Wie das erste Deutsche Parlament entstand/Märtyrer und Pioniere
Wie das erste Deutsche Parlament entstand.
Das neue Jahr bringt ein Halbjahrhundert deutscher Geschichte zum Abschluß, das von den welterschütternden Ereignissen des Jahres 1848 seinen Ausgang genommen hat. In diesem Jahre 1898 werden es fünfzig Jahre, daß unter Entfaltung eines idealen Sinns ohnegleichen, unter Irrungen und Wirrungen von düstrer Tragik das deutsche Volk seine Wiedergeburt im Geist einer neuen Zeit, im Geiste der Freiheit erlebte.
Vor fünfzig Jahren brachte der Ansturm einer lawinenartig anschwellenden Volksbewegung die starre Gewaltherrschaft des Metternichschen „Systems“ zu Fall, das auf Unterdrückung jeder freien Regung des deutschen Volksbewußtseins gerichtet war und das Bekennen der Liebe zum großen Gesamtvaterlande als todeswürdiges Verbrechen verfolgte. In dem Jahr „Achtundvierzig“ trat in der Kaiserkrönungsstadt des alten von Napoleon zertrümmerten Reichs, am Sitz des dem Spotte der Welt verfallenen Bundestages, in der Paulskirche zu Frankfurt a. M., das erste Deutsche Parlament zusammen, eine Volksvertretung aller Deutschen, betraut mit der Aufgabe, für ein neuzugründendes Deutsches Reich eine freie Verfassung zu schaffen. Und wenn die damals entstandene Reichsverfassung auch ebensowenig ins Leben trat wie das damals erstrebte Reich, so ist doch jene Großthat des seiner Fesseln plötzlich entledigten Volksgeistes Voraussetzung geworden alles weiteren Fortschritts zur Erfüllung dessen, was das deutsche Volk damals ersehnte.
In dem begeisternden Idealbild, das Friedrich Schiller in seinem „Tell“ von einer sittlich berechtigten Revolution zur Befreiung und Einigung des Vaterlandes entworfen hat, geht dem offenen Ausbruch derselben die heimliche Versammlung auf dem Rütli voraus. Auch die große deutsche Volkserhebung des Jahres Achtundvierzig hat eine Art „Rütli“ gehabt. Das feierliche Gelübde, das Schillers Landboten auf der ausgerodeten Waldstelle am Vierwaldstätter See schwören: „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern!“, es ist auf dieser heimlichen Zusammenkunftsstätte deutscher Vaterlandsfreunde mehr als einmal von begeisterten Männerlippen erklungen. Dies Rütli war am Ufer des schönen Rheinstroms, im Rheingau, gelegen.
Dort oberhalb von Oestrich und Hattenheim in Hallgarten, auf jenem Uferhang, wo der köstliche Marcobrunner gedeiht, besaß der alte Kämpe der Volksinteressen im badischen Landtag, Johann Adam v. Jtzstein, ein Landgut. In stiller Abgeschiedenheit, umhegt von Rebgärten, beschattet von Waldeswipfeln, bot es ein weltentlegnes Asyl. In seinen Räumen versammelte sich in dem Jahrzehnt vor 1848 fast alljährlich eine erlesene Schar von Vaterlandsfreunden aus verschiedenen Ländern Deutschlands um den bewährten Führer, mit ihm sich in aller Heimlichkeit über gemeinsame Mittel zur Herbeiführung besserer Zustände im Vaterland zu beraten. Die Nähe von Schloß Johannisberg, dem stolzen Besitztum des Fürsten Metternich, schreckte sie nicht – gerade hier, wo der gefürchtete Beherrscher der österreichischen Monarchie, des „Deutschen Bunds“ und der „Heiligen Alliance“ jeden Sommer persönlich erschien, gerade in dieser gesegneten Gegend, die ein harmlos frohes Winzervolk bewohnt, suchte man keine Verschwörer.
Welch ein poetischer Kontrast dies Nebeneinander, vom Geist der Weltgeschichte selbst gedichtet! Dort oben das glänzende Schloß, das seine Zinnen stolz dem Rheine zukehrt, in das der allmächtige Staatskanzler alljährlich einzieht, um Erholung von jenen Regierungsgeschäften zu suchen, die das deutsche Volk um seine verbrieften Rechte, um Würde und Ehre bringen – daneben der schlichte Landsitz des tapferen Volksmannes, in dem sich heimlich deutsche Volksvertreter zusammenfinden, um den Sturz dieses unerträglichen Regiments vorzubereiten! Beide Männer, der Volksmann wie der Staatsmann, um diese Zeit schon betagt, waren am Rheinesufer als Söhne altangesessener Familien zur Welt gekommen. Dieselben traurigen Verhältnisse, die den Untergang des alten Reichs deutscher Nation bewirkten, hatten den einen zum mächtigsten Mann der Erde, aber zum Unterdrücker des Volkes, den andern zum amtlosen Politiker, aber zum Liebling des Volkes gemacht.
Fürst Metternich war früh in den Dienst des kaiserlichen Erzhauses getreten. Diesem ist er immer ein treuer Diener geblieben. Als Kaiser Franz ihm 1816 nach dem Wiener Kongreß dies Schloß Johannisberg mit seinen Edelweinen als Ehrengeschenk überwies, hatte er’s um das Haus Habsburg wohlverdient. Deutschlands Erniedrigung unter Napoleons Druck, das Elend der Rheinbundszeiten, die Siege der Befreiungskriege, alles hatte er zu benutzen gewußt, um Oesterreichs Hausmacht weit über ihre früheren Grenzen und tief nach Italien hinein zu erweitern. Zur Erhöhung und Sicherung dieser Macht hatte er auf dem Wiener Kongreß die Pläne der preußischen Patrioten Stein und Hardenberg, die ein neues deutsches Reich mit freier Verfassung wollten, eifrig und siegreich bekämpft und statt ihrer die Gründung des „Deutschen Bundes“ durchgesetzt, in welchem alles darauf angelegt war, Preußens durch den siegreichen Krieg und Steins Reformen wiedererstarkte Macht nach Möglichkeit zu schwächen und zu lähmen. Bei der Aufteilung des Napoleonischen
[13] Länderraubes hatte er im Einverständnis mit Talleyrand dafür gesorgt, daß sie für jede der neubefestigten deutschen Dynastien so ausfiel, um diese mit Neid und Eifersucht gegen die Nachbarn zu erfüllen. Der Bundestag in Frankfurt a. M. war von ihm als Centralorgan des Bundes so eingerichtet worden, daß Osterreich nicht nur das Präsidium hatte, sondern auch die Rivalität der übrigen Einzelstaaten zu seinem Vorteil gegeneinander ausspielen konnte. Die Mehrzahl der deutschen Fürsten, vor allem der König von Preußen, haaten vor dem Kriege ihren Völkern eine Verfassung und die Beteiligung an der Landesregierung durch Ständekammern verheißen – Metternich ließ es auch in der Bundesakte bei einem unbestimmten Versprechen bewenden, dessen Erfüllung er dann, wie er sie in Oesterreich versagte, auch in den andern Staaten mit vielem Erfolg zu hintertreiben bemüht war; in Preußen gelang ihm dies völlig.
Und als dann die Kämpfer von Leipzig und Waterloo enttäuscht ihre Stimme erhoben, als Arndts Lied „Was ist des Deutschen Vaterland?“ begeistert von Munde zu Munde klang, als die Burschenschaft sich zusammenthat mit der Losung „Deutschlands Wiedergeburt!“, als Fr. Ludw. Jahn seinen Turnern auch weiter die Pflege der patriotischen Ideale als höchstes Ziel vor Augen stellte – da dekretierte er: Es giebt kein Deutschland mehr, sondern nur einen völkerrechtlichen Bund der souveränen deutschen Fürsten! Und wer von den Unterthanen eines dieser Fürsten nach einem Deutschland verlangt, der begeht Landesverrat! Die Karlsbader Beschlüsse formten, nachdem Sands Attentat auf Kotzebue den gesuchten Vorwand dafür geboten, aus diesen „Grundsätzen“ ein „System“ der Volksunterdrückung.
Wer das schwarz-rot-goldne Band der Burschenschaft trug oder getragen, wer vaterländische Lieder gedichtet oder gesungen, wer als Professor oder als Schriftsteller den deutschen Gedanken gepflegt, wer in der Presse oder in Versammlungen an deutsche Volksrechte mahnte, der wurde verfolgt, verhaftet, zu Kerker oder Landesverweisung verurteilt. Die wenigen Verfassungen, die schon bestanden, wurden beschränkt, das Versprechen derselben in der Bundesakte dahin ausgelegt, daß die mittelalterliche Ständevertretung damit gemeint sei. Die Presse als Organ der öffentlichen Meinung wurde vernichtet, die Censurbehörden ermächtigt, auch alle Bücher unter 20 Bogen zu unterdrücken, die Universitäten polizeilich überwacht, das ganze Geistesleben der Nation unterbunden, derselben Nation, für die eben erst der Geistessegen des Dichtens und Denkens eines Schiller, Goethe, Lessing, Herder und Kant erblüht war! Und siegreich behauptete sich das System durch Jahre und Jahre. Jedes Aufflackern des Freiheitsverlangens und des nationalen Bewußtseins, jede Nachgiebigkeit eines aufgeklärteren Fürsten wurde mit einer Verschärfung der Bundesgesetze beantwortet. Das vernichtete Lebensglück Tausender schrie nach Rache, der Fluch der ganzen Nation lastete auf dem Urheber des unerträglichen Zustandes – Metternichs Herrschaft, die er als Haus-, Hof- und Staatskanzler des geistesschwachen Kaisers Ferdinand ausübte, blieb unerschüttert. Er hatte die Hand über ganz Europa und ganz Europa hatte Ruhe … die Ruhe eines Friedhofs. Das aber kümmerte ihn nicht; stolz fühlte er sich als Friedensfürst, als Wohlthäter all der undankbaren murrenden Völker, für deren Herrscher er das Behagen des Friedens über ein Menschenalter hinaus zu sichern verstanden hatte.
Wenn er im Sommer 1839 von der Dampfschiffstation in Oestrich auf sein Rheinschloß Johannisberg hinauffuhr und dabei dem gleich ihm gelandeten Gutsnachbar v. Jtzstein begegnete, mochte er mit spöttischem Mitleid auf den untersetzten stämmigen Mann herabsehen, der ihm aus den Berichten seines Gesandten am badischen Hof gar wohl bekannt war. In dem kleinen Großherzogtum da im südwestlichen Winkel von Deutschland mühte sich dieser „schönrednerische Volksaufwühler“ nun seit zwei Jahrzehnten schon ab, als Abgeordneter im Landtag wieder und wieder Volkswünsche vorzubringen, für deren Nichterfüllung er, Metternich, durch die geheimen Vereinbarungen zu Karlsbad, Wien und Frankfurt a. M. so klug und sicher gesorgt hatte. Früher hatte er vor dem gefährlichen Mann gewarnt. Jetzt spottete er dieser machtlosen Entfaltungen demagogischer Lungenkraft, die gerade in diesem undankbaren Baden leider immer wieder zur Geltung kamen! Ein Schatten flog aber doch über sein glattes Diplomatengesicht, wenn er dieses Landes gedachte, das vor allen anderen deutschen Ländern ein Herd demagogischer Umtriebe blieb und doch gerade durch seine Gunst erst zu der einheitlich umgrenzten Selbständigkeit gelangt war, die dem in der Rheinbundszeit so wesentlich vermehrten Umfang des Landes entsprach.
Der Mannheimer Hofgerichtsrat a.D., der seinem Gut Hallgarten zuschritt, mag dagegen nach solcher Begegnung das kluge Auge hoffnungsvoll ins Weite gerichtet haben, als sähe er den endlichen Sturz von Metternichs Herrschaft [14] in nicht zu ferner Zukunft voraus.
Auch Adam v. Itzstein war erst durch die Länderverteilung im Rheinbundsgebiete ein Badenser geworden. In Mainz als Sohn eines kurmainzischen Geheimrats geboren, hatte er in der Jugend das ganze Elend der Rheinbundszeit am eigenen Schicksal erlebt, hatte als Beamter erst unter kurmainzischer, dann unter fürstlich leiningischer Herrschaft gestanden, bis deren Mediatisierung ihn zum badischen Unterthan machte. Als Oberamtmann von Schwetzingen zog er sich durch seine liberale Gesinnung den Haß der Hofpartei zu. Der Haß stieg, als er, nach Mannheim an das Hofgericht versetzt, 1822 zum Deputierten in den Landtag gewählt ward und sich dort der Opposition anschloß. Er wurde ihr Führer im Kampf für die Rechte des Volkes, welche die Regierung den Karlsbader Beschlüssen gemäß immer mehr zu schmälern bemüht war. Eine Strafversetzung nach Meersburg war die Folge; sie hätte ihn außer allen Verkehr mit seinem geliebten Landsitz am Rhein gebracht. Vergeblich protestierte er dagegen, und so sah er sich schließlich veranlaßt, seine Entlassung zu nehmen. Seitdem widmete er seine ganze Kraft der einen Aufgabe, den gesetzmäßigen Widerstand gegen die immer stärker werdende Reaktion in Baden zu organisieren. Da kam das Jahr 1830: zum erstenmal ward das „System“ Metternichs durch Kriegsgefahr von Frankreich her ins Wanken gebracht.
Die siegreiche Julirevolution in Paris erinnerte ihn und die deutschen Fürsten daran, daß von einer solchen Revolution jenseit des Rheins auch Napoleons Siegeszüge ihren Ausgang genommen hatten und daß die besten Waffen im Befreiungskampf gegen den Korsen die Liebe ihrer Völker zum gemeinsamen Vaterland und die in ihnen geweckte Hoffnung auf ein freies Staatsleben gewesen waren. Die strenge Handhabung der Bundesbeschlüsse ließ überall nach. Am wenigsten freilich in Preußen und Oesterreich, den deutschen Großstaaten, die immer noch ihren Völkern die versprochene Verfassung versagten. In Sachsen, Braunschweig, Kurhessen, Hannover dagegen wurde der Ausbruch von Unruhen durch Zugeständnisse an das Verfassungsleben beschwichtigt. In allen konstitutionellen Ländern, namentlich in Baden, Bayern und Württemberg, entfaltete sich in jugendlicher Frische die Presse. In Baden kam der neue liberal gestimmte Großherzog Leopold der liberalen Bewegung entgegen. Es trat jener Landtag von 1831 ins Leben, der es in glänzender Weise verstand, die Gunst der Stunde für den Ausbau der Verfassung im Sinne der Freiheit zu nutzen.
Und hier erschien ein Mann neben Itzstein, der bald dessen treuester Waffengefährte wurde: Karl Theodor Welcker. Gleich seinem Bruder, dem berühmten Altertumsforscher, hatte ihn früh der akademische Beruf aus seiner Heimat Hessen verschlagen. Mit Arndt und Jahn wurde er kurz nach den Karlsbader Beschlüssen als junger Professor des Rechts in Kiel eines der ersten Opfer der „Demagogenverfolgung“. Die patriotische Begeisterung, welche von Preußen aus den Befreiungskriegen ihren Charakter gegeben, hatte ihm damals die Feder geführt beim Entwerfen kühner Pläne für die Neugestaltung des Vaterlands. Jetzt war er seit mehreren Jahren Professor der Staatswissenschaften in Freiburg. In seinem dortigen Kollegen Karl von Rotteck fand er einen bewährten Gesinnungsgenossen; beide vereinigten sich zur Herausgabe einer Zeitung, „Der Freisinnige“. In schönem Wettstreit mit den alten Führern der Opposition, mit Itzstein, Duttlinger, Föhrenbach und neueingetretenen Mitgliedern, wie Mittermaier, in Reden voll Geist und feurigem Schwung, die überall in Deutschland lebendigen Wiederhall weckten, gelang es ihnen jetzt, in der Kammer mit anderen volkstümlichen Forderungen auch die bedingter Preßfreiheit durchzusetzen. Da trat Welcker, berauscht vom Sieg, auch mit dem Antrag hervor, daß sich die Regierung beim Bundestag für die Schaffung einer Volksvertretung der ganzen Nation verwenden solle. Und als die Regierung sich gegen eine Diskussion des Antrags aussprach, verkündete Rotteck: „Der Antrag geht also nicht in die Abteilungen der Kammer, aber er geht in die Abteilungen des deutschen Volkes; Berichterstatter wird die freie Presse sein, und das große Parlament der öffentlichen Meinung wird über ihn zu Gericht sitzen!“ Aehnliche Forderungen wurden in Rottecks „Annalen“ durch Wilhelm Schulz, Münch und Gutzkow, dann leidenschaftlicher, trotziger durch die Journalisten Wirth und Siebenpfeiffer auf dem großen Volksfest in der bayrischen Pfalz geltend gemacht, das am 24. Mai 1832 auf der Hambacher Schloßruine bei Neustadt a. H. unter einem aufgehißten schwarz-rot-goldnen Banner viele Tausende patriotischer Freiheitsfreunde aus nah’ und fern vereint sah.
Die Antwort Metternichs waren neue Bundeserlasse, welche die Preß- und Versammlungsfreiheit völlig unterdrückten, die Unterordnung der inneren Gesetzgebung der Einzelstaaten unter die des Bundes dekretierten und die Oeffentlichkeit und Machtsphäre der Ständeversammlungen beschränkten. Die Wiener Ministerkonferenzen von 1834 führten zu weiteren geheimen Abmachungen, welche das Verfassungsleben in den konstitutionellen Staaten Deutschlands unter die Kontrolle des Bundestags stellten. Das thörichte Attentat fanatisierter Studenten anf die Konstablerwache in Frankfurt, in dem eine von deutschen Flüchtlingen eingeleitete Verschwörung gegen den Bundestag kläglich verpuffte, gab den Vorwand zur Einsetzung einer neuen Central-Untersuchungsbehörde, die, wie Fritz Reuter, Heinrich Laube, mehr als hundert ehemalige Burschenschafter ins Gefängnis brachte. Die Untersuchung erstreckte sich auch auf altbewährte Führer der Verfassungskämpfe in Hessen-Darmstadt und Kurhessen; der [15] schwärmerische Patriot Pfarrer Weidig von Obergleen und der als Schöpfer der kurhessischen Verfassung hochverdiente Marburger Professor Sylvester Jordan sind die berühmtesten Opfer dieser Inquisitionsjustiz. Der Hauptredner von Hambach, Johann Georg Wirth, mußte auf Jahre in den Kerker wandern; den früheren Bürgermeister von Würzburg, Wilhelm Joseph Behr, und den Redakteur des Bayrischen Volksblatts, Gottfried Eisenmann, ereilte dasselbe Schicksal, und ihre Haft erstreckte sich auf nahezu 15 Jahre. Zu ihrer besonderen Demütigung ließ Ludwig I sie vor seinem Bilde feierlich Abbitte leisten. Es kam die Zeit, da den Dichtern des „Jungen Deutschlands“, welche zuerst Metternichs System mit den Waffen der Poesie und der Satire bekämpft hatten, das Schreiben überhaupt untersagt ward, die Schriften von Heine, Börne, Gutzkow, Laube und ihren Gesinnungsverwandten, darunter die freiheitatmenden Dichtungen des österreichischen Grafen Auersperg (Anastasius Grün), sämtlich verboten wurden. Ebenso ging es den neuen freisinnigen Blättern in Baden: sie mußten eingehen, die meisten ihrer Redakteure wurden in Strafprozesse verwickelt, wenn sie nicht in das Ausland, nach Frankreich, der Schweiz, flüchteten; dies letztere that auch Karl Mathy, der jugendliche Redakteur des Karlsruher „Zeitgeistes“. Rotteck und Welcker wurden nach Unterdrückung des „Freisinnigen“ ihrer Professuren enthoben. Andere Führer der liberalen Bewegung sahen sich gezwungen, ihre Aemter niederzulegen, um ihr Abgeordnetenmandat zu erfüllen, weil die Regierung ihnen den Urlaub verweigerte. In Württemberg mußte deshalb Ludwig Uhland auf seine Tübinger Professur. Friedrich Römer auf sein Amt als Kriegsrat verzichten: Paul Pfizer hatte sich schon vorher veranlaßt gesehen, wegen seiner von edelster Vaterlandsliebe diktierten Schrift „Briefwechsel zweier Deutschen“, welche die patriotischen Hoffnungen der Deutschen auf den innigen Anschluß an Preußen verwies, für dieses aber die Verleihung einer freisinnigen Verfassung verlangte, aus dem Staatsdienst zu scheiden. Heinrich von Gagern, der in Hessen-Darmstadt an der Spitze der Kammeropposition stand, wurde mit Jaup und anderen direkt seines Amtes entsetzt. Die große Beliebtheit, die Uhland als Dichter in allen Kreisen der Nation genoß, auch in solchen, wo man sein mannhaftes Eintreten in Lied und Rede für das „alte gute Recht“ nicht zu würdigen vermocht hatte, lenkte die allgemeine Teilnahme auf diese Vorgänge. Noch größere Empörung rief aber überall, wo deutsche Herzen für das Vaterland schlugen, der Willkürakt des Königs Ernst August von Hannover hervor, der 1837 bei seiner Thronbesteigung die liberale Verfassung, die erst vor wenigen Jahren sein Vorgänger dem Lande gegeben, mit einem Federstrich beseitigte. Nur jene berühmt gewordenen „Göttinger Sieben“ fanden den Mut zu einem Proteste; Amtsentsetzung und Landesverweisung war das Schicksal der Tapfern. Die sieben Göttinger Professoren waren sämtlich erlauchte Vertreter der deutschen Wissenschaft, der Theologe H. Ewald, der Jurist E. Albrecht, der Naturforscher W. Weber nicht minder als die beiden Historiker Dahlmann und Gervinus, in deren Werken sich kraftvoll eine liberale Gesinnung aussprach, nicht minder als die allverehrten Brüder Jakob und Wilhelm Grimm, deren Forschen und Schaffen mit heiliger Andacht der Pflege des Deutschtums und der Vaterlandsliebe geweiht war. Jakob Grimm, Dahlmann und Gervinus wurden nach Verlauf dreier Tage, von Kürassieren bewacht, über die Grenze geschafft. In Dahlmann traf die Verbannung den Schöpfer des Entwurfs zu der so schmählich beseitigten Verfassung.
In dieser Zeit hohnvollen Triumphes der Metternichschen Gewaltpolitik faßte Itzstein den Plan, der sichtlich vorhandenen Verschwörung der Bundesfürsten gegen das Freiheits- und Einheitsverlangen des deutschen Volkes eine Organisation gegenüber zu stellen, welche die vereinzelten Bestrebungen im Volke zu gunsten der Freiheit und Einheit in einen Zusammenhang brächte. Die Entrüstung, welche der hannöversche Verfassungsbruch und die Ausweisung der „Göttinger“ allenthalben in Deutschland weckten, die Teilnahme, welche eine von ihm mit anderen eingeleitete Sammlung für eine Nationalgabe an die schwergeprüften Männer allgemein fand, brachte ihm zum Bewußtsein, mit welcher Macht sich unter dem Drucke der Reaktion das nationale Gemeingefühl auch außerhalb Badens entwickelt hatte. Für jeden Märtyrer erstand ja überall eine ganze Schar von neuen Pionieren. Besonders in Leipzig, Königsberg und anderen deutschen Universitätsstädten hatte sich bei dieser Gelegenheit gezeigt, wie tief dies Empfinden bereits ins Volk gedrungen war. Da aber zur Zeit bei der völligen Unterdrückung der Presse der parlamentarische Kampf in der Kammer als das einzige Mittel erschien, gegen die Reaktion zu wirken, so beschloß Itzstein mit Welcker und anderen politischen Freunden, zunächst ein Zusammenwirken von Führern der Opposition in den politisch regsamsten deutschen Landtagen herbeizuführen.
Und so kamen im Herbst 1839 auf Itzsteins Einladung Männer dieser Gesinnungsgemeinschaft erstmals am schönen Rheinstrom zu geheimer Beratung zusammen.
[61] Das Geheimnis, in welches die seit 1839 von Itzstein nach Hallgarten einberufenen Zusammenkünfte von „Vaterlandsfreunden“ gehüllt waren, blieb bis in den März 1848, in welchem vom Kerne derselben die Einberufung des „Vorparlaments“ ausging, mit bestem Erfolge gewahrt. Zu diesem Kern zählten neben Itzstein, Welcker und jüngeren Rednern der Opposition im badischen Landtag hervorragende Männer von ähnlicher Stellung aus Württemberg, Hessen-Darmstadt, Nassau, Rheinbayern, dem preußischen Rheinland und dem Königreich Sachsen, die fast alle vom Schicksal berufen waren, im Jahre Achtundvierzig als Führer der Volkserhebung zu wirken.
Daß das Unternehmen im Sinne der herrschenden Ausnahmegesetze ein Verbrechen des Landesverrats sei, war den Männern natürlich klar. Was ihnen im Fall der Entdeckung bevorstand, das hatte jeder vor Augen, wenn er an das Schicksal Sylvester Jordans dachte, den man in Marburg auf eine bloße Verdächtigung hin mitten aus seiner Thätigkeit als Lehrer des Rechts heraus ins Gefängnis abgeführt hatte. Dort schmachtete er noch, ohne daß bei dem bestehenden geheimen Inquisitionsverfahren von seinem Schicksal ein Laut an die Oeffentlichkeit drang. Und nicht gar weit von Hallgarten, in Darmstadt, lag auch der Kerker, in dem sich der unglückliche Weidig das Leben genommen hatte, aus Verzweiflung über die geistige und auch – körperliche Mißhandlung, die ihm durch seinen brutalen Untersuchungsrichter dort zu teil geworden. Da ihm keine andere Waffe zu Gebote gestanden, hatte sich Weidig mit Glasscherben die Pulsadern aufgeschnitten.
Die Zusammenkünfte der Vaterlandsfreunde erfolgten daher, wie der Historiker Wilh. Zimmermann, selbst ein Achtundvierziger, in seinem Buche „Die deutsche Revolution“ erzählt, unter Wahrung der größten Vorsicht. Auf verschiedenen Wegen kamen sie einzeln oder zu zwei und drei zum Stelldichein. Der schriftliche Verkehr zwischen den Gesinnungsgenossen wurde aus Furcht vor der politischen Polizei, die das Briefgeheimnis nicht achtete, in verabredeten Ausdrücken geführt, die darauf berechnet waren, jene irre zu führen. Aus dem Nachlaß eines später hinzugetretenen preußischen Volksmanns ist eine Einladung erhalten geblieben, welche ein Teilnehmer aus Sachsen (Robert Blum) im Auftrag Itzsteins um die Mitte der vierziger Jahre an ihn richtete. Der Anfang des merkwürdigen Schreibens lautet: „Meine Pflicht legt mir auf, Sie zu benachrichtigen, daß die im Mai vor. J. beschlossene Familienkonferenz im August und zwar auf dem Gute meines alten Onkels Hallgarten bei Oestrich am Rhein stattfindet, und Sie einzuladen, derselben beizuwohnen oder irgend einen Verwandten zur Teilnahme zu veranlassen u. s. w.“ Die hier hervorgehobenen Worte sollten in unbefugten Lesern den Glauben erwecken, es handle sich bei dieser Bestellung um einen harmlosen „Vetterntag“.
Die Ziele der heimlich Verbündeten waren thatsächlich friedlicher Natur. Sie konspirierten nicht mit den Verschwörern des Auslands, wie viele der deutschen Flüchtlinge in der Schweiz, in Paris, die sich Mazzinis „Jungem Europa“ angeschlossen. Sie bildeten auch keinen wirklichen „Bund“, wie Jucho in seiner Einleitung zu der offiziellen Ausgabe der Verhandlungen des „Vorparlaments“ hervorhebt. Sie gedachten, die „deutsche Frage“ aus eigner Kraft mit Hilfe der verfassungsmäßigen Rechte, über die sie jetzt noch verfügten und weiter verfügen würden, der Lösung zu nähern. Sehr verschieden nach Stand, Vermögen und Glauben, auch abweichend voneinander im Grad ihres Freiheitsverlangens, waren sie alle einig in der Ueberzeugung, daß die Freiheit in den einzelnen Staaten Deutschlands auf die Dauer nur gewonnen werden könne, wenn eine liberale Bundesreform zugleich die politische Einheit Deutschlands anbahne. Daß vereinzelte Forderungen im Sinne des Antrags Welcker vom Jahre 1831 erfolglos seien, hatte dessen Schicksal erwiesen. Auch die herrliche Rede Uhlands, mit welcher dieser zwei Jahre später in dem „vergeblichen“ württemberger Landtag seiner Hoffnung auf ein „machtbegabtes Organ deutscher Nationalgesinnung“ Ausdruck verliehen, war unter dem Banne der Bundesbeschlüsse wirkungslos verhallt. Es mußte der Versuch gemacht werden, durch gleichzeitiges Vorgehen in den Volkskammern der verschiedenen Verfassungsstaaten nach gemeinsamem Plan den Erfolg zu erzwingen. Aber unter dem Hochdruck der herrschenden Ausnahmegesetze war dafür die Zeit noch nicht reif. Erst galt es, durch immer erneute Anträge und rücksichtslose Kritik die Presse von dem Joch der allem Recht, aller Bildung hohnsprechenden Censur- und Polizeiwillkür zu befreien, die Ausnahmegesetze zu beseitigen und die Bedingungen für ein wahrhaft öffentliches Leben dem Volke zurückzuerobern.
Die erste Gelegenheit zu solchem gemeinsamen Vorgehen bot das Verhalten des Bundestags gegen den im Königreich Hannover erfolgten Verfassungsbruch. Trotz des Ansehens, das die sieben aus Göttingen verbannten Professoren genossen, trotz des mächtigen Widerhalls, den ihr Protest und ihre Verteidigungsschriften im gesamten deutschen Bürgertum fanden, trotz der vielen Petitionen, die aus Hannover an den Bundestag um Hilfe ergingen, hatte dieser jede Einsprache abgelehnt. In den konstitutionellen Staaten Deutschlands wurden nunmehr die Volkskammern zu Organen der allgemeinen Entrüstung darüber. Im badischen Landtag hatte Itzstein schon vorher wiederholt gegen den Gewaltakt des Königs Ernst August seine Stimme erhoben und im sächsischen Landtag war der Advokat v. Dieskau aus Plauen seinem Beispiel gefolgt. Jetzt gab Sachsen, wo Karl Todt, der Bürgermeister von Adorf, energisch die Opposition führte, das Beispiel, und die Beschwerden H. G. Eisenstucks und v. Watzdorfs fanden die lebhafte Zustimmung des Hauses. Bald gab es kaum noch einen konstitutionellen deutschen Staat, in dessen Volkskammer nicht ein energischer Protest gegen die Vergewaltigung des Rechts durch den König von Hannover unter stürmischem Beifall widergeklungen wäre.
Aber auch noch andere Verfahren, dem gemeinsamen Ziel sich zu nähern, traten gleich nach der ersten dieser Zusammenkünfte ins Spiel. An dieser hatte neben den beiden sächsischen Kammerabgeordneten, welche zuerst es gewagt hatten, „deutsche“ Angelegenheiten vor das Forum des Dresdner Landtags zu bringen, den schon genannten Vogtländern Todt und v. Dieskau, ein in Leipzig ansässiger, aus Köln gebürtiger Politiker teilgenommen, der, obwohl nicht selbst Abgeordneter, sich im Dienst der Kammeropposition neuerdings als hervorragender Agitator bewährt hatte. Dies war Robert Blum. Als die Professoren Dahlmann und Albrecht nach ihrer Vertreibung aus Göttingen in Leipzig Zuflucht [62] suchten, war der am Leipziger Stadttheater als Sekretär Angestellte zuerst an die Oeffentlichkeit getreten als Führer und Sprecher einer Deputation, welche den Vertriebenen ihre Huldigung darbrachte. Jetzt ward er Schriftführer in dem Festausschuß, welcher mit der Vorbereitung einer großen Säkularfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst in Leipzig betraut war, jenes großen Gutenbergfestes, das dann wirklich vom 24. bis 26. Juni 1840 in der Hauptstadt des deutschen Buchhandels gefeiert wurde.
In Mainz, dem Geburtsort Gutenbergs, hatte schon 1837 ein ähnliches Fest stattgefunden; dort war Blum bei seiner Anwesenheit am Rheine im vergangenen Herbst in Gesellschaft von Itzstein, dem geborenen Mainzer, gewesen. Nun ließ er es sich angelegen sein, daß der Verlauf des Leipziger Festes sich zu einer großartigen Kundgebung des Verlangens nach Denkfreiheit und Freiheit der Presse gestaltete. Und noch im gleichen Jahre rief er zu Schillers Geburtstag eine Schillerfeier ins Leben, die ihm Gelegenheit bot, den Dichter des „Carlos“ und „Tell“ als den Propheten der patriotischen Ideale des lebenden Geschlechts zu feiern, und welche von nun an alljährlich wiederholt wurde. Politische Feste, politische Vereine waren verboten; so mußten Gedenktage litterarischer Art den politischen Zwecken dienen. Folgte Blum als Veranstalter einer volkstümlichen patriotischen Schillerfeier einem von Württemberg gegebenen Beispiel, wo die von Albert Schott gegründeten Stuttgarter Schillerfeste in ähnlicher Weise wirkten, so lernte er von den badischen Liberalen die Kunst, in Formen scheinbar harmloser Geselligkeit die politischen Gesinnungsgenossen zu organisieren.
Für all diese politische Regsamkeit bot das Jahr 1840 aber auch einen Spielraum, der noch im Jahre vorher von niemand erhofft worden war. Wieder war es eine von Frankreich drohende Kriegsgefahr, welche einen kurzen Umschwung der deutschen Zustände bewirkte. Thiers entfesselte, um sich populär zu machen, einen gehässigen Preßfeldzug gegen Deutschland: die linke Rheingrenze ward in herausfordernden Wendungen reklamiert. Da sah man es an den Höfen wieder einmal vorübergehend gern, wenn die Deutschen sich als Deutsche fühlten; Beckers „Rheinlied“ trug dem Dichter vom König von Preußen ein Ehrengeschenk ein. Es war ein neuer König, der es verlieh. Nicht mehr der sanftmütige, altersmüde Mitbegründer der Heiligen Alliance, der sich von Metternich all die Zeit daher hatte nachgiebig gängeln lassen. Am 7. Juni 1840 hatte sein Sohn Friedrich Wilhelm IV den stolzen Thron der Hohenzollern bestiegen, von ungeduldigen Hoffnungen aller Vaterlandsfreunde begrüßt. Bestimmt erwartete man allgemein im Volke, daß er die von seinem Vater wiederholt versprochene Verfassung dem Staate Preußen nun verleihen werde. Und wirklich schienen die Erwartungen sich bald bestätigen zu wollen: die ersten Handlungen des neuen Königs waren liberal: er erließ eine Amnestie für alle politisch Verurteilten und Verfolgten; er verordnete eine mildere Handhabung der Censur; die Brüder Grimm berief er nach Berlin, Arndt und Dahlmann bot er in Bonn wieder ein Lehramt; er ließ Andeutungen laut werden, daß er einen Ausbau der Landesverfassung plane. Was in weiten Kreisen der Nation an Hoffnungen sich regte, fand Wort und Klang in den Liedern begeisterter Dichter, welche die schmetternden Weckrufe ihrer Lyrik lerchengleich in die Morgenröte der vermeintlich schon tagenden neuen Zeit erschallen ließen. In des Hannoveraners Hoffmann von Fallersleben „Unpolitischen Liedern“, in des Schwaben Georg Herwegh „Gedichten eines Lebendigen“, in des Hessen Dingelstedt „Liedern eines kosmopolitischen Nachtwächters“ sprach sich neben der Empörung über die noch herrschenden Zustände voll Frühlingsstimmung die Zuversicht auf eine baldige Wiedergeburt des Vaterlands im Zeichen der Freiheit aus. Mit einer Antwort auf Beckers „Sie sollen ihn nicht haben“ trat der junge Robert Prutz in Halle, ein Stettiner, ins Feld; in seinem Gedichte „Der Rhein“ führte er aus, daß vom „freien deutschen Rheine“ nur dann erst mit Recht gesungen werden dürfe, wenn Deutschlands Fürsten und Völker auch selbst wahrhaft deutsch und frei wären!
Hoffnungsvoll blickten auch die Vaterlandsfreunde, die in Hallgarten zusammenkamen, auf den mächtigen Staat Friedrichs des Großen, von dem einst nach Deutschlands tiefster Erniedrigung unter dem Scepter Napoleons der patriotische Aufschwung der Nation seinen Ausgang genommen. Sie fühlten sich in ihren Erwartungen bestärkt, als auch in ihren Ländern das preußische Beispiel der Presse zu gute kam. Wieder traten größere Zeitungen mit liberalen Programmen ins Leben, durch welche die Forderung der Bundesreform weithin Verbreitung fand. Eine Reise, die Welcker im Herbst 1841 nach Berlin und von da nach Hamburg unternahm, wurde zu einem Triumphzuge der von ihm so mannhaft verfochtenen Ideale. Ueberall, wo er sich aufhielt, war er Gegenstand von Ovationen; Sängervereine, Studenten brachten ihm Ständchen; Politiker und Schriftsteller, die in ihm einen Führer verehrten, veranstalteten ihm Bankette. In Berlin sprach er bei einer solchen Gelegenheit in feierlicher Anrede [63] die Mahnung aus: „Fahren wir fort auf allen gesetzlichen Wegen die gesetzliche Freiheit, die zugleich der kräftigste Schutz der Throne ist, zu erstreben. Wenn der hochherzige Stamm der Preußen, der uns, im innigsten Verein mit seinem ruhmwürdigen Fürstenhause, im Kampf um unsere Freiheit gegen den äußeren Feind voranging, ebenso vorangehen wird in dem gesetzlichen Kampfe um die Entwicklung der bürgerlichen Freiheit, dann erst wird unser Vaterland auf der Stufe des Glanzes, des Glückes und der Macht stehen, die ihm gebührt!“ In Hamburg fügte es ein schöner Zufall, daß Hoffmann von Fallerslebens kurz vorher auf Helgoland entstandenes Lied „Deutschland, Deutschland über alles“ zum erstenmal öffentlich in einem Welcker dargebrachten Ständchen und in Gegenwart des Dichters gesungen wurde. Als das bei Fackelschein gesungene Lied mit den Worten verklang:
„Einigkeit und Recht und Freiheit
Sind des Glückes Unterpfand –
Blüh’ im Glanze dieses Glückes,
Blühe, deutsches Vaterland!“
rief der Sprecher der Sänger, Dr. Wille: „In der Gesinnung dieses Liedes der Deutschen, sei hier dem heldenmütigen, nie ermattenden Vorkämpfer für die heiligen Rechte des deutschen Volkes, dem badischen Ständedeputierten Welcker, als dem Manne der Entschiedenheit in Richtung und That ein dreifaches Hoch gebracht.“ „Ein donnernd Hoch,“ berichtet der Dichter in seinem Tagebuch, „ertönte aus tausend Kehlen. Seit der Anwesenheit Blüchers vor vielen Jahren soll man solche Begeisterung, solche Einmütigkeit nicht gesehen haben.“
Beide Männer, der Dichter wie der Politiker, sollten nach dieser festlichen Begegnung schweren Enttäuschungen entgegengehen. Als Hoffmann von Fallersleben nach Breslau heimkam, um sein Amt als Professor der deutschen Litteratur aufzunehmen, erfuhr er, daß inzwischen gegen ihn eine Untersuchung eingeleitet worden sei wegen der Anstößigkeit seiner „Unpolitischen Lieder“. Bald darauf war er seines Amtes entsetzt und aus Preußen verwiesen. Auch Welcker wurde wegen seiner in Preußen gehaltenen Reden daheim gemaßregelt und verlor aufs neue seine Freiburger Professur, in die er kaum erst wieder eingesetzt worden war. Ein erneuter Vorstoß der Reaktion war im Zuge.
Sehr bald zeigte sich auch, daß Friedrich Wilhelm IV keineswegs gesonnen sei, seinem Volke eine Verfassung zu geben. Und als er die Censur wieder in alter Strenge walten ließ und jeder liberalen Forderung die schroffste Ablehnung entgegenstellte, da begannen auch die Hallgartner Verbündeten in ihrem Kampf für das friedliche Ziel eine schärfere Tonart. Sie wurden die Leiter einer weitverzweigten Organisation der politischen Aufklärung: sie vereinbarten immer neue Formen, um die Ueberzeugung von der Unerträglichkeit der herrschenden Zustände in immer weitere Kreise zu tragen. Sie benutzten dazu nicht nur die ihnen noch belassene Redefreiheit der Kammern, sondern auch, im Wetteifer mit den Poeten der Zeit, die Litteratur und die mancherlei Möglichkeiten, welche der Buchhandel unter dem Druck jener Tage erfunden hatte, um trotz Censur und Preßpolizei politische Druckschriften unter die Leute zu bringen. Eben hatte die badische Kammeropposition, die durch Rottecks Tod 1840 einen schweren Verlust erlitten, bedeutsamen frischen Zuwachs in dem jungen temperamentvollen Mannheimer Advokaten Friedrich Hecker, dem aus der Schweiz heimgekehrten staatsmännisch veranlagten Karl Mathy und dem redegewandten Mannheimer Kaufmann Bassermann erhalten, die alle drei hinfort an den Versammlungen in Hallgarten teilnahmen. Mathy und Bassermann vereinigten sich zur Gründung einer Verlagsbuchhandlung in Mannheim; einer ihrer ersten Verlagsartikel waren die „Zehn Aktenstücke über die Amtsentsetzung des Professors Hoffmann von Fallersleben“. Im Jahre 1843 beging das badische Volk den 25jährigen Bestand seiner Verfassung mit großer Begeisterung. Die reaktionäre Regierung überließ es der Opposition, den milden Fürsten zu feiern, der sie verliehen, und Itzstein wußte mit großem Geschick die Gelegenheit auszubeuten, die überall im Lande veranstalteten Feste zu Kundgebungen im Sinne der vaterländischen Freiheitsforderungen zu machen. Als solche wirkte auch Mathys Schrift „Die Verfassungsfeier in Baden“. Blums Lieferungswerk „Der Verfassungsfreund“, sein Taschenbuch „Vorwärts“, an welchem u. a. Welcker, Hecker, Uhland, Herwegh, Hoffmann v. Fallersleben und Prutz beteiligt waren, dienten, gleich anderen Unternehmungen, der volkstümlichen Propaganda der politischen Grundsätze, welche Welcker in dem mit Rotteck gegründeten „Staatslexikon“ für das gebildetere Publikum leicht faßlich darzustellen bemüht war. Auch die politischen Dichter, die Friedrich Wilhelm IV hoffnungsvoll begrüßt hatten und zu denen sich jetzt Ferdinand Freiligrath, von allen das stärkste Talent, und der junge Bonner Professor Gottfried Kinkel gesellten, verschärften ihre Anklagen und Mahnungen als bekenntniskühne Anwälte der Rechte des deutschen Volkes. Bekannt ist, wie Hoffmann v. Fallersleben den feurigen Freiligrath bei einer Begegnung in Koblenz aus seinem beschaulich romantischen Poetenleben am Rhein aufrüttelte und dafür warb, den Interessen des Volks und des Vaterlands mit seiner Dichtung zu dienen. Es geschah auf einer jener Wanderfahrten, die in den Jahren nach Hoffmanns Absetzung dessen Leben ausfüllten. Gleich den fahrenden Sängern des Mittelalters sah sich der Dichter genötigt, unstet von einer Rast bei guten Freunden zur andern zu ziehen, da die Ausweisung aus Preußen auch in anderen deutschen Staaten eifrige Nachahmung fand. Aber, unterstützt von seinen geselligen Talenten, der Gabe leichter Improvisation und der Fähigkeit, seine echt volkstümlichen politischen Lieder nach eigener Melodie vorzusingen, wurde er auf diesem Wege ein erfolgreicher Agitator für die Fortschrittsideale der sich ihm befreundenden Politiker, zu denen fast alle die Verbündeten von Hallgarten zählten. Auf Welckers Landsitz bei Heidelberg, in Mannheim und Hallgarten bei Itzstein fand er wiederholt ein gastliches Standquartier.
Wie die Verbündeten aber im geschlossenen Vereine verfuhren, davon hat uns Friedrich Hecker ein Beispiel überliefert in einem gar anschaulichen Berichte, der sich auf die Zusammenkunft des Jahres 1843 bezieht. In späterer Zeit und im Exil hat er ihn für die „Gartenlaube“ als Lebenserinnerung niedergeschrieben; im Jahrgang 1869 (S. 552) ist derselbe unter dem Titel „Wie die geheimen Wiener Konferenzbeschlüsse an das Tageslicht gezogen wurden“ erschienen. Daß dem reaktionären Verhalten sämtlicher deutschen Regierungen ein gemeinsamer Plan zu Grunde liegen müsse, diese Erkenntnis hatte, wie wir sahen, zur Vereinigung der Männer des Volks geführt. Aber den Plan selbst kannte keiner der Teilnehmer. Da erhielt im Frühjahr 1843 „Vater Itzstein“ durch einen Gesinnungsgenossen von hohen Beziehungen eine Abschrift des geheimen Protokolls jener Wiener Konferenzbeschlüsse, welche die Antwort auf Welckers Forderung einer Volksvertretung beim Bunde, auf das Hambacher Fest, das Frankfurter „Attentat“ gewesen. Mit diesem Fund überraschte er bald danach die nach Hallgarten einberufene Versammlung. Nachdem er sich im geheimen mit sechs bis acht der Anwesenden beraten, wurden sämtliche Gäste nach dem größten Raume des Hauses, nach dem Billardzimmer geführt: man nahm Platz und Itzstein, ein Manuskript hoch in der Hand haltend, erklärte, endlich in den Besitz des Dokumentes der Verschwörung gegen das deutsche Volk gelangt zu sein. Feierliche Stille folgte seiner energischen, ausdrucksvollen, kurzen Anrede. Drüben glitzerten im Sonnenschein die Fenster des Johannisberger Schlosses. Erwartung, Spannung, gewaltsam niedergehaltene Erregung malte sich auf den Gesichtern der schweigenden Versammlung. Jtzstein händigte das Manuskript einem der Anwesenden – Hecker meint sich zu entsinnen, daß es Robert Blum gewesen sei – zur Vorlesung ein. Langsam, feierlich, sonor und betont wurde das Aktenstück verlesen; mit der größten Spannung hingen die Blicke der Anwesenden an den Lippen des Vorlesenden. „Wir hatten,“ fährt Hecker fort, „mit einem Male den offiziellen Schlüssel zum Gebaren der Minister in allen konstitutionellen Lebensfragen, zu der Preßknebelung und dem Censurunwesen, der ganze Volksknebelungs- und Verknechtungsapparat lag vor uns …. Daß die vollständige Enthüllung dieser Verschwörung gegen die Völker wie ein Sturm über das Land brausen und auch den Ungläubigsten und Blindesten, welche uns stets der Uebertreibung beschuldigten, die Augen öffnen müsse, daß der Einfluß der Veröffentlichung dieser geheimen Konferenzbeschlüsse auf die öffentliche Meinung und Stimmung ein unberechenbarer sein müsse, darüber war man sich allseitig klar.“ Und so wurde denn beschlossen, das Aktenstück heimlich drucken zu lassen, und zwar – um jeder Entdeckung der Urheber vorzubeugen – im Ausland, mit Papier [64] und Typen, die wieder in anderen Ländern angeschafft wurden; den Satz besorgte ein „Mitverschworener“, der Philologe A. Deeg. Als dann die nächsten Ständeversammlungen eröffnet wurden, da lagen, wie aus den Wolken geschneit, auf jedem Ministertische, auf jedem Abgeordnetensitze Exemplare der geheimen Konferenzbeschlüsse.… Und nun gingen die Führer der Volksbewegung daran, mit allem Feuer ihrer Beredsamkeit gegen diese Vergewaltigung des deutschen Volkes zu protestieren. Ganz ebenso wurden von Welcker die Aktenstücke aus den Prozessen gegen Weidig und Sylvester Jordan, für deren Familien Itzstein eine nationale Sammlung einleitete, in den Kämpfen der Volkskammern um Oeffentlichkeit der Gerichte verwertet. Anhaben konnten die Regierungen den unerschrockenen Rednern nichts. Als aber im Jahr 1845 die Zusammenkunft der Vaterlandsfreunde in Leipzig bei Blum stattfand und Itzstein und Hecker von dort nach Berlin reisten, da wurden sie hier sofort von der Polizei zwangsweise genötigt, die preußischen Staaten ungesäumt zu verlassen und sich auf dem kürzesten Weg nach der Heimat zurückzubegeben.
Wer von den damaligen Patrioten sich alles an den Zusammenkünften beteiligt hat, ist leider nicht nachzuweisen. Der Bericht Heckers nennt von den badischen Volksmännern neben Itzstein und Welcker noch Sander, Bassermann, Hecker, Mathy, Winter, Farnow, Rindeschwender, Deeg, aus Sachsen v. Dieskau, Blum, v. Watzdorf, aus Köthen die Brüder Alfred und Ottomar Behr, aus Nassau Hergenhahn und die Brüder Leisler, aus Württemberg Fr. Römer, aus Hessen Gratz, Dupré. Von Bayern dürfen wir in dem Pfälzer Willich einen ständigen Teilnehmer vermuten. Aus Robert Blums Briefen an Johann Jacoby in Königsberg u. a. konnte des ersteren Sohn feststellen, daß später auch dieser ebenso wie Heinrich Simon in Breslau und die beiden schlesischen Grafen Reichenbach zu den Verbündeten zählten. Und als man sich im Herbst 1847 um Welcker und Itzstein zusammenfand, jetzt nicht mehr in Hallgarten, sondern in einem kleinen Orte zwischen Darmstadt und Heidelberg an der Bergstraße, zu Heppenheim im Gasthof zum „Halben Mond“, da galt es einer Aktion zu gunsten der Bundesreform, die nicht mehr geheim gehalten wurde. Hier waren auch Hansemann aus Aachen und Mevissen aus Köln anwesend, von Württembergern nennt ein Bericht neben Römer noch Federer, Fetzer, Goppelt und Murschel, von Badensern noch Buhl, Dennig, Kapp, v. Soiron und Weller; von Hessen Wernher und v. Gagern.
Metternichs „System“ kam endlich doch ins Wanken. Wie war aber auch durch sein langes Schreckensregiment der Bewegung vorgearbeitet worden, wie ward sie jetzt unterstützt von aufregenden Ereignissen, die alle die Unhaltbarkeit der herrschenden Zustände lehrten! Vor allem in Preußen, wo der neue König sich schließlich doch zur Einberufung eines Landtags für den gesamten Staat hatte entschließen müssen, aber durch die Art, wie er es that, sogleich einen scharfen Konflikt zwischen Fürst und Volk herbeiführte.