Warum? (Friedrich Hofmann)
Wo der Karpathen Hochwaldpracht
Gen Süden auf Rebenhügel lacht,
Die das Auge der Puszte beglücken –
Da hinkt durch das prangende Land daher,
Ein junger Krüppel auf Krücken.
„Ein Jahr vorbei, und wieder war’s Mai,
Und die blutigen Monde sind wieder vorbei,
Die Todtenmonde von Böhmen[1],
Und nächtlich über die Erde wallt
Als flammender giftiger Schemen.
„Dort traf es auch mich und traf mich hart.
Fast hätten sie mich mit eingescharrt,
Da kam der Feind, Gott segne ihn!
Er ließ des Gefangenen Geist nicht entflieh’n,
Der Feind hat mich gerettet.
„Im fernen Nord sind die Winter wild,
Es heilten die schweren Wunden. –
Nun heim zu Dir, o Mütterlein Du!
Hat Frieden Dein Herz im Leben, hat Ruh’
Dein Kummer im Tode gefunden?
Grüß Gott Dich, magyarisches Heimaththal,
Von Mondesglanz umflossen!
Im Dorf ist entschlummert Haus um Haus.
Still zieh’ ich ein, laut zog ich aus;
„Und da ist dem Gottesacker entlang
Mein alter Schul- und Kirchengang –
Und dort – ein Fenster noch helle!
O Himmel, ihres Lämpchens Schein
– Er kann nicht von der Stelle.
Du armer zitternder Krückenmann,
Recht leise, leise schleiche hinan,
Ihr Antlitz anzubeten.
In jeder Nacht inbrünstiglich
Ihr Herz vor Gott getreten.
„„Mein Gott, ich frage Dich nicht: Warum?
Ich beuge mich gläubig, ich beuge mich stumm
Nur das Eine flehe ich Nacht und Tag:
O hemme des Herzens brennenden Schlag!
O kühle es! Laß es erkalten!
„„Mach’s einer Mutter nicht allzuschwer!
Er ruht bei Dir in Frieden.
Mein einzig Fleh’n ist Wiederseh’n,
Ihn wiederseh’n so rein und schön,
Wie er von mir geschieden!““
Wie reißt sie’s empor! – Sie horcht, sie schaut! –
Wie die Sinne ihr treulos werden!
Sie fliegt ihm entgegen, sie sieht nichts, nichts,
Als das selige Lächeln des Angesichts,
Doch es tritt, was der Sturm der Wonne verhüllt,
Bald genug an’s Licht und, ach, erfüllt
Ihr Herz mit Schrecken und Jammer.
Ihr Wehruf – sie will ihn ersticken mit Macht –
Aus der Armen einsamer Kammer.
„„O Herr im Himmel, nun halte mich!
Von Gottes Gnaden nennen sie sich,
Die der Mütter Herzen so schlagen!
Die Priester und Könige bleiben stumm –
Nun muß ich’s, mein Gott, Dich fragen!““
- ↑ WS: Die Schlacht bei Königgrätz.