Wüsten-Bilder (2)
Es gibt keinen Tod. Gerade der Tod ist ein kräftiger Schöpfungs- und Auferstehungs-Proceß. Auch die Wüste, in der gewöhnlichen Vorstellung das endlose, rahmenlose Bild des Todes, ist Leben und just sehr energisches Leben. Der tödtliche Samum, der giftige, glühende Chamsin-Sturm, ganze Karavanen in kochenden Sandwolken begrabend und dann die verdorrten Gebeine wieder aufdeckend und höhnisch dem großen Allah zeigend, zu dem jeder Wüstensohn drei Mal des Tages inbrünstig im Staube betet, sie kämpfen schon vergebens gegen die grünen, quelligen Oasen und Wadis, und ihr europagroßer Gluthofen wird, in Gemeinschaft mit dem Golfstrome, zur belebendsten, schöpferischen Treibhauswärme für das halbe westliche Europa. Ohne diese Winde und geheizten Strömungen des Oceans würden Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, England, Holland, das nordwestliche Europa bis Schweden und Norwegen hinauf eine viel niedrigere Temperatur und für Millionen Menschen weniger Nahrungsmittel haben. Die Sahara ist nicht nur der Gewächshausofen für Europa, sondern auch für sich selbst der riesigste Titanenkampf des Humus und der Vegetation
[245]gegen das glühende Gestein, um den im vieltausendjährigen Kriege für Luft und Erdenleben gewonnenen Meeresboden in Weiden und Wiesen, in Palmenhaine, Dattelparks, goldene Getreidewogen, Olivengärten, Feigenbaumwälder mit Tausenden sprudelnder, umblühter, umlebter Quellen zu erheben. Die quellenden Oasen greifen still und energisch um sich. Mit Pflanzen und Bäumen stellt sich immer mehr Anziehungs- und Ansiedelungskraft für Wasserdämpfe und Regen ein. Wälder sind der wahre Jupiter pluvius, der Regengott. Wo sie verschwinden, werden Felder und Fluren zu Wüsten, wo sie sich wieder einstellen, kehren auch die vertriebenen Nymphen und Nixen zurück und mit ihnen fruchtschwangere Felder und blumenwogende Wiesen und zwischen ihnen wohlige, arbeitsame Menschen. Die jetzt in der Luft sich spiegelnde Lüge der „Wasser des Satans,“ wie die Araber die Kimmung (Fata morgana) nennen, von Quellen und Wiesen und Wäldern, und Städten und Meeren mit geschwollenen Segeln – wird einst zur Wahrheit. Die Natur kämpft langsam, aber sicher und immer mächtiger und immer schneller für dieses Ziel.
Die Luft, die jetzt am Tage gelblich grau von Unten nach Oben und von Oben nach Unten glüht, die menschliche Blutwärme übersteigend, um des Nachts plötzlich haltlos am Gestein und am leeren, kalten, sternenfunkelnden Himmel zur trockensten Ostwindkälte zusammenzusinken, gleicht dann Tag und Nacht durch des Tages duftige Wärme und der Nächte blätterrauschende Kühlung aus und wärmt sich am grünen, wurzelgefesselten Sandhügel und kühlt sich zwischen den bächerieselnden Thälern derselben. Zu [246] dem Kameele, dem vieltausendjährigen Träger aller Lasten und brennenden Mühsale dieses ruhelosen Wanderlebens der Wüste, gesellen sich das Pferd, die Kuh, die wollige Heerde; und der kriegerische Räuber, hart wie das Gestein seines Bodens, und der rastlos umher gehende Nomade, unstät wie der im leisesten Lüftchen hinwogende Sand, werden warm und weich und wohnlich unter mannigfaltigeren Wirthschafts- und socialen Verhältnissen auf ländergroßen Oasen, die dann Millionen Menschen dauernd nähren, während sie jetzt oft Hunderten kaum eine bald erschöpfte kärgliche Kost gewähren. Bebaute Felder und melkende Kühe geben den festgesiedelten Bauer, das Pferd liefert den Ritter, der sie regelmäßig besteuert statt, wie jetzt, durch räuberische Ueberfälle. Die umhergetriebenen Stämme und Familien werden zu Dörfern und Städten, in welchen sich regelmäßige Industrie und zwischen denen sich umgrünte Handelswege einfinden. Die „Gesellschaft“ schichtet sich. Es findet sich der Feudalismus ein und endlich ein eiserner Ritter, der die berittenen Steuereinnehmer seiner Collegen mit Hülfe bewaffneter Bauerjungen sich unterwirft, „Ruhe und Ordnung“ schafft und als Monarch und Garantie „des Blühens der Gewerbe“ gefürchtet und geehrt wird, bis Gewerbe und Handel, Wissenschaften und Künste die Entdeckung machen, daß sie ohne Garantie viel besser blühen. –
Der vieltausendjährige einförmige, hier fromme, dort kannibalische Patriarchalismus Afrika’s wird einem historischen Leben weichen. Barth, Overweg, Richardson, Vogel, Magyar Lazlo, der eine schwarze Prinzessin heirathete, englische Dampfschiffe auf dem Kowara, Frankreich vom Norden, England, Holland und die „deutsche Fremdenlegion“ vom Süden her und historische Völker und Interessen von allen Seiten aus führen die Geschichte in das Innere Afrika’s ein, das dafür reichliche Schätze seines heißen, befruchteten Innern nach allen Seiten ausströmen wird.
Die Sahara selbst bietet für die Arbeit der Cultur zwei große entgegengesetzte Völkerstämme, die Tibbuhs und die Tuariks. Sie wohnen nicht. Erstere ziehen mit ihren Hütten und Heerden von Oase zu Oase, um so aus Tausenden von Meilen mühsam zusammenzusuchen, was bei uns eine einzige Quadratmeile reichlicher und dauernd liefert. Letztere fliegen auf graziösen, leichten Moharikameelen mit dem Sturme um die Wette über Ebenen, um die darüber hinziehenden Karavanen und Tibbuhs zu besteuern. Der Ritter, Räuber und Krieger und der Schäfer – ganz vortreffliche Materialien und Gegensätze für Cultur und Civilisation. Freilich auch eine Aufgabe, die wilde Poesie dieser schrankenlosen Lebensweise in die Prosa von Polizeibezirken zu fesseln. Der Beduine und Tuarik haben keinen Halt in Ebenen, die z. B. zwischen dem 20sten und 28sten Grade nördlicher Breite, also in einer Ausdehnung von 120 geographischen Meilen dem Auge nicht den geringsten Gegenstand bieten, an welchen es sich halten könnte. Er bricht sein Zelt ab, das die Frauen den Abend vorher aufschlugen, ladet es auf’s Kameel, packt eine Bratpfanne und vier Ziegenfellschläuche, mit Wasser, mit zwei Sorten Mehl und mit Datteln gefüllt, dazu, fällt mit Familie und Kameel auf den Boden, bittet Allah um Wasser, Futter für’s Kameel, friedliche Begegnung mit Menschen und um den richtigen Weg und ist so reisefertig für jede Entfernung, auf Allah, aber noch mehr auf das Compaßtalent seines lieben Thieres vertrauend, dem er von Oben her etwas vorspielt, dem er Märchen erzählt, wenn er neben ihm in dessen Schatten wandelt, von den Palmen und Quellen der Heimath, die sie finden werden, von blökenden Heerden und lachenden Kindern. Das Kameel wendet seinen kleinen Kopf öfter nach der Schattenseite und blickt den Plaudernden mit verständigen, freudeglänzenden Augen an, als verstände und fühlte es Alles Wort für Wort. Und wer kann es dem Plaudernden verdenken, daß er an den Menschenverstand und das dankbare Herz seines Thieres glaubt?
Die Bewohner der Sahara sind Beduinen, Araber, Kinder der alten Berber in verschiedenen Farben vom Negerschwarz bis zur Weißheit des Europäers (da wo die Sonne die Haut nicht schmort) und in den mannigfaltigsten Stammes-, vielleicht auch Racen-Unterschieden.
Zwischen Murzuk und dem Tsadsee umhernomadisirend findet man die schönen, friedlichen Tibbuhs, hoch und schlank, voller Anmuth, Grazie und Würde besonders in Frauen und Mädchen, mit lockigem, fließendem Haar, feingemeißelt, wie classische Sculpturen der Griechen in aller Gliederung, Kinder und Mädchen sich mit Ziegen neckend oder mit übermüthigen, spielerigen Kameel-Kälbern umherjagend, im Schatten wiederkäuender Dromedare lagernd, Hirse säend, erntend und kochend und Hirsebrei essend, manchmal glänzend braun und glühend wie Abendroth, dann dunkelbraun, dann tief äthiopisch schwarz und negerartig; hier friedlich angesiedelt auf einige Wochen, dort in malerischen Gruppen auf Kameelen, zwischen Schafen und Ziegen über glatte, heiße Ebenen nach einer neuen Heimath lechzend; hier auf der Lauer und Jagd nach Gazellen und Straußen, um für Haut, Geweihe und Fleisch der ersteren und die kostbaren Federn letzterer von vorüberziehenden Karavanen Pferde und Schnellkameele (Moharis oder Mohers), Kleidungs- und Putzstoffe einzutauschen. Die classischen Bronzestatuen der Tibbuh-Mädchen putzen sich gern, aber viel einfacher und antiker, als die eingeschnürten und aufgedonnerten Schönen unserer Gegenden. Ihr Gewand besteht aus einem leichten, farbigen Stück Zeug, das nach Belieben und Haltung um den nackten Körper flattert. Alle übrige Kleidung fehlt eben so, wie an antiken Statuen, und auch der bei allem weiblichen Geschlechte unentbehrliche Putz beschränkt sich größtenteils auf einen ehernen oder silbernen breiten Ring über den Knöcheln. Wohlhabendere (und es gibt in besseren Gegenden der libyschen Wüste Tibbuh-Familien mit 5000 Stück Vieh und mehr) fügen dazu Ringe um den Oberarm und das Handgelenk und große, oft doppelte Ohrringe, außerdem Schmuck im Haargeflecht, der oft aus Silber besteht und dann herrlich contrastirt zu dem Glanze des schwarzen Haars und der strahlenden, dunkeln Augen. Die Tibbuhs verbreiten sich über eine ungeheuere Strecke und nehmen alle Oasen, Quellen und fruchtfähigen Stellen auf der rechten Seite des früher erwähnten Wüstengürtels von Tripolis bis zu den Sudanstaaten am Tsadsee, vom 16ten bis zum 26sten Grade nördlicher Breite als ihr Land in Anspruch. Sie bewohnen die Inseln dieses Wüsten-Oceans, auf den ergiebigeren dauernd, auf den kärglicheren vorüberziehend. Wo der Boden auch den armseligsten Hirse, ihr Brod, nicht aufkommen läßt und das kärgliche, rauhe Gras und das stachelige Gesträuche nicht hinreichen, die genügsamen Kameele zu sättigen, da müssen Stra0- und Gazellenjagd Tauschartikel für die jährlich durchziehenden Earavanen und so das Fehlende herbeischaffen. Im Uebrigen sind sie an Entbehrungen gewöhnt, wie das Kameel, und der durch Noth und Gefahr ausgebildete Scharfsinn und Mutterwitz hilft ihnen durch tausend Sorgen und drohende Tode, denen der gebildete Europäer erliegen würde. Da sie keine Regierung, keine Soldaten und Polizei halten und zu bezahlen brauchen, kommen sie mit Gütern und Lebensmitteln aus, von denen man nach unsern Begriffen keine Katze erhalten könnte. Wenn es darauf ankommt, sind sie alle Soldaten, Weib und Kind nicht ausgenommen. Aber dabei erliegen sie freilich oft genug den kriegerisch und räuberisch über sie dahin brausenden Nachbarn, den Tuariks.
Vor einem Tibbuh-Dorfe strecken Palmen ihr herrliches Gefieder hoch in die Luft, ohne den tödtlichen Strahl der Sonne zu fürchten. Kameele, Schafe und Ziegen weiden in Gruppen und vereinzelt weit in die Ferne umher und kommen gelegentlich heran zu spielenden Kindern, Mädchen und Frauen, die kindisch frohlocken, wenn eine glückliche Schöne eine einzige Blume fand, ihr lockiges, fließendes Haar damit zu schmücken. Dort läuft sie hin die Glückliche mit dem seltenen Schmuck, in übermüthiger Jugendlust vor dem jungen Kameele fliehend, das großen Appetit auf den seltenen Haarschmuck verräth und deshalb in lustigen, luftigen Sätzen und Bockssprüngen um sie her jagt und trotz aller Behendigkeit der schlanken, elastischen braunen Gestalt nicht nahe genug kommen kann. Sie bückt sich und schießt an ihm vorbei, sie fliegt in gekreuzten Sprüngen lachend in’s Weite, bewundert von den lachenden Zurückbleibenden und der neugierig aufblickenden, bunten Heerde. Sie merkt es nicht, daß am äußersten, kahlen Horizonte der Wüste ein schwarzes Pünktchen sichtbar wird und mit reißender Schnelligkeit zu einer dunkeln, bewegten Masse anschwillt. Aus der dunkeln Masse blitzt es hell in Waffenglanz. Sie wird zu einem daher brausenden Mohari-Reiter. Im Nu hat sich die vermummte riesige Gestalt des Tuarik vermittelst der Lanze vom Kameele gestürzt, das reizende Tibbuhmädchen gepackt und auf seinem Mohari wieder die Weite gesucht. Er verschwindet mit ihr wieder als schwarzer Punkt am Horizonte, zufrieden mit der Beute, während die Andern in’s Dorf hineinreiten und entweder eine bestimmte Steuer eintreiben oder im grausamen Kampfe gegen die friedlichen, aber tapfern Bewohner siegen und Heerden als Beute und die schönsten Frauen und Kinder als Sclavinnen zum Verkauf mit fortschleppen.
Und wie in der Menschen-, so auch in der Thierwelt der Wüste [247] und an ihrem Saume: Tod und Leben, friedlicher Erwerb und räuberischer Ueberfall sind sich stets erneuernde Bilder. Ueber die weite, kiesbedeckte Ebene schreitet majestätisch aufgerichtet das Wunder der afrikanischen Thierwelt, die Giraffe. Eine Pyramide inmitten der Thiere, wunderbar in Größe und Bau, durchmustert sie scheu mit den klugen, herrlichen Augen die weite Ebene: keiner ihrer Feinde zeigt sich, kein Brüllen des hungrigen Löwen, ja nicht ein Laut schlägt an ihr Ohr, die ganze Wüsteneinsamkeit deckt tiefes Schweigen. Ihr schwerfälliger, doch außerordentlich schneller Lauf wendet sich nach dem Wüstensaume, da wo Tod und Leben, öde Erstarrung und friedliches Wachsthum mit einander kämpfen, wo der Boden des Landes sich hebt, eine fruchtbare Erdkruste ihn deckt und aus ihrem Innern der schöpferische, kühlende, silberhelle Quell hervorsprudelt. Ein üppiger, nur von einzeln stehenden Palmen, Akazien und Mimosen überragter und von stachelichten Schlingpflanzen durchflochtener Graswald breitet sich auf ihm aus, hart an der Grenze von Tod und Leben. Hierher eilt der erschöpfte Nomade, der Tibbuh der Wüstenthiere, die Giraffe, hier will sie weiden und sich ätzen, aus frischsprudelndem Quelle die lechzende, blauschwarze Zunge kühlen, am grünen Mimosengesträuch den brennenden Hunger stillen und dann im Fluge der sicheren Wüste wieder zueilen; sagt ihr doch ein dunkles Gefühl, daß es dort geheurer als hier ist, so lachend auch die grüne Pflanzenwelt erscheint. Scheuen Laufes dringt sie in den Graswald ein, birgt mit hochaufgerichtetem Halse den schöngeformten Kopf im saftigen Laube der Akazie, ihre Lieblingsnahrung mit der rauhen Zunge erfassend, und eilt dann, das dichte Gras hoch überragend, hin zum wohlbekannten labenden Quell. Doch plötzlich stutzt sie, ein leises Geräusch traf das feine Ohr; das scheue Auge überfliegt prüfend das verrätherische Grasdickicht. Schon will sie der unheimlichen Stätte entfliehen, da stürzt aus heimtückischem Versteck ein Löwe hervor. Muthig stellt sie sich ihm entgegen, wirft ihn mit dem Vorderhufe, ihrer kräftigsten und bei gleichem Kampfe oft siegreichen Vertheidigungswaffe, zurück und will angsterfüllt der Stätte des Verderbens entflehen, als gleichzeitig von hinten zwei andere Räuber, Löwe und Löwin erscheinen, in gewaltigem Anlauf den hohen Bug erreichen und die scharfbekrallten Tatzen, das furchtbare Gebiß tief in das schöngefärbte Fell eingraben, während das in Schmerz und Angst den Kopf hoch hebende Thier sich nicht mehr gegen den erneuten Angriff des ersten Löwen zu decken vermag. Seine Tatzen, sein furchtbares Gebiß dringen tief in den Schwanenhals des nun verlorenen Wüstenthieres, ein Blutstrom entquillt den vielen, tief aufgerissenen Wunden, die Last der sich mehrenden Räuber drückt es nach vergeblichem Kampfe in den zertretenen, blutgetränkten Rasen nieder. Das schöne Thier verendet, die räuberische Meute, die Tuariks der Thierwelt, stillt den nagenden Hunger, leckt gierig das aus den geöffneten Adern rinnende Blut und läßt nur wenig der Hyäne und dem Schakal zum nächtlichen Fraße übrig. So bietet die Wüste in Thier- und Menschenwelt sich einander entsprechende Bilder: die Gewaltthat des Räubers gegen den friedlichen Nomaden.
Die Tuariks, selbst unter den Wilden der Wüste als besonders wild, grausam und tollkühn verrufen und gefürchtet wie höhere Wesen, betrachten sich selbst als die zum Raube privilegirte Aristokratie der Sahara und zeigen als Legitimation für diese ritterlichen Privilegien auf ihre weiße Haut hin (die natürlich blos da weiß ist, wo der Kleiderschmuck die Sonne ausschließt). – Auch scheint es ihnen nicht an Stammbäumen und Ahnen zu fehlen. Sie halten sich allein für echte Nachkommen der alten Urbewohner Afrika’s, der Berber, die mit den alten Römern kämpften.
An Denkmälern ihrer alten Cultur und Sprache, in welcher neuerdings viele Inschriften an den Felsenwänden entdeckt wurden, an römischen Ruinen und Sculpturen (Ghareah hinter den Bergen von Tripolis) fehlt es auch nicht. Hier ist ein frisches Feld für Alterthumsforscher. Ein kühner, stolzer Menschenschlag, diese Tuariks, unvergleichlich in der Kunst der Waffenführung gegen Jeden, dem etwas abzunehmen ist. Aber es sind keine gemeine Räuber. Sie lassen mit sich handeln und die überfallene Karavane gegen Entrichtung einer entsprechenden Abgabe (für die schwere Arbeit des Auflauerns und Ueberfalles) ihres Weges ziehen. Später, mit zunehmender Civilisation werden sie wohl ordentliche Zöllner, Steuer- und Accise-Beamte anstellen, und den Raub in gesetzliche Façon bringen. – Nur die Handelsleute aus dem Sudan, die oft mit kostbaren Schätzen von Elfenbein, Gold und Sclaven durch die Wüste ziehen, müssen in der Regel etwas unverschämten „Durchgangszoll“ herausrücken. Die Reisenden durch die Wüste haben sich schon so sehr an die Furcht vor ihnen und das alte „historische Recht“ ihrer Steuereintreibung gewöhnt, daß selbst mächtige, große Karavanen dem Einzelnen unterthänigst huldigen und zollen. Wenn der am fernen Horizonte auftauchende schwarze Punkt sich auf fliegendem Kameele schnell in einen glänzenden Tuarikritter mit goldenem und silbernem Schmuck und künstlich geschnitzten Waffen, mit dem nie fehlenden Schußrohre, vor dem staunenden Blick des Beduinen verwandelt, holt er Alles hervor, was ihn beschwichtigen und befriedigen kann, froh, daß er mit dem Leben und dem Reste seiner Habe davonkommt.
Caillé, der französische Reisende, zog mit einer reichen, wohlbewaffneten Karavane von 600 Kameelen durch den „Steuerbezirk“ der Tuariks. Da fliegen zwei Ritter derselben auf einem Kameele heran. Sie springen herab, wechseln mit den Leuten einige Zeichen und im Nu breiten sich Teppiche aus und decken sich für die beiden Herren mit den feinsten Speisen und Erquickungen. Diese lassen sich’s schmecken, wischen sich den Schnabel und fliegen, mit graziösen Handbewegungen Abschied nehmend, von dannen.
In ganzen Raubzügen umherspeculirend, sehen sie besonders dämonisch aus. Vermummte dunkle Gestalten, starrend von Speeren, sitzen sie auf ihren Eil-Dromedaren und spähen aus glühenden Augen in die Weite. Andere reiten auf Pferden, Sclaven wandern zu Fuß daneben. In ihrer dunkeln Umhüllung von Leder und Wolle, die Alles, mit Ausnahme der Augen und Hände, bedecken, steigen sie wie riesige Dämonen (auf der glatten Wüste erscheint Alles größer, da es dem Auge oft Wochen und Monate lang an andern Gegenständen zum Vergleichen fehlt) aus dem kahlen Horizonte herauf, wie böse Geister der Wüste, unter deren Schrecknissen geboren und erzogen, um den Wanderer zu berauben und dann zu verschwinden, wie eine Sandwoge des Samum.
Außer diesen großen, viele Völkerschaften und Racen in sich schließenden beiden Hauptvölkern der Wüste gibt es noch unzählige andere Wander- und feste Stämme, die sich erst mit der Zeit spätern Forschern aufthun werden. Man kennt jetzt kaum ein Hundertstel der Sahara. Von den Umwohnern der Wüste sprechen wir nicht und erwähnen nur noch, daß es über Marokko hinaus weit in die Wüste hinein manche berberische Ansiedlungen gibt, deren Bewohner als Handwerker und Künstler für die Tuariks u. s. w. berühmt sind. Endlich dürfen wir die Juden nicht vergessen, die sich von den großen Handelsunternehmungen, welche die wüstengetrennten Völker verbinden, in die Sahara ziehen und dort trotz aller Gefahren und Beschimpfungen als Vermittler zwischen Käufern und Verkäufern, Schacherer und Hausirer (wenn man hier so sagen kann) fesseln ließen. Um des Gewinnes wegen trug der Jude von jeher selbst das Ueber- und Untermenschlichste, nirgends aber so viel, als in der Wüste, die härteste Verachtung Aller, die ihm begegnen, und selbst den gräßlichsten Hohn der Natur, die ihn unter prachtvollen Lügenbildern der Luft und – fata morgana erbarmungslos vertrocknen und versengen läßt.
„Längst hat er aus dem ziegenledernen Schlauche den letzten Wassertropfen ausgepreßt,“ wie es in einer berühmt gewordenen Schilderung des amerikanischen „Putnam’s Monthly Magazine“ heißt. „Seine Glieder sind ausgedampft, seine Lippen verdorrt. Da liegen seine kostbaren Güter neben dem schnell in Aas übergehenden Kameele. Er späht um sich. Plötzlich vernimmt er das leise Knistern des Wüstensandes. Fern taucht ein schaukelndes Dromedar auf mit einer stolz funkelnden Gestalt auf dem hohen Sattel. Schuß- und Hiebwaffen werfen einen stechenden Glanz in die verdorrten, heißen Augen des Juden. Die stolze Reitergestalt wiegt sich anmuthig auf dem Sattel des jäh und rasch sprengenden Kameels. Er schmaucht gravitätisch aus langem Chibuk. Der Jude sieht Hülfe. Er erhebt sich hoffnungsvoll und nahet sich bittend demüthig. Der stolze Reiter sprengt mit einem Fluche auf den Vertreter des verachteten Geschlechts vorbei und verschwindet am Horizonte. Den verzweiflungsvoll zusammensinkenden Juden erwarten noch größere Qualen, ehe ihm die Erlösung wird. Sein fieberentzündetes Auge funkelt in die leere Weite hinein. Zusammengedörrt, lebt er jetzt zur letzten Anstrengung auf. Der Gott Abrahams hat ihn nicht verlassen. Er sieht Wasser! Wasser! Bäche, Brunnen, Meeresspiegel, grüne Eilande und Berge. Segel schwellen auf Schiffen, die aber nicht vorwärts kommen. Mit der letzten Kraft schleppt er sich über den brennenden Sand. Nur noch hundert Schritte, und seine Augen werden das köstliche Wasser berühren [248] und sein Antlitz wird sich tauchen in die kühlende Fluth! Er verläßt den himmlischen Anblick mit keinem Auge. Aber einmal sinken doch die matten Augenlider. Er erhebt sie wieder und vor ihm gähnt und glüht wieder die leere, gluthzitternde Wüste. Die „Wasser des Satans“ sind spurlos verschwunden. Dies traf sein Leben. Sein Haupt sinkt zusammen, zusammen sinkt die ganze Gestalt, und auf seine Zunge fällt der schwarze Tropfen vom Schwerte des Todesengels. Diese Nacht wird er bei seinen Vätern sein.“
Er ist todt, entsetzlich todt. Aber es gibt keinen Tod. Auch die Wüste ist Leben. Ein windgescheuchtes Distelsaamenkorn, ein Dattelkern im Sande findet das vermoderte Gebein, faßt Wurzel und keimt. So legt sich der Grund zu einer Oase. Dreimal dörrt sie die Sonne aus und begräbt sie in Sand, aber die Leichname der ersten Pflanzen werden Geburtsstätten einer zahlreicheren Pflanzenwelt, die eine Sonnengluth aushält, um jedem neuen Angriffe neue Streitkräfte und endlich gar eine Quelle entgegenzusetzen. Jetzt hat sie gewonnen. So stehen die Gebeine der Verdorrten wieder auf als Pflanzen, als Futter, als Bestandtheile von Vieh und Menschen und als Menschen. So erfüllt sich das Wort des Propheten: „Die Wüste wird jubeln und blühen wie die Rose.“
- ↑ Nr. 1. siehe Jahrg. 1856. Nr. 23.