Zum Inhalt springen

Whigs und Tories

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Whigs und Tories
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 81–82. S. 321–322; 328.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[321]

Whigs und Tories.

[1]

Zum Verständniß der brittischen Staatsgeschichte gehört eine gründliche Einsicht in das Wesen der zwei großen Klassifikationen der Politiker dieses Landes. Die Frage, was ein Whig und was ein Tory sey, ist nicht so leicht zu beantworten, als man gewöhnlich meint. Zuf oft haben diese Namen unter dem Einfluß der Zeiten und Verhältnisse ihre Bedeutung gewechselt.

Sie mögen zum mindesten so alt seyn als das lange Parlament; als bestimmte Gegensätze aber erscheinen sie zum erstenmale im Jahr 1679[WS 1] zur Zeit der Ausschließungsbill. Es handelte sich zwar in der Bill zunächst nur darum, die katholischen Pairs ihres Sitzes im Oberhause zu berauben; sofern diese Maßregel aber eine Veränderung der Thronfolge vorbereitete, und ziemlich unzweideutig gegen den Herzog von York gerichtet war, so gab sie natürlich dem Parteigeist vielfache Gelegenheit, sich zu entwickeln. Die Ausschließung selbst, eines jener kühnen Rettungsmittel, zu welchen ebensowohl der Mann von Torygrundsätzen in außerordentlichen Momenten greift, als der entschiedenste Whig nie daraus eine Regel macht, war indessen nicht eigentlich der Trennungspunkt. Der Torysmus, dessen Anhänglichkeit an die Staatskirche noch größer ist als an die Krone, fand die Ausschließung nicht so ganz seinem Interesse zuwider; aber zugleich wurden dabei doch auch Gegenstände zur Sprache gebracht, die den alten Streit der Prinzipien – des republikanischen, welches alle gesellschaftlichen Einrichtungen auf das allgemeine Wohl bezieht, und des monarchischen, welches die Erhaltung einer regierenden Linie als Zweck oder nothwendige Bedingung einer rechtmäßigen Ordnung betrachtet – wieder weckten. Der Hauptunterschied zwischen beiden Parteien lag indessen nicht etwa in Demokratismus auf der einen oder Absolutismus auf der andern Seite; der Anhänger der unumschränkten Monarchie ist kein Tory, der Republikaner kein Whig. So war Lord Clarendon[2] Tory, Hobbes nicht; Bischof Hoadley[3] war Whig, Milton nicht. Tories und Whigs – diese Bemerkung ist nicht zu übersehen – sind für die Constitution, das heißt, für die Regierung eines erblichen Souverains, für die Mitwirkung der zwei Häuser des Parlaments bei der Gesetzgebung und für die Aufrechthaltung der alten Grundgesetze des Reichs. Aber dem Tory ist die Constitution ein äußerster Punkt, über den er nicht hinaussieht, von dem er nicht abgeht; während der Whig Veränderungen in der Constitution zulässig findet, sobald eine ihrer Formen (mit Ausnahme der Grundformen) dem Staatszweck nicht mehr entspricht. Insofern hat der Whig, so wenig er auch sonst Neuerungen liebt, eine gewisse Neigung zur Rolle des politischen Reformators; er moralisirt gern über Freiheit und Menschenrecht, er erkennt namentlich die Nothwendigkeit eines für alle Theile und Interessen des Volks mehr berechneten Wahlgesetzes; alle diese Dinge sind dem Tory ein Gräuel, von dem er nicht reden hören kann, ohne daß er seinen Klaggesang über Revolution, Anarchie und Weltuntergang anstimmt. Beide Parteien tragen übrigens zur Befestigung der Verfassung wesentlich bei, indem die eine die Rechte der Bürger, die andere die Prärogative der Krone unter ihren besondern Schutz stellt; aber unter Umständen, wo durch Leidenschaften die Vernunft unterjocht würde, könnte der Torysmus zur Despotie, der Whigismus zum Umsturz der Monarchie führen. In Bezug auf die Preßfreiheit, namentlich das Prinzip der freien Untersuchung in Sachen der Religion, sind sie völlige Antipoden; um es endlich kurz zu sagen, sie verhalten sich zu einander wie Perfectibilität und Stabilität.

Daß der König von Niemand, selbst vom Parlament nicht, und noch weniger vom Volke, ungebetenen Rath annehmen, daß er insbesondere seinen Unterthanen nicht gestatten dürfe, durch Bittschriften auf die Ausübung seiner gesetzlichen Vorrechte, z. B. die Einberufung des Parlaments einzuwirken – diesem Grundsatze der alten Regierung blieb der Torysmus auch nach der Revolution treu. Der unterscheidende Character von Whig und Tory gab sich jedoch unmittelbar nach dieser Periode weniger in den Beziehungen zur Krone zu erkennen, als in der Art, wie sie einige andere Fragen der Politik behandelten. Die Tories waren (was in unsern Tagen die Congregation ist) die ersten und eifrigsten Verfechter der Kirche, die nach ihren Begriffen nie hoch genug gestellt, mit Glanz und Macht nie genug umgeben werden kann. Der Sache der Kirche opferten sie nicht selten die Sache der Royalität, selbst wenn beide nur Ein Interesse zu haben schienen; im Namen der Kirche waren sie immer bereit, die Katholiken zu verfolgen, [322] oder, wenn dieß die Zeiten nicht erlaubten, ihre Plackereien wider die Noncomformisten zu richten. gegen die Toleranz, welche die Whigs als einen der herrlichsten Siege der Revolution priesen, sträubten sich die Tories aufs hartnäckigste und solange sie konnten. Unbekümmert um den stolzen Ton der Kirche verfuhren auf der andern Seite die Whigs gegen die Dissenters mit Mäßigung, vielleicht mit Wohlwollen. In der Folge, als die Parteien ihre Stellung zur bürgerlichen Freiheit und zur königlichen Gewalt schon eingenommen hatten, war dieß immer noch einer der hauptsächlichsten Scheidepunkte.

[328] Vorliebe für die Aristokratie des Grundeigenthums, Eifersucht auf neue Familien, auf den Handelsstand, auf das Bürgerthum – lauter Eigenschaften, die in dem Bilde eines echten Tory nicht fehlen dürfen. Man hat auch von den Whigs als von einer aristokratischen Partei gesprochen. Ohne Zweifel gebührt der Majorität in der Pairskammer von der Revolution bis auf die neueste Zeit der Name Aristokratie. Wenn man an die Beweggründe denkt, wodurch Classen der Gesellschaft sich bestimmen lassen, so erwartet man von einem englischen Oberhause nicht, daß es mehr Whig- als Torygrundsätze enthalte. Aber es ist hier ein Fall, wo man die Parteien von den Grundsätzen unterscheiden muß.

In Folge der selbstischen Neigung der Aristokraten gegen die Krone fühlten sich viele Lords zur Whigpartei hingezogen, weil, mit Ausnahme des größern Theils der Regierungszeit der Königin Anna, auf dieser Seite die Krone stand. Was war natürlicher, als daß sie ihre Torygrundsätze mit hinüberbrachten? Eben dadurch gaben sie aber dem Whigismus einen Anstrich von Aristokratie, der seinem Wesen durchaus fremd ist.

Es versteht sich von selbst, daß hier die Parteien nach ihrer ursprünglichen Idee, die Menschen mit dem dieser Idee entsprechenden sittlichen Charakter dargestellt sind, ohne Rücksicht auf jene schmählichen Erscheinungen, wie sie nur die Selbstsucht und die Kabale hervorbringt. Eine umfassendere Weltansicht, richtigere Begriffe von der Natur und den Zwecken der bürgerlichen Gesellschaft, ein Geist veredelter Sittlichkeit, ein Sinn für freie und männliche Geistesbildung – dieß sind eben so viele Attribute des Whigismus als Ansprüche desselben auf einen höhern Rang in der öffentlichen Achtung. Demungeachtet aber möchten wir es für keinen geringen Vortheil erklären, daß diese zwei Parteien oder vielmehr ihre Grundsätze sich der Masse der englischen Nation bemächtigten, wenn wir auch zugestehen, daß das Verhältniß ihrer Einwirkung auf diese Masse nicht immer das erwünschte war. Man kann sie mit den zwei Kräften vergleichen, welche die Planeten in ihren Bahnen halten; das Uebergewicht der einen Kraft würde diese Körper in das Chaos stürzen, das der andern sie auf das Centrum werfen.

Um diese Skizze zu verständigen, dürfen wir die Schattenseite nicht ganz vergessen. Es ist ein großer Unterschied, ob man dem Whigismus als Prinzip den Vorzug gibt, oder ob man ihm als Partei anhängt. Sofern die Whigs bei ihrem Grundsätzen beharrten – und im Allgemeinen kann man ihnen dieß Zeugniß nicht versagen – waren sie geeignetere Vertreter der großen Interessen des Bürgerthums als ihre Gegner. Aber durch die besondern Umstände unter den vier ersten Regierungen, durch Vorurtheil, Leidenschaftlichkeit, vor allem durch die Begierde sich in den Besitz der Gewalt zu setzen oder sich darin zu behaupten, gerieten sie mit den Tories oft in eine falsche Stellung, so daß eine Partei die Sprache der andern führte, und man die Grundsätze leider fast nur noch in Schriften fand, die sich auf einen höhern Standpunkt als den des Augenblicks zu erheben wußten. Unter dem König Wilhelm und der Königin Anna hatten die Whigs ihren eigenthümlichen Character als große Partei weit reiner erhalten als ihre Gegner; ein Umstand, der nicht nur den Verfall des Torysmus unter der frühern Regierung begreiflich macht, sondern auch die Möglichkeit der Revolution selbst, die mit den Akten,[4] auf welche sie sich gründet, eine feierliche Erklärung gegen das Glaubensbekenntniß der Tories war. Wenn die Tories damals nicht auf ihren alten Beweis, daß wenigstens der Buchstabe des Rechts für sie spreche, verzichteten, warum thaten sie nichts für ihre Ueberzeugung? warum ließen sie sich die Macht nehmen, etwas dafür zu thun? Gewiß haben sie dadurch nicht wenig vom Begriff ihrer Partei aufgeopfert. Und nur ihr Benehmen gegen die Regierung Wilhelm’s, die Verunglimpfungssucht, welche sie zu Handlungen veranlaßte, die den alten, wenigstens ihren eigenen, Begriffen gemäß, offenbare Eingriffe in die königlichen Prärogative waren? Sie lernten eine Kunst, die in Volksversammlungen Glück macht – die Rechte des Volks vertheidigen und dabei – ihre Vorrechte vergrößern. Wenn Freunde des verbannten Königshauses in einem solchen Ton um Beifall und Anhänger warben, so war dieß ganz in der Ordnung: den Jakobiten, der, um eine usurpirte Regierung zu stürzen, volksthümlicher Beweisquellen sich bediente, wird deswegen Niemand einen Jakobiner schelten. Seine Treue galt der Krone, aber der Krone auf dem Haupte des rechtmäßigen Monarchen. Hingegen der Tory, der sich dem neuen Souverain unterworfen hatte und dennoch gegen die Prärogative desselben in Opposition trat, machte sich eines unverantwortlichen Widerspruchs mit seinen Grundsätzen schuldig. Unstreitig fand dieser Fall unter der Regierung der beiden ersten George und noch in höherem Grade unter Wilhelm Statt, insofern die Trennung zwischen Tory und Jakobite damals noch schärfer war.

Indessen so gut auch die alten Namen Whig und Tory auf einzelne Individuen noch immer passen mögen, so würde man doch die politischen Parteien Englands im neunzehnten Jahrhundert damit nur sehr uneigentlich und sehr unvollkommen bezeichnen. Aber hohe Achtung für das Andenken Wilhelms III wird immer den echten Whigismus charakterisiren, wie einst den Torysmus Haß gegen den großen Befreier, jener Haß, der durch das Gift boshafter Verläumdungen den Strom der Geschichte trübte.

  1. The Constitutional History of Henry VII to the death of George II. By Henrry Hallam. Voll. IV. Paris 1827
  2. Der Villele Carls II. Seine Verwaltung schildert Hallam im Anfang von B. 3.
  3. Der muthige Vertheidiger der Religionsfreiheit unter Georg I. Hallam B. 4 S. 63
  4. The bill of recognotion in 1690, the repeat of the non-resisting test, the act of settlement, the oath of abjuration.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 1779