Zum Inhalt springen

Waldsachen-Fabrication

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: H. S.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Waldsachen-Fabrication
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 616–619
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[616]
Waldsachen-Fabrication.

Südwestlich von dem Badeflecken Warmbrunn und seinen berühmten Schwefelquellen, doch fast zusammenhängend damit, liegt, wahrhaft entzückend umgeben, hart am Fuße des hochromantischen, sagenumklungenen Kynast das ausgedehnte Dorf Hermsdorf, seit Jahren die besuchteste aller der Sommerfrischstätten der schlesisch-böhmischen Berge und der Verwaltungssitz der manches souveräne Fürstenthum an Umfang und Einkünften übertreffenden reichsgräflich Schaffgotsch’schen Standesherrschaft. Dieses von mehr als zweitausend Menschen bewohnte Dorf so ziemlich in seiner ganzen Länge durchschreitend, immer an netten, zwischen Gärten und Bäumen versteckten Häusern dahin, von denen selten eines seiner Sommergäste entbehrt, gelangen wir bald in eine sich dem Hochgebirge entgegenziehende malerische Schlucht. Links braust über massige Felsblöcke ein helles Bergwasser herab, um sich tiefer unten, bei Warmbrunn, mit dem wilden Zacken zu vereinigen; darüber baut sich an schroffer Höhe prächtiger Schwarzwald empor; im Grunde und auf den von saftigen Matten bedeckten, ungemein lieblichen und schöngeformten Vorhügeln drängt sich Haus an Haus, Glasschleifereien, Holzstampfen, Brettmühlen, saubere Gasthöfe mit lauschigen Lauben und Sommergalerien, und vor uns blaut der erhabene Zug des Riesenkammes, an dessen Hange wir deutlich die lichten Stellen unterscheiden, welche die sogenannten – jetzt, im Spätsommer, freilich ihres kühlen Inhalts entleerten – Schneegruben bezeichnen.

Kaum merken wir, daß wir fortwährend aufwärts wandern, kaum, daß wir bereits an den ersten grauen Holzhäusern eines andern Dorfes vorüberwandern, denn die Linie der Gebäude ist nur einmal, und blos auf wenige Minuten, unterbrochen worden. Dies neue Dorf – Agnetendorf heißt es – noch gebirgshafter als das erstgenannte, ist allen Sudetentouristen wohl bekannt; von ihm aus geht es links über die große Schneegrube und Grubenbaude auf den hohen Kamm und zur Schneekoppe hinauf oder rechts zu den erst seit vorigem Jahre prakticabel und „wirthlich“ gemachten, das heißt mit Restauration und Logirhause ausgestatteten, vielgepriesenen Aussichtspunkte, der Bismarckhöhe, deren Berg- und Thalpanorama dem altrenommirten Kynaste die Palme abzuringen beginnt. Wir schlagen den bequem hergestellten Pfad zu dieser jüngsten Glorie des Warmbrunn-Hermsdorfer Thales ein, indeß blos auf ein paar Secunden, denn unser Ziel ist erreicht.

Auf einem zu parkähnlichen Gartenanlagen umgewandelten Bergvorsprunge am linken Ufer des munteren Gewässers, dessen Lauf wir quellwärts gefolgt sind, erblicken wir dicht an der Straße ein elegantes Gebäude in veredeltem Schweizerstile, wie es für die alpenähnliche Scenerie ringsum nicht harmonischer hätte ersonnen werden können. Gebührend angemeldet empfing uns der Herr des schmucken Anwesens schon an den Gitterpforte seines kleinen Eldorado. Es ist ein Mann in mittleren Jahren, Ton und Redeform seines Grußes bekunden untrüglich den Schlesier, der nicht mit Unrecht die Gemüthlichkeit als besondere Charaktereigenthümlichkeit für sich in Anspruch nimmt.

„Wie sind Sie zu beneiden!“ rief ich unwillkürlich aus, als ich einen Blick in die herrliche, rechts vom Hochgebirge begrenzte Waldlandschaft warf, von der das zierliche Haus umrahmt wird.

„Das haben mir schon Viele gesagt, die mich und mein Etablissement besucht,“ erwiderte unser freundlicher Wirth, Herr Gustav Herzig, der Gründer und Chef einer Holz- und Waldwaarenfabrik, welche ihre mannigfaltigen Erzeugnisse, Tausende von Artikeln der verschiedensten Art, bis nach Australien und Ostindien, nach Rußland und Spanien versendet, „und ein guter Theil der Hermsdorfer Sommerfrischler beschaut sich den bunten Kram, den ich hier oben am Fuße der Schneekoppe tischlern und drechseln, schneiden, meißeln, kleben und malen lasse – aber Keiner von ihnen Allen macht sich wohl einen Begriff, mit welchen Nöthen und Schwierigkeiten ich zu kämpfen gehabt habe, bis ich mir das [617] Grundstück erwerben, das Haus hier bauen und den Garten schaffen konnte, deretwegen mich wohl schon mancher Wanderer, der dort die Straße in’s Hochgebirge hinaufgezogen ist, im Stillen als einen Liebling der Götter gepriesen haben mag. Dem Himmel sei Dank! das Schwerste liegt jetzt hinter mir, die geschäftslosen Zeiten von 1866 und des letzten Sommers sind glücklich überwunden, die Aufträge gehen nun zahlreicher ein, als ich selbst es hoffen konnte, – eine Noth aber bereitet mir noch immer viele Mühe und Sorge: ich kann nicht Arbeiter genug erlangen, denn die Bevölkerung unserer Gebirgsdörfer ist nur sehr schwer zur Fabrikbeschäftigung zu vermögen.“

„Wie!“ versetzte ich erstaunt, „und doch sehen die Leute, denen man hier herum begegnet, Groß und Klein, so ärmlich aus? Auch ihre Holzhütten zeugen nicht eben von absonderlichem Wohlstand.“

„Glauben Sie ja nicht, daß die Menschen in unseren Bergen äußerlich übel daran sind,“ belehrte Herr Herzig mich und meinen Gefährten. „Im Gegentheil, es ergeht ihnen im Allgemeinen weit besser, als den Landleuten draußen in der Ebene; wirkliche Arme, welche auf die öffentliche Mildthätigkeit angewiesen sind, haben wir so gut wie gar nicht. Unser Wald ist ein unschätzbarer Nährvater, der keinen seiner Anwohner verkümmern läßt. Jedermann lebt bei uns mehr oder weniger vom Holze und – vom Holzdiebstahle, und in fast allen den Häusern, an denen Sie vorübergekommen sind, blüht eine größere oder kleinere Holzindustrie. Die Leute verschnitzeln und verdrechseln das dergestalt billig erworbene Material auf eigene Faust und hausiren mit den Producten ihrer Kunst für eigene Rechnung im Lande umher. Warum sollen sie sich mithin in fremde Dienstbarkeit begeben? Unsere Wälder halten für ihre Industrie noch lange genug vor und verbürgen auch den nächsten Geschlechtern noch des Leibes Nahrung und Nothdurft. Für mich wird dieser Zustand der Dinge jedoch zum bösen Stein des Anstoßes. Einmal mindert er mir die Arbeitskräfte, und sodann schafft er mir beinahe in jedem Hause einen Concurrenten, welcher, begreiflicher Weise, mein größeres Etablissement mit scheelen Augen ansieht, meine feineren und besseren Waaren ungeschickt und plump nachahmt und damit den Artikel selbst discreditirt. Aber betrachten Sie sich jetzt zunächst, was ich fabricire, ehe ich Sie in die einzelnen Werkstätten geleite, wo dies geschieht,“ setzte er hinzu, indem er die Thür öffnete, die aus dem Comptoir in das Musterlager führte. „Erst nachdem Sie einen Einblick gethan haben in das Durcheinander meiner schier zahllosen Waarengattungen, werden Sie an den Herstellungsweisen derselben, welche übrigens durchgängig sehr einfacher Natur sind, genügendes Interesse nehmen. Wie Sie bemerken, sind es lediglich Kleinigkeiten, in denen ich mich bewege; allein schließlich setzen diese Kleinigkeiten doch ein ziemlich großes Ganze zusammen. Dabei berücksichtigen Sie wohl, daß ich fortwährend darauf bedacht sein muß, Neues in die Welt zu bringen, sowohl ganz neue Gegenstände und Gruppen, als namentlich neue Formen und Figuren schon bekannter und beliebter Artikel, und selbstverständlich ist dies beständige Spintisiren und Erfinden nicht die leichteste Seite meiner Geschäftsthätigkeit.“

Fürwahr, ein Durcheinander war es, was das uns aufgethane Zimmer beherbergte, wenn bei der scrupulösen Ordnung, mit welcher die hunderterlei Sachen und Sächelchen auf Tischen und Regalen ausgebreitet und aufgeschichtet lagen und von den Wänden herabhingen, jene Bezeichnung am Platze ist. Fangen wir aber bei ihrer Aufzählung, wie sich gebührt, mit dem Nützlichen an, so fällt uns sofort die Menge von Küchengeräthen, Wirthschaftsapparaten, Haushaltungsbehältern, viele davon uns noch völlig fremde Erscheinungen, in’s Auge! Von dem simplen Bratenstabe und der beweglichen oder unbeweglichen Bratenleiter bis zu dem feinpolirten eleganten Gewürzspinde, welche unendliche Mannigfaltigkeit von Utensilien und Gestalten! Dort die nette Vorrichtung, welche auf den ersten Blick einer Kaffeemühle ähnelt, ist Herzig’s eigene, neue Erfindung. Das aus festem weißen Holze überaus sauber gearbeitete kleine Instrument, das mittels einer Schraubenzwinge an jeder Tischplatte befestigt werden kann, hat eine gar appetitliche Bestimmung. Es umschließt in seinem hohlen Cylinder ein ebenfalls cylinderförmiges Reibeisen, mit dem die durch einen Seitencanal eingeschütteten und durch einen schließenden Stempel festgedrückten Mandelkerne pulverisirt werden, um dann in einem unten angebrachten Kasten als süßer oder bitterer Staub hinabzufallen. Welche kuchenbackende oder puddingbereitende Hausfrau möchte sich nicht ein solches schmuckes Geräth in ihre Küche wünschen!

Wie allerliebst nehmen sich ferner die aus leuchtendem Ahorn gefertigten Brodhobel aus, die uns die dünnsten aller dünnen sächsischen Butterbemmchen mit Blitzesschnelle auf den Teller zaubern! Wie lockend die mannigfaltigen Butterfomen als Lämmlein oder Hühnchen, als Fische oder Blumensträuße! Was für erfreuliche Perspectiven auf fröhliche Punschabende und Weihnachtsbowlen erwecken die vielerlei Citronenpressen von Buchen-, von Ahorn-, von Lindenholz, welche daneben von der Wand herabhängen! Wie heimeln uns die allerhand verschließ- und unverquellbaren Faßhähne an, für Achtel- wie für ganze Stückfässer edelsten Rheinweines construirt, die dort auf der Tafel ruhen, ihrem wonnesamen Gebrauch entgegenharrend! Wie verheißungsvoll und beefsteaklich präsentiren sich hier die reinlichen Fleischklopfer, runde, spitze, dreizackige, mit Eisenspitzen versehene, mit Porcellanhammer und so fort! Wie pikant und aromatisch dringt der Anblick der niedlichen Gewürzbüchsen und Gewürzkännchen auf uns ein mit den sorgsam aufgeschriebenen Namen der kostbaren Ingredienzen, die sie zu bergen berufen sind! Wie schmuck und niedlich erscheinen die vielerlei Serviettenringe mit ihren bunten Kränzen und wohlgemeinten Devisen! Und wo ist die deutsche Hausfrau, der nicht die neuen amerikanischen Patentwäschklammern mit Mechanik und Plattenverbindung die innigste Theilnahme abnöthigten! –

Von der Küche zur Apotheke ist leider oft nur ein einziger Schritt. Unmittelbar neben jener finden wir deshalb in unserm Magazine auch diese auf das Reichhaltigste bedacht; hat sich ihre Versorgung mit allen möglichen Gefäßen und Werkzeugen doch von jeher die Herzig’sche Fabrik zur speciellen Aufgabe gestellt. Da können wir nun wählen zwischen feingedrehten Medicamentenbüchsen mit und ohne lateinische Inschriften, polirten und unpolirten; zierlichen Zahnpulverdosen in braunem und rothem Holze, schwarz- oder weißlackirten, flachen und hohen, mit Staniol ausgeklebten etc.; zwischen hermetisch einpassenden Salbenkrukendeckeln, Reibekeulen und Rührscheiten, Alles aus bestem Buchen-, oder Ahornholze, oder winzigen Schachteln aus einfachem Holzspahne, von denen das ganze Schock fix und fertig nur anderthalben Silbergroschen kostet! Dieser so unscheinbare Artikel aber, der schier keinen Werth repräsentirt, bildet gerade einen der interessantesten Zweige des Etablissements, wie wir uns noch überzeugen werden.

Und nun die unerschöpfliche Fülle von kleinen Luxusgegenständen jedweder Gattung! Selbst eine bloße Aufzählung derselben fällt für unsere Skizze in das Bereich der Unmöglichkeit. Das Auge kann sich ja nicht satt schauen an dem dargebotenen Reichthum der Hunderte von Nützlich- und Unnützlichkeiten! Vor Allem aber müssen wir hier der hübschen Niedlichkeiten gedenken, auf welche die Riesengebirgsindustrie ihr ausschließliches Eigenthumsrecht geltend machen darf, der allbekannten gelbpolirten oder weißlackirten Kästchen, Becher, Körbchen, Garnwinden, Zwirnwickel, Leuchter, Lineale, Ellen, Zollstäbe, Nadelbüchsen, Handspiegel, Tabaksdosen, Zündholzschachteln und selbst Stiefelknechte neben einer endlosen Menge anderer Dinge, die uns in lithographischen Abbildungen Ansichten der verschiedenen schlesischen Heilquellen und der besuchtesten Punkte in den Sudeten darbieten, Gegenstände, wie man sie sich gern als Reiseandenken und Reisegeschenke mit in die Heimath nimmt. Man würde indessen gewaltig irren, wenn man glaubte, Schlesien und seine Gebirge seien es allein, welche die Motive zu dieser Vedutenlithographie lieferten. Auch die böhmischen und rheinischen Bäder, ja sogar England und Amerika leihen Vorwürfe dazu her – und alle diese ausländischen Bilder werden in Agnetendorf und im Riesengebirge überhaupt auf die daselbst fabricirten Sächelchen übertragen.

„In Karlsbad, in Baden-Baden, in Teplitz, in Ems, in London und New-York habe ich meine ständigen Kunden,“ erläuterte Herr Herzig auf meine desfällige Anfrage. „Nach allen diesen Orten und Ländern gehen meine Fabrikate und werden dort als inländische Producte verkauft. Wie mancher Curgast bringt den Seinigen aus Wiesbaden oder Marienbad ein bildergeschmücktes Döschen oder Körbchen mit nach Hause als Erinnerung an den Quell, der ihm Heilung gespendet, ohne zu ahnen, daß die erworbenen Souvenirs hier bei uns am Fuße der Schneekoppe gezimmert und geschnitzelt, gefirnißt und bebildert worden sind! Und sehen Sie sich die Gegenstände in dem Repositorium da [618] drüben einmal an; Eton, Windsor, Oxford, London-Bridge, Crystal-Palace finden Sie darauf dargestellt. Es sind dies sammt und sonders Musterstücke für meine Abnehmer in England.“

Eine besonders umfängliche Abtheilung des Lagers ist dem „Rauchdepartement“ mit seinen vielfachen Annexen und Zubehörden gewidmet. Aschen- und Fidibusbecher, Cigarren- und Tabakskästen – in welchen Variationen sind sie hier vorhanden! Als das Charakteristischste des Genres jedoch müssen wir die Cigarrenspitzen und Cigarrenpfeifen selbst hervorheben. Ihres Geschlechts sehen wir Legion, eine immer grotesker und origineller als die andere. Da wird uns eine Riesengebirgs-Gesundheitscigarrenpfeife in elf Nummern mit Gebrauchsanweisungen gezeigt, dort staunen wir über die urwüchsigen Rübezahltabakspfeifen aus monströsen Wunderwurzeln und Wunderzweigen mit geschnitzten Köpfen und zottigen Moosbärten; auf einem andern Tische winken uns Vexircigarrenspitzen mit herausspringendem Schornsteinfeger oder gar Sanct Beelzebub, mit beim Rauchen beweglichen Figuren, als da sind Schuster, Jäger, Trinker, Schmied, Müller und Schulze und ähnliche Scherze mehr; daneben versetzen uns Urwaldcigarrenpfeifen in den fernen Westen Nordamerikas, phantastische Erzeugnisse aus den seltsamsten Holz- und Wurzelauswüchsen.

„Betrachten Sie sich dies Exemplar gefälligst näher,“ nahm mein Geleiter wieder das Wort, indem er von einem Nagel an der Wand eine sonderbar verschlungene und verschnörkelte Holzcuriosität herabreichte, in der ich erst nach genauerem Anschauen eine Tabakspfeife erkannte. „Das merkwürdige Ding da,“ fuhr er fort, „ist mir nicht für zehn Thaler feil; eine so bizarr geformte Wurzel aufzutreiben dürfte mir sobald nicht wieder gelingen, und zugleich hat der Arbeiter, einer meiner intelligentesten Gehülfen, es verstanden, in den Rübezahlhumor der Natur nachhelfend einzugehen. Die Pfeife wird, denke ich, Staat machen auf der im nächsten Jahre für Wien beabsichtigten allgemeinen Industrie-Ausstellung.“

Hiermit sind wir zugleich an Herrn Herzig’s eigenstem Werke, der von ihm in’s Leben gerufenen Waldsachenfabrikation angelangt, wie er sie selbst getauft hat und wie sie unter diesem Namen im gesammten Riesengebirge in Aufnahme gekommen ist, so daß sie gegenwärtig als ein bezeichnendes Merkmal desselben angesehen werden muß. Auch von diesen merkwürdigen Erzeugnissen, die zum größten Theil dem jedem Bergwanderer wohlbekannten Knieholz (der pinus pumilio) ihr Rohmaterial entnehmen, umfaßt das Magazin bereits mehr als anderthalbhundert einzelne Gruppen, sämmtlich im Grotesk- und Burleskstile: Aschenbecher in Gestalt von Baumstämmen; Blumenständer mit ungeheuerlichen Pflanzen und Figuren; Cigarrenetagèren als reitende Teufel; Schnupftabaksdosen mit moosumwallten Weihnachtsmännern oder komischen Barbierscenen; Feuerzeuge als Reisigbündel, Rübezahle, Burgen, Holzhaufen mit Leitern, alte Weiber, Nachtwächter, Hundehütten; Nipptischholzklaftern als Vehikel für Nadeln und Perlen, als Häkel- und Strickkasten, als Zündholzbüchsen, als Schmuckdosen und Bonbonnièren; ähnliche Klaftern, die, aus vierzehn verschiedenen Holzarten zusammengesetzt, sich trefflich eignen, die Querschnitte und Rinden derselben zu studiren; Schreibzeuge als Ruinen und Schweizerhäuser oder von federtragenden Rehgeweihen überragt, und hauptsächlich die schon oben angeführten Rübezahlerscheinungen als „scherzhafte Präsentirfiguren für Gelegenheitsfeste“, wie es in der betreffenden Section des Preisverzeichnisses heißt.

„Daß einem solchen Lager auch die Spielwaaren im weitesten Sinne des Wortes für die kleinsten wie für die größten Kinder nicht fehlen, bedarf wohl keiner Erwähnung. Ebenso wenig glauben wir betonen zu müssen, daß eine Namhaftmachung des ohnedem alljährlich wechselnden Inhalts dieser Geschäftsabtheilung noch weit unthunlicher sein würde, als bei den übrigen Rubriken. Blos auf eine oder die andere interessante oder amüsante Neuigkeit wollen wir die Aufmerksamkeit unserer Leser lenken; so auf die drolligen kleinen Flohfangmaschinen, denen Herr Herzig eine spaßhafte Gebrauchsanweisung beizugeben pflegt; auf die allerliebsten Gucker mit Boden von geschliffenem weißem oder buntem Glase, welche uns die Außenwelt in den ergötzlichsten kaleidoskopischen Brechungen vor’s Auge führen; auf die Kukuks- und Rübezahltrillerpfeifen, und vielerlei sonstigen Schnickschnack, in dem wir, wenn auch nichts Anderes, jedenfalls doch die Unerschöpflichkeit der menschlichen Phantasie bewundern müssen, die nicht müde wird, für Alt und Jung immer neue derartige Schnurrpfeifereien auszudenken.

Die Fabrikräumlichkeiten liegen theils in nächster Nähe von Wohnhaus und Comptoir, zum größern Theile aber ziehen sie sich ein gutes Stück das Thal hinab, sämmtlich so pittoresk umgeben, daß sie jedem Landschafter zur wahren Augenweide gereichen müssen. Am tiefsten unten klappert die Sägemühle, welche einzig und allein für den Bedarf der Fabrik im Betriebe steht. Erwägt man, welche verhältnißmäßig geringe Dimensionen alle Erzeugnisse des Etablissements einnehmen, wie sehr viele in buchstäblicher Bedeutung winzige Dingerchen sind, welche in der Westentasche Platz finden, so hat man Mühe, zu begreifen, daß eine ansehnliche Schneidemühle unausgesetzt für das Etablissement beschäftigt ist und, wie uns Herr Herzig versicherte, gar oft nicht sattsames Material beschaffen kann. In hohen Haufen liegen die mächtigen Baumblöcke umher, die alle der Zerkleinerung warten um als niedliche Nippes oder fingerlange Spielwerke hinaus in die weite Welt zu ziehen, sie, die vielleicht davon geträumt hatten, dereinst als hohe Masten auf dem Ocean zu schwimmen oder stattlichen Bauten zur Stütze zu dienen.

Noch mehr verblüffte uns ein Gang durch die verschiedenen Lager der geschnittenen und zum Trocknen aufgestapelten Hölzer – Fichte, Kiefer, Legföhre, Nuß- und Buchsbaum, Ahorn, Eiche, Buche, sie alle hatten beigetragen zu den massenhaften Vorräthen, welche uns hinreichend dünkten, sämmtliche fünf Erdtheile bis an’s Ende aller Dinge mit Holz- und Waldwaaren zu versorgen.

In einer andern Localität erblickten wir zumeist absonderlich gestaltete Wurzeln und Holzäste.

„Auf die Kerle da, die ungeheuerlichen Gestalten,“ sagte uns Herr Herzig, „richte ich jederzeit mein Hauptaugenmerk; sie sind der wesentlichste und unentbehrlichste Bestandtheil meiner Waldartikel, und ringsum habe ich meine Leute und Agenten, welche Jagd machen müssen auf jedwede merkwürdige Wurzel- oder Astbildung, die ihnen in ihren Forsten aufstößt. Da vergeht kein Tag, wo mir nicht einige der bizarren Gesellen in’s Haus geliefert würden. Aber glauben Sie ja nicht, daß ich unserem Riesengebirge allein mein Rohmaterial verdanke. Die knorrige Gesellschaft dort in der Ecke zum Beispiel erhalte ich aus dem fernen Thüringen, von den Ufern der Saale unweit Jena. Es sind Wachholderstämme, die sich in unseren Bergen nur sehr sparsam vorfinden, mir indeß zur Fabrication bizarrer Spazierstöcke von hohem Werthe sind.“

Näher dem Wohnhause, quer über die Schlucht herüber, stehen die Drechsler- und Tischlerwerkstätten; Drehbänke, Kreissägen, – von den ersteren über ein Dutzend nach den neuesten Constructionen, unter Anderem eine höchst interessante Maschinerie zum Drechseln ovaler Gegenstände, – setzt natürlich ohne Ausnahme das wilde Bergwasser in Bewegung, welches der Fabrik zwar die nothwendige Triebkraft unentgeltlich spendet, aber auch Jahr aus Jahr ein beträchtliche Uferbauten verursacht. Ein besonderes Local im Souterrain des Werkhauses umschloß eine Anzahl von Arbeitern, denen es obliegt, die für die Drechsler bestimmten Hölzer aus dem Groben zuzuhauen und je nach der Form der daraus herzustellenden Artikel bald rund, bald eckig, bald länglich, bald breit, hier größer, dort kleiner zu zimmern. Diese dergestalt vorbereiteten Stäbe, Oblonge, Quadrate, Kegel, Kugeln kommen dann sorgfältig sortirt in eigene Regale, die wir von oben bis unten damit angefüllt sahen.

In einem dem Garten selbst einverleibten Gebäude fanden wir Gelegenheit, die Production der ungeheuerlichen Rübezahle zu belauschen, von denen Agnetendorf so viele hinaus in alle Lande schickt. Ein alter Mann, der selbst den Rübezahl mit Glück hätte vorstellen können, war soeben damit beschäftigt, die fertigen Unholde auf die mit buntem Holzstaube bestreuten Fußbretter aufzuleimen; eine Frau daneben schnitt die Lykopodienbüschel zurecht, die dem Geiste den Hut schmücken sollten; ein Knabe fixirte den genannten bunten Stand auf die Holzplatten, und ein junges Weib leimte kleine, halbfingerlange dünne Föhrenstäbchen um die Aschenbecher, welche der Berggeist huldvoll behüten wird.

„Es wird Ihnen nicht entgangen sein,“ hob der Besitzer des Etablissements von Neuem an, „daß meine Rübezahle sich sehr curioser Beinstellungen befleißigen, zu denen unsere menschliche Muskelbewegung und Gelenkfähigkeit nicht auslangen dürften. Dies erklärt sich dadurch, daß die Herren Berggeister meines Fabrikats im Grunde nichts Anderes sind als costümirte Fichtenäste und Wurzeln, denen ich das Rübezahlkleid anziehen lasse. [619] Da haben Sie einen solchen Ast,“ endete er, indem er vom Fußboden ein wunderliches Holzstück aufhob. „Natürlich erheischt die Auswahl dieser Aeste und Wurzeln einen durch jahrelange Praxis geübten Blick; meine Sammler aber haben den schon und bringen mir nichts Untaugliches.“

Aus einem Oberzimmer desselben Hauses schlug uns eine Glühhitze entgegen; trotz der vierundzwanzig Grad Réaumur, die draußen herrschten, brannte im großen Kachelofen des Raumes ein flüchtiges Feuer, und in dieser erstickenden Atmosphäre hantirte schweißtriefend ein unglückliches weibliches Wesen, indem es mit bunten und schwarzen Bildern geschmückte Arbeitskörbchen lackirte. Auf einem Gestell zur Seite stand eine erkleckliche Menge Geräthschaften aufgestapelt.

„Unser türkisches Bad,“ erklärte Herr Herzig lächelnd; „allein der Lack da darf nur bei derartigen Wärmegraden aufgetragen werden, wenn er nicht rissig und unegal ausfallen soll. Und heute ist das Klima noch sehr erträglicher Natur, nicht wahr, Mine?“ wandte er sich an die Arbeiterin, die ihm mit einem etwas trübseligen „Ach ja!“ Recht gab.

„Jetzt lassen Sie uns zum Schlusse meinen Schachteldamen noch einen Besuch abstatten, alsdann haben Sie mir so ziemlich alle Geheimnisse meiner Kunst abgelernt,“ sprach der Fabrikherr, während wir mit ihm dem Wohnhause wieder zuschritten. Schon vorher hatten wir eine ganze Stube gesehen voller großer Waarenkisten, welche bis zum Rande mit Spahnschachteln von der größten bis zur kleinsten angefüllt waren. Der Anblick hatte in seiner Art etwas Ueberwältigendes, Aengstliches, Unfaßbares. Was da vor uns aufgehäuft lag, war ja so zu sagen unzählbar, denn wer möchte in Ziffern ausdrücken, was sich nur nach Millionen bemessen läßt? Wie viele Tausende von Schock waren in jeder dieser Schachtelkisten eingeheimst! Und doch wie verhältnißmäßig geringfügig der Geldwerth, welchen die Waarenunmasse repräsentirte! Werden doch die größten und theuersten solcher Spahnschachteln pro Stück zu acht Silbergroschen abgegeben, und das sind dann noch dazu fein roth oder violet getünchte Elegants ihrer Gattung!

In einem mäßigen Saale des Erdgeschosses saß etwa ein Dutzend Mädchen und Frauen. Die Eine leimte die sogenannten Wickelspähne, das heißt die Seitenwände der Schachteln, zusammen, eine Zweite fügte die Boden, eine Dritte die Deckel ein, die Vierte sortirte Obertheil und Untertheil und stellte so die fertigen Schachteln zusammen, eine Fünfte trug Schock für Schock nach den bestimmten Aufbewahrungsorten. Damit aber die geleimten Theile gehörig trocknen können und die zusammengefügten Spahn- und Bodenenden nicht wieder von einander weichen, hat jede Arbeiterin eine Vorrichtung zum Einpressen der Waare vor sich, eine Art Buchbinderpresse mit einer Reihe von Etagen. In diese letzteren werden die geleimten Schachtelstücke so eng eines an das andere eingezwängt, daß ein Ausdemleimegehen zum Dinge der Unmöglichkeit wird.

„Wie viel Dutzend Schachteln bringt die Arbeiterin wohl täglich zu Stande?“ frug ich.

„Dutzend!“ ward mir zur Antwort. „Wer einigermaßen geschickt und fleißig ist, liefert tagtäglich seine zwölf bis fünfzehn Schock ab und empfängt demgemäß seinen Lohn. Denn, gleich mehreren anderen Zweigen der Fabrication, habe ich die Schachtelmacherei in Accord gegeben, wie der bekannte technische Ausdruck lautet.“

„Und wer schneidet die Wickelspähne, wer die Boden und Deckel?“ forschte ich wißbegierig weiter.

„Reichen Sie einmal ein paar Schachteleisen herüber!“ gebot Herr Herzig dem Werkführer der Abtheilung. „Sehen Sie, mit diesen Stempeln wird das zu den Schachtelboden erforderliche Holz ausgestochen, etwa wie man Leder oder Zeug, auch wohl Kuchenteig aussticht. Die Wickelspähne schneidet ein sinnig construirter Hobel zu. Nur auf diese Weise lassen sich die, wie Sie mir zugeben werden, an das Fabelhafte streifenden niedrigen Preise des Artikels ermöglichen. Dennoch giebt es in unserm Gebirge eine Menge von Schachtelmachern, welche das Product lediglich mit der Hand herstellen und dafür nicht höhere Preise fordern, als ich für meine Maschinenleistungen. Allerdings fehlt ihren Erzeugnissen die Gleich- und Regelmäßigkeit meiner auf mechanischem Wege erzielten Fabrikate, nichtsdestoweniger kaufe ich selbst von ihnen, und zwar die aus stärkerem Spahn zu verfertigenden Stiefelwichsschachteln, welche ich mir nicht so billig herlegen könnte. Die Säcke, die Sie in dem einen meiner Schuppen stehen sahen, sind mit dergleichen Wichsbehältern gefüllt und zum Versande bereit. Doch die Mittagsglocke läutet. Sie sind, das versteht sich, heute meine Gäste und nehmen fürlieb mit dem, was wir Ihnen hier in unserer Bergeinsamkeit vorsetzen können. Leider vermag in dieser Beziehung die Gunst Rübezahl’s nicht so viel wie für meine Industrie, die Sie hier sehen und als deren Patron ich ihn füglich verehren kann.“
H. S.