendet.

Dieser Mangel an legitimer Weiterführung des Regentengeschlechts veranlaßte eine zweite Thronbesteigung der Bonaparte auf gleichem Wege; auch hier ist uns ein romantischer Eingang der Darstellung erlaubt.

Gegen Ende Februar 1831 reiste eine vornehme Dame mit mehreren Dienern von Ancona ab, das soeben, von den italienischen Aufständischen verlassen, sich den Oesterreichern übergeben hatte. Als einer der Diener hatte sich der Sohn der Dame verkleidet. Als Mitglied des Carbonaribundes am Kampfe betheiligt, konnte er nur durch den Muth und die Klugheit seiner Mutter vor österreichischer Gefangenschaft gerettet werden. Dieser Sohn war Prinz Louis Napoleon und diese Mutter Hortensia (Beauharnais), die Gattin des ehemaligen Königs Ludwig von Holland, der, von ihr getrennt, als Graf von St. Leu 1846 in Livorno gestorben ist.

Neues ist auch bei dieser Prätendentengeschichte nicht zu erzählen, aber das Ereigniß, welches diesen Artikel veranlaßte, zeigt so manche Parallelzüge mit jener, daß wir doch darauf hinweisen möchten. Dies bezieht sich vor Allem auf den Fluch der Lächerlichkeit, welchen Louis Napoleon vor seiner Wahl zum Präsidenten der Republik von 1848 in noch höherem Maße zu tragen hatte, als Prinz Plon-Plon seit dem Krimfeldzuge. Die beiden Narrenstreiche zu Straßburg (am 30. October 1836) und Boulogne (am 6. August 1840) waren geeignet, in dem auf den Namen „Napoleon“ noch so stolzen französischen Volke nachhaltiger zu wirken, als Alles, was man dem Sohne Jérôme’s nachsagen konnte. Seine fleißige Feder war zwar bemüht, sein politisches Streben im schönsten Lichte darzustellen, aber sein Leben – selbst nach seiner Flucht von Ham nach London – war so wenig musterhaft, daß ihm der Schuldthurm drohte. Und trotz alledem fallen bei den Wahlen zur Nationalversammlung auf diesen Helden von Straßburg und Boulogne so viele Stimmen, daß er nach Frankreich zurückkehren muß, daß er als Mitbewerber um die Präsidentschaft auftreten und schließlich mit fast 51/2 Millionen Stimmen gewählt werden kann. Vor dieser einen Thatsache schwinden alle Unmöglichkeiten in Frankreich.

Kaum fest auf dem Präsidentenstuhl, sinnt er nur darauf, denselben in einen Kaiserthron zu verwandeln. Das Gesetz bot ihm dazu nicht eine lange Frist; denn in der zweiten Woche des Mai 1852 ging seine Präsidentschaft, und zwar ohne die Möglichkeit einer Wiederwahl, zu Ende. Da galt es, rasch zu handeln. Seine Staatskunst bestand jetzt darin, möglichst viele feile und gefügige Werkzeuge für verfassungswidrige Pläne an sich zu ketten und dabei immer noch die anständigen Leute und angesehenen Männer zu schonen bis zum letzten Augenblick des Staatsstreichs. So saßen seine Creaturen im Ministerium und in der Nationalversammlung; sie standen an der Spitze der Truppen und bewachten Paris und die Provinzen, und nachdem ihm die Abänderung des Wahlgesetzes nach seinem Plane gelungen, war zum Staatsstreich alles vorbereitet. So sicher war man seiner Sache, daß am Abend des 1. December 1851, während beim Präsidenten großer Empfang war, der Minister des Innern, Morny, die Provinzen benachrichtigte, Paris begrüße die staatsrettende That des Präsidenten mit jubelnder Begeisterung.

Diese That begann erst am Morgen des „2. December“, welcher seitdem strafgeschichtlicher Titel Louis Napoleon’s geblieben ist. Die hervorragendsten Männer der Nationalversammlung und der Armee wurden verhaftet, Nationalversammlung und oberster Gerichtshof außer Thätigkeit gesetzt und, als endlich am 3. und 4. December das Volk sich zur Wehr gegen die Staatsverbrecher setzte, jener scheußliche Straßenkampf, jene Metzelei gegen Unbewehrte und Waffenlose ausgeführt, die den Sieg vollendete. Auch diesmal war die Kaiser-Ernennung nur ein elendes Spiel der bezahlten Gemeinheit, die nun den neuen Thron umgab. Noch im Frühjahr 1854 konnte der damals mit dem Herzog Ernst von Coburg als Gast in den Tuilerien weilende Gustav von Meyern seine Meinung über den kaiserlichen Hofhalt in die Worte zusammenfassen: „Hoheit, ich glaube, ich bin noch nie in schlechterer Gesellschaft gewesen.“

Auch dieses Trauerspiel ist aus, und wie einst Napoleon dem ersten kein Napoleon der Zweite folgte, so hat nach Napoleon dem Dritten kein Napoleon der Vierte den Thron bestiegen. Was Wunder, daß nun ein dritter Prätendentenact gewagt und abermals versucht wird, über den vierten hinweg einen Napoleon den Fünften auf den Thron zu bringen? Wird die französische Nation sich heute mehr als 1848 an dem sogenannten „Fluch der Lächerlichkeit“ stoßen? Das Stück spielt in Frankreich, wo unsere Begriffe von Unmöglichkeiten kein Maßstab sind.

Prinz Napoleon, dessen Vater Jérôme von Napoleon dem Dritten durch Decret vom 24. December 1852 zum eventuellen Thronfolger ernannt worden war, hat in seinem „Manifest“ sich der Nation als Erben von Napoleon dem Ersten und Napoleon dem Dritten vorgestellt und auf das Plebiscit als einzig gesetzlichen Ausdruck des Volkswillens über das ihm genehme Staatsoberhaupt hingewiesen, indem er zugleich für die Zukunft der Kirche die freundlichsten Aussichten eröffnete. – Die Aufnahme des Wagestücks war im ersten Augenblick keine für den Prätendenten günstige: ohne öffentliche Erregung hervorzurufen, konnte der Justizminister ihn verhaften lassen, und die Nationalversammlung genehmigte diesen Rechtsact. – Schon am 20. Januar wurde in der Kammer der Antrag zu zwei Gesetzentwürfen gestellt. Der eine ermächtigt den Präsidenten der Republik zur sofortigen Ausweisung jedes Kronprätendenten; der andere verschärft das Preßgesetz gegen Schmähungen der republkanischen Staatseinrichtungen. Ein dritter Antrag fordert die sofortige Entfernung der Prinzen von Orleans aus der Armee. Nach solchen Vorgängen hat es den Anschein, als ob die geplante Erschütterung diesmal zur Befestigung der Republik dienen solle – ein Erfolg, dem wir nur unseren Beifall zu zollen haben.