Wie das erste Deutsche Parlament entstand/Das Vorparlament
Wie das erste Deutsche Parlament entstand.
Mit Illustrationen nach gleichzeitigen Lithographien und Holzschnitten.
Nirgends hatte sich der kolossale Umschwung der deutschen Zustände von den ersten Märzerrungenschaften bis zu den letzten Zugeständnissen in Wien, Berlin und Hannover so vollständig und Schritt für Schritt wiedergespiegelt wie in Frankfurt a. M., dem Sitz des Bundestags. Und kein anderes städtisches Gemeinwesen hatte an diesem Umschwung ein solches Lebensinteresse wie die Freie Reichsstadt, die bis zum Ende des alten Reichs deutscher Nation so oft der Schauplatz glänzender Kaiserkrönungen und Reichsversammlungen gewesen war, und der nun von der neuzubegründenden Reichsherrlichkeit glänzende Zukunftsbilder entgegenblinkten. Wohl hatte sie es vor dreiunddreißig Jahren mit Genugthuung begrüßt, als die Gründer des Deutschen Bundes auf dem Wiener Kongreß sie zum Sitz der obersten Bundesbehörde erhoben. Sie hatte dann in dieser Eigenschaft sogar in erhöhtem Maße als früher im großen politischen Leben eine Rolle gespielt. Längst aber empfand die freireichsstädtische Bürgerschaft den als Ehre begrüßten Vorteil als Fluch; die Schmach, die der Bundestag als gefügiges Werkzeug Metternichs auf sich gehäuft, fühlte man mit Schmerz auf dem guten Ruf der Vaterstadt lasten. So wurden denn in Frankfurt die ersten Anzeichen der Bewegung, welche neben dem Bundestage ein Deutsches Parlament erstrebte, mit begeisterungsvollem Jubel begrüßt, und mit noch größerer Spannung als im übrigen Deutschland wurde von hier aus die Entwicklung verfolgt, welche unter der Gunst der Märztage der verheißungsvolle Plan nahm. Der Geist der nationalen Freiheitsbewegung besaß in Dr. Reinganum, dem Jugendfreund Börnes, in Dr. Mappes, der mit Uhland innig befreundet war, in Frankfurt schon lange energische Führer. Unter dem harmlosen Namen „Das Montagskränzchen“ bestand ein Verein, in welchem die Frankfurter Gesinnungsgenossen der Hallgartner Verbündeten sich lebhaft rührten. Als am 5. März die Freunde Welckers und Itzsteins in Heidelberg tagten, um die schleunige Einberufung des Parlaments nach Frankfurt zu betreiben, war die Mainstadt unter den „einundfünfzig“ Männern durch Binding und Jucho vertreten.
Aber auch das Thurn- und Taxis’sche Palais in der Großen Eschenheimer Gasse, das dem Bundestag als Versammlungsort diente, ward jetzt auf einmal Gegenstand eines sympathischen Interesses. Seit Jahren hatte sich der Frankfurter Bürger gewöhnt, es nur mit Scheu und heimlichem Grimm zu betrachten; nun sollte der Bundestag darin eine nie erwartete Wiedergeburt erleben. Der österreichische Präsidialgesandte Graf Münch-Bellinghausen, der nach Metternichs Weisung all die reaktionären Bundesbeschlüsse zur Unterdrückung der Freiheit und Vaterlandsliebe eingeleitet hatte, verschwand beim Ausbruch der Unruhen nach Wien und sein Vertreter Graf Colloredo fand sich dort gleichfalls während der ersten kritischen Zeit gefesselt. Unter dem Präsidium des preußischen Gesandten Graf Dönhoff aber geschah es, daß bereits am 1. März aus dem Bundespalais eine „Proklamation an das deutsche Volk“ erging, in welcher die bisherige Thätigkeit der Versammlung indirekt aufs schärfste verurteilt ward und der Bundestag „als das gesetzliche Organ der nationalen und politischen Einheit Deutschlands“ die Erklärung abgab, daß er nunmehr alles aufbieten wolle, um für die Sicherheit Deutschlands nach außen wie für die Förderung der nationalen Interessen im Innern zu sorgen. „Deutschland,“ hieß es darin, „wird und muß auf die Stufe gehoben werden, die ihm unter den Nationen Europas gebührt, aber nur der Weg der Eintracht, des gesetzlichen Fortschritts und der einheitlichen Entwicklung führt dahin.“
So sehr wirkte der „Sturm, der in die Zeit gefahren“ war, auch hier! Und fast jeden folgenden Tag brachte die bisher nur in Dekreten zur Unterdrückung der „Eintracht“, des „gesetzlichen Fortschritts“ und der „nationalen Entwicklung“ ergiebige Staatsmaschine den Frankfurtern wie der staunenden Welt eine neue Ueberraschung. Am 3. März gab ein Beschluß den Einzelstaaten die Freiheit zurück, die Censur aufzuheben. Am 8. wurde auf Betreiben der neuen liberalen Regierungen in Baden, Württemberg, Hessen und Nassau beschlossen, daß eine Revision der Bundesverfassung „auf wahrhaft zeitgemäßer und nationaler Grundlage“ erforderlich sei; am 9. ward, wie bereits früher erwähnt, schwarz-rot-golden geflaggt, und am 10. erfolgte der Beschluß, sämtliche Bundesregierungen einzuladen, „Männer des allgemeinen Vertrauens, und zwar für jede der siebzehn Stimmen des engeren Rates einen“, bis Ende des Monats nach Frankfurt zu senden, um an der nötigen Verfassungsrevision mitzuwirken. Der anfängliche Widerspruch Oesterreichs und Preußens, die damals noch den Dresdner Fürstenkongreß planten, wurde durch Metternichs Sturz und die Berliner Ereignisse vom 18. und 21. März hinfällig. So entstand das Kollegium der „Siebzehner“, in welches die zum Liberalismus bekehrten Regierungen die bewährtesten Vorkämpfer des Verfassungslebens ihrer Länder entsandten, Preußen den „Göttinger“ Dahlmann, Oesterreich Schmerling, Württemberg Uhland, Hannover Zachariä, Sachsen Todt, Bayern Kirchgeßner, Baden Bassermann, Kurhessen Sylvester Jordan, Holstein Droysen; auch die „Göttinger“ Albrecht und Gervinus, der hessische Staatsrat Jaup und Max v. Gagern befanden sich unter diesen erlesenen „Vertrauensmännern am Bundestag“. Baden ging auch hier mit gutem Beispiel voran; bereits am 14. März erfolgte die Ernennung Bassermanns, und am gleichen Tage geschah das Unerhörte: der Gesandte Badens am Bundestag, Herr v. Blittersdorff, mußte dem bisher gefährlichsten Feind der alten Bundeswirtschaft, Karl Theodor Welcker, weichen! Der jetzt dem Sieg entgegenschreitende Vater der Idee des Deutschen Parlaments übernahm auf Drängen seiner Freunde das Amt, damit er als Mitglied des Bundestags für die am 5. in Heidelberg von seinen Gesinnungsgenossen gefaßten Beschlüsse wirke.
Noch einmal hatte das Schicksal den beiden in Badens Verfassungskämpfen ergrauten Führern, Itzstein und Welcker, die Leitung des großen Reformwerkes anvertraut, als sich acht Tage nach dem Sieg der Pariser Revolution in dem schönen Musensitz [205] am Neckar mit anderen Vaterlandsfreunden dieselben Männer zusammenfanden, mit denen sie im vorigen Herbst zu Heppenheim das Prinzip „Mit der Freiheit und durch sie die Einheit!“ vereinbart hatten. Ueber die Verwirklichung dieses Zieles dachten die dort im „Badischen Hof“ Versammelten auch jetzt noch recht verschieden – die preußischen Abgeordneten des Rheinlandes, welche wie Hansemann im Interesse einer großen starken Handelspolitik ein starkes einiges Deutschland wollten; die liberalen Staatstheoretiker Gervinus und Häusser, die mit Gagern, Mathy und Bassermann in der „Deutschen Zeitung“ den Eintritt Preußens unter die Verfassungsstaaten betrieben, damit es befähigt werde, die Führung in Deutschland zu übernehmen; die staatsmännisch veranlagten Parlamentarier Itzstein, Welcker, Römer, die eine wahrhaft liberale Verfassung für ganz Deutschland im Schutz einer starken Centralgewalt an die Spitze der Wünsche stellten, in der Wertschätzung des monarchischen Prinzips aber doch auseinandergingen; und endlich die radikalen Sturmläufer Struve und Hecker, die sich mit wachsender Ungeduld an den Vorbildern der ersten französischen Revolution berauschten und ihr Freiheitsideal bereits mit dem Idol der sozialen Gleichheit verschmolzen.
Aber so verschieden sie dachten, „Vater“ Itzstein, der nun schon ein Vierteljahrhundert lang die badische Opposition nicht nur geführt, sondern auch zusammengehalten hatte, wußte auch diesmal noch die widerstrebenden Geister zu meistern und für das gemeinsam Gewollte die den Willen aller einende Form zu finden. Mit klugem Vorbedacht wurde von seiten der Einberufer die Frage, wie denn der Einheitsbau zu krönen sei und wer des neuen Reiches Oberhaupt werden solle, beiseite gelassen. Dennoch prallten die schärfsten Gegensätze gerade in dieser Beziehung schon jetzt aufeinander. Der Redakteur Fickler in Konstanz, der radikalste der badischen Abgeordneten und nicht zu diesem Kreise gehörig, hatte in seinen „Seeblättern“ für das republikanische Staatsideal zu agitieren begonnen; ähnliches war auch von seiten des Redakteurs Gustav v. Struve in seinem Mannheimer „Zuschauer“ geschehen. Das veranlaßte Gagern zu einer Warnung: das Liebäugeln mit republikanischen Utopien von deutscher Seite könne der Sache der Einheit und Freiheit nur schaden. „Auch ich würde Republikaner sein,“ schloß er, „wenn das deutsche Volk die republikanische Staatsform beschließen würde; ich kann Republikaner sein, denn ich habe einfach zu leben gelernt, aber ich will keine Pöbelherrschaft.“ Da entgegnete Hecker: „Ich will die Freiheit, die ganze Freiheit für alle, gleichviel in welcher Staatsform sie zu erreichen ist. Aber keine Freiheit nur für die Privilegirten, für die Reichen!“ Daß er dem Beschlusse des Parlaments sich fügen würde, erklärte auch er. Und so unterschrieben denn am 5. März auch Struve und Hecker jene Heidelberger Erklärung, welche für die Freiheit, Einheit, Selbständigkeit und Ehre der deutschen Nation, deren Herstellung und Verteidigung ein Zusammenwirken aller deutschen Volksstämme mit ihren Regierungen empfahl und zum Organ dafür „eine in allen deutschen Landen nach der Volkszahl gewählte Nationalvertretung“ verlangte. Struve und Hecker betrauten gleich den anderen jene Kommission von sieben Mitgliedern mit der Aufgabe, „baldmöglichst eine vollständigere Versammlung von Männern des Vertrauens aller deutschen Stämme herbeizuführen, um in dieser wichtigsten Angelegenheit weiter zu beraten und dem Vaterlande wie den Regierungen ihre Mitwirkung anzubieten.“ Auch sie bevollmächtigten diese Kommission, in welche Binding, Gagern, Itzstein, Römer, Stedmann, Welcker und Willich gewählt wurden, für diese Versammlung Pläne hinsichtlich der Wahl und der Aufgabe des wirklichen vom Volke zu wählenden Parlaments vorzubereiten.
Dieser „Siebener“-Ausschuß trat sofort in Thätigkeit. Am 12. schon konnte Welcker seinen Entwurf einer deutschen Parlamentsverfassung den übrigen Mitgliedern vorlegen, und auf Itzsteins Vorschlag wurden von dem Ausschuß alle früheren und gegenwärtigen Ständemitglieder Deutschlands eingeladen, sich zur Beratung desselben Donnerstag den 30. März in Frankfurt a. M. einzufinden. Als der preußische Landtag auf den 2. April einberufen ward, erging auf Vorschlag des Rheinländers Stedmann an die sämtlichen Stadtverordneten der preußischen Lande die [206] Aufforderung, aus ihrer Mitte gewählte Vertreter zu senden. Einzelne namhafte Kämpen des Freisinns, wie die „Hambacher“ Wirth und Eisenmann, wie Johann Jacoby und Heinrich Simon, altbewährte Bekenner des nationalen Gedankens, wie die Brüder Grimm, sowie die kürzlich bestellten Vertrauensmänner am Bundestag wurden direkt mit Einladungen bedacht. Das „Vorparlament“ war also keine parlamentarisch gewählte und mit parlamentarischen Rechten ausgestattete Versammlung. Aber in ganz Deutschland ward seine Ankündigung mit einem Jubel begrüßt, als würde das ersehnte Parlament bereits in ihm sich verkörpern. Vollends in Frankfurt war die Begeisterung groß, und sie wuchs, als man hörte, was für Männer jetzt die Regierungen als Vertrauensmänner in den Bundestag sandten und die gefeierten Namen Uhland, Dahlmann, Sylvester Jordan von Mund zu Munde gingen.
Aber noch ehe dieses Vorparlament unter den Segenswünschen von Millionen Deutscher, unter dem Jubel der Frankfurter Bevölkerung, unter Freudenschüssen und Glockengeläute in der Paulskirche zusammentrat, um für die deutsche Einheit den Grund zu legen, war es dem Geiste der Zwietracht unentrinnbar verfallen. Und das Verhängnis wollte, daß gerade aus dem Schoße der Männer, welche die Einberufung bewirkt, dieser Zwiespalt hervorging. Es war derselbe, den in Heidelberg die Vermittelungstaktik des greisen Itzstein noch leidlich zu überbrücken gewußt hatte. Der große Wandel der Dinge, welcher inzwischen Gagern zum hessischen, Römer zum württembergischen, Hergenhahn zum nassauischen Minister, Welcker zum Bundestagsgesandten gemacht, Metternich aber und sein ganzes System im Wirbelsturm der Märzerhebung gestürzt hatte, brachte den schon bestehenden Gegensatz in aller Schärfe zum Ausbruch. Jetzt sagte Hecker nicht mehr, auf die Staatsform für die Freiheit komme es ihm nicht an – nun forderte er die Republik unbedingt. Und Heinrich von Gagern, der jetzt selber der Lenker einer deutschen Regierung war, bestand mit ganz anderer Entschiedenheit als vor drei Wochen auf der konstitutionellen Monarchie und auf einem fürstlichen Oberhaupt des zu gründenden Bundesstaats. In Heidelberg hatte noch Römer die Monarchie für „ein notwendiges Uebel“ erklärt; jetzt war er ganz anders von ihrer Notwendigkeit überzeugt, nun er selbst mit an der Spitze einer solchen Regierung stand, während sich anarchische Bestrebungen gegen sie geltend machten. In Heckers Augen war der Uebertritt seiner alten Freunde in die Stellung von „Fürstenräten“ ein Abfall von der Sache des Volkes; in Gagerns Augen war das ungeduldige Anstürmen gegen die kaum gewonnene konstitutionell-monarchische Regierungsform ein Abfall von der gemeinsamen Aufgabe, die man sich in der Heidelberger Erklärung gestellt hatte.
Zudem war die „Oberhauptsfrage“ in aller Oeffentlichkeit aufgeworfen worden und entfesselte überall in Deutschland hitzigen Streit. In dem ungünstigsten Moment für die Monarchie hatte ihn das voreilige Wort des Königs in Berlin, er stelle sich an die Spitze von Deutschland, zum Ausbruch gebracht. „Der unselige Verlauf der Berliner Sturmtage,“ sagt Sybel in seinem Werk „Die Begründung des Deutschen Reichs“, „zuerst der blutige Kampf und dann die schwache Nachgiebigkeit, hatte der republikanischen Partei in Deutschland die Handhabe geboten, den mächtigsten ihrer Gegner in tausend Zeitungsartikeln, Plakaten, Klubreden mit einer Flut von Schimpf und Hohn zu überschütten, den feigen Tyrannen, der sein Volk niederkartätschen läßt, dann, besiegt, elend um Gnade bittet und jetzt die ehrlose Stirn mit der deutschen Kaiserkrone schmücken will – und vor allem in Baden und Sachsen hatten sich dadurch die Volksmassen mit rasendem Haß gegen den König erfüllt.“ An die Spitze dieser Agitation in Baden trat Gustav v. Struve. Ihm war die versöhnliche Bundesreformpolitik, die Welcker eingeschlagen, ein Greuel. Ehe der ehrgeizige, einer livländischen Familie entstammende Demagog sich in Mannheim als Advokat niedergelassen hatte, war er oldenburgischer Gesandtschaftssekretär am Bundestag gewesen. Angeekelt von dem, was er hier erlebte, hatte er der diplomatischen Laufbahn entsagt. Die ganze Bundestagsverfassung muß fallen, die republikanische muß an ihre Stelle! – das war seitdem seine heimliche Ueberzeugung. Jetzt verfolgte er deren Verwirklichung mit der starren Energie eines verbissenen Fanatikers. Schon seit Monaten hatte er sich bemüht, seinen jüngeren Kollegen Friedrich Hecker, der in seiner jugendfrischen Männlichkeit als Sprecher zum Volk eine hinreißende Wirkung ausübte, ganz für seine Pläne, denen Fickler in Konstanz schon diente, zu gewinnen. Bereits im letzten Wahlkampf hatte Struves Einfluß das Verhältnis Heckers zur alten Oppositionspartei bedeutend gelockert; von beiden zusammen waren im Herbst zu Offenburg die „Forderungen des Volks“ in radikaler Fassung proklamiert worden, die in dem Verlangen von „Ausgleichung des Mißverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit“ und „Abschaffung aller Vorrechte“ gipfelten. Doch bisher hatte die Treue gegen die Männer, als deren Anhänger Hecker ins politische Leben getreten war, in dessen Gemüte den Vorrang behauptet. Seit ihn vor sechs Jahren der alte Itzstein erstmals zum Abgeordneten vorgeschlagen, war er immer dessen besonderer Liebling gewesen. Noch am 19. März hatte er auf einer von mehr als 15 000 Männern besuchten Volksversammlung in Offenburg an Itzsteins Seite gegen Ficklers Versuch, im badischen Oberland das Banner der Revolution zu enthüllen, gesprochen und die aufgeregte Menge auf das zu erwartende Parlament vertröstet. Mit Entrüstung wandte er sich dort gegen jene, welche mit Frankreichs Hilfe die „Deutsche Republik“ gründen wollten. „Ein Volk,“ rief er, „das ein fremdes Volk nötig hat zur Erringung seiner Freiheit, ist dieser Freiheit unwürdig. Im Deutschen Parlamente muß Deutschland, einig und eine Nation geworden, auch über die künftige Staatsform sich einigen. In einem Lande von achtunddreißig Staaten ist die Regierungsform schwerer zu ändern als in Frankreich, wo Paris das Schicksal des ganzen Landes entscheidet. Auch dürfen wir uns an jener Revolution kein Muster nehmen, da die Umgestaltung auf so schwankendem Grunde ruht.“ Jetzt aber siegte Struve. Fünf Tage nach dem „schwarz-rot-goldnen Umritt“ des Königs von Preußen erklärte dieser mit seinen Gesinnungsgenossen auf einer gleichfalls massenhaft besuchten Volksversammlung in Freiburg: nur in einer großen Gesamtrepublik könne die Einheit und Freiheit des deutschen Volkes gesichert werden. Und er that es im vollen Einverständnis mit Hecker, den die Volksgunst in Offenburg zum Obmann der neugegründeten Vaterlandsvereine in Baden erhoben hatte, während er im Landtag an der Spitze der Kommission stand, welche dem Gesetzentwurf für die Volksbewaffnung eine befriedigende Form geben sollte.
Aber auch in dem gemäßigt liberalen Bürgertum, das eben sich anschickte, die Errungenschaften aller bisherigen Kämpfe für die Freiheit in einem festgefügten Bau der Einheit zu bergen, ward die Haltung Friedrich Wilhelms IV leidenschaftlich verurteilt. In unzähligen Adressen, die bei den Landtagen einliefen, ward ausgeführt: dieser König, der sich ohne Befragen der Nation an die Spitze von Deutschland stelle, nachdem er mit seinem eigenen Volk in so schweren Konflikt geraten, habe sich für den deutschen [207] Kaiserthron unmöglich gemacht. „Wohl bedarf Deutschland,“ hieß es in einer besonders maßvollen, „einer kräftigen Centralgewalt, welche der Größe, Würde und dem Bedürfnisse der Nation entspricht; aber wir wollen keinen Diktator, keinen sich der Nation aufdrängenden König der Deutschen, kein Parlament in Berlin ohne Zustimmung der Nation.“ Der heilige Zorn über das zwecklose Blutvergießen in den Straßen Berlins, welcher Freiligraths ‚Lied der Amnestierten‘ „Berlin“ durchbebt, wurde von vielen geteilt, die eine „deutsche Republik“ als unausführbare Utopie verwarfen. Auf der ersten großen Volksversammlung der Württemberger, welche am 26. März unter dem Vorsitze Murschels viele Tausende zu Göppingen am Fuße des Hohenstaufen vereint sah, klang der gleiche zornige Ton durch Johannes Scherrs „Gruß der Schwaben an die Männer von Wien und Berlin“ wie durch Ludwig Pfaus „Lied von einem deutschen König“, die beide unter stürmischem Beifall zur Verlesung gelangten – und doch nahm dieselbe Versammlung auf Antrag A. Weissers den Entwurf der „Siebener“-Kommission an, der neben dem Parlament eine monarchische Centralgewalt vorsah. Für diesen Verfassungsentwurf trat auch mit Wärme der Stuttgarter „Beobachter“ ein, bis dahin das gemeinsame Organ der schwäbischen Liberalen. Neben Weisser führte die Redaktion desselben jetzt Hermann Kurz, dessen demokratische Gesinnung von innigster Vaterlandsliebe beseelt war. Der Dichter, dem wir die lebensvollen, echt volkstümlichen Romane „Schillers Heimatsjahre“ und „Der Sonnenwirt“ verdanken, hatte bis kurz vorher in Karlsruhe gelebt in engem Verkehr mit den Führern der badischen Opposition und hatte gleich Römer den Zusammenhang zwischen dieser und der württembergischen Volkspartei erfolgreich vermittelt. Auch jetzt that er dies; aber von der preußischen Führung wollte er nach der Berliner Märzkatastrophe gleich seinen schwäbischen Gesinnungsgenossen nichts mehr wissen.
Jener erste Verfassungsentwurf Welckers, dem auch die badische Kammer ihre Zustimmung gab, schlug ein fürstliches Bundesoberhaupt vor, das von der Bundesvertretung der einzelnen Regierungen auf je drei Jahre gewählt werden sollte. Der Vorschlag war ein Zugeständnis an die einzelnen Dynastien, aber auch ein politischer Fehler, denn er beschwor das Unheil des Wahlkaisertums, an welchem Deutschland in früheren Jahrhunderten so oft und schwer gelitten, aufs neue herauf. Heinrich v. Gagern erkannte dies: er war für ein deutsches Erbkaisertum; für ihn handelte es sich zunächst um ein Provisorium. In diesem Sinne hatte er, kurz nachdem Bassermann in der badischen Kammer den Antrag auf ein Deutsches Parlament gestellt hatte, schon am 28. Februar im hessischen Landtag den Beschluß durchgesetzt, daß für die Tage der Gefahr gleichzeitig mit der Berufung der Nationalrepräsentation die Ernennung eines interimistischen Bundeshauptes erfolgen solle.
Gleich nach der Heidelberger Versammlung hatte der energische Staatsmann seine neue Stellung als Minister benutzt, um direkt bei verschiedenen Höfen eine Verständigung über diese Frage zu erzielen. Sein Bruder Max gehörte der neuen Regierung in Nassau an und gewann den Herzog für den Plan, der nun warm für die Ausführung eintrat. Durch den hessischen General Graf Lehrbach unterstützt, reiste Max v. Gagern mit den entsprechenden Vorschlägen nach Baden, wo diese die beste Aufnahme fanden und v. Porbeck Bevollmächtigter wurde. Der König von Württemberg, jetzt von Paul Pfizer und Römer beraten, folgte am 11. unter der Erklärung, nur Preußen könne die Leitung jetzt übernehmen, doch müsse es zuvor unter die Verfassungsstaaten eintreten. Ein Mitglied der ständischen Opposition von 1833, v. Sternenfels, ward als Vertreter Württembergs der Gesandtschaft beigeordnet. In München, wo König Ludwig I im Begriff stand, zu gunsten seines Sohns Maximilian abzudanken, erlitt die Mission eine Verzögerung, ohne ein Resultat zu erreichen. Dagegen zeigte sich das Ministerium v. d. Pfordten in Sachsen sehr bereitwillig und sandte den süddeutschen Abgeordneten, die schnell nach Berlin weitergereist waren, Karl Biedermann als seinen Vertreter nach. Doch als die Herren am 23. dort anlangten, hatte der König bereits den „schwarz-rot-goldenen Umritt“ vollzogen und erklärt, sein Landtag in Berlin solle den übrigen deutschen Ständekammern Gelegenheit geben, mit ihm das Einheitswerk vorzubereiten. Unter diesen Umständen glaubten die Gesandten von Baden und Sachsen erst neue Weisungen von ihren Höfen nachsuchen zu sollen. Das Verhalten des Königs der Gesandtschaft gegenüber war zurückhaltend, glaubte er doch schon „an der Spitze von Deutschland“ zu stehen. Erst als die Gesandtschaftsberichte von den Höfen seiner „lieben Vettern“ einliefen, als Oesterreich sich „jede einseitige Aenderung der Bundesverfassung“ energisch verbat und in scharfen Worten gegen die Proklamation des Königs vom 21. seinen althistorischen Anspruch auf den „Vorsitz im Deutschen Reich“ wahrte, erkannte er, wie sehr er sich getäuscht hatte. Er bewilligte noch eine „ständische Vertretung“ am Bundestag, wie es auch von Wien aus geschah, ernannte Dahlmann zum preußischen „Vertrauensmann“ in der Verfassungskommission der „Siebzehner“ und ließ apathisch zunächst den Dingen in Frankfurt ihren Lauf.
Tief niederschlagend wirkte dies negative Ergebnis auf Gagern und seine Freunde. Auch sie hielten jetzt die Ausführung ihres Plans für unmöglich. Wie in Württemberg sprach sich im ganzen deutschen Süden ergrimmt der Unwille über die Berliner „Mißverständnisse“ aus. Die „Deutsche Zeitung“ erklärte: „Daß Preußen die oberste Leitung der deutschen Dinge an sich nehme, daß es sich an die Spitze der politischen Bewegung stelle, daß es mit seiner Politik in der deutschen aufgehe und daß sich dafür Deutschland vertrauend an Preußen anschließe, das waren von jeher die Wünsche aller Patrioten auch in diesem Süden. Es sind unsere Wünsche auch noch. Politische Ueberzeugungen und Grundsätze können sich nicht so leicht durch ein ungelegenes Ereignis ändern. Aber die Wünsche der Massen, der Trieb und die Leidenschaft der Vielen spricht anders als unser politischer Verstand. … Es wird daher eine ganz natürliche Folge sein, daß, während man sonst eine Annäherung an das Einheitlich-Monarchische in der Verfassung Deutschlands für das wünschenswerteste hielt, man jetzt eine Annäherung an das Föderalistisch-Republikanische, an die amerikanische Verfassung anstreben wird.“ Dann ließ Gervinus den Vorschlag folgen, Friedrich Wilhelm IV und sein Bruder Wilhelm, der als vermeintliches Haupt der „Militärpartei“ in den „Märztagen“ dem Volkshaß verfallen war, sollten auf die Krone verzichten zu gunsten von des letzteren Sohn Friedrich, der den neuen Staatsideen zugänglich sei. Der spätere Kaiser Friedrich stand damals im 17. Jahre. Gleichzeitig gab das Blatt aber auch dem Württemberger Robert Mohl das Wort, der gleichfalls ein Erbkaisertum wollte, aber im Hinblick auf den schönen Aufschwung des nationalen Gedankens in Wien einen Reichsregenten aus dem österreichischen Kaiserhaus, etwa [208] den Erzherzog Stephan, vorschlug. In Wien selbst nannte man bereits den Erzherzog Johann, der wegen seiner Ehe mit einer Bürgerlichen und eines Toasts, den er bei der Dombauweihe in Köln 1842 auf das „einige Deutschland“ gehalten hatte, viel Sympathien im Volke besaß, als geeignetsten Kandidaten. In Bayern aber tauchte der Vorschlag auf, die Kaiserwürde von fünf zu fünf Jahren unter den Häusern Oesterreich, Preußen und Bayern alternieren zu lassen. So stand es im deutschen Süden, als Heinrich v. Gagern am 24. März im hessischen Landtag das Wort ergriff, um über die Ausführung des Kammerbeschlusses vom 28. Februar zu berichten. „Ich frage,“ rief er, in seiner Hoffnung auf Preußen noch unerschüttert, „ob die Ereignisse der letzten Tage uns bestimmen können, der Krone Preußen die Rolle jetzt nicht mehr zuzugestehen, die eine gesunde Politik ohne persönliche Sympathien bisher ihr zugestanden hat, und diese Frage glaube ich verneinen zu müssen. Man bietet in Preußen die Hände zum Frieden und zur Versöhnung denen, mit denen man eben in heißer Schlacht gekämpft hat. Wenn dies auf dem Schlachtfeld möglich war, meine Herren, haben wir nicht erhöhten Beruf, die Aufregung zu beschwichtigen, Versöhnung zu vermitteln und eingedenk zu sein, daß wir alle zusammenstehen müssen, um den Bau aufzuführen des einigen Deutschen Reiches, auf der Grundlage der Freiheit und der Liebe zum Vaterlande?“ Aber dieser versöhnliche Ton fand keinen Wiederhall mehr im Volke.
Das selige Vertrauen, welches die ersten Märzerrungenschaften, das Entgegenkommen der Regierungen in der Bevölkerung der deutschen Südweststaaten erzeugt hatten, war nicht allein durch die Berliner Ereignisse getrübt worden. Beunruhigende Nachrichten von russischen Rüstungen, von aus Frankreich drohenden Einfällen, die Unfähigkeit der Kriegsminister, die bewilligte Volksbewaffnung schnell und einheitlich durchzuführen, der fortdauernde Notstand auf dem Lande steigerten das Mißbehagen, während die großen Siege der Volksbewegung und die Schwäche der Regierungen überall eine gefährliche Ueberschätzung der eigenen Kraft, eine verhängnisvolle Mißachtung der positiven Machtmittel des Staatslebens großzogen.
Angesichts der also herrschenden Verwirrung beschlossen die „Siebener“, so vorsichtig als möglich vorzugehen. Welcker und Gagern vereinbarten für das Programm des „Vorparlaments“ folgenden Verfassungsentwurf: ein Bundesoberhaupt mit verantwortlichen Ministern, einen Senat der Einzelstaaten, ein Volkshaus mit Abgeordneten von je 70000 Seelen; Kompetenz des Bundes unter Verzicht der Einzelstaaten zu gunsten der Centralgewalt auf folgende Punkte: einheitliches Heerwesen, einheitliche Vertretung gegenüber dem Auslande, ein System in Handels- und Schiffahrtsgesetzen, im Bundeszollwesen, in Münze, Maß, Gewicht, Posten, Wasserstraßen und Eisenbahnen; Einheit der Civil- und Strafgesetzgebung und des Gerichtsverfahrens; ein Bundesgericht; Verbürgung der volkstümlichen Freiheitsrechte. Unter den herrschenden Umständen war es aber selbst in dieser Form ein Wagnis, die Oberhauptsfrage auf die Tagesordnung einer Versammlung zu setzen, die zu bindenden Beschlüssen weder das Recht noch die Macht hatte und von den „Siebenern“ doch nur einberufen worden war, um „im Zusammenwirken mit den Regierungen“ die baldige Einberufung eines Deutschen Parlaments herbeizuführen und die beste Form dafür zu beraten. Ihr Programm bot den radikalen Gegnern immer noch die Anknüpfung, um von der Tribüne des Vorparlaments herab die deutsche Republik zu proklamieren. Aber sie wollten offenbar es darauf ankommen lassen, daß schon jetzt und vor diesem Forum der ganzen Nation der unausbleibliche Kampf zur Entscheidung gelange.
So ging der März, der Sturmmond der freiheitlichen Errungenschaften, unter neuen Stürmen zu Ende, welche die vermeintlich schon miterrungene Einheit schwer gefährdeten. Und der letzte des Monats, der Tag der Eröffnung des Vorparlaments, war in dieser Beziehung der stürmischste. – Wohl hatten Senat und Bürgerschaft Frankfurts nichts versäumt, um diesen 31. März zu einem Jubel- und Freudenfest der deutschen Einheit zu machen. Die ganze Stadt von der Spitze des Domes herab bis hinaus vor die Thore strahlte schon an den Tagen des Empfangs in schwarz-rot-goldenem Festgewand und von Haus zu Haus schwang sich in frischen Tannengewinden das Grün der Hoffnung. In den Sprüchen und allegorischen Bildern, die diesen Ausschmuck belebten, ward die Zusammenkunft all der gefeierten Vaterlandsfreunde als das Auferstehungsfest des freien und einigen Deutschlands begrüßt. Die Mahnung, das große Ziel der nationalen Einigung über die Parteimeinungen zu stellen, erklang aus gar mancher Ansprache
[209][210] ehrwürdiger Volksvertreter, besonders wirksam von den Lippen Sylvester Jordans, der von einer Deputation feierlich eingeholt wurde, als er von Marburg kommend sich im Wagen dem Weichbild der Stadt näherte. Auch Dr. Eisenmann, der beinahe vierzehn Jahre lang als Märtyrer der Hambacher Bewegung das Elend der Festungshaft hatte ertragen müssen, sprach in versöhnlichem Sinn, als er bei seiner Ankunft von Würzburg her an der Haltestelle des Dampfschiffes festlich bewillkommnet wurde. Eintracht und Freude kündete am Morgen des 31. der Glocken feierlich Geläut, als die Abgeordneten, mehr als 500 an der Zahl, früh ½9 Uhr durch die sich stauende, jubelnde Volksmenge zum „Römer“ schritten, um in dessen reich geschmücktem Kaisersaal die Wahl des Präsidiums zu vollziehen. Und Friedensstimmung waltete auch über diesem Akte, als man einem der friedlichsten Veteranen des Verfassungskampfes, dem Präsidenten des badischen Landtags Professor Mittermaier von Heidelberg, die Leitung übertrug, während Itzstein, Dahlmann, Robert Blum und Sylvester Jordan Vicepräsidenten wurden. Im hellsten Frühlingsglanz wölbte sich der blaue Himmel über der Stadt, als um halb 10 die Glocken aufs neue zu läuten begannen und unter ihrem Klang und dem Donnergruß der Kanonen die Abgeordneten des deutschen Volks vom „Römer“ durch die Spaliere der Frankfurter Bürgergarde und der Turner nach der Paulskirche zogen.
Aber kaum hatte in der hohen Rotunde derselben die erste Sitzung begonnen, so wurde der Brand entfesselt, der bisher nur geschlummert hatte und für welchen der Zündstoff auch auf den Tribünen gehäuft war, wo in dichten Reihen das Volk saß, um hinfort den leidenschaftlich bewegten Chorus der parlamentarischen Vorgänge zu bilden. Schon am Abend vorher waren Struve und Hecker Gegenstand stürmischer Ovationen geworden, nachdem sie in dem großen Saale des „Weidenbuschs“ einen Teil ihrer Zuhörerschaft für ihr Ideal in helle Begeisterung versetzt hatten. Jetzt saßen ihre Anhänger in langen Reihen auf den Emporen der Kirche – Studenten aus Heidelberg, Gießen, Marburg und Tübingen, die von den Lorbeeren ihrer Brüder in Wien träumten, feiernde Arbeiter, die der Zauber kommunistischer Zukunftsbilder geblendet, wehrhafte Männer aus der Hanauer „Grafschaft“, die soeben erst mit der Waffe in der Hand den Starrsinn des Kurfürsten von Hessen gebeugt hatten. „Hie Reform – hie Revolution!“ zu diesem Gegensatz hatte sich die so maßvoll begonnene Bewegung zugespitzt und die Verhandlungen des Vorparlaments waren bestimmt, ihn zum Ausbruch zu bringen.
[254] Es war eine erlauchte Versammlung patriotischer Männer, die sich zum „Vorparlament“ in Frankfurt zusammengefunden hatte und nun die Bänke im Schiff der Paulskirche füllte. Die jugendliche Idealgestalt der Germania, die aus einem Kolossalgemälde über der schwarz-rot-golden drapierten Rednerbühne auf sie herabgrüßte, verhieß ihnen die Verwirklichung des politischen Ideals, dem sie einst ihre Jugend, dann ihr Mannesleben geweiht hatten. Gar viele, welche sich im Kampfe gegen das Metternichsche System seit den Karlsbader Beschlüssen als „Märtyrer und Pioniere“ des deutschen Nationalbewußtseins rühmlich hervorgethan hatten, waren dem Rufe gefolgt, den der Heidelberger Ausschuß der „Siebener“ an sie gerichtet hatte. „Nicht bloß aus deutschen Gauen,“ berichtet W. Zimmermann, „auch aus England, aus der Schweiz, aus Frankreich und aus Belgien kamen deutsche Männer: sie hatten dort, mancher seit den dreißiger Jahren, als Flüchtlinge gelebt. Andere waren kaum erst den Kerkern entstiegen; viele, die in der Jugend wegen des schwarz-rot-goldnen Bandes und der Idee gelitten, die jetzt als die allgemeine und herrschende erschien, sahen sich nun in Frankfurt wieder, nach zehn, nach zwanzig, nach dreißig Jahren. Es war großenteils die deutsche Burschenschaft mit ergrauenden, wohl auch mit grauen Haaren, die in der Mainstadt zusammenkam, und viele kamen noch mit dem Ideal ihrer Jugend in den Frankfurter Römer.“ Gerade diesen erschien der Sturz Metternichs und die gleichzeitige Einführung eines wahrhaft freisinnigen Verfassungswesens in allen deutschen Staaten als ein so außerordentlicher Triumph ihres Strebens, daß mit der Sicherung der erlangten Freiheit durch eine einheitliche Bundesverfassung ihnen die Erfüllung der patriotischen Wünsche gewährleistet schien, für die sie gestritten und gelitten hatten.
Dieser Stimmung entsprach das Programm, das der Siebener-Ausschuß als Grundlage für die Verhandlungen vorbereitet hatte. An der Spitze desselben stand der Welckersche Verfassungsentwurf, der ein Bundesoberhaupt mit verantwortlichen Ministern, einen Senat der Einzelstaaten und ein aus freien Wahlen hervorgehendes Volkshaus – das Parlament – vorsah. An den letzten Punkt des Entwurfs, die „Verbürgung der volkstümlichen Freiheitsrechte“, knüpfte das Programm noch die folgenden Vorschläge: Der Beschluß der Einberufung der konstituierenden Nationalversammlung auf obigen Grundlagen erfolgt durch die um Vertrauensmänner verstärkte Bundesbehörde (den „Bundestag“). Ein aus gegenwärtiger Versammlung zu wählender permanenter Ausschuß von 15 Gliedern ist beauftragt, den Vollzug der Einberufung zu betreiben. Wenn innerhalb vier Wochen von heute der Zusammentritt nicht erfolgt ist, so tritt diese Versammlung am 3. und 4. Mai hier wieder zusammen. Im Falle der Dringlichkeit kann der Ausschuß die Versammlung auf einen früheren Termin zusammenberufen.
So hatte der Siebener-Ausschuß auch Garantien für die Ausführung der Beschlüsse der Versammlung vorgesehen, und wie Welcker seine Zugehörigkeit zum Bundestag, so hatten Gagern und Römer ihre Stellung als Minister benutzt, um sich im voraus der Majorität im Bundestag zu versichern, auf daß dieser für ein Zusammenwirken mit dem Vorparlament und seinem Ausschuß gestimmt sei.
Kaum aber hatte Mittermaier als Präsident der Versammlung die Debatte über das Programm der „Siebener“ eröffnet, da stürmte behend Struve auf die Tribüne und brachte eine Zusammenstellung der „Rechte des deutschen Volks“ zur Verlesung, deren sofortige Anerkennung er verlangte. Und in schärfster Zuspitzung hallten die Forderungen der „entschiedenen“ Republikaner in den Raum, als deren letzte Struve mit erhobener Stimme verkündigte: „Aufhebung der erblichen Monarchie und Ersatz derselben durch freigewählte Parlamente, an deren Spitze freigewählte Präsidenten stehen, alle vereint in der föderativen Bundesverfassung nach dem Muster der amerikanischen Freistaaten!“ Und weiter rief er: „Deutsches Volk, dieses sind die Grundsätze, mit deren Hilfe allein, unseres Erachtens, Deutschland glücklich, geachtet und frei werden kann! Deutsche Brüder in Ost und West, wir fordern euch auf, uns in dem Bestreben zu unterstützen, euch die einigen und unveräußerlichen Menschenrechte zu verschaffen! Wir werden in Frankfurt a. M. vereinigt bleiben, bis ein freigewähltes Parlament die Geschicke Deutschlands leiten kann. Mittlerweile werden wir die erforderlichen Gesetzesvorlagen entwerfen und durch einen freigewählten Vollziehungsausschuß das große Werk der Wiederherstellung Deutschlands vorbereiten!“
Es war der von ihm mit Hecker geplante Versuch, zu gunsten ihres republikanischen Ideals die Versammlung zu überrumpeln. Mit einem Anhang von 15 Gesinnungsgenossen, vornehmlich aus Baden, Sachsen und der preußischen Rheinprovinz, wollten sie nach dem Pariser Vorbild von 1789 die Permanenz des Vorparlaments durchsetzen und von dessen Tribüne aus das Feuer der Revolution in ganz Deutschland schüren. An eine geordnete Diskussion über das „Siebener“-Programm war nun nicht mehr zu denken. Die [255] unvermeidlichen Konfliktsfragen „Reform oder Revolution“, „konstitutionelle Monarchie oder Republik“ drängten mit Ungestüm auf Entscheidung. Der Kampf war entfesselt, dessen Ausgang die bisherigen Führer der Bewegung für immer auseinander reißen mußte. Heinrich Laube hat in seinem Buch „Das erste deutsche Parlament“ die Leidenschaft, mit der Welcker in diesem Kampfe das Programm der „Siebener“ verteidigte, als Rechthaberei, und die Vermittlungsversuche des alten Itzstein zwischen den Parteien als Machenschaften verurteilt; er that es ohne die Kenntnis der sich jetzt tragisch zuspitzenden Vorgeschichte des Kampfes,
ohne Ahnung davon, in wie hohem Grade die Herzen dieser Männer an dem Kampfe beteiligt waren. Welcker sah durch das stürmische Vorgehen der „entschiedenen“ Republikaner den großen Plan der Bundesreform, wie er ihn seit der Jugendzeit in der Seele getragen, um dessen willen er neuerdings mit Widerstreben selbst Mitglied des „Bundestags“ geworden war, gerade im Augenblicke seiner endlichen Verwirklichung bedroht; Itzstein, der seinerseits wohl die Republik für die wünschenswerteste Staatsform hielt, aber fühlte, daß die deutschen Zustände für ihre Verwirklichung zur Zeit nicht reif seien, sah mit Trauer die schöne Gemeinschaft Gleichstrebender in Trümmer gehen, als deren Leiter er sich bisher mit Stolz hatte fühlen dürfen.
Im Anfang der durch Struves Antrag entfesselten Debatte hielten sich die persönlichen Stimmungen noch zurück. Es zeigte sich sofort, daß für die Erklärung, die jener verlangte, in der Versammlung wenig Neigung war. Auch die Anhänger Struves, welche, wie der Sachse Schaffrath, für die Verweisung des Antrags an eine Kommission eintraten, bekannten sich nicht direkt zu dem Inhalt desselben, und selbst Hecker vermied es, für die Proklamierung der Republik zu sprechen. Er begnügte sich, mit dem ihm eigenen Feuer der „Permanenz“ der Versammlung das Wort zu reden. Er berief sich auf das Volk – es erwarte, daß die Versammlung beisammen bleibe, um jeden Versuch einer Reaktion zu verhindern. „Wenn wir nicht beisammen bleiben,“ rief er unter dem Beifall der Galerien, „und so nicht die einzige Drohung, die uns auf legalem Wege zu Gebote steht, gebrauchen, so haben wir die Sache der Freiheit um fünfzig Jahre zurückgeschoben!“ Mit Schärfe kritisierte er dann das „Siebener“-Programm und das Verfahren, die Oberhauptsfrage an die Spitze zu stellen. Er fand darin erfolgreiche Unterstützung durch den Rheinländer Wesendonck aus Düsseldorf. „Man soll nicht mit dem Dach anfangen,“ rief dieser, „ehe man ein Fundament hat, und nicht die Rechte der Fürsten zur Diskussion bringen, ehe von den Rechten des Volkes die Rede ist!“ Lebhaft trat Bassermann im Interesse der „Reform“, der Frankfurter Reinganum vom demokratischen Standpunkt aus für eine Durchberatung sowohl des
[256] „Siebener“-Programms wie des Struveschen Antrages ein. Die meiste Zustimmung aber fand der Bayer Eisenmann, der sich, nachdem er unter dem absoluten Fürstenregiment so viele Jahre hatte leiden müssen, mit Wärme für den Wert der konstitutionellen Monarchie aussprach. Er brachte die von der Mehrzahl geteilte Empfindung zum Ausdruck, daß die Versammlung, in welcher Norddeutschland und Oesterreich viel geringer vertreten waren als die südlichen Mittelstaaten, in der z. B. aus Baden 72, aus Hessen-Darmstadt 84, aus ganz Preußen 141, aus Hannover nur 9 und aus Oesterreich nur 2 Abgeordnete saßen, nicht den Willen der ganzen Nation genügend verkörpere, um über die künftige Verfassung Deutschlands entscheidende Beschlüsse zu fassen. Es handle sich darum, die Möglichkeit herbeizuführen, daß eine legislatorische Beratung hierüber stattfinde. Die Frage, wie das deutsche Parlament am schnellsten hergestellt werden könne, sei die Aufgabe der gegenwärtigen Versammlung. In diesem Sinne sprachen auch Wiesner aus Wien, Jaup aus Darmstadt und von demokratischer Seite Karl Vogt aus Gießen. Der letztere schlug vor, man solle beschließen, die konstituierende Nationalversammlung möge „souverän“ entscheiden, ob sie die Monarchie oder die Republik wolle, ihr Beschluß werde für alle maßgebend sein. Dies trieb Welcker zu einer heftigen Einsprache. Er war durchdrungen davon, daß die „Reform“ nur zu retten, die Revolution nur dann zu vermeiden sei, wenn ein Beschluß des Vorparlaments sich bestimmt gegen die Republik ausspreche, bevor der Wahlkampf für das Parlament sich des Schlagworts bemächtige. Er erklärte, der Vorschlag Vogts sei nicht so harmlos wie er scheine. „Es giebt Leute,“ rief er, „die wollen, daß wir alle achtunddreißig Regierungen absetzen, und die meinen, wir könnten dies. Ich meine dagegen, wir können es nicht, und ich will es auch nicht!“ Da meldet sich wieder Vogt zum Wort. „Der Herr Abgeordnete – oder vielmehr der Herr Bundestagsgesandte Welcker“ – beginnt er mit scharfer Betonung, da unterbricht ihn ein Entrüstungssturm, der nicht enden will, von den Galerien wird gegen diesen gelärmt, und der Präsident sieht sich genötigt, die Sitzung für eine Weile aufzuheben. Das Ergebnis der Debatte aber war, daß sowohl die Beratung des Antrags Struve wie die des „Siebener“-Programms durch die Annahme des Antrags Eisenmann verworfen wurde.
Doch zuvor hatte Heinrich v. Gagern Gelegenheit, seinen Standpunkt in wirksamer Rede zu wahren, und der Beifallssturm, den sie weckte, sicherte diesem den Sieg. Er schloß sich im Prinzip dem Antrag Eisenmann an, erklärte aber, daß die heutige Versammlung doch nicht jene Grundsätze unberührt und unausgemacht lassen dürfe, auf deren Basis Deutschland sich künftig gestalten solle. „Glauben Sie, daß wir die Grundsätze verkündigen sollten, die Herr v. Struve in seinem Antrag uns vorlegte? Glauben Sie, daß wir es in einem Augenblick thun sollten, wo es gilt, praktische Aufgaben zu lösen, Deutschland zu vereinigen und für den Fall eines Krieges zu kräftigen? Glauben Sie, daß das der Weg wäre, den Kredit wieder zu heben und die Nahrungslosigkeit zu beseitigen, die auf uns alle drückt?“ Er nahm für die Versammlung das volle Recht der Volkssouveränität in Anspruch, verwarf aber das der Revolution; er rief: um der Einheit willen gelte es jetzt, sich um die Prinzipien der Freiheit zu scharen, mit denen das Prinzip der Monarchie im Staate bestehen könne. „Sprechen Sie die Ansicht dieser Versammlung aus, damit sie in Deutschland wiederhalle, in Preußen, an der Nord- und Ostsee, in Oesterreich und bis nach Ungarn hin, die Ansicht, daß wir an der Monarchie festhalten, daß wir zwar eine Versammlung bilden, welche die Freiheit will und um des Volks und der Volkssouveränität willen besteht, aber dem Prinzip der Monarchie im Staate treu bleibe und zugleich der Notwendigkeit der Durchführung einer Einheit huldige!“ Von diesem Moment an war Heinrich von Gagern der Führer der konstitutionell gesinnten Majorität, als welcher er auch im weiteren Verlauf der viertägigen Redeschlacht das Feld gegen die Versuche der Heckerschen, das Vorparlament zum Werkzeug der Revolution zu machen, siegreich behauptete.
In Hecker und Gagern traten sich hier in gewinnender und echt deutscher Verkörperung die beiden Prinzipien entgegen, die jetzt zu einem Kampfe auf Leben und Tod in dem freiheitlichen Aufschwung des Vaterlands aneinander geraten waren. Friedrich Hecker, der warmblütige Pfälzer, sechsunddreißigjährig, ein Liebling des Volks wegen seines mannhaften Eintretens für dessen Interessen auch in sozialer Beziehung, von schwärmerischer Begeisterung erfüllt für ein unklares Staatsideal, vertrat den Freiheitsrausch eines jüngeren Geschlechts, in dem die Lieder Herweghs und Freiligraths wiederklangen und das im Handumdrehen – wie die Wiener Studenten Metternich gestürzt hatten – über den Trümmern der vermeintlich morschen deutschen Throne einen Freistaat allgemeiner Volksbeglückung errichten wollte. Heinrich v. Gagern, der tapfere Hesse, in der Vollkraft reifen Mannesalters, aufgewachsen als Sohn eines liberalen Staatsmannes der Steinschen Schule, in der Jugend ein Mitkämpfer gegen Napoleon bei Waterloo, dann ein Mitgründer der deutschen Burschenschaft, als hessischer Beamter und Volksvertreter ein Opfer der Reaktion von 1832, brachte seine unverbrauchte, in der Zurückgezogenheit des Landlebens bewahrte Frische dem Vaterland dar, als der befähigtste von seinen Schicksalsgenossen für ein gleichzeitiges Wirken als Volksfreund und als Staatsmann.
Der weitere Verlauf des ersten Tags schien die Gegensätze beschwichtigen zu wollen. Die feierliche Ansprache Robert Blums, welche zur Mäßigung mahnte, wurde auf allen Seiten beherzigt. Die Mahnung, um der zu schaffenden Einheit willen Einigkeit zu bewahren, klang dann am Abend auch unter dem Beifall von Tausenden vom Balkon des „Englischen Hofs“ auf den Roßmarkt herab, als die Frankfurter Turner und Sänger dem Präsidium des Vorparlaments einen großartigen Fackelzug darbrachten und auf die Begrüßungsreden von Mappes und Jucho die Mitglieder des Präsidiums Mittermaier und Itzstein, Dahlmann und Sylvester Jordan begeisternde Ansprachen hielten. Und herzerhebende Einhelligkeit herrschte am zweiten Beratungstag bei den Beschlüssen, welche für die Wahlen zum Parlament das allgemeine gleiche Stimmrecht einführten, herrschte bei den Kundgebungen für Deutsch-Oesterreich, Schleswig-Holstein und Polen. Da weckte die Frage, wie die Wahlen zum Parlament durchzuführen seien, aufs neue den Streit. Wesendonck stellte den Antrag, ein Ausschuß von fünfzig Mitgliedern solle mit der Aufgabe betraut werden, direkt bei den einzelnen Regierungen den Wahlakt durchzusetzen. Dieser Antrag sah von der Vermittelung des Bundestags ab, welche das „Siebener“-Programm vorgeschlagen hatte. Sofort tauchte auch die Heckersche Forderung der „Permanenz“ wieder auf und es zeigte sich, daß selbst unter den Gemäßigten sich viele für ein Zusammenbleiben der ganzen Versammlung bis zur Konstituierung des Parlaments hatten einnehmen lassen. Aber Welcker, der die revolutionären Endziele Struves nicht aus dem Auge verlor, trat nunmehr mit Entschiedenheit für den Antrag der „Siebener“ ein, daß ein [257] Ausschuß eingesetzt werde, der die Einberufung des Parlaments in Gemeinschaft mit dem Bundestag betreibe. „Freunde,“ rief er, „wir wollen, daß unsre Beschlüsse auch Kraft und Nachdruck haben. Sie können heute oder morgen, da oder dort eine kleine Revolution oder einen Straßenkrawall anfangen, allein darum gehorcht man Ihnen noch nicht in Sachsen oder in Berlin. Wir leben in einer Zeit der Not, wo die ganze Gesellschaft auseinanderfallen will und nach innen und außen Unordnung und Anarchie das Land bedrohen. In solcher Zeit ist es notwendig, das letzte Band des Zusammenhalts heilig zu achten.“ Bei diesen Worten unterbrach Beifall den Redner, dem sofort von den Galerien ein betäubender Lärm folgte. Doch Welcker fuhr unbeirrt fort: „Wir haben kein anderes gesetzliches Organ als den Bund und deshalb wiederhole ich, man muß sich daran halten.“ Leidenschaftlich erwiderte Hecker, daß es gerade seine Absicht sei, durch die Permanenz der Versammlung den Bundestag ganz zu beseitigen. Unter dem dröhnenden Beifall der Galerien hielt er, mit Robert Blum um die Wette, strenge Abrechnung mit dem alten Bund, dem Bundestag Metternichs. „Wenn der Bundestag,“ gab er Welcker zurück, „Arm in Arm mit dem Ausschusse geht, so ist die beste Maßregel des Ausschusses nicht nur verdächtigt im Volk, sondern in die Acht erklärt. Darum suchen wir uns, wir, das lebendig hier versammelte Volk, wir, die wir als Geschäftsführer der Nation aufgestellt sind, nicht an ein morsches, verfallenes Gebäude mit unserm Ausschuß anzulehnen!“ Vergeblich mahnten Gagern und Itzstein, man solle sich doch an den neuen Bundestag halten, der Metternichsche sei tot. Auch die „Vertrauensmänner am Bundestag“ – trotz Uhland, Jordan, Dahlmann – genügten Hecker nicht. Ihm trat Venedey entgegen, einer von denen, die erst kürzlich aus dem Exil heimgekehrt waren; er warnte davor, das Muster der Pariser Revolution nachzuahmen. Und schließlich drang die Ansicht des Hamburgers Heckscher durch, daß die Versammlung zur Verwirklichung ihrer Beschlüsse des Verkehrs mit den bestehenden Einzelregierungen des Bundestags gar nicht entraten könne. So wurde der Gegenantrag Gagerns, daß ein permanenter Ausschuß von 50 Mitgliedern den Bundestag bei Wahrung der Interessen der Nation und bei Verwaltung der Bundesangelegenheiten bis zum nahen Zusammentritt der konstituierenden Versammlung selbständig beraten solle, mit 368 gegen 148 Stimmen angenommen.
Und noch einen dritten Versuch der „Entschiedenen“, ihr Ziel zu erreichen, mußte Hecker abgeschlagen sehen. Auf Vermittelung Itzsteins hatten sie sich am Abend des 1. April mit den gemäßigteren Demokraten, wie Blum, H. Simon, Jacoby, Vogt, zu dem Antrag geeinigt, daß der am nächsten Tage zu wählende Ausschuß der Fünfziger nur dann mit dem Bundestag arbeiten könne, wenn dieser sich zuvor von den verfassungswidrigen Ausnahmebeschlüssen der Jahre 1819 und 1832 ausdrücklich losgesagt und die Männer aus seinem Schoße entfernt habe, die zur Hervorrufung und Ausführung derselben mitgewirkt hatten. Die Republikaner gaben dem Antrag aber die Form, die Versammlung möge erklären: bevor der Bundestag die Gründung des Parlaments in die Hand nimmt, solle er sich in der bezeichneten Weise regenerieren, was, wie Itzstein dann in der Debatte hervorhob, wider die Abrede war. Bassermann bemerkte sofort die Absicht der ehemaligen Genossen und erklärte, nachdem Zitz aus Mainz den Antrag begründet, mit dem Geiste desselben sei er ganz einverstanden, aber die Fassung desselben sei nichts andres als ein neuer Versuch, die Permanenz der ganzen Versammlung zu erzwingen. Er wies darauf hin, daß, bevor der Bundestag die gewünschte Forderung ganz erfüllen könne, eine geraume Zeit verstreichen müsse. Er veränderte daher die Form, so daß der Antrag nur noch die Voraussetzung aussprach, daß der Bundestag, indem er die Gründung des Parlaments in die Hand nimmt, auch die Verpflichtung übernehme, die gewünschte Regeneration zu vollziehen. In der nun folgenden stürmischen Debatte sprach Uhland das beschwichtigende Wort: „Wenn der Frühling Sprossen treibt, fällt das alte Laub von selbst ab.“ Struve aber erklärte, der Antrag sei der letzte Versuch, ob er und seine Anhänger überhaupt noch weiter mit dieser Versammlung wirken könnten. Die Drohung half nichts; der Bassermannsche Antrag ward angenommen. Da erfolgte das Unerhörte. Wie der erzürnte Achill erhob sich Hecker und entfernte sich mit den „Entschiedenen“ aus der Kirche. Blum, Itzstein, Vogt, Wesendonck und viele andere, welche mit zu den Unterzeichnern des Antrags gehört hatten, blieben dagegen auf ihren Sitzen. Und mit stürmischem Beifall ward die Erklärung des Kölner Demokraten Raveaux aufgenommen: in diesem ernsten Augenblicke sei es für den Vaterlandsfreund heilige Pflicht, den Saal nicht zu verlassen.
Die Absicht der Ausgetretenen aber war, durch den dramatischen Vorgang auf das Volk zu wirken; sie erwarteten von diesem eine entschiedene Bewegung zu ihren Gunsten, welche die Auflösung der jetzigen Versammlung herbeiführen sollte, an deren Stelle sich dann die republikanische Minderheit als „Vorparlament“ in Permanenz erklären könnte.
Als am andern Morgen die Sitzung begann, war jedoch Mittermaier als Präsident bereits in der Lage, zu verkündigen: der Bundestag habe die Beschlüsse der Versammlung, die Wahl zum Parlamente betreffend, angenommen und ebenso die Bedingungen, unter denen der Fünfziger-Ausschuß mit ihm zusammen wirken wolle. Schon hätten die noch anwesenden Gesandten, die an den Reaktionsbeschlüssen und ihrer Ausführung beteiligt waren, ihre Entlassung eingereicht. Da bot sich „Vater“ Itzstein an, die Abtrünnigen zur Rückkehr zu bewegen. Sylvester Jordan, Stedmann und Venedey unterstützten den Antrag. Noch einmal verstand es der greise Führer, seine Macht über den „verlornen Sohn“ auszuüben. Das letzte Mal! Hecker kam mit seinem Anhang zur Wahl des Ausschusses zurück in die Paulskirche. Aber wenn er durch sein brüskes Auftreten die Durchführung seiner Pläne hatte erzwingen wollen, so erreichte er nur das Gegenteil des Erstrebten. In seiner Abwesenheit war, auf Betreiben Biedermanns, Venedeys und Jaups, eine Erklärung der Grundrechte und Forderungen des deutschen Volkes angenommen worden, die im Gegensatz zu Struves radikalem Manifeste das Mindestmaß deutscher Volksfreiheit bedeuten sollte. Als ein Produkt der Verständigung zwischen den Demokraten und Konstitutionellen gelangte ferner der folgenreiche Antrag des Mannheimers v. Soiron zur Annahme, daß die Beschlußnahme über die künftige Bundesverfassung einzig und allein der vom Volk zu wählenden konstituierenden Nationalversammlung zu überlassen sei, wobei es ihr freistehe, später mit den Regierungen eine Verständigung zu suchen. So war das Prinzip der Volkssouveränität ganz ohne Mitwirkung der „Entschiedenen“ von der Versammlung ausgesprochen worden. Und als dann, nach ihrem Eintreffen in der Paulskirche, die Wahlen für den Fünfziger-Ausschuß vollzogen wurden, in welchem sich unter dem Vorsitz Soirons, Blums und Abeggs mit vielen der süddeutschen Volksmänner, die wir in Hallgarten, Heppenheim, Heidelberg tagen sahen, zahlreiche Norddeutsche zusammenfanden, da erhielt weder Struve noch Hecker genügend viel Stimmen für die Mitgliedschaft – die ganze Gruppe der entschiedenen Republikaner ging leer aus.
Damit war für sie der Würfel gefallen. Struve und Hecker eilten mit den Ihrigen nach Hause, um den von Fickler im „Seekreis“ bereits zum Ausbruch vorbereiteten bewaffneten Aufstand im ganzen Großherzogtum zu organisieren. Doch schieden sie von Frankfurt nicht etwa mit dem Gefühl von Besiegten. Außerhalb der Paulskirche war Hecker der Held des Tages gewesen. Seine entflammenden Reden hatten in der Masse des Volkes stürmischen Wiederhall gefunden. Er schritt mit der Ueberzeugung zur Schilderhebung, daß – wie er später erklärte – der geplante Waffengang ein „wahrer Festzug“ sein und es keines Schwertstreichs, keines Schusses bedürfen werde, um dem bewaffnet sich erhebenden Volk den Sieg zu erringen. Ebenso war er fest überzeugt, daß ganz Deutschland dem Beispiele Badens, das ja bisher immer vorangegangen sei, auch jetzt folgen werde. „Es gehörte nichts dazu als der Mut der That zu dem Mut des Worts. Das stehende [258] Heer wäre bei einem Aufstand in Masse dem Volk nicht entgegengetreten, und es wäre dann unter flatternden Fahnen der Republikaner die Wahl zur konstituierenden Versammlung vorgenommen worden; ein Nationalkonvent voll großartiger Energie und schöpferischer Kraft hätte im Bündnis mit Frankreich Europa neugestaltet.“
Doch von den Tausenden, die Hecker jetzt zujubelten, als er im badischen Oberland in den Volksversammlungen die Republik proklamierte, von all denen, die sich nach seinem Vorbild „Heckerblusen“ und „Heckerhüte“ zulegten, folgten nur wenige dem Ruf zu den Waffen, als es ernst werden sollte. Die Verhaftung Ficklers, die am 8. April auf dem Karlsruher Bahnhof Karl Mathy veranlaßte, gerade als jener nach Konstanz zur Schilderhebung abreisen wollte, hatte schon vorher dem Unternehmen das Rückgrat gebrochen. Mathy, der Vertreter von Konstanz im Landtag, hatte eben Kenntnis von den Verhandlungen Ficklers mit Herwegh erhalten, der in Paris aus deutschen, aber auch französischen und polnischen Arbeitern eine Hilfslegion organisiert hatte, die bereits auf dem Wege nach Straßburg war. Das Herannahen dieser Hilfslegion stiftete zudem Zwietracht zwischen Struve und Hecker. Der letztere blieb seinem Versprechen treu, keine Hilfe aus Frankreich annehmen zu wollen, während Struve gerade die größten Hoffnungen auf diesen Zuzug setzte. In Wirklichkeit war die Herweghsche Schar ein schlecht bewaffneter Haufe, der sich bei Dossenbach einem Angriff richtiger Truppen in keiner Weise gewachsen zeigte. Ebenso ging es den tausend Aufständischen aus dem Schwarzwald und vom Bodensee, die, zum Teil nur mit aufrechtstehenden Sensen bewaffnet, am 20. April, dem Gründonnerstag dieser bewegten Osterzeit, unter Heckers Leitung auf der Höhe bei Kandern den Truppen des Generals Friedrich v. Gagern entgegentraten. Der Tod dieses Mannes, den beim Ausbruch dieses Gefechts sogleich die ersten Kugeln hinrafften, hat auf dies beklagenswerte Nachspiel des Vorparlaments einen düsteren Schatten geworfen.
Friedrich von Gagern, der älteste Bruder Heinrichs, stand als General in niederländischen Diensten; patriotische Begeisterung und der Drang, an der Neugestaltung Deutschlands auf dem Gebiet der Heeresorganisation mitzuwirken, hatten ihn bestimmt, Urlaub zu nehmen und in die Heimat zu eilen. Die badische Regierung gedachte ihm den Oberbefehl über die ganze Bürgerwehr zu; auf Vermittelung von Welcker und Bassermann, den Vertretern Badens am Bundestag, übernahm er zunächst das Kommando eines Kontingents der Bundestruppen, die gegen die Pariser Legion und den badischen Aufstand mobilgemacht wurden. Er übernahm die Führung in dem Glauben, er werde mit Hecker, dem früheren Freund seiner Freunde, zu einem friedlichen Ausgleich kommen. Er bemühte sich redlich darum. Auch als sich beide mit ihren Truppen auf der Waldlichtung der Scheidegg zwischen Kandern und Schlächthaus kampfbereit gegenüberstanden, trat er nochmals vor, um die Aufständischen zum Niederlegen der Waffen zu bestimmen. Vergeblich. Er wandte sich nun, bestieg sein Pferd, erhob den Säbel und eröffnete den Angriff – da traf ihn schon das tödliche Blei. Die Gegner der Revolutionäre behaupteten später, die Schüsse seien auf den General schon vor der regulären Eröffnung des Gefechts abgegeben worden. Das ist nicht zu beweisen und man wird es nicht glauben. Erklärlich aber ist, daß das auf diese Art vergossene Blut Gagerns die unheilbare Feindschaft besiegelte, in die sich von nun an in Baden die Konstitutionellen und die Republikaner verstrickt sahen, die vorher im Kampf gegen Metternich so treue Waffenbrüder gewesen waren. Hecker, der den Truppen auf der Scheidegg nicht standhalten konnte, floh nach der Schweiz, dann nach Amerika. Die Volksphantasie aber bemächtigte sich seiner Gestalt mit noch heute nachwirkender Sympathie. An Struve dagegen, der bei Säkkingen über die Grenze entwich, um zu günstigerer Zeit wiederzukehren, heftete sich die Verantwortung für das planlose Unternehmen. Doch beiden Männern war es gleich ihrem Kameraden Sigel, der bei Freiburg nach tapferem Kampf unterlag, und vielen ihrer Mitkämpfer vom Schicksal vergönnt, später als Bürger des nordamerikanischen Freistaats ihre Freiheitsliebe ebenso zu bewähren wie ihr treues Festhalten an deutscher Bildung und an deutschem Wesen.
Dem Sieg, den die „Reform“ im Vorparlament errungen hatte, ist es auch zu danken gewesen, daß die Propaganda der „entschiedenen“ Republikaner zu einer allgemeinen deutschen Revolution, die doch nur der Reaktion in die Hände gearbeitet hätte, damals nicht geführt hat. Er hatte weiter die gute Wirkung, daß die sämtlichen deutschen Regierungen zur Ausführung der Beschlüsse des Vorparlaments sich bereit fanden. Der Fünfziger-Ausschuß, der noch um sechs Oesterreicher verstärkt ward, fand bei dem regenerierten Bundestag, dem Graf Colloredo vorstand, großes Entgegenkommen. Die Einberufung eines ersten Deutschen Parlaments als gesetzlicher Vertretung des Gesamtwillens der Nation bei Begründung der erstrebten Reichseinheit war erreicht. Die Regierungen schrieben die Wahlen aus, wie es das Vorparlament verlangt hatte: nach allgemeinem gleichen Stimmrecht, auf je 50 000 Einwohner ein Abgeordneter. Wenn in der Mehrzahl der Einzelstaaten indirekte Wahl und nicht direkte stattfand, so geschah dies in Uebereinstimmung mit einem Beschluß der Versammlung, welcher beide Wahlarten freistellte, nachdem nicht nur Welcker und Römer, sondern auch Karl Vogt dies aus praktischen Gründen empfohlen hatten. Nur der Termin des Zusammentritts ward auf Wunsch Preußens vom 1 Mai auf den 18. Mai – mit Rücksicht auf die gleichzeitigen preußischen Landtagswahlen – verlegt. Um so eifriger war König Friedrich Wilhelm IV dabei, die Wünsche des Vorparlaments zu erfüllen, welche die Aufnahme von Ost- und Westpreußen, der deutschen Hälfte der Provinz Posen und von Schleswig in den Deutschen Bund verlangten. Am 24. März hatte sich Schleswig-Holstein von Dänemark losgesagt, nachdem König Friedrich VII die Einverleibung Schleswigs in Dänemark dekretiert hatte. Friedrich Wilhelm IV, der inzwischen noch die liberalen Rheinländer Camphausen und Hansemann zu verantwortlichen Ministern ernannt hatte, unterstützte die provisorische Regierung in Kiel und schickte ihr preußische Truppen zur Hilfe. Es war der erste Schritt nach dem Ziel, der Krone Preußen das verloren gegangene Ansehen zurückzuerobern.
Das „Siebener“-Programm aber, dessen Beratung das Vorparlament unter dem Terrorismus Struves abgelehnt hatte, ward zum Kern jener Reichsverfassung, die in unserer nationalen Geschichte als idealer Gewinn des wirklichen ersten Deutschen Parlaments fortgewirkt hat. Am 18. Mai 1848 trat dieses in der Frankfurter Paulskirche zusammen.
Welche Rolle in ihm den Männern zufiel, deren Verdienste um sein Zustandekommen wir in den hiermit zum Abschluß gelangenden Artikeln nach zum Teil wenig benutzten Quellen geschildert haben, soll an dieser Stelle noch in einem besonderen Aufsatz dargelegt werden. Die Kämpfe, welche das Parlament ins Leben riefen, waren auch für sein Schicksal entscheidend. Die Oberhauptsfrage ließ sich auch hier nicht lösen. Das eherne Gesetz der Geschichte hat später bewiesen, daß sie eine Machtfrage war, für die es nur eine kriegerische Entscheidung gab. Doch diese erfolgte in jener Richtung, die schon die Mehrzahl der patriotischen Denker und Dichter des „Vormärz“ [259] im Gegensatz zu dem Träger der preußischen Krone angestrebt hatte. Und von dem „Heidelberger“ Verfassungsentwurf rühmt Gustav Freytag in seiner Biographie Karl Mathys mit Recht, er habe „den Weg vorgezeichnet, auf welchem die deutschen Angelegenheiten seitdem vorwärts getrieben wurden, bis jene Forderungen in der Hauptsache durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes für 30 Millionen Deutsche zum Grundgesetz des neuen Staates erhoben wurden“. Auf ihr fußte dann die Verfassung des Deutschen Reichs, das die deutschen Völker mit ihren Fürsten im gemeinsamen Sieg über Frankreich glorreich erstritten. „Die politischen Gedanken,“ sagt Freytag vom Inhalt jenes ersten Entwurfs einer deutschen Verfassung, „wird niemand das Werk eines einzelnen zu nennen wagen, denn sie wuchsen zu gleicher Zeit in Tausenden herauf; aber unvergänglich soll das Andenken der Führer bleiben, welche sie zuerst auf den Weg der praktischen Ausführung gebracht und aus dem Reich unbestimmter Ideale in die Wirklichkeit eingeführt haben.“ Und fürwahr, auch all die anderen tapferen Männer, die im März 1848 den alten Polizeistaat in Trümmer legen und dem Rechtsstaat die Grundlagen sichern halfen, verdienen ein dankbares Erinnern. Der Segen der„Märzerrungenschaften“ blieb trotz der ihnen bald genug folgenden traurigen Reaktion dem deutschen Volk unverloren!