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Wäsche (Loos)

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Textdaten
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Autor: Adolf Loos
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Titel: Wäsche
Untertitel:
aus: Adolf Loos: Sämtliche Schriften in zwei Bänden – Erster Band, herausgegeben von Franz Glück, Wien, München: Herold 1962, S. 113–120
Herausgeber: Franz Glück
Auflage:
Entstehungsdatum: 1898
Erscheinungsdatum: 1962
Verlag: Herold
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Erscheinungsort: Wien
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: PDF bei Commons
Kurzbeschreibung: Loos pflegte eine Kleinschreibung (außer bei Satzanfängen und Namen) auch bei seinen Titeln, wie den Inhaltsverzeichnissen zu entnehmen ist (im Buch selbst sind die Titel in Versalien gesetzt). Um Irritationen zu vermeiden, werden die Titel in der gewohnten Groß-Kleinschreibung gegeben
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[113]
WÄSCHE
(25. september 1898)


Neulich geriet ich mit einem bekannten in streit. Was ich über kunstgewerbliche fragen schrieb, wollte er gelten lassen. Aber die mode- und bekleidungsaufsätze gingen ihm gegen den strich. Er warf mir vor, daß ich die ganze welt uniformieren wolle. „Was soll denn dann aus unseren herrlichen nationaltrachten werden!“

Hier wurde er poetisch. Er gedachte seiner kindheit, gedachte der herrlichen sonntage in Linz, gedachte des landvolkes, das festlich geschmückt sich zum kirchgang versammelt hatte. Wie prächtig, wie schön, wie malerisch! Wie ist das nun alles anders geworden! Nur die alten leute hielten an der alten tracht fest. Die jungen aber äfften schon den stadtleuten nach. Man möge lieber das volk für die alte tracht wieder zu gewinnen suchen. Das wäre die aufgabe eines kulturliteraten.

„Also diese alte tracht hat ihnen gefallen?“ warf ich ein. – „Gewiß.“ – „Und sie wünschen daher, daß diese tracht für ewige zeit erhalten bleibe?“ – „Das ist mein sehnlichster wunsch!“

Nun hatte ich ihn, wo ich ihn haben wollte. „Wissen sie,“ sprach ich zu ihm, „daß sie ein ganz gemeiner, egoistischer mensch sind? Wissen sie, daß sie einen ganzen stand, einen großen herrlichen stand, unseren bauernstand, ausschließen wollen von allen segnungen der kultur? Und warum? Damit ihr auge, sobald sie sich aufs land begeben, malerisch gekitzelt werde! Warum laufen sie denn nicht so herum? Ah, sie möchten sich schönstens bedanken. Aber sie verlangen von anderen menschen, daß sie ihnen zuliebe in der landschaft staffage [114] spielen, um ihr trunkenes literatenauge nicht zu beleidigen. Ja, stellen sie sich doch einmal hin und machen sie einmal den wurstl für den herrn kommerzienrat, der unverfälschte alpen genießen will. Der bauer hat eine höhere mission zu erfüllen, als die berge für die sommerfrischler stilvoll zu bevölkern. Der bauer – der spruch ist schon bald hundert jahre alt – ist kein spielzeug!“

Auch ich gebe zu, daß mir die alten trachten sehr gut gefallen. Das gibt mir aber noch kein recht, von meinem nebenmenschen zu verlangen, sie meinetwegen anzulegen. Die tracht, die in einer bestimmten form erstarrte kleidung, die sich nicht mehr weiter entwickelt, ist immer das zeichen, daß ihr träger es aufgegeben hat, seinen zustand zu verändern. Die tracht ist das symbol der resignation. Sie sagt: Mein träger muß es aufgeben, sich im kampfe um das dasein eine bessere stellung erobern zu wollen, er muß es aufgeben, sich weiter zu entwickeln. Als der bauer noch frisch und fröhlich kämpfte, als er von den grünsten hoffnungen erfüllt war, da wäre es ihm nicht im traume eingefallen, denselben rock anzuziehen, den sein großvater getragen hatte. Das mittelalter, die bauernkriege, die renaissance kennen kein starres festhalten an den kleidungsformen. Der unterschied zwischen der kleidung des städters und der des bauern wurde nur durch die verschiedene lebensführung bedingt. Städter und bauer verhielten sich damals zu einander wie heute städter und farmer.

Da verlor der bauer seine selbständigkeit. Er wurde zum leibeigenen. Leibeigener mußte er bleiben, er und seine kindeskinder. Wozu sollte er sich da anstrengen, sich durch sein kleid über seine umgebung zu erheben, [115] also eine änderung in seiner kleidung herbeizuführen? Es nützte ja doch nichts. Der bauernstand wurde zur kaste, dem bauern jede hoffnung abgeschnitten, diese kaste zu verlassen. Völker, die sich in kasten gesondert haben, haben alle diesen zug gemeinsam, das starre, jahrtausendelange festhalten an der tracht.

Dann wurde der bauer frei. Aber nur äußerlich. Innerlich fühlte er sich doch noch dem städter gegenüber minderwertig. Der war der herr. Die jahrhundertelange knechtschaft lag dem bauern noch zu sehr in den gliedern.

Nun aber kommt eine neue generation. Die hat der tracht den krieg erklärt. Dabei hat sie einen guten verbündeten, die dreschmaschine. Wo diese einmal ihren einzug hält, ist es für immer mit dem malerischen plunder vorbei. Der geht nun dahin, wo er hingehört: in die maskenleihanstalt.

Das sind herzlose worte. Sie müssen aber ausgesprochen werden, weil sich in Österreich aus falscher sentimentalität sogar vereine gebildet haben, die bestrebt sind, dem bauern das brandmal seiner knechtschaft zu erhalten. Und doch wären vereine, die den umgekehrten weg einschlügen, viel notwendiger. Denn von der kleidung, wie sie die großen kulturvölker tragen, sind auch wir städter noch weit entfernt. Äußerlich sehen wir ja ganz passabel aus. Da können wir es schon mit den anderen aufnehmen. Wir können es, wenn wir uns von einem ersten wiener schneider anziehen lassen, zuwege bringen, auf londoner, new-yorker und pekinger pflaster für zivilisierte europäer gehalten zu werden. Wehe uns aber, wenn von uns die bekleidung stück für stück abfiele und wir in der wäsche dastünden! Da würde man gewahr werden, daß wir [116] unsere europäische kleidung nur wie eine maske anlegen, denn unter ihr tragen wir noch die nationale tracht.

Aber: entweder – oder. Wir müssen uns entschließen. Entweder wir haben den mut der überzeugung, uns von der übrigen menschheit abzusondern, und legen eine nationaltracht an. Oder, wir halten uns an die übrige menschheit und kleiden uns wie diese. Nur äußerlich aber den modernen kulturmenschen spielen und mit den kleidungsstücken, die dem fremden blicke erreichbar sind, vortäuschen zu wollen, das ist gewiß nicht vornehm.

Während uns in der oberkleidung eine ganze welt vom landmann trennt, unterscheidet sich unsere unterkleidung, unsere wäsche in nichts von der des bauern. In Budapest trägt man dieselben unterhosen wie sie der csikos, in Wien dieselben, wie sie der niederösterreichische bauer trägt. Was ist es nun, das uns in der wäsche so sehr von den übrigen kulturvölkern trennt?

Es ist die tatsache, daß wir um mindestens fünfzig jahre hinter dem stadium zurückstehen, in dem sich England gegenwärtig befindet, das der gewirkten wäsche gegen die gewebte wäsche den sieg erkämpft hat. In der oberkleidung haben wir ja im laufe dieses jahrhunderts keine großen umwälzungen zu verzeichnen. Um so einschneidender sind sie in der unterkleidung. Vor hundert jahren noch hüllte man sich ganz in leinwand. Im laufe dieses jahrhunderts aber ist man schrittweise daran gegangen, dem wirkwarenerzeuger wieder sein gebiet zurückzuerstatten. Schrittweise ging man vor, das heißt von körperteil zu körperteil. Man begann mit den füßen, und dann ging es aufwärts. Gegenwärtig gehört der arbeit des wirkers der ganze unterkörper, während sich der oberkörper noch gefallen lassen muß, daß das trikothemd [117] durch ein leinwandhemd ersetzt wird. Man begann mit den füßen. In diesem punkte sind wir nun auch nachgekommen. Auch wir tragen keine fußlappen mehr, sondern strümpfe. Aber wir tragen noch leinwandunterhosen, einen artikel, der in England und Amerika schon ausgestorben ist.

Wenn ein mann aus den Balkanstaaten, wo man noch immer fußlappen trägt, nach Wien käme und eine wäschehandlung aufsuchte, um seine landesübliche fußbekleidung zu kaufen, würde ihm die für ihn unfaßbare mitteilung gemacht werden, daß man fußlappen nicht zu kaufen bekommt. Auf bestellung könne er sie allerdings haben. „Ja, was tragen denn die menschen hier?“ – „Fußsocken.“ – „Fußsocken? Das ist ja sehr unbequem. Und im sommer zu heiß. Trägt denn niemand mehr fußlappen?“ – „O ja, die ganz alten leute. Aber die jungen finden fußlappen unbequem.“ Der gute mann aus den Balkanstaaten entschließt sich also schweren herzens, einen versuch mit den socken zu machen. Damit hat er eine neue staffel der menschlichen kultur erreicht.

Philippopel verhält sich zu Wien wie Wien zu New York. Versuchen wir dort daher – nicht fußlappen, man würde uns gar nicht verstehen – sondern leinwandunterhosen einzukaufen. Ich muß den leser schon bitten, das vorhergehende gespräch noch einmal zu lesen und dafür die worte „mann aus den Balkanstaaten“ in „wiener“ und „fußlappen“ in „leinwandunterhosen“ umzuwandeln. Denn genau so würde sich das gespräch abwickeln. Ich spreche aus eigener erfahrung. Man hat so das originalgespräch gewonnen, das durch die fußlappen nur für wiener verhältnisse verständlich gemacht wurde.

Wer die gewebten stoffe bequemer findet als die gewirkten, [118] möge sie nur immer tragen. Denn es wäre ein unsinn, menschen eine kulturform aufzuoktroyieren, die ihrem innersten wesen nicht entspricht. Tatsache ist, daß dem menschen auf der höhe der kultur die leinwand unbequem wird. Wir müssen also abwarten, bis uns österreichern auch die leinwand unbequem zu werden beginnt. Die zunehmende ausbreitung der leibesübungen, des sports, der aus England kommt, hat die abneigung gegen leinwandwäsche zur folge. Die gestärkte hemdbrust, kragen und manschetten sind dem sport übrigens auch hinderlich. Die ungestärkte hemdbrust ist die vorläuferin des ungestärkten kragens. Beide haben nur die aufgabe, dem trikothemd und dem flanellhemd die wege zu ebnen.

Die trikotwäsche bedeutet allerdings eine große gefahr. Eigentlich ist sie nur für leute bestimmt, die sich um des reinseins willen waschen. Viele deutsche aber erblicken im anlegen der gewirkten wäsche einen freibrief dafür, sich nicht mehr waschen zu müssen. Kommen doch aus Deutschland alle erfindungen, die das waschen ersparen sollen. Aus Deutschland kamen die zelluloidwäsche, die falsche hemdbrust, die krawatte mit angesetzter brust aus demselben stoffe. Aus Deutschland stammt die lehre, daß das waschen der gesundheit nicht zuträglich sei und daß man ein trikothemd jahrelang tragen könne – so lange es sich die umgebung nicht ernstlich verbietet. Der amerikaner kann sich den deutschen ohne blühend weiße, aber falsche hemdbrust gar nicht denken. Das beweist die karikatur des deutschen, die sich die amerikanischen witzblätter zurechtgelegt haben. Man erkennt den deutschen an dem zipfel der hemdbrust, der ihm immer bei der weste heraussieht. Nur noch eine zweite klasse von menschen trägt in der amerikanischen karikatur das [119] falsche vorhemd: der tramp, der landstreicher. Die falsche hemdbrust ist wahrlich kein symbol engelhafter reinheit. Um so unangenehmer ist es, daß in der ausstellung dieses – über den kulturzustand eines volkes so trauriges aussagende – kleidungsstück in jener abteilung zu finden ist, in der unsere besten schneider ausgestellt haben. Das drückt die ganze vornehme abteilung.

Einen neuen geschäftstypus stellen die „tailors and outfitters“ dar. Der outfitter hält alles auf lager, was zum anzuge des mannes gehört. Seine aufgabe ist nicht leicht. Bei jedem artikel, den er verkauft, ist er dem käufer dafür verantwortlich, daß er einen vornehmen eindruck hervorruft. Von einem gut geführten modegeschäft kann man verlangen, daß man blind hineingreifen kann, ohne daß es möglich ist, daß man etwas geschmackloses, also unvornehmes erwischt. Der großen masse darf der outfitter keine konzessionen machen. Die ausrede, daß auch für den andern geschmack gesorgt werden müsse, darf von einem geschäfte ersten ranges nie angewendet werden. Es darf sich niemals irren. Ist ihm einmal ein irrtum passiert, so hat es seinen kunden gegenüber die verpflichtung, den betreffenden artikel nicht mehr zu führen.

Es ist schwer, die führende rolle im modefache zu erwerben, noch schwerer aber, sich in dieser rolle zu behaupten. Und doch wird nur der kleinste teil der waren in der werkstatt eines outfitters hergestellt. Er ist vorwiegend händler. Zum gewerbetreibenden verhält er sich ähnlich wie der direktor einer gemäldegalerie zum künstler. Auch jener hat die verpflichtung, aus der fülle des geschaffenen das beste auszuwählen. Das ist geistesarbeit genug, um ein menschendasein auszufüllen.

[120] Man muß dies aussprechen, wenn man, wie ich, mit anonymen sendungen überschwemmt wird, die gewöhnlich die „verdächtigung“ aussprechen, daß der von mir günstig besprochene geschäftsmann seine waren nicht selbst herstelle. Selbst wenn ich in diesem umstande etwas ungehöriges erblicken würde – ich tue es nicht –, könnte ich mich doch nicht damit befassen, die provenienz der waren nachzuprüfen. Ich bin kein detektiv. Mir ist es gleichgültig, wo sie entstanden sind. Hauptsache ist, daß der geschäftsmann diese waren in dieser ausführung zu liefern imstande ist. Ob er nun eine eigene werkstätte hält oder die arbeit auf einige fremde werkstätten verteilt, ist für die objekte gleichgültig. Nur diesen gelten meine besprechungen.

Daß man bei den zahlreichen ausstellern für damenmode so viel schon fertig gebundene krawatten findet, ist betrübend. Schon beim manne sehen diese maschen recht gewönlich aus. Die halsbinde, die vorne einen knoten oder eine schleife zeigt und hinten zusammengehalten wird, gehört in die rubrik der papierwäsche und der similibrillanten. Ganz schweigen will ich von jenen doppelt um den hals gewundenen krawatten, die diesen schönen effekt mit hilfe eines mit seidenstoff überzogenen stückes pappendeckel und einiger „patente“ zu erreichen suchen, den favorithalsbinden unserer vorstadtelegants. Daß aber unsere wiener mädchen und frauen sich solcher surrogate für das binden einer schleife bedienen, zeigt, daß der oft gerühmte wiener chic im aussterben begriffen ist. Ich wünschte mir ein geschäft in Wien, dessen besitzer jedem, der nach fertigen krawatten fragen sollte, stolz antworten könnte: „Fertige krawatten? Nein! Die führen wir nicht!“[1]

Anmerkungen

  1. [Anmerkung von Adolf Loos 1931, siehe S. 208, er hat nur die Seite angegeben und die Anmerkung nicht exakt platziert.]
    Der wunsch nach einem geschäft, das keine fertigen krawatten führt, ist längst hundertfach erfüllt!
    Josef Hoffmann sagt im "querschnitt", dezember 1930, von den krawatten mit pappendeckeleinlage, die auch er damals trug und die ich glossiert habe, sie seien selbstgebunden gewesen. Das ist eine lüge. Ich wünschte, wegen dieses vorwurfes geklagt zu werden. Hoffmann meint auch, ich verleumde das andenken Olbrichs dadurch, daß ich ihm vorwerfe, er habe zu diesen pappendeckelkrawatten stilvolle anzüge getragen. Das ist freilich ein vorwurf, den ich Hoffmann beim besten willen nicht machen kann.