Washington Irving’s Columbus
Washington Irving’s Columbus.
In dem stillen Kampfe, den in unsrer Zeit unter den manchfachsten Formen die historische Wahrheit mit der ungebundenen Freiheit des Dichters, des bildenden Künstler wie des Philosophen führt, und in welchem sich im Gebiete des Geistes nur die, auch den Bewegungen der Außenwelt zu Grunde liegenden Gegensätze reflectiren, – in diesem Kampfe kann es als ein entscheidender Triumph der Geschichte über die Dichtung betrachtet werden, daß zwei Dichter, welche die beiden stolzesten Nationen der Welt bisher zu ihren größten zählten, Scott und Irving, plötzlich ihrer Romanhelden überdrüssig, es sich zur Aufgabe machten, zwei hohe Gestalten der Wirklichkeit zu schildern, jenen Mann, der jenseits der Meere, und jenen, der in seinem gewaltigen Geiste eine neue Welt suchte. Indessen schien Walter Scott’s unglücklicher Versuch eine schlimme Vorbedeutung für Washington Irving’s Unternehmung, um so mehr als alle bisherigen Werke des letzteren ziemlich leichter Natur waren. Ein gefälliger, humoristischer und eleganter Styl, jedoch ohne Feuer und Energie, mochte wohl trefflich zu heitern Skizzen und flüchtigen Erzählungen passen, schien aber wenig geeignet, um sich damit an die ernste Majestät der Geschichte wagen zu können. Dennoch war der Amerikaner um vieles glücklicher, als der doch ungleich geistreichere Schotte.
Durch die nahe Gegenwart seines Helden verlor Scott jene Unbefangenheit der innern Anschauung, die ihn allein fähig gemacht hätte, die Züge des großen Kaiserbildes treu und wahr wiederzugeben.
Napoleon war sein Zeitgenosse und der Gegner seines Volks: Scott, statt ihn mit dem feinen psychologischen Blick, der ihn sonst ausgezeichnet hatte, zu studieren, fühlte sich aufgefordert gegen ihn zu kämpfen. In dem Augenblick aber, wo die Leidenschaften der Gegenwart ihm das Auge trübten, hörte er auf Dichter zu seyn, d. h. verlor er die Fähigkeit, seinen Helden objectiv aufzufassen, und ihn mit dem ihm sonst in so hohem Grad eigenen Talent vor den Leser hinzumalen. Deßwegen ist in den neun Bänden von Scotts Napoleon keine Spur von der in seinen übrigen Werken so glänzenden Darstellungsgabe. Hatte er aber der großen Persönlichkeit gegenüber einmal aufgehört Dichter zu seyn, so mußte der kleine Mann, ohne Kraft und Gesinnung, als Kämpfer gegen die Riesengestalt der Zeit, eine um so jämmerlichere Figur spielen. Hätte der Gott ihn begeistert, so wäre er fähig gewesen, als Sänger sich neben den Helden zu stellen; von ihm verlassen aber mußte der Zauberstab des Dichters in der Hand des engherzigen Britten nur zum gemeinen Gänsekiel werden, den er, lächerlich genug, gegen das blitzende Schwert des Kaisers erhob.
In reinem Gegensatze gegen diese Erscheinung ward Irving, statt durch seinen Helden erdrückt zu werden, vielmehr durch ihn gehoben.Der Entdecker Amerikas mußte den Sohn Amerikas begeistern; und beides, die Wahl sowohl als die Ausführung, legt ein ehrenvolles Zeugniß für Irvings Gesinnung ab, wenigstens gewiß ein ehrenvolleres, als jene Sucht seiner frühern Werke, worin der freigeborne Republikaner des jungen Amerikas den aristokratischen Eitelkeiten des alten Europas den Hof macht. –
Einige Auszüge werden die Darstellungsweise des Werkes am besten charakterisiren: „Ueber die Person des Columbus geben uns sein Sohn Fernando, Las Casas und einige andere seiner Zeitgenossen sehr genaue Beschreibungen. Diesen zufolge war er groß, schön gewachsen, musculös, und von edler, würdevoller Haltung. Sein Gesicht war lang, weder voll noch mager; etwas blatternarbig, übrigens von gesunder frischer Farbe; eine Adlernase; die Backenknochen stark hervorragend; seine Augen lichtgrau und leicht entzündlich; in seinem ganzen Wesen etwas Hohes, Befehlendes; sein Haar war in seiner Jugend von heller Farbe; Sorgen und Kummer aber färbten es, wie Las Casas berichtet, so frühzeitig grau, daß es schon in seinem dreißigsten Jahre ganz weiß aussah. Er war einfach und mäßig in Kost und Kleidung, beredt im Gespräch, zuvorkommend und gefällig gegen Fremde, und in seinem häuslichen Leben so liebenswürdig und freundlich, daß alles, was ihn umgab, die lebhafteste Anhänglichkeit an ihn hatte. Sein Temperament war von Natur leicht reizbar; er bezwang es aber durch die Großartigkeit seines Geistes, indem er sich stets mit freundlichem, edlem Ernst betrug, und sich in seinen Ausdrücken nie eine Leidenschaftlichkeit erlaubte. Während seines ganzen Lebens bemerkte man an ihm eine große Aufmerksamkeit auf die Gebote der Religion; streng beobachtete er die Fasten und Ceremonien der Kirche. Indessen bestand seine Frömmigkeit nicht blos in Formen, sondern war beseelt von jener hohen, freudigen Begeisterung, von der sein ganzes Wesen durchdrungen war.“
Bekanntlich hatte Columbus (in Genua um das J. 1435 oder 1436 geboren) seine Dienste zuerst dem Könige von Portugal, und dann den Republiken Genua und Venedig [262] angeboten. Ueberall zurückgewiesen, wanderte er arm und freundlos nach Spanien.
„Die erste Spur, die wir von ihm in Spanien haben, liegt in dem Zeugnisse, welches wenige Jahre nach seinem Tode, in dem berühmten Prozesse zwischen seinem Sohn Diego und der Krone, ein Arzt ablegte, Namens Garcia Fernandez, der in dem kleinen andalusischen Seehafen Palos de Moguer lebte. Eine halbe Stunde von dieser Stadt stand, und steht noch bis auf den heutigen Tag, ein altes Kloster der Franciscaner, der heiligen Maria de Rabida geweiht. Eines Tages hielt ein fremder Wandersmann, von einem Knaben begleitet, an der Klosterpforte still, und bat den Pförtner um ein wenig Brod und Wasser für sein Kind. Während ihm diese kleine Erfrischung gereicht wurde, ging zufällig der Prior des Convents, Bruder Juan Perez de Marchena, vorüber, ward von dem Aussehen des Unbekannten gerührt, und ließ sich mit ihm, da er an seinem Wesen und seiner Aussprache bemerkte, daß er ein Fremder war, in ein Gespräch ein, wobei er denn seine bisherigen Begegnisse kennen lernte. Dieser Unbekannte war Columbus, begleitet von seinem jungen Sohne Diego.“ –
[269] Nachdem es Columbus gelungen war, sich bei Hofe Gehör zu verschaffen, ward er an den Rath der Universität von Salamanca gewiesen, der seine Vorschläge prüfen sollte.
„Der größere Theil dieser gelehrten Junta war, allem Anscheine nach, schon im voraus gegen ihn eingenommen. Dergleichen Societäten sind stets geneigt, einen ihrer Prüfung zugewiesenen Mann als eine Art von Delinquenten, als einen Betrüger zu betrachten, dessen Vergehen und Irrthümer sie aufdecken und ans Licht bringen sollen. Columbus besonders erschien vor einer solchen scholastischen Körperschaft in einem zu ungünstigen Lichte: ein unbedeutender Seemann, der nie Mitglied irgend einer gelehrten Gesellschaft war, und alles jenes werthlosen Schmucks entbehrte, welcher oft der reinen Trägheit und Stumpfsinnigkeit das Gewicht eines Orakels verleiht, konnte er auf nichts sich berufen als auf den Genius in seiner Brust. Einige theilten die gewöhnliche Meinung, daß er ein Abentheurer oder ein Träumer sey, während andere von jenem krankhaften Eifer gegen jede Neuerung in der einmal bestehenden Lehre befallen waren, welcher unter der Trägheit und Pedanterei des gelehrten Zwangs- und Klosterlebens so leicht sich festsetzt. Welch ein rührendes Schauspiel muß die Halle des alten Convents in diesem merkwürdigen Augenblicke dargeboten haben! Ein einfacher Seemann, rings umgeben von einer imponirenden Reihe von Professoren, Mönchen und geistlichen Würdenträgern, mit natürlicher Beredsamkeit seine Theorie vortragend und gleichsam die Sache der neuen Welt vertheidigend. Als er die ersten Gründe für seine Ansicht auseinandersetzte, schenkten ihm allein die Möche von St. Stephan Aufmerksamkeit; dieser Convent war in den Wissenschaften bewanderter als der übrige Theil der Universität. Die andern Anwesenden schienen sich hinter die vornehme Voraussetzung verschanzt zu haben, daß, nachdem so viele tiefe Philosophen und Cosmographen die Form der Erde studiert, und so viele geschickte Seeleute seit mehreren tausend Jahren sie umschifft haben, es nun ein unbegreiflicher Dünkel eines gewöhnlichen Mannes sey, zu glauben, daß eine so umfassende Entdeckung ihm vorbehalten gewesen wäre. Mehrere der von der gelehrten Körperschaft ihm gemachten Einwürfe sind bis auf uns gekommen, und haben der Universität von Salamanca manchen Spott zugezogen. Doch beweisen sie nicht sowohl die besondere Mangelhaftigkeit jenes einzelnen Instituts, als vielmehr den unvollkommenen Zustand der Wissenschaften jener Zeit überhaupt, und die Art wie die Kenntnisse in ihrem sonst so raschen Gange durch Mönchsaberglauben aufgehalten wurden. Durch dieses trübe Glas wurden alle Gegenstände zu jener Zeit betrachtet, wo der Geist des Alterthums erloschen und blinder Glaube an die Stelle verständiger Forschung getreten war. Verirrt in einem Labyrinth theologischer Zänkereien war das Menschengeschlecht noch weit hinter die Linie der Kenntnisse der alten Welt zurückgeschritten. Statt geographischer Einwürfe ward daher Columbus mit Citationen aus der Bibel, aus dem neuen Testamente, dem Buch Mosis, den Psalmen Davids, den Propheten, den Episteln und Evangelien angegriffen, denen man noch die Schriften mehrerer Heiligen und ehrwürdigen Commentatoren beifügte, St. Chrisostomus und St. Augustin, St. Hieronymus und St. Gregorius, St. Basilius und St. Ambrosius, und Lactantius Firmianus, ein gefürchteter Kämpfer für den Glauben.
Unmöglich konnte ein mathematischer Beweis wahr seyn, wenn irgend eine Stelle der Bibel oder der Kirchenväter damit in Widerspruch zu stehen schien. Die Möglichkeit von Antipoden in der südlichen Hemisphäre, (eine Meinung, die im Alterthum so verbreitet war, daß Plinius sie den großen Streitpunkt zwischen den Gebildeten und Ungebildeten nennt,) war den Weisen von Salamanca ein Hauptstein des Anstoßes. Mehrere derselben bestritten diese Grundlage der Theorie des Columbus geradezu als rein unmöglich, indem sie sich auf Citate aus Lactantius und St. Augustin stützten, die damals als die höchste evangelische Autorität betrachtet wurden. Ungeachtet aber diese Schriftsteller Männer von großem Geist und zwei der größten Leuchten in dem sogenannten goldenen Zeitalter der kirchlichen Gelehrsamkeit waren, so würden doch ihre Schriften in Bezug auf die Wissenschaften zu ewiger Finsterniß führen.
Die Stelle aus Lactantius, womit man Columbus aus dem Felde zu schlagen suchte, ist rein lächerlich und eines so großen Theologen unwürdig. „Kann wohl Jemand so einfältig seyn,“ fragt er, „daß er behaupten möchte, es gebe Antipoden, die mit ihren Füßen uns gerade gegenüber gestellt wären, ein Volk, dessen Beine in die Höhe ständen, während der Kopf dem Boden zugekehrt wäre? daß es einen Theil der Welt geben könne, in welchem alle Dinge auf dem Kopf ständen, wo die Bäume [270] mit ihren Zweigen abwärts, mit ihren Wurzeln aufwärts wüchsen? Die Idee von der runden Form der Erde gab Veranlassung zu dieser Fabel von Antipoden, mit ihren Füßen in der Luft. Nachdem die Philosophen einmal dem Irrthum anheim gefallen waren, so mußte eine Absurdität zur Vertheidigung der andern dienen.“
Ernsthafter waren die aus St. Augustin genommenen Gegenbeweise. Er erklärte die Lehre von Gegenfüßlern als unvereinbar mit den historischen Grundlagen unsers Glaubens, indem, wenn man behaupte, daß es auf der entgegengesetzten Seite unsers Welttheils bewohnte Länder gebe, man damit den Satz aufstelle, daß Nationen existiren, die nicht von Adam abstammen, da es für diese Völker unmöglich gewesen wäre, den dazwischen liegenden Ozean zu überschreiten. Dieß würde also die Bibel widerlegen, welche ausdrücklich erkläre, daß alle Menschen von einem gemeinschaftlichen Elternpaare abstammen.
Solcher Art waren die Vorurtheile, gegen die Columbus zu kämpfen hatte, und welche freilich mehr an das Kloster als an eine Universität erinnern. Seiner einfachen Auseinandersetzung der runden Form der Erde wurden bildliche Redensarten der Bibel entgegen gestellt. Man bemerkte ihm, in den Psalmen stehe, der Himmel sey ausgebreitet gleich einem Felle,[1] d. h., den alten Commentatoren zufolge, gleich der Decke des Zeltes, welche bei den alten Hirtenvölkern aus Thierhäuten bestand. Ferner vergleiche auch der Apostel Paulus in seinem Briefe an die Hebräer den Himmel mit einem Zelte, das über die Erde gespannt sey, die folglich platt seyn müsse.
Columbus, ein so aufrichtig religiöser Mann, war auf diese Art in Gefahr, nicht allein des Irrthums, sondern auch der Ketzerei überwiesen zu werden. Indessen gaben andere, die in den Wissenschaften mehr bewandert waren, die Kugelform der Erde, so wie die Möglichkeit einer entgegengesetzten bewohnten Hemisphäre zu, machten aber dabei wieder den Wahn der Alten geltend, daß man wegen der unerträglichen Hitze der heißen Zone unmöglich dahin gelangen könnte. Ja, selbst wenn diese Schwierigkeit beseitigt wäre, so sey doch der Umfang der Erde so groß, daß man zu einer solchen Reise wenigstens drei Jahre brauchen würde, und vor Hunger und Durst umkommen müßte, indem es unmöglich wäre, sich für eine so lange Zeit mit Lebensmitteln zu versehen. Endlich wandte man, auf Epikurs Autorität, ein, daß, die sphärische Form der Erde zugegeben, sie doch blos auf der nördlichen Hälfte bedeckt sey; die entgegengesetzte Hälfte sey ein Chaos, ein Abgrund oder eine bloße Wasserwüste. Zuletzt wurde auch die Behauptung aufgestellt, daß wenn es einem Schiff gelänge, das äußerste Indien zu erreichen, es doch nicht mehr würde zurückkehren können, denn die runde Form der Erde würde hier eine Art von Berg bilden, über den man selbst mit dem günstigsten Wind doch unmöglich hinüber fahren könnte. (Th. 1. S. 119–125.)
[282] „Es war am Morgen des 12. Oktober 1492, daß Columbus zuerst die neue Welt erblickte. Als der Tag graute, sah er eine ebene, schöne Insel vor sich, mehrere Meilen breit, vom freundlichsten Grün, und gleich einem fortlaufenden Obstgarten rings mit Bäumen bedeckt. Obgleich alles die wilde Ueppigkeit einer ungezähmten Natur verkündigte, so war die Insel doch augenscheinlich bevölkert, denn man sah, wie die Einwohner aus den Wäldern herbeiliefen, von allen Seiten her ans Ufer eilten, und die Schiffe anstarrten. Sie waren alle völlig nackt, und, nach ihren Stellungen und Geberden zu schließen, vor Erstaunen außer sich. Columbus gab ein Zeichen, daß die Schiffe Anker werfen und die Boote bemannt und bewaffnet werden sollten. Er selbst bestieg sein eigenes Boot, reich in Scharlach gekleidet und die königliche Fahne tragend, während Martin Alonzo Pinzon und Vincent Janes, sein Bruder, gemeinschaftlich mit ihren Booten abstießen, jeder mit der Fahne der Unternehmung, mit einem grünen Kreuze geschmückt, das auf beiden Seiten die Buchstaben F und I, die Anfangsbuchstaben der castilianischen Monarchen, Fernando und Isabella, mit darüber schwebenden Kronen trug.
Als sie sich den Küsten näherten, waren sie entzückt beim Anblick der tiefen Wälder, welche unter jenem Himmelsstrich in so herrlichem Wuchse stehen. Sie sahen Früchte von reizender Farbe, aber unbekannter Art, welche rings an den die Ufer bedeckenden Bäumen hingen. Die Reinheit und Lieblichkeit der Atmosphäre, die krystallhelle Durchsichtigkeit der See, welche diese Inseln bespült, verleiht ihnen eine wundervolle Schönheit, und mußte auf Columbus empfängliches Herz einen außerordentlichen Eindruck machen. So wie er ans Land sprang, warf er sich auf die Kniee, küßte die Erde und dankte Gott mit Freudenthränen in dem Auge. Seinem Beispiele folgten die Uebrigen, deren Herzen gleich dem seinigen von Dank überflossen. Dann sprang er auf, zog sein Schwert, entfaltete die königliche Standarte, ließ die beiden Capitaine nebst Rodrigo de Escobido, dem Kriegscommissär, Rodrigo Sanchez, und den Uebrigen, die gelandet hatten, einen Kreis um sich schließen, nahm im Namen des castilianischen Souveräns feierlichen Besitz von der Insel und gab ihr den Namen San-Salvador. Nachdem er so die nöthigen Formen und Ceremonien geendigt hatte, rief er alle Anwesenden auf, ihm als dem die Person des Königs repräsentirenden Admiral und Vicekönig, den Eid des Gehorsams zu schwören.
Nun brach die Mannschaft in den ausschweifendsten Jubel aus. Statt daß sie sich kurz vorher noch als verlorne Leute betrachtet hatten, die ihrem gewissen Untergange entgegen eilten, hielten sie sich nun für die höchsten Günstlinge des Glücks und überließen sich der ausgelassensten Freude. Sie drängten sich um den Admiral, umarmten ihn, oder küßten ihm die Hände. Die, welche während der Reise die Widerspenstigsten und zum Aufruhr Geneigtesten gewesen waren, waren nun die Unterwürfigsten und Begeistertsten. Einige baten um seine Gunst, als um die eines Mannes, der von nun an stets über Geld und Ehrenstellen zu verfügen haben würde. Manche Nichtswürdige, die ihn bisher aufs unverschämteste beleidigt hatten, krochen jetzt vor ihm, baten ihn um Verzeihung für all das Leid, das sie ihm verursacht hätten, und schwuren für die Zukunft den blindesten Gehorsam.
Als die Eingebornen der Insel beim Grauen des Tages die Schiffe erblickt hatten mit ihren ausgespannten [283] Segeln, hielten sie sie für Ungeheuer, die während der Nacht aus der Tiefe des Meeres gestiegen wären. Sie strömten am Ufer zusammen und verfolgten ihre Bewegungen mit steigender Angst. Das scheinbar ohne alle Anstrengung vor sich gehende Umwenden der Schiffe, das Einziehen und Ausspannen der Segel, welche großen Schwingen glichen, erfüllten sie mit dem höchsten Erstaunen. Wie sie sahen, daß die Boote der Küste sich näherten, und eine Anzahl unbekannter Wesen, in bunten Kleidern, mit glänzendem Stahl bedeckt, an das Gestade stieg, flohen sie voll Bestürzung ihren Wäldern zu. Als sie indessen bemerkten, daß sie nicht verfolgt noch angegriffen würden, erholten sie sich allmälich von ihrem Schrecken, und näherten sich den Spaniern mit scheuer Ehrfurcht. Dabei warfen sie sich häufig auf den Boden nieder, und machten Zeichen, als wenn sie sie anbeteten. Während der Ceremonien der feierlichen Besitzergreifung schauten sie mit starrem Blicke, in Furcht und Bewunderung, auf die Bärte, die glänzenden Waffen und Uniformen der Spanier. Vor allen zog der Admiral ihre Aufmerksamkeit auf sich, durch seine gebieterische Größe, sein würdevolles Aussehen, seinen Scharlachmantel, und durch die ihm von seinen Gefährten gezollte Ehrerbietung. Nachdem ihre anfängliche Furcht immer mehr verschwunden war, traten sie näher, berührten die Bärte der Fremdlinge, untersuchten ihre Hände und Gesichter, indem sie besonders über ihre Weiße große Verwunderung ausdrückten. Columbus, dem ihre Sanftheit, Einfachheit und das Vertrauen gefiel, das sie in Wesen setzten, die ihnen doch so unbekannt und furchtbar erscheinen mußten, ließ ihre Neugierde ganz ruhig gewähren. Die erstaunten Wilden wurden durch dieses freundliche Benehmen vollends ganz gewonnen; sie glaubten nun, die Schiffe kämen fern aus dem krystallnen Firmament hergesegelt, das ihren Horizont umschloß, oder seyen auf ihren breiten Schwingen von dem Himmel herabgestiegen, dessen Bewohner diese wunderbaren Wesen wären.[2]
Die Eingebornen der Insel waren auf der andern Seite auch für die Spanier ein Gegenstand gleicher Neugier, da sie bis jetzt nie ähnliche Menschen gesehen hatten. Nach ihrem Aussehen durfte man sich hier weder Reichthum noch Bildung versprechen, denn sie waren vollkommen nackt, bunt mit Farben bemalt, einige blos im Gesicht, um die Nase und die Augen, andere aber am ganzen Körper, was ihnen ein wildes und phantastisches Aussehen gab. Sie waren braungelb oder kupferfarben, und ganz bartlos. Ihr Haar war nicht kraus, gleich dem der neu entdeckten Stämme der afrikanischen Küste unter demselben Breitegrade, sondern straff und rauh, zum Theil an den Ohren kurz abgeschnitten, während hinten mehrere lange Locken gelassen waren, die auf die Schultern herabfielen. Ihre Züge, obgleich durch die aufgemalten Farben entstellt, waren angenehm; sie hatten hohe Stirnen und besonders schöne Augen. Sie waren von mittlerer Größe und wohl gewachsen; die meisten unter dreißig Jahren; besonders zeichnete sich ein noch sehr junges Mädchen, gleich den übrigen völlig nackt, durch ihre Schönheit aus.
Da Columbus selbst glaubte, daß er auf einer Insel des äußersten Indiens gelandet habe, so gab er den Eingebornen den allgemeinen Namen Indianer, den man später auf alle Urbewohner der neuen Welt ausdehnte.
Aus allem sahen die Spanier wie gutmüthig und sanft, wie einfach und kunstlos diese Insulaner waren. Ihre einzigen Waffen bestanden in Speeren, an dem Ende durch Feuer gehärtet, oder mit einem Kiesel oder einer scharfen Fischgräte besetzt. Man bemerkte kein Eisen bei ihnen, noch schienen sie mit seinen Eigenschaften bekannt zu seyn, denn als man ihnen ein bloßes Schwert zeigte, faßten sie es unvorsichtig auf der scharfen Seite.
Columbus vertheilte bunte Mützen, Glasperlen, metallene Glöckchen und andere Tändeleien unter sie, mittels welcher die Portugiesen gewohnt waren mit den Volksstämmen auf der Goldküste von Afrika Handel zu treiben. Sie empfingen diese Dinge als unschätzbare Geschenke, hingen die Glasperlen um den Hals und freuten sich kindisch über den Klang der Glöckchen.
Die Spanier blieben den ganzen Tag am Ufer, nach der angstvollen Reise nun unter dem herrlichen Grün der Bäume der Insel wieder neu auflebend. Erst spät am Abend kehrten sie auf ihre Schiffe zurück, ganz entzückt von allem was sie gesehen hatten. Am folgenden Morgen füllte sich beim ersten Lichte des Tages das Ufer mit Eingebornen, welche, aller Furcht ledig, die sie beim ersten Erscheinen der Ungeheuer der Tiefe gehabt hatten, zu den Schiffen herangeschwommen kamen; andere ruderten in leichten Barken herbei, die sie Canoes nannten, und die blos aus einem ausgehöhlten Baumstamme bestanden, worin vier oder fünf Menschen Platz hatten. Sie bewegten dieselben äußerst gewandt mit ihren Rudern, und wenn sie umschlugen, schwammen sie völlig kaltblütig im Wasser herum, als wäre es ihr eigentliches Element, richteten die Canoes mit großer Leichtigkeit wieder auf, und schöpften sie mit Calabassen[3] aus. Sie zeigten große Begierde, noch mehr von den Spielereien der weißen Menschen zu bekommen, augenscheinlich nicht deßwegen, weil sie ihnen irgend einen äußern Werth beilegten, sondern weil in ihren Augen alles, was aus den Händen der Unbekannten kam, eine übernatürliche Kraft hatte, da jene es mit vom Himmel gebracht hatten. Daher lasen sie [284] aufs sorgfältigste die zerstreuten Thon- und Glasscherben auf, als ob es Dinge vom höchsten Werth wären. Nur weniges konnten sie als Gegengeschenk bieten, ausgenommen eine große Anzahl Papageyen, und Baumwolle, an welcher sie Ueberfluß hatten, und wovon sie große Ballen von fünf und zwanzig Pfund für die unbedeutendste Kleinigkeit hinzugeben bereit waren. Sie brachten auch eine Art Brodes, welches ein Haupttheil ihrer Nahrung, und später auch der Spanier ausmachte. Es war aus einer großen Wurzel, Yuca genannt, zubereitet, die sie auf dem Felde bauten. Sie schnitten dieselbe in kleine Stücke, welches sie schabten oder zerrieben, dann in einer Presse zu Kuchen drückten, diese hart werden ließen, wo man sie dann lange aufbewahren konnte, und, wenn man sie essen wollte, in Wasser tauchte. Diese Kuchen waren unschmackhaft aber nahrhaft, obgleich das bei der Zubereitung ausgepreßte Wasser ein tödtliches Gift war. Auch gab es noch eine andere, giftlose, Art von Yuca, welche, sowohl gesotten als geröstet, gegessen wurde.
Die Habgier der Entdecker ward aufs höchste angeregt, als sie kleine Gold-Zierrathen erblickten, welche einige von den Eingebornen in ihren Nasen trugen. Sie vertauschten dieselben aufs bereitwilligste für Glasperlen und Glöckchen, wobei beide Theile über den glücklichen Handel frohlockten, und ohne Zweifel jeder über die Einfalt des andern erstaunte. Da aber das Gold bei allen Endeckungsunternehmungen ein königliches Monopol war, so verbot Columbus jeden Eintausch desselben ohne seine ausdrückliche Genehmigung. Dasselbe Verbot legte es auch auf die Einhandlung von Baumwolle, indem er, wo sich irgend eine größere Quantität davon vorfinden sollte, allen Handel damit der Krone vorbehielt.
Er suchte von den Eingebornen herauszubringen, woher sie dieses Gold bekämen. Sie antworteten ihm durch Zeichen, indem sie nach Süden deuteten; er glaubte zu verstehen, daß dort ein König von so großem Reichthum sey, daß er große Schiffe von Gold besitze. Er nahm also an, daß gegen Süden, gegen Süd-West und Nord-West Land seyn müsse, und daß die Einwohner von letzterm häufig nach Süd-West wanderten, um Gold und edle Steine aufzusuchen, auf ihrem Wege auf dieser Insel landeten, und die Einwohner mit sich wegführten. Mehrere der Eingebornen zeigten ihm ihre Narben von Wunden, welche sie in Treffen mit jenen eingedrungenen Feinden erhalten hätten. Offenbar war der größere Theil von diesen Annahmen eine bloße Folge von Columbus Hoffnungen und Wünschen, denn er stand unter jenem Zauber der Einbildungskraft, der allem seinen eigene Farbe und Lieblingsansicht lieh. Er war überzeugt, daß er zu jenen Inseln gekommen sey, von denen Marco Polo sagte, sie liegen Cathay gegenüber, in der chinesischen See; alles schien mit der von jenen reichen Gegenden gegebenen Erzählung übereinzustimmen. So glaubte er, daß die Feinde, von denen die Insulaner sagte, daß sie von Nord-West kommen, Bewohner des Festlandes von Asien wären, Unterthanen des großen Khans der Tartarei, von denen der venetianische Reisende sagte, daß sie häufige Kriege mit den Inseln führten, und deren Einwohner zu Sklaven machten. Das Goldland im Süden konnte nichts anders als die berüchtigte Insel Cipango seyn, und der König mit seinen goldenen Schiffen war gewiß jener Monarch, dessen prachtvolle Stadt und dessen glänzenden, mit Goldplatten bedeckten Palast, Marco Polo in so verschwenderischen Worten gepriesen hatte. –
Diese Insel nun, welche die erste war, auf welche in der neuen Welt Columbus seinen Fuß setzte, nannten die Eingebornen Guahani. Er selbst gab ihr den Namen San Salvador, während die Engländer sie Katzen-Insel (Cat Island) nannten.“ (Th. I. S. 229–249.)
- ↑ Extendens coelum sicut pellem. Psal. CIII.
- ↑ Der Glaube, daß die weißen Menschen von dem Himmel herabgestiegen seyen, war unter den Bewohnern der neuen Welt allgemein. Als im Laufe der folgenden Reisen die Spanier sich mit dem Caziken Nicaragua unterhielten, fragte sie dieser, auf welche Art sie von dem Himmel herabgekommen seyen, durch Flügel oder auf Wolken. Herera, decad. 3. liv. IV. cap. 5.
- ↑ Flaschenkürbisse.