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Wüstenbild

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Albert Richter
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Titel: Wüstenbild
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 657, 659–660
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[657]

In der Abendstille der Sahara.
Nach der Natur aufgenommen von Albert Richter in Biskarah.

[659] Wüstenbild. (Mit Abbildung S. 657). Wie tobte und lärmte es in den Straßen von Biskarah, der algerischen Stadt, an welcher vorüber die große Straße von Constantine nach der Sahara führt! Welch reges Leben herrschte an den zahlreichen Kaffeehäusern der Hauptstraße von diesem „Paris der Wüste“, wie es Baron Maltzahn nannte! Wie wild klangen die dumpfen Töne der Negertrommeln und die schrillen Töne der aus Geierknochen geschnittenen Pfeifen der Araber durcheinander! Auf den Straßen gingen unter allen Stämmen der Sahara und der Gebirge auch die verschleierten Söhne vom Stamme der Twaregg, weit aus dem Süden der glühenden Wüste. Wie gesagt, alle Stämme waren hier vertreten und Alle hatte ein gleicher Zweck hierher geführt, Alle wollten genießen!

Auf den Straßen vor ihren Häusern und hauptsächlich an den zahlreichen Kaffeehäusern traf man überall auf die reichgeschmückten unverschleierten Töchter der Freude, die Naïlijah, sogenannt von ihrem Stamme, den Ulad-Naïl, dem sie fast ohne Ausnahme angehören. Sie sind die unübertrefflichen, sinnberauschenden Tänzerinnen in diesem modernen Babel der Wüste.

Wochenlang lebte ich bereits in Biskarah, täglich und täglich hatte ich das tolle Leben mitgemacht, mitdurchkostet, oft aber auch mich still in einen Winkel irgend eines Kaffeehauses zurückgezogen, um meine Skizzen und Studien zu vermehren. Kaum dürfte es wohl einen zweiten Ort in der Welt geben, der solches Interesse für den Künstler böte.

Wirr und wüst war schließlich mein Kopf. In dem ganzen Orte kein Plätzchen, wohin nicht gegen Abend und die halbe Nacht hindurch das Gelärme und Getöse gedrungen wäre. Ich sehnte mich nach Ruhe. – So ließ ich mir denn oft gegen Abend mein Pferd satteln und ritt dann hinaus, hinaus in die große, schöne, heilige Wüste. Langsam im Schritt vorwärts reitend, ließ ich dann Ton um Ton zurück in Biskarah, bis nur noch, als ich schon weit, weit draußen war, die Schläge der wilden Trommel schwach zu mir herübertönten. Und auch diese verwehte bald der leise Zugwind; nur noch ganz vereinzelt, in langen Pausen ließ sich manchmal ein loser dumpfer Schlag hören und dann auch dies nicht mehr.

Es war ringsum Ruhe, ewige große Grabesruhe. Kein Vöglein ließ seine Stimme hören, Nichts! Meines Pferdes Schritte waren unhörbar auf dem weichen Sandboden und nur zuweilen, wenn es den schöngeformten Kopf mit den großen blauen Augen emporwarf, klangen die Ketten des Gebisses fast unheimlich in der tiefen Stille. Dann gab ich wohl auch meinem guten Thiere die Schenkel und sagte vorwärts! vorwärts! hinein in das unendliche Nichts, stundenlang. Ach! es war ein so wohliges Gefühl, von dem Abendwinde in dieser Jahreszeit umspielt zu sein, und auch mein Renner mochte dieses fühlen, denn ohne Aufmunterung jagte er fort und fort, immer wilder, immer schneller, bis manchmal schon tiefe Dunkelheit auf die stille Wüste herabgesunken war. Dann zügelte ich mein gutes Thier und stieg ab, legte mich auf den weichen schmeichelnden Sandboden und träumte oft noch stundenlang von Deutschland und Deutschlands neuerstandener Herrlichkeit. Mit gesenktem Kopfe wartete dann mein Pferd, Siroko hatten wir es genannt, bis sein Herr ausgeträumt, und oft mußte ich dann Feuerzeug und Compaß zur Hand nehmen, um den Rückweg zu finden. Von weit, weit draußen sah man aber schon die Lichter Biskarahs blinken und näher und näher rückte dann auch wieder die wilde, sinnverwirrende, eigentümlich packende Musik.

So ritt ich denn eines Tages wieder durch die Wüste, Sidi Akba zu. Ein Brief aus der lieben Heimath hatte mich verstimmt, und Siroko den Zügel auf den Hals gelegt, ritt ich still dahin und träumte. Durch ein „El Hamd-ul Ilah“ (Lob sei Gott) aus meinen Betrachtungen geweckt, schaute ich auf, und ein, wenn auch oft gesehenes, doch immer wieder wunderbar schönes Bild bot sich meinen Augen. Aus fernen Gegenden kommend, zog eine Karawane auf mich zu. Langsamen, gezogenen Schrittes mit schwanenartigen Halsbewegungen ging Kameel um Kameel vorbei, unter den hochbeinigen Schiffen der Wüste manch schwerbepacktes Eselein, das trippelnd Schritt zu halten suchte. Ich hatte mein Pferd angehalten, und freundlich gegrüßt von Jedem der kindlichen Araber, zog so die ganze Karawane an mir vorüber. Es mochten wohl weit über hundert Kameele sein. Neugierig schaute jedes mit seinen klugen Augen den einsamen Wanderer an, auch blieb wohl das eine oder andere einen [660] Moment stehen, und dann zog es gemessenen, elastischen Schrittes weiter, seinen vorangegangenen Gefährten nach.

Das letzte der Thiere war verschwunden; ich hatte mein Skizzenbuch hervorgezogen und war beschäftigt, das schöne Bild auf dem Papiere zu fixiren. Der Mond, welcher schon lange bleich am Horizonte gestanden, fing bereits an zu leuchten und seltsame Lichter zuckten über die weite Wüste und über das Skelet eines seiner schweren Pflicht erlegenen Kameels. Ich bestieg mein liebes Thier, und als ob es wüßte, daß ich heute eile, jagte es in wilder Flucht durch die todtenstille Ebene, Sidi Akba zu.

Albert Richter.