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Wanderungen in der Krim

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Autor: unbekannt
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Titel: Wanderungen in der Krim
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44–45, S. 529–532, 543–546
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[529]
Wanderungen in der Krim.
Geschichte des Landes. – Eupatoria. – Sebastopol. – Balaklava. – Inkermann. – Tartaren und tartarische Dörfer. – Die Hauptstadt Baktschi-Sarai. – Der Palast des Khan. – Eine Stadt mit ehrlichen Juden. – Simferopol, die Hauptstadt der Russen. – Der vergrabene Schatz Salomons. – Eine wunderbare Treppe.

Die Halbinsel Krim, welche von dem schmalen Streifen von Perekop ziemlich viereckig in das schwarze Meer hinaushängt, ist etwa so groß wie Sachsen, Hannover, Würtemberg und Baden zusammen genommen und zerfällt in zwei ganz verschiedene Theile, die Steppe, welche drei Viertheile bedeckt und die russische Schweiz oder die Südküste, ein reizendes Gebirgsland.

Das Land hat seit uralter Zeit eine ziemlich hervorragende Rolle in der Geschichte gespielt und namentlich ist der südliche und östliche Theil reich an historischen Erinnerungen. Noch ehe die Griechen Colonien in Tauris, wie sie die Halbinsel nannten, anlegten, ließen sie Iphigenie dort als Priesterin der Diana dienen, dann bauten sie die Städte Chersonesus und Penticapäum (später Bosporus, jetzt Kertsch), Theodosia (jetzt Kaffa), Cytäa, Nymphäum (jetzt Apuk), Lampas und andere. Um das fünfte Jahrhundert vor Christus erhob sich das Reich der Könige vom Bosporus, unter denen am Glänzendsten hervorragt der große Römerfeind Mithridates. Vom fünften Jahrhundert nach Christus an wurde die Krim von Barbarenhorden überströmt, die einander wechselnd verdrängten, von den Gothen und Hunnen, von den Avaren und Chazaren, endlich von den Mongolen und Tartaren unter Tschingis Khan, dessen Nachkommen die Khane oder Fürsten der Krim waren, bis das Land von den Russen erobert wurde und dessen Volk heute noch die Mehrzahl der Bewohner ausmacht. Eine glänzende Rolle spielte auch zwei Jahrhunderte hindurch, von 1270 an, das mächtige Genua in der Krim. Es erhielt die Erlaubniß, an der Stelle des zerstörten Theodosia eine Stadt zu bauen, die Kaffa genannt wurde, Waarenniederlagen da zu errichten und Handel zu treiben. Nicht zufrieden damit, legten die Genuesen an der ganzen Süd- und Westküste mehr oder minder bedeutende Niederlassungen an und heute noch sieht man Trümmer ihrer Festen bei Sebastopol, Balaklava und auf der Insel Toman.

Wenn man, wie die verbündeten Engländer und Franzosen auf ihrem Zuge zur Zerstörung Sebastopols, die Krim bei Koslof oder Eupatoria betritt, so findet man sich in seinen Erwartungen sehr getäuscht, denn die Stadt, nach Baktschi-Sarai die am meisten charakteristische Tartarenstadt, ist eine der langweiligsten, die es geben kann. Sie liegt in baum- und waldloser dürrer Gegend mit engen schmutzigen Straßen und gleich einem Regiment Soldaten längst dem Ufer aufgestellten Windmühlen. Vor der Eroberung durch die Russen war sie eine der wichtigsten auf der Halbinsel und zählte über 20,000 Einwohner, jetzt kaum 7000, die mit Ausnahme der russischen Beamten und vielleicht 1200 Juden sämmtlich Tartaren sind. Unter diesen ist die mongolische Gesichtsbildung vorherrschend; kleine, schiefstehende Augen, vortretende Backenknochen und plumpe Gesichter unterscheiden die Steppentartaren von den schönern Bewohnern des Gebirgstheils, die mehr Aehnlichkeit mit den Türken haben. So groß und tief die Bai ist und so guten Ankergrund sie hat, ist sie doch allen Winden ausgesetzt, mit Ausnahme der Nordwinde und der Handel darum sehr unbedeutend.

Von da an steigt das Land allmälig zu Bergen an, die bei Sebastopol weiße Kreidehöhen sind.

Sebastopol, das in der letzten Zeit so oft beschrieben worden ist, daß wir wohl unterlassen können, mehr von ihm zu sagen, liegt mitten unter den interessantesten Alterthümern der Krim. Die Bai ist die, welche der alte Geograph Strabo unter dem Namen Ktenos beschrieb und die Tartaren nannten die kleine Stadt, welche sie vor der Ankunft der Russen da bewohnten, Atschiar (die alte), welchen Namen Katharina II. in den pomphaften „Sebastopol“ verwandelte (was NB. Sebastōpol auszusprechen ist). Der Landstrich bis zu dem Thal von Inkerman auf der einen und dem Meerbusen von Balaklava auf der andern Seite ist der, welchen Strabo unter dem Namen des herakleotischen Chersonesus beschreibt. Hier standen die berühmten Städte Chersonesus, Eupatorium und Pontus Symbolorum. Vor einem halben Jahrhunderte noch sah man prachtvolle Ruinen, z. B. Thore und Thürme; jetzt ist kein Stein mehr auf dem andern, kaum noch eine Spur, als hätten die Russen sich Mühe gegeben, nicht blos die Nationalität des besiegten Volkes zu vernichten, sondern auch jede Spur einer frühern Herrschaft. Am westlichen Ende der „Südküste“ oder der russischen Schweiz steht ein Kloster, dem heiligen Georg geweiht, d. h. eine Menge kleiner Häuser und Kirchen, die an dem obern Rande des hier etwa 400 Fuß hohen Meeresufers aufgebaut sind. Von diesen Häusern, die genau an der Stelle stehen sollen, wo sonst der Tempel der Diana stand, geht es steil zu einem Brunnen und dann im Schatten von Bäumen zu dem Ufer herunter. Rechts springt die Küste weit in das Meer hinaus; das ist das Cap Parthenon (das Vorgebirge der Jungfrau) und hier haben wir denn den Schauplatz zu dem Schauspiel „Iphigenie auf Tauris,“ der also für alle Zeiten geweiht ist durch die Poesie.

Etwa neun Werst von dem Kloster liegt Balaklava, eine Stadt, die aus den frühesten Zeiten her bekannt ist. In der Bucht sammelten sich in uralter Zeit griechische Seeräuber, entweder um die gemachte Beute zu theilen oder zu neuen Unternehmungen sich zu rüsten und sie nannten sie Symbolos (den Hafen der Vereinigung). Die Römer machten daraus Portus Symbolorum und die Italiener Cembala. Das Bala soll ein verdorbenes bella (schön) sein. Die Bai zieht sich wie ein Haken in das Land hinein, ist tief, klippenlos, ohne Sandbänke am Eingange und gegen alle Winde geschützt. Die Berge und Felsen sind wohl fünf Mal so hoch als die bei Sebastopol und da sich die Bai hinter dieselben zurückzieht, so liegen die Schiffe in ihr völlig versteckt.

Die Stadt Balaklava sieht ganz verödet aus und hat fast gar keinen Handel und keine Gewerbe. Die engen Straßen, das Pflaster und die veraltete Form der Häuser könnten den Gedanken erregen, man betrachte hier eine Stadt, die tausend Jahre in der Erde gelegen habe und nun erst wieder ausgegraben sei. Daß sie alt ist, weiß man, wahrscheinlich hat sie aber auch die Form behalten, die ihr die erste griechische Colonie gab. Die [530] Ruinen sind bedeutend: große noch stehende Thürme, Mauern und halbe Kirchen. Von der Höhe herab hat man eine reizende Aussicht auf das Meer, wovon man in der Stadt gar nichts merkt, weil sie sich weit hinein verkriecht an die Bai. Diese ist durch zwei Fischsorten berühmt, Kaphat und Natuch und an Fischen überhaupt so reich, daß sie bisweilen von ihnen wimmelt. Wenn es draußen stürmt, kommen auch ganze Schaaren von Delphinen in den sichern Hafen, wo sie dann von den Leuten geschossen werden.

Die Bewohner von Balaklava sind fast ausschließlich Griechen, deren Ehrlichkeit nicht gar groß sein soll. Sie sind Abkömmlinge kecker Seeräuber aus Morea, welche der russischen Regierung bei dem Kriege geqen die Türkei unter der Regierung der Kaiserin Katharina II. wichtige Dienste leisteten und zur Belohnung dafür hier Land angewiesen erhielten.

Der Weg von der Stadt aus geht ziemlich steil hinauf zu den Bergen, die das schöne Baidarthal begrenzen, welches für das reizendste in der Krim gilt.

Ehe wir weiter nach Süden wandern, machen wir einen Ausflug nach Inkerman, einem Städtchen, an das sich jetzt der äußerste Flügel der Franzosen lehnt, um die Grotten, Ruinen und Höhlen daselbst zu besichtigen. Man findet hier buchstäblich eine unterirdische Stadt, welche in dem Felsengebirge ausgehauen ist, das die beiden Seiten des Thales begleitet. Man sieht so Häuser und Kirchen, Klöster mit langen Gängen und Zellen, Grabmäler und Befestigungen mit Zinnen und Thürmen. Abgesehen von dem Interesse, welches diese merkwürdige Menschenarbeit gewährt, ist das Thal Inkerman mit dem kleinen Flusse auch malerisch angenehm, freilich ganz verödet. Büffel, Schafe und Ziegen sind die alleinigen Bewohner und sie flüchten sich immer bald in den kühlen Schatten der Aushöhlungen, um sich der brennenden Sonnenhitze zu entziehen, oder ihren Durst aus den Steingräbern zu stillen, die jetzt als Viehtränken dienen. Ziegen sammeln sich um die Altäre und Schafe lagern in den Kirchen, in welchen sonst Gesänge der Mönche widerhallten. Kröten, Schlangen, Taranteln und andere Geschöpfe, die keines Menschen Freund sind, haben hier ihren ungestörten Aufenthalt, aber sie sind nicht das Einzige, was der Reisende zu fürchten hat, denn die Luft in dem Thale von Inkerman ist durch die pestilenzialischen Sümpfe so verdorben, daß man sicherlich nach einigermaßen längerem Verweilen die nachtheiligsten Einwirkungen fühlt.

Auch in den Felsen der Bai von Balaklava finden sich ähnliche Aushöhlungen, nur sind sie besser erhalten und innen mit farbigem marmorharten Stuc bekleidet, so daß sie sofort bewohnt werden könnten.

Von Inkerman wandern wir auf der Straße nach Baktschi-Sarai und Simferopol, wo Menzikow die anrückenden Verstärkungen erwartet. Auf dem Wege sehen wir die Leute auf den Feldern arbeiten. Ein Tartarendorf hat ein seltsames Aussehen, denn es gleicht ziemlich einem Kaninchenbau, da die Häuser an den Bergen hängen oder in denselben eingegraben sind. Da sie nur ein Stockwerk haben und die flachen Dächer mit dem Erdboden gleich fortlaufen, so kann man gelegentlich auf die Dächer einer Häuserreihe kommen, ehe man es sich versieht. Das Innere dieser Häuser ist eben so originell. Männer und Weiber sitzen da in ächt statischer Art am Boden und rauchen aus langen Pfeifen Tabak und Kinder mit roth gefärbten Haaren, Augenbrauen und Nägeln – tartarische Schönheit! – treiben sich meist ohne alle Kleidung umher und ihre Köpfe sind gewöhnlich mit einer Menge Münzen und Amuletten behängen, welche vor Zauberei schützen sollen.

Auch begegnet man wohl gelegentlich reichen karaitischen Juden in ihrer eigenthümlichen glänzenden Tracht und – deutschen Landleuten, Colonisten aus Schwaben, die ganz die alte schwäbische Kleidung beibehalten haben, nicht zu vergessen die Zigeuner, welche in der Krim ziemlich zahlreich sind und als Diebe, Gaukler und Musikanten umherziehen.

Die Dörfer sehen im Allgemeinen freundlich aus, da sie fast ohne Ausnahme an einem fließenden Wasser liegen, das in dem dürren Lande zur Bewässerung durchaus nöthig ist. Eichen, Buchen, Kirsch-, Aepfel- und Birnbäume ziehen sich an den Bergen, ja auch an Felsen hin; Gärten, Wiesen und Felder wechseln mit Wäldchen von Maulbeer-, Granatäpfel-, Aprikosen- und Nußbäumen ab, deren laubreiche Kronen dem Ganzen das Aussehen üppiger Fruchtbarkeit geben. Namentlich die Nußbäume sind Lieblinge der Tartaren und da sie hier zu einer ungeheuern Größe emporwachsen, so findet man sie häufig über die niedern Hütten hinwegragend und dieselben mit ihrem Schatten bedeckend. Da die Tartaren sich zum Islam bekennen, so findet man in jedem Dorfe eine kleine Moschee, von deren unscheinbarem Minaret herab die Gläubigen zum Gebete gerufen werden. Die Tartaren sind aufrichtig fromm und führen die Vorschriften ihres Glaubens getreulich aus, denn sie sind freundlich, gastfrei und ehrlich. Da die einfachen Formen des Islams sich für ein Hirtenvolk, das die Tartaren sind, ganz besonders eignet, so sind denn auch alle Versuche der russischen Missionäre, sie zum Christenthum zu bekehren, gescheitert. Dies erklärt sich freilich überdies auch aus dem tiefen Hasse gegen die Russen, der ihnen nicht gerade zu verdenken ist, wenn man sich erinnert, mit welcher Grausamkeit das arme Volk von Potemkin und dessen Helfershelfern behandelt wurde.

Obwohl die Stadt Baktschi-Sarai von ihrer Pracht viel verloren hat, und nur ein Dritttheil der Zerstörung der Eroberer entging, so ist diese ehemalige Hauptstadt der Tartaren-Khane noch immer interessant genug, zumal sie die einzige Stadt in der Krim ist, welche von Katharina II. das Vorrecht erhielt, nur von Tartaren bewohnt zu werden und sich der Nationalcharakter da am Meisten erhalten hat.

Die Lage ist schön am Dschorok Su und den steilen Wänden des Gebirges; Gebäude, Sitten und Lebensweise der Bewohner sind völlig orientalisch; man sieht Bazar-, Moscheen mit Minarets, Kiosks, Begräbnißplätze mit Wäldern von Cypressen, Terrassen, Gärten und Weinpflanzungen, zahlreiche Brunnen und viele fließende krystallklare Quellen. Die Straßen sind freilich nach der Sitte des Orients eng und schlecht gepflastert, und da fast alle Arbeiten auf der Straße betrieben werden, da die Stadt auch der Stapelplatz für die Früchte, Tabak, Flachs, Getreide des umliegenden Landes ist, so werden die Straßen häufig buchstäblich versperrt.

Der Palast des Khan ist unbestritten das glänzendste Gebäude in der Krim und man darf es der russischen Regierung nachrühmen, daß bei den vorgenommenen Ausbesserungen daran der ursprüngliche Charakter bis auf die Farben der Malereien erhalten worden ist. Auch das Mobiliar ist geblieben. Dieser Palast erscheint wie eine Schöpfung orientalischer Erzähler und er läßt sich nur mit der Alhambra in Spanien vergleichen. Man sieht noch den Harem mit den Gärten und Bädern, den thurmförmigen Kiosk, den Audienzsaal mit der vergitterten Galerie, auf welcher die Lieblingsfrauen des Khan ungesehn die glänzende Versammlung des Adels und der Krieger betrachten durften. Jetzt freilich ist er ein großes Grab; kein Fußtritt hallt in den vergoldeten Sälen außer dem des Schließers und der wenigen Fremden, die sich darin herumführen lassen.

Die Vorstädte von Baktschi-Sarai dehnen sich ziemlich weit aus, untermischt mit Kiosks, Villen, Mühlen und Gärten und die Zahl der Moscheen mit ihren Domen und Minarets und dem Walde von kleinen Thürmen – alle Schornsteine sind so gebaut – alles trägt bei das Bild reizend zu machen.

Wie die Einwohner heute noch jammernd erzählen, war Baktschi-Sarai vor der Eroberung eine wahrhaft prachtvolle Stadt. Die Russen übten allerdings muthwillige Barbarei dabei aus, denn sie plünderten nicht nur die Einwohner, sondern zerstörten sogar die Gräber, weil sie Schätze darin zu finden hofften und rissen ganze Straßen nieder. Einer der prächtigsten Landsitze des Khans, der ein wahres Wunderwerk gewesen sein soll, verschwand ganz von der Erde wie eine von Griechen bewohnte Vorstadt mit 600 Häusern.

Von Baktschi-Sarai aus kann man einige interessante Ausflüge machen, z. B. nach Tschufut Kale, d. h. dem Schlosse der Ungläubigen. Ehe man dasselbe erreicht, erblickt man das Kloster Maria Himmelfahrt, das an einem ungeheuern Felsen hängt. Der seltsame Bau soll das Werk verfolgter Christen aus den ersten Jahrhunderten sein. Die Zellen der Mönche, die Gänge, das Refektorium und die Kirche, alles ist in den Felsen gehauen und so eine uneinnehmbare Feste geworden, denn der Zugang ist eine ebenfalls in den Felsen gehauene Treppe, die auf eine Zugbrücke führt. Ist diese aufgezogen, so bleibt der Zugang unmöglich. Die Kirche ist von den Russen wieder hergestellt und es wird nach Jahrhunderten jetzt von Neuem Gottesdienst darin gehalten.

Eine halbe Stunde weiterhin liegt das ähnliche Tschufut Kale, eine Feste auf dem Gipfel eines einzelnen Felsens derselben Kette. [531] Der Weg hinauf ist äußerst beschwerlich. Da sie von hohen massiven, meist aus den Felsen gehauenen Mauern umgeben ist und nur zwei Thore hat, so können die Bewohner, sobald sie wollen, jeden etwa versuchten Angriff abweisen. Wann und zu welcher Zeit diese merkwürdige Feste erbaut worden ist, weiß man nicht, jetzt enthält sie etwa 300 Häuser in sehr engen Straßen. Der Boden ist der harte Fels. Die Bewohner sind ohne Ausnahme Juden von der karaitischen Sekte. Sie zeichnen sich durch ihren moralischen Charakter, namentlich durch ihre sprüchwörtliche Ehrlichkeit aus und erfreuen sich vieler Vorrechte. Von der Stadt führt eine steile Treppe hinunter in das sogenannte Thal Josaphat, eine Felsenschlucht, welche der Begräbnißort ist und einem von Bäumen beschatteten Spaziergange gleicht.

Noch zwei ähnliche Wunderbauten giebt es hier, Mangup Kale, auf einem sehr hohen, völlig steilen, einzeln stehenden Felsen mit großen Festungswerken, Wachtthürmen, alles in Stein gehauen und von einer Ausdehnung, daß mehrere Tausend Mann da Zuflucht finden könnten. Auch hier weiß man nicht, wer die Erbauer waren, die Genuesen scheinen aber die Feste einmal in Besitz gehabt zu haben. Bis zum Gipfel hinauf ist mit unermeßlicher Arbeit eine glatte Straße angelegt, die jetzt verfällt. Aehnlich, doch nicht so bedeutend, ist die Feste Tscherkeß-Kerman.

Balaklava (das alte Chersonesus).

So gelangen wir endlich nach Simferopol, der russischen Hauptstadt der Krim, die ziemlich malerisch liegt und den Tschatir-Dagh in der Nähe (eine Tagereise entfernt) hat. Die Stadt hieß sonst bei den Tartaren Akmetschet (die weiße Moschee). Alterthümer und geschichtliche Erinnerungen sucht man vergebens hier, denn die Stadt wurde erst 1500 von Ibrahim Bei gegründet, der den Platz vom Khan zur Belohnung für einen glücklichen Einfall in Rußland erhielt. Der Salgir, ein rasches Flüßchen, fließt mitten hindurch. Die von den Russen gebaute neue Stadt ist von der alten tartarischen ganz getrennt und regelrecht angelegt mit breiten und geraden Straßen. In der Mitte befindet sich ein großer freier Platz, an welchem das Regierungsgebäude, die Kasernen und eine schöne Kirche stehen. Die von den Tartaren bewohnte Altstadt mit den seit Jahrhunderten verfallenen Mauern hat eine griechische und eine armenische Kirche, mehrere Moscheen, und viele Brunnen; die Straßen sind eng, krumm, schmutzig und die Häuser im asiatischen Geschmack gebaut. So hat man hier in einer Stadt Asien und Europa dicht neben einander. Der Weg nach dem Tschatir-Dagh, dem höchsten Berge der Krim, sonst Mons Trapezus genannt, führt von Simferopol an dem Salgir in einer wohlangebauten malerischen Landschaft hin, voll schattiger Thäler, Dörfer und Landgüter. Namentlich wird viel Tabak hier gebaut. Unterwegs trifft man ziemlich wohlerhaltene Ruinen, welche Esri-Serai (der alte Palast) genannt werden. Die Tartaren sagen, es sei ein angefangener, aber nicht vollendeter Palast des Khan, andere meinen, es möge eine Feste der Genuesen da gestanden haben. In der Nähe giebt es auch die berühmten Höhlen von Kisil Kohs, die mit den im Harz verglichen werden und vielleicht noch ausgedehnter sind. Die Stalaktiten[WS 1] in denselben bilden die wunderlichsten Formen, und eine Beleuchtung mit Fackeln, welche die Führer meist veranstalten, giebt ein unbeschreibliches Bild. Auch ein kleiner See befindet sich darin, und an vielen Theilen der Wände giebt es einen schwarzen Lehm, aus welchem die Tartaren treffliche Pfeifenköpfe verfertigen.

Wenn man die Tartaren nach diesen merkwürdigen Höhlen fragt, so erhält man die Antwort: „Die hat der König Salomo graben lassen.“ – Der König Salomo? Zu welchem Zwecke? - „Um seine Schätze zu verstecken. Er hatte tausend Weiber und diese und die Schätze vertrugen sich nicht gut zusammen.“ Die Weiber wollten fortwährend davon haben und um nicht immer die Bitten abschlagen zu müssen, kam der weise Salomo auf den Gedanken, die Schätze hierherbringen zu lassen.“ – Konnte er denn in seinem eigenen Lande keinen passenden Ort finden? Warum wählte er einen so weit entfernten Platz? – „Entfernt? Wißt Ihr nicht, daß er einen Ring besaß, den er nur zu drehen brauchte, um sich dahin versetzt zu sehen, wohin er sich wünschte?“ – Da er aber so viele Schätze hatte, so mußte er den Weg doch viele Tausendmal machen? – „Wollt Ihr weiser sein als der weise Salomo?“

Der Tschatir Dagh selbst mag 800 Klafter hoch sein. Die Aussicht von seinem Gipfel herab ist eine sehr weite; man überblickt den ganzen nördlichen Theil der Halbinsel nach dem Azow’schen Meere zu und einen Theil von diesem selbst, aber diese Strecke ist einförmig und die malerische Südküste von einer vorliegenden Bergkette verdeckt. Am höchsten Gipfel sieht man heute noch die Oeffnung, welche auf Befehl des Fürsten Potemkin gemacht wurde, als er alle Berge der Südküste bei Gelegenheit des Besuches der Kaiserin Katharina beleuchten ließ, eine der großartigsten Illuminationen, die man vielleicht jemals versucht hat.

Auf dem Rückwege nach der Küste wenden wir uns durch [532] das reizende Baidarthal, welches überall für eine sehr schöne Gegend gelten würde und das im Sommer von vielen vornehmen Russen besucht zu werden pflegt. Es gehört zum größten Theile der Familie Mordwinow und ist ein großes, regelmäßiges ovales Becken, rund umher, selbst nach dem Meere zu, von Bergen eingeschlossen, von denen aus man alle Schönheiten desselben mit einem Male erblicken kann. Da das herrliche Thal gegen die kalten Winterwinde geschützt ist und von zahlreichen Quellen bewässert wird, so gedeihen auch die Erzeugnisse der südlichen Klimate vortrefflich. Hier giebt es die schönsten Eichen und das üppigste Getreide der Krim. Bleibt man in einem Dorfe zur Nacht, so findet man die freundlichste Aufnahme, man mag Jude, Türke oder Christ sein, denn die liebenswürdigste Eigenschaft der Tartaren ist ihre Gastfreundschaft. Seit uralter Zeit befindet sich in jeder Stadt und jedem Dorfe der Krim eine Art Gasthaus, Oda, das für die Fremden bestimmt ist, und in dem Wanderer Nachtlager, Feuer und Erfrischungen unentgeltlich erhalten. Bezahlung wird nie verlangt, doch erwartet man von den Wohlhabenden ein kleines Geschenk.

Zur Küste herunter führt eine berühmte Passage, Merdwen oder die Scala genannt. Sie gehört zu den Wundern der Krim, welche jeder Reisende gesehen haben muß. Die Küste bildet eine senkrechte Felsenwand, so daß man bei ihrem Anblicke nicht begreift, wie man an derselben hinauf oder hinunterkommen soll. Es hat sich aber doch an einer Stelle, wo zwei Felsen aneinanderstoßen und einen Winkel bilden, ein schmaler Weg gefunden. Welche Schwierigkeiten die Herstellung dieses Pfades gehabt haben mag, wird man sich vorstellen können, wenn man erfährt, daß ein Theil desselben, der etwa 800 Schritte lang ist, 40 Zickzackwindungen über einander hat. Wann und von wem dieser Wunderweg angelegt wurde, ist völlig unbekannt; Manche behaupten, der Handelsgeist der alten Griechen allein habe solche Schwierigkeiten überwinden können. Zu beiden Seiten fallen ganz glatte Felsenwände ohne Absätze oder Risse lothrecht hinunter, und man reitet zwischen denselben wie auf einer Wendeltreppe oder gar wie in der Luft. Die tartarischen Pferde sind aber so sicher auf den Beinen, daß sie auch diesen Weg ohne Schwierigkeit zurücklegen. Kleine Sträucher, die in der Nähe des Weges in den Felsen wurzeln, dienen allein als eine Art Geländer. Die Aussicht von dieser Treppe ist sehr interessant, denn man überblickt das schwarze Meer unten und einen ziemlichen Theil der Südküste, wo die großen Güter mit den reizenden Villen und stolzen Schlössern der vornehmen Russen in reizenden Gärten und Rebenpflanzungen liegen.

Zunächst führt der Weg nach Alupka, wo der Fürst Woronzow ein Schloß besitzt.

[543]
Bienenbau in Felsen. – Woronzow’s Schloß. – Das Paradies der Krim. – Kaffa. – Kertsch. – Ein Riesengrab. – Die Steppe. – Reise durch die Steppe. – Die Tartaren, ihr Leben und ihre Sitten.

Die Straße, welche an der Südküste hin und zwischen den Besitzungen der russischen Großen vorbei führt, zieht sich immer mehrere hundert Fuß über dem Meere und mehrere tausend unter den höchsten Zacken der Felsen hin. Ehe man nach dem großartigsten Schlosse eines Privatmannes, Alupka, gelangt, zeigt sich ein höhlenartiger gewaltiger Felsenriß mitten in einer steilen Felsenwand. In ihm, sagt Kohl, soll seit undenklichen Zeiten eine Colonie wilder Bienen hausen, die den ganzen Spalt mit alten und neuen Wachsgehäusen angefüllt hätten. Von unten hinauf zu gelangen ist unmöglich, von oben herunter aber sehr schwer, weil die obern Felsen etwas vorstehen und der Mann, der sich an einem Seile etwa herunter ließe, in einiger Entfernung von der Höhlung mit den Bienenstaaten hängen bleiben würde. Dennoch soll es den Tartaren bisweilen gelingen, hineinzugelangen und sie finden dann reichen Gewinn, weil sie den kostbarsten Honig centnerweise herausschaffen und hinaufwinden lassen. Wie gefährlich aber die Arbeit unter den Millionen erzürnter Bienen sein mag, kann man sich leicht vorstellen. Auch verunglückt einmal ein Waghals und dann haben die Bienen einige Jahre Ruhe, um wiederum Schätze auf Schätze zu häufen, bis dieselben einen neuen Tollkühnen zum Raube verlocken. Ist es im Sommer sehr heiß, so daß die Felsen fast glühend werden, so schmilzt wohl das Wachs in den Bienenbauten und der Honig fließt dann aus der Höhle heraus an den Felsen hinunter.

Alupka selbst ist ein Tartarendorf und ganz in der Nähe desselben, an der zerrissensten Felsenpartie der Küste, wo die Wände steil emporsteigen, und das Gestein im grausigsten Untereinander umhergeworfen ist, an der Stelle, die vielleicht der Krater eines ausgebrannten Vulkans ist, ließ Fürst Woronzow sein vielbewundertes gothisches Schloß aufführen, an welchem man fünfundzwanzig Jahre arbeitete und das weniger als zehn Millionen schwerlich kostet. Der Plan dazu allein soll 60,000 Rubel gekostet haben. Das Schloß steht auf einer Anhöhe, einige hundert Fuß über dem Meere und soll wegen zweier Cypressen dahergebaut worden sein, welche einst Potemkin da pflanzte. Die Kunst hat auf dem unfruchtbaren grauen Boden Wunder gewirkt, und ein deutscher Gärtner die herrlichsten Anlagen da geschaffen, die nur, des beschränkten Raumes wegen, zu klein für das Schloß in so riesigen Verhältnissen sind und überdies hat man jeden Sommer wegen der Trockenheit und Dürre der Gegend unsägliche Mühe, die Blumen frisch und die Bäume grün zu erhalten. Und auch die Aussicht ist der Millionen nicht werth, die auf die Anlagen verwendet worden sind, denn wo man sich auch im Park befinden mag, man sieht nichts als auf der einen Seite das Meer und auf der andern den himmelansteigenden kahlen Felsen mit einigen Gartenanlagen und was noch das Freundlichste ist, das Tartarendörfchen unter hohen alten Nußbäumen mit den Häusern, die hier und da unter den Felsen verstreut sind und der kleinen Moschee, die der Fürst auf einem Felsen erbaut hat.

In weit reizenderer Lage befindet sich, in geringer Entfernung, Marsanda, ein großes Gut Woronzow’s, das einige der schönsten Landschaften der Krim besitzt. Eine hohe Felsenkette in [544] den groteskesten Formen und bis an den Gipfel mit Baum und Busch bekleidet, schützt den Ort vor den kalten Stürmen aus Norden. Vorn liegt weit ausgebreitet das Meer mit zahlreichen Buchten und hohen, schroffen Vorgebirgen, während rechts und links das fruchtbare Thal von Jalta sich ausbreitet, durch welches zahlreiche Bäche fließen, die in Kaskaden von den Bergen herunterstürzen. Unter weiten Getreidefeldern, Weingärten, Weideplätzen finden sich Urwälder von Eichen, Buchen und Kastanien, in welchen wilde Reben und zahllose Schmarotzerpflanzen in Guirlanden sich von Baum zu Baum schlingen.

Garten schließt sich nun an Garten, Weinberg an Weinberg, Villa und Schloß an Schloß und Villa, ein Plätzchen reizender als das andere, dazwischen hier und da ein malerisches Tartarendorf. Hier liegt Miskhor, welches Narischkin gehört, Koreis, eine Besitzung Galizin’s, Nikita, Maharadsch, Gaspra, Oreanda, das Besitzthum der Kaiserin, Klein-Oreanda und Livadia, das dem Grafen Potocki gehört. So schön aber diese Besitzungen sind, so tragen sie doch meist wenig oder gar nichts ein, ja Oreanda, das die Kaiserin[WS 2] einmal im Leben sah, als das Schloß noch nicht dort stand, kostet jährlich über 30,000 Rubel zu unterhalten.

Livadia und Oreanda liegen bereits an der kleinen Bai von Jalta, welche sich ziemlich tief in das Land hineinzieht und durch kleine Thäler da gleichsam fortgesetzt wird. Es ist dies einer der malerischsten Punkte der Krim und die kleine freundliche Stadt Jalta war zum Mittelpunkte des Verkehres hier ausersehen; denn von ihrem Hafen aus fanden die regelmäßigen Dampfbootverbindungen einer Seits mit Odessa, andrer Seits mit Jaffa, Kertsch und dem Azow’schen Meere statt. Der Ort liegt aber auch so vortheilhaft, daß schon in uralten Zeiten eine Stadt da gebaut wurde, die dann in dem Jahrhunderte der Handelsblüte der Krim unter dem Namen Jalita, Ischalita oder Jalty wieder auflebte.

Schönheiten der mannigfaltigsten Art, welche von Manchen über die noch gesetzt werden, unter denen die Villen der vornehmen Russen liegen, geleiten den Wanderer weiter an der Küste hin, am Bärenberge vorüber nach Aluschka, dem Hauptpunkte des Wein- und Obstbaues der Krim, bis nach Sudak, wo die Regierung eine Weinbauschule angelegt hat.

Der wichtigste Ort, in den uns die Weiterreise bringt, ist Kaffa oder Theodosia an einer großen Bai, nach dem Lande zu von einem Amphitheater von Bergen umgeben. An derselben Stelle oder doch in der Nähe stand schon zur Zeit der Griechen eine Stadt Theodosia, die aber in den Stürmen der Völkerwanderung ganz von der Erde verschwand. Erst im dreizehnten Jahrhundert, als die Krim im Besitz der Mongolen war, wurde eine neue Stadt da gebaut, welche man Kapha oder Kaffa nannte, und die unter den betriebsamen Genuesen, die sich da angesiedelt hatten, schnell empor blüthe. Schon nach hundert Jahren hatte Kaffa eine Einwohnerzahl von mehr als 100,000 Seelen und es wurde der Pracht seiner Gebäude wegen das Constantinopel der Krim genannt, ja es scheint der Mutterstadt Genua selbst kaum nachgestanden zu haben. Der einzige noch vorhandene Ueberrest der Größe dieser Stadt unter den Italienern ist ein ziemlich gut erhaltener Wachthurm und Ruinen der Befestigungswerke, denn als die Türken 1474 die Stadt eroberten und plünderten, wurde fast Alles zerstört; 40,000 Einwohner wurden nach Constantinopel gebracht, Glücklichere entflohen und zerstreuten sich in fremde Länder. Im buchstäblichen Sinne flossen Ströme von Blut und viele Schiffe, die mit genuesischem Golde und genuesischen Kostbarkeiten beladen waren, segelten nach Constantinopel. Mit der Vertreibung und Ermordung der Italiener endete auch der Handel der Stadt und was man auch that denselben wieder zu heben, traurige Oede trat an die Stelle des frühern Lebens. Bald sah man nur noch Schafheerden an der Küste, die sich von den Gräsern der Steppe nährten, welche weiter und weiter nach dem Meere zu herabstieg. Als die Krim russisch geworden war, erkannte die neue Regierung rasch die vortheilhafte Lage von Kaffa; sie ließ eine neue Stadt erbauen und bemühte sich sie emporzubringen, bald aber wendete man mehr Sorgfalt auf Kertsch auf der einen und auf Odessa auf der andern Seite. Theodosia ist eine unbedeutende Stadt geblieben und ihr Handel beschränkt sich ausschließlich auf Fische, welche in den benachbarten beiden Meeren im Ueberfluß vorhanden sind.

Von Theodosia aus schwindet die Schönheit der Küste; die Felsen senken sich allmälig zur Steppe herab, die Bäume und Büsche werden seltener und bald sieht man nichts als auf der einen Seite das Wasser und der andern das Grasmeer. Nur hier und da deuten eine Schafheerde und eine Tartarenhütte noch an, daß die Gegend nicht ganz verödet ist. Diese Verödung ist um so auffallender als nach Strabo und selbst nach den Berichten der Genuesen aus dem fünfzehnten Jahrhunderte gerade der Strich zwischen Theodosia und dem Azow’schen Meere Getreide in so großer Menge hervorbrachte, daß man ihn die Getreidekammer der Krim nannte.

Ist man an den Resten der Mauer vorüber, welche sonst die Grenze des Königreiches Bosporus bildete und um das Vorgebirge Thakli herum, so gelangt man in den cimmerischen Bosporus (jetzt Canal von Kertsch), welcher das schwarze Meer mit dem Azow’schen verbindet, und bald in den Hafen von Kertsch selbst, dem alten Pantikapäum, der berühmten Hauptstadt des Helden Mithridates. Die Lage kann für den Handel kaum günstiger sein und die Stadt, die ebenfalls von Rußland neu gebaut ist, ist allerdings auch im Aufblühen begriffen. Die Russen vermieden bei dem Baue der Stadt den Fehler, den sie bei Odessa und andern neuen Städten gemacht haben, in welchen sie die Straßen so breit anlegten, daß die Einwohner sie entweder nicht zu pflastern im Stande sind oder nicht pflastern wollen und deshalb im Winter in tiefem Schmutze waten müssen, im Sommer aber von gewaltigen Staubwolken gepeiniget werden.

Ein hübscher Tempel bezeichnet die Stelle, wo sonst die königliche Residenz der bosporanischen Könige stand und ein noch hübscherer Bau befindet sich auf einer vorstehenden Terrasse, ein Museum, welches die zahlreichen Alterthümer aufnimmt, die man in der Gegend findet. Leider fehlt es der Gegend an Bäumen, ja fast an Vegetation, so daß man von der glänzenden Weiße des Meeres und den weißen Gebäuden fast geblendet wird. Der Mangel an Holz ist in diesem Theile der Krim so groß, daß die Einwohner selbst ihr Feuerholz meilenweit herbei schaffen müssen. Die in dem Museum befindlichen Alterthümer sind bereits ziemlich zahlreich, besonders seit man einige sogenannte Grabhügel, auch den des Mithridates geöffnet hat, welcher sonst im Volke der Goldberg hieß. Man fand darin eine wahrhaft staunenswerthe Menge vergoldeter Bronzevasen und goldener Zierrathen von der vollendetsten Arbeit. Die schönsten hat man freilich nach Petersburg gebracht. Ein anderer Grabhügel, einige Stunden von Kertsch entfernt, in völliger Einöde, wurde später im Beisein des Fürsten Woronzow selbst geöffnet. Man gelangte in eine Tiefe von 30 Fuß und da lagen schwere Steinplatten über dem eigentlichen Grabe. Als es gelungen war die Steine von dem Riesengrabe abzuheben, sah man nichts darin als in der Mitte ein hölzernes Gefäß. In diesem aber befand sich eine goldene Urne in der zierlichsten Form und von der vortrefflichsten Arbeit. In der Urne war nichts als die Asche dessen, den man da beerdigt hatte, vielleicht eines großen Helden und Fürsten. Ein Diener streute sie in Kertsch, wohin man die Vase brachte, auf einen Düngerhaufen. Das ist das Loos des Großen auf der Erde!

Grabhügel ähnlicher Art sieht man in der ganzen Gegend und auf der Halbinsel Taman in unglaublich großer Anzahl; sie alle sind von Riesengröße und sie beweisen, daß das Land einst von einem großen und reichen Volke bewohnt wurde. Ueber die Größe dieser Grabhügel hat sich eine Sage im Lande erhalten, welche sagt: Die Erdhügel wurden von dem Volke freiwillig über den Gräbern aufgethürmt; wenn Einer der großen Krieger starb, stellte man seine Asche in ein Grab und Jeder, der seine Thaten oder Tugenden bewunderte, brachte Erde dahin und schüttete sie auf das Grab.

Außer den Ueberresten der Burg, welche Mithridates auf einem Berge aufführte und die heute noch seinen Namen trägt, finden sich in der Umgegend Spuren von Cimmerium, Akra und Nymphäa nebst den Ruinen des Palastes der Könige von Bosporus. Geht man einige Stunden weiter nach dem Fort Jenikale nahe am Azow’schen Meere, so erblickt man Ueberreste von Orthmion und drüben auf der Halbinsel Taman das was von der einst so glänzenden Stadt Phanagoria übrig ist, unter deren Ruinen man trotz der Neigung der Russen alle Alterthümer zu vernichten, die berühmte Naumachia (Theater zu Seeschlachten) erkennt, welche tausend Schritte im Durchmesser hat. Niemand, welcher jene altberühmte Gegend durchstreift, versäumt es wohl, auf dem Gipfel eines Hügels auszuruhen, welcher heute noch der „Sitz des [545] Mithridates“ heißt und eine weite Aussicht über das Meer und das umliegende Land gewährt, das sonst in Segen blühete und jetzt eine Wüste ist, denn mit Ausnahme der kleinen Stadt Kertsch sieht man nichts als Ruinen und Gräber, nicht einen Baum, kaum Gras genug für einige Schafe, die auf dem verbrannten Steppenboden mühsam ihre kärgliche Nahrung suchen.

Nachdem wir so das Interessanteste und Wichtigste der Krim gesehen, haben wir die Reise durch die Steppe nach Perekop zu machen, welches die Halbinsel mit Rußland verbindet. Was aber ist eigentlich eine Steppe?

Eine Steppe ist weder eine Wüste noch eine Wiese, sondern eine offene, mit hohen Kräutern bedeckte, aber baumlose Gegend. Sie hat eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Hochwalde darin, daß mehrere ihrer Gewächse mit geradem Stengel emporwachsen, der sich erst oben in Aeste theilt. Wie im Hochwalde kleineres Gesträuch oder Buschwerk, sogenanntes Unterholz, vorhanden ist, das zwischen den Stämmen wächst und vorzugsweise an den Rändern des Waldes vorkommt, so wachsen in der Steppe kleinere Kräuter von ein und zwei Fuß Höhe unter den großen Pflanzen, die sechs, acht bis zwölf Fuß hoch werden. Eigentliche Gräser kommen in der Steppe selten vor und nur etwa Rispe, Schwingel und Trespe, von Berasung des Steppenbodens ist gar nicht die Rede und bei weniger dichtem Pflanzenwuchse sieht man die kahle Erde. Eines der merkwürdigsten Steppengewächse wird von den Russen Springinsfeld genannt. Es hat hübsche kleine Blumen und verästelt sich vielfach gleich von der Wurzel an, so daß es einen runden dichten Busch bildet. Hat es verblüht, so bricht der Hauptstengel ab und die rundliche Pflanze wird von dem geringsten Winde hin- und hergeführt. Andere kleine ebenfalls vertrocknete Pflanzen hängen sich an sie und es bildet sich allmälig ein Knäuel, der bei stärkerem Winde über die Steppe geführt wird. Das ist die sogenannte Steppenhexe.

Tartarische Trachten.
Russisch-Tartarisches Militair zu Fuß.   Bauer. Russisch-Tartarischer Reiter.  Musiker. Edelmann nebst Frau.

In der Zeit der Trockenheit, d. h. etwa sechs Monate im Jahre, sind die Wege durch die Steppe vortrefflich; es findet sich kein Stein, an den sich der Fuß stoßen könnte und der Boden, eine Art Lehm oder Steppenkalk, wird so hart und glatt wie eine Kegelbahn. Gewöhnlich macht man eine Steppenreise zu Pferde, denn wenn an einem Wagen etwas zerbräche, fände man oft meilenweit keine Gelegenheit ihn ausbessern zu lassen und nach Regen würde er bis an die Achsen einsinken. Allein und ohne Führer kann ein Fremder kaum eine solche Reise unternehmen, wenigstens so wenig ohne Compaß wie der Schiffer eine Fahrt auf dem Meere. Eine große Unbequemlichkeit ist ferner der Mangel an gutem Trinkwasser. Entweder, man findet keinen Tropfen oder es ist salzig. Daher auch die Unmöglichkeit, den Boden zu etwas anderem als Schaftriften zu benutzen und alle Versuche, die Steppe zu bebauen, sind fehlgeschlagen. Die deutschen Ansiedler wollen sogar behaupten, das Wasser werde allmälig noch seltener in der Krim und das Klima schlechter, denn es gebe fast nur noch glühend heiße Sommer und lange kalte Winter.

Eine weitere lästige Plage in der Steppe sind Insekten, namentlich eine Fliege, die sich in unglaublichen Mengen findet, vorzüglich gegen Abend in wahren Wolken zeigt und in Ohren, Mund, Nase und Augen dringt. Läßt sich der Fremde durch das Jucken zum Kratzen verleiten, so bildet sich leicht eine Entzündung, welche natürlich die Schmerzen erhöht. In der Nähe von Sümpfen endlich, namentlich bei dem faulen Meere, in der Gegend von Perekop giebt es Wolken von Muskitos, gegen die der Reisende sich nicht einmal durch Feuer schützen kann. Die Tartaren schützen sich gegen dieselben dadurch, daß sie den ganzen Körper mit Oel einreiben oder in einen durch Pech undurchdringlich gemachten Sack kriechen und jede Oeffnung schließen. Diese Plagegeister sind aber nicht die einzigen, denn es findet sich auch der Scorpion, die Tarantel und namentlich eine Art Spinne von gelblicher Farbe, welche Bi heißt, drei Zoll groß wird und deren Biß tödtlich wirkt, wenn der verwundete Theil nicht ausgeschnitten wird. Schlangen und ziemlich groß, sind ebenfalls nicht selten, doch aber ist keine besonders giftige Art unter ihnen.

In den Sitten und der Lebensweise der Tartaren findet sich noch Vieles, was an das Leben der Patriarchen erinnert, wie es uns die Bibel schildert. Ein Tartar muß wie Jakob dem Vater seiner Braut dienen. Das schöne Geschlecht ist Eigenthum der Männer. Der Vater verkauft seine Tochter, der Bruder seine Schwester, denn die Mädchen gelten als Theil des Erbe wie die [546] Heerden und werden wie diese unter die Söhne vertheilt. „Viel Kinder viel Segen“ ist bei den Tartaren ein wahres Wort, aber die Ehen sind nicht recht fruchtbar, und eine Frau bekommt selten mehr als drei Kinder. Deshalb und wegen der Nachlässigkeit, mit welcher die kleinen Kinder behandelt werden, nimmt die Einwohnerzahl trotz der Vielweiberei ab. Masern und Blattern richten große Verheerungen an; von einer wohl bekannten häßlichen Hautkrankheit ist kaum eine Person frei und eine noch schlimmere Krankheit, welche von den russischen Soldaten mitgebracht worden ist, zerstört neben den häufig, fast regelmäßig vorkommenden Wechselfiebern gar viele Gesundheiten.

Wie alle tartarischen Völker scheeren die Tartaren den Kopf, einer alten Sitte entsprechend, denn es geschieht nicht um den Kopf kühl zu halten, da sie stets zwei bis drei Kopfbedeckungen und selbst im Sommer Mützen aus Lammfell oder Pelz tragen. Dagegen wird schönes Haar an den Frauen sehr geschätzt und sie verstehen sich auch vortrefflich auf das Färben desselben, wenn ihnen die natürliche Farbe nicht gefällt. Die Männer tragen in den jüngern Jahren nur einen Schnurrbart, von dem vierzigsten Jahre an aber lassen sie den ganzen Bart wachsen und wer den größten hat, ist der Angesehenste, er erhält sogar in Gesellschaften den Ehrenplatz.

Das Rauchen ist für die Tartaren und zwar für Männer, Frauen und selbst Kinder unerläßlich, ihrer Sprache nach rauchen sie aber den Tabak nicht, sondern sie trinken ihn und dies ist bei ihnen auch der rechte Ausdruck, denn in der größten Hitze zieht der Tartar zur Stillung seines Durstes die Pfeife jedem selbst angenehmen Getränke vor und auch wenn er hungert, steht ihm die beste Nahrung doch dem Tabaksrauche nach. Statt des Wassers trinken sie eine Art Thee. In den Häusern der Reichen bietet man dem eintretenden Fremden zunächst eine Pfeife mit langem Rohr von Kirschbaumholz und einer Spitze von Bernstein oder Elfenbein, dann reicht man ihm Honig, geronnene Milch und Früchte, wie sie die Jahreszeit giebt.

Die Tartaren essen wie andere Orientalen mit den Fingern, unterlassen aber nie vor und nach dem Essen die Hände zu waschen. An den Wänden der Speisezimmer der Reichen hängen sehr reinliche, oft mit Spitzen besetzte Servietten. Das Hausgeräthe ist höchst einfach und besteht aus einem Teppich oder Matte, einem kleinen kaum einen Fuß hohen Tische und einigen hölzernen Gefäßen. Die Kleidung ist eine Mischung der türkischen und armenischen Tracht.

Des Reisens durch die Steppe müde kommt der Wanderer in Perekop an, dem Schlüssel der Halbinsel, welcher sie mit dem festen Lande verbindet und eigentlich nur eine mit wenigen Häusern besetzte Straße mit Befestigungen ist, die nicht viel bedeuten. Doch herrscht ziemlich viel Leben da, weil alles was aus der Krim nach dem festen Lande und von da nach der Krim geht, hier vorüber muß. Die Umgegend sind stinkende Moräste und stehende Wasser, die mit dem Meere in einiger Verbindung stehen und den Siwasch oder das faule Meer bilden, welchen Namen sie schon in der altgriechischeen Zeit hatten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Staaktiten
  2. Vorlage: Kaiserein