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Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere. Erste Vorlesung

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Autor: Carl Vogt
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Titel: Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere. Erste Vorlesung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7–8, S. 105–108;124–128
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[105]
Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere.
Gehalten in Genf während des Winters 1860-61.
Von Carl Vogt.[1]

Seit längeren Jahren schon werden in Genf allwinterlich öffentliche Vorlesungen verschiedenen Inhaltes für Leute aller Stände in dem Saale des großen Rathes gehalten, zu welchen beide Geschlechter Zutritt haben. Auf den Antrag eines seiner Mitglieder, des Herrn A. Carteret, den das demokratische Genf mit Liebe als einen seiner Vorkämpfer nennt, beschloß der große Rath einstimmig, der Regierung alljährlich einen Credit zu solchen Vorlesungen zu eröffnen, der genügend sei, die Professoren für ihre Mühe und Aufwand zu entschädigen. Den Unterzeichneten traf im Winter 1855–56 das Loos, diese Vorlesungen mit Vortragen über die Geologie zu eröffnen. Die Stunde wurde so gewählt, daß die Arbeiter nach Schluß ihrer Werkstätten, die Geschäftsleute nach Beendigung ihrer Tagesarbeit sich in den Hörsal begeben konnten. Der Anfangs gewählte Saal, die Aula, war bald zu klein – die erste Serie der Vorlesungen mußte schon in einem größeren Locale, dem jetzt gewählten Saale des großen Rathes, in welchem 5–600 Personen Raum finden, wiederholt werden.

Die Einrichtung dieser Vorlesungen ist anders, als in den meisten deutschen Universitätsstädten, wo einzelne akademische Vorträge über einen isolirten Gegenstand, meist sogar gegen Eintrittsgeld, Statt finden. In Genf werden dem Vortragenden zehn bis zwölf Vorlesungen eingeräumt – er kann also einen Gegenstand erschöpfend behandeln und dem Zuhörer nicht nur ein einzelnes [106] wissenschaftliches Portrait, sondern ein ganzes compenirtes Bild vorführen. Das Programm dieser Vorträge wird mit der Direction des öffentlichen Unterrichts vereinbart, von welcher auch meist die Initiative ausgeht; man sorgt dafür, daß jeden Abend von 8–9 Uhr eine Vorlesung Statt habe und daß in der Wahl der Stoffe naturwissenschaftlichen, politischen und literarischen Inhaltes die nöthige Abwechslung gegeben sei. Zum Verständniß dieser Einrichtung erlaube ich mir hier, das Programm der diesjährigen Vorlesungen mitzutheilen – vielleicht, daß auch anderwärts das Streben Genfs Nacheiferung findet.

Erste Serie. Vom 10. November bis 22. December 1860 Montags und Donnerstags. Professor Privat über Experimentalchemie. Zehn Vorlesungen. Dienstags und Freitags. Professor Dameth, Geschichte des Handels. Zehn Vorlesungen. Mittwochs und Samstags. Doctor Claparède. Physiologie des Menschen. Zehn Vorlesungen.

Zweite Serie. Vom 7. Januar bis 9. Februar 1861. Montags und Donnerstags. Professor Vogt über nützliche und schädliche Thiere. Zehn Vorlesungen. Dienstags und Freitags. Professor Amiel über Philosophie der Muttersprache. Zehn Vorlesungen. Mittwochs und Samstags. Professor Humbert über die französischen Moralisten. Zehn Vorlesungen.

Man kann sagen, daß diese Vorlesungen jetzt, nach mehrjähriger Uebung, eine Gewohnheit des Volkes, der höheren Stände wie der Arbeiterclassen, geworden sind. Das durch Maueranschläge, Anzeigen in allen Journalen und besonderen Blättern veröffentlichte Programm detaillirt den Gegenstand jeder einzelnen Vorlesungsstunde und läßt Jeden zum Voraus wissen, worüber der Vortragende sprechen wird. Man bemerkt sehr bald, daß sich für jeden Vertrag ein besonderes Publicum bildet, welches für den besprochenen Gegenstand ein specielles Interesse zeigt und häufig durch Briefe und Anfragen nach der Vorlesung seine Sympathie oder seinen Widerspruch zu erkennen giebt. Der Eifer, womit man sich zu den Vorlesungen drängt, das Interesse, womit dieselben in der Presse, in öffentlichen und Privatcirkeln besprochen werden, zeigen jedenfalls, daß die Einrichtung an und für sich keine verfehlte, der Einfluß derselben ein bedeutender sei.

Die ersten Vorlesungen, welche ich vor einigen Jahren über allgemeine Geologie hielt, liegen schon seit längerer Zeit gedruckt vor mir in Gestalt eines elegant ausgestatteten Buches in französischer Sprache, dessen Erscheinen leider durch widrige Verhältnisse bis jetzt verhindert wurde. Zur Bearbeitung der nachfolgenden Vorlesungen in deutscher Sprache, also in Uebersetzung (denn trotzdem, daß Genf denselben Reichsadler im Wappen führt, ist es doch in Sitten, Leben und Sprache eine französische Stadt), gab der Verleger und Herausgeber der Gartenlaube, durch eine Freundes-Aeußerung bestimmt, die Veranlassung. Wenn auch das Niederschreiben eines durchaus frei gehaltenen Vortrages einige Schwierigkeiten haben mag und das Fehlen der Illustrationen, die in den Vorlesungen selbst durch große Wandmalereien ersetzt sind, einen Reiz weniger veranlassen mag, so hoffe ich doch für die Vorträge in dieser Gestalt eine eben so vortheilhafte Aufnahme, als die gesprochenen Vorlesungen bis jetzt in der freilich sehr zu ihrem Vortheil geänderten Stadt Calvin’s gefunden zu haben scheinen.

Genf den 22. Januar 1861.

Carl Vogt.




Erste Vorlesung.

Meine Herren!

Vor etwa zehn Jahren wurde ich in Nizza von einem befreundeten Abbé gebeten, die Verwüstungen eines großen Artischockenfeldes zu untersuchen, das von einem Raupenheere auf die jämmerlichste Weise zugerichtet wurde. Wir fanden den Besitzer mit seinem ganzen Hausstande in einer Art von Verzweiflung; die Hälfte der Ernte eines wenigstens vier Morgen großen Feldes war schon unrettbar verloren! Ich erkannte die Raupe auf den ersten Blick an ihrer braungrauen Farbe und den weißen verästelten Dornen als diejenige des Distelfalters (Vanessa cardui), die ich in meiner Jugend öfters zum Schmetterlinge erzogen hatte. Auf der einen Seite eines trockenen Grabens, der das Feld in der Mitte durchschnitt, standen nur noch die Rippen der verdorrenden Artischocken empor, von Tausenden emsig fressender Raupen besetzt; über den Graben hinüber waren die Raupen noch nicht gelangt. Ich rieth, denselben sogleich voll Wasser zu pumpen, um auf diese Weise dem Weitergreifen der Verwüstung ein Ende setzen und dann sich mit der Vertilgung des Geschmeißes im angegriffenen Theile beschäftigen zu können. Mit Achselzucken erklärte der Landwirth, man könne wohl nichts Verkehrteres ersinnen; – die Würmer seien vor acht Tagen etwa als ganz kleine Dinger mit einem starken Südwinde über das Meer aus Afrika herübergekommen und würden sich also nicht durch einen Wassergraben, der einige Fuß breit sei, abhalten lassen. Ich gab mir vergebliche Mühe, dem Manne den Zusammenhang zwischen einigen verblaßten Distelfaltern, die noch umher flogen, und diesen Würmern klar zu machen. Er blieb hartnäckig bei seiner Ansicht von der afrikanischen Abstammung und der Unmöglichkeit der Eingrenzung durch Wasser, ließ einige Messen gegen die teuflische Wirthschaft der Würmer lesen und sah mit der gläubigen Ergebung des duldenden Christen der Verwüstung der zweiten Hälfte des Gutes ruhig zu, ohne irgend welche Gegenmaßregeln zu ergreifen.

Ich muß gestehen, daß dieser Vorfall mich aufmerksam machte. Die Unkenntniß des italienischen Landmanns ist allerdings bedauernswerth; allein können wir, die wir uns höherer Civilisation rühmen, jenem Nizzarden gegenüber unser Haupt so stolz erheben? Leben nicht unzählige Vorurtheile überall, unter dem Volke, wie unter den Gebildeten fort, und thut nicht der Landmann, der mit höchster Befriedigung einen Bussard oder eine Eule an sein Scheunenthor nagelt und dem Maulwurfsfänger einige Groschen für jeden gefangenen Maulwurf bezahlt, sich noch obenein einen directen Schaden an, indem er den Feind seiner Feinde aus dem Leben schafft, während der Italiener doch nur einem wirklichen Uebel gegenüber eine ohnmächtige Hülfe anrief, die er in seinem naiven Glauben für wirksam hielt?

Indem ich hier von den schädlichen und nützlichen Thieren reden will, fasse ich diese Begriffe ganz im Sinne des hausbackenen menschlichen Egoismus, ohne mich weiter um die große Frage des Guten und Bösen in der Natur in irgend einer Weise zu bekümmern. Ich beschränke mich durchaus auf die Beziehung der Thiere zu dem Menschen, den ich als unbeschränkten Tyrannen der Schöpfung de facto anerkenne und sage: die Feinde unserer Feinde sind unsere Freunde – die Freunde unserer Feinde unsere Feinde – die Freunde unserer Freunde unsere Freunde – wie das alte französische Sprüchwort sagt: Alles was uns zuwider ist, ist schädlich; Alles was uns direct oder indirect durch Vertilgung unserer Feinde Beistand leistet, nützlich.

Auf diesen letzteren Punkt möchte ich namentlich aufmerksam machen. Die wirkliche Natur ist ein beständiger Kriegszustand, ein unablässiger Kampf um das Dasein gegen Feinde und Concurrenten, dem nur stellenweise durch den Winter das beschränkte Halt! eines zeitlichen Waffenstillstandes zugerufen wird. Wenn wir vom Frieden in der Natur sprechen, so tragen wir nur unsere augenblicklichen Gefühle in dieselbe über und geben uns einer durch unsere innere Stimmung motivirten Täuschung hin. Es mag uns sehr friedlich und behaglich stimmen, im frischen Waldesgrün, am Ufer eines murmelnden Baches, im schwellenden Moose zu lagern; aber nichtsdestoweniger lauert überall um uns her, in der Luft, in dem Grase, in der Erde und in dem Wasser, die Vernichtung und spinnt sich der beständige Krieg um die Existenz zwischen all’ den großen und kleinen Thieren fort, deren Bewegungen unser Auge mit Wohlgefallen folgt. Jenes Vögelchen, das so graziös von Zweig zu Zweig hüpft und zuweilen seinen Gesang ertönen läßt, hegt während seiner scheinbar friedlichen Beschäftigung nur Mordgedanken gegen die Fliegen, die sich auf den Blättern des Baumes sonnen; der Specht, den wir in der Ferne hämmern hören, klopft Käfer und Larven zu seinem Mittagsmahle hervor; die Schlupfwespe, welche von Blume zu Blume wippt, sucht ein unglückliches Opfer, auf dessen Kosten sich ihre Nachkommenschaft ernähren soll. Der Mensch steht mit seinen Culturen, mir seiner Sorge um die eigene Existenz, die er nur auf Kosten der übrigen Geschöpfe erhalten kann, mitten in diesem Kampfe, und wer darin sein Bundesgenosse ist, wenn auch diese Bundesgenossenschaft nur aus rein egoistischen Absichten hervorgeht – den nimmt er nicht nur an, [107] sondern schützt und verehrt ihn sogar, je nach der Culturstufe, auf der er sich befindet, ohne Rücksicht auf die sonstigen moralischen Eigenschaften, die man dem Bundesgenossen etwa zuschreiben könnte. Ist der Ibis, den die alten Aegypter verehrten, oder der Storch und die Schwalbe, die wir in Deutschland und der Schweiz schützen, sind diese nützlichen Thiere, die sich nur von anderen lebenden Thieren nähren, etwa weniger grausam, als der Hühner- und Taubenhabicht, die wir in jeder Weise verfolgen?

Ich beschränke also den Gegenstand dieser Vorlesungen durchaus auf die dem Menschen nützlichen und schädlichen Thiere; aber auch hier muß ich den Stoff, der über die Kürze der zugemessenen Zeit weit hinaus gehen würde, noch weit enger umgrenzen. Ich schließe die Schmarotzerthiere des Menschen, sowie die sämmtlichen Hausthiere aus; ich beschäftige mich nicht mit den jagdbaren Thieren; ich überlasse diejenigen Bestien, welche im Walde hauptsächlich ihr Wesen treiben, den Forstmännern, welche ihr Beruf zwingt, sich damit abzugeben. Ich fasse hauptsächlich nur diejenigen Thiere in das Ange, die für Feld- und Gartenwirthschaft im weitesten Sinne Interesse haben.

Selbst in so enge Grenzen eingeschlossen, ist der Gegenstand noch außerordentlich weitschichtig und erlaubt nur mehr aphoristische und willkürliche Behandlung. Es ist unmöglich, in dem Raume weniger Vorlesungen alle großen und kleinen Freunde und Feinde der Landwirthschaft auch nur zu nennen und kurz zu charakterisiren. Ich bin also genöthigt, eine Auswahl zu treffen, welche mir, auch abgesehen von den speciellen Verhältnissen unserer Umgegend, noch wesentlich durch einige besondere Betrachtungen aufgenöthigt wird.

Es geht in der Thierwelt wie in der menschlichen Gesellschaft: es giebt Thiere, welche besser sind, als ihr Ruf; es giebt andere, welche mit Unrecht geschätzt und geschützt werden und die Pflege oder Schonung nicht verdienen, welche der Mensch ihnen angedeihen läßt. Ich werde ganz besonders auf die verleumdeten Thiere Rücksicht nehmen, welchen ihr geheimnißvolles nächtliches Treiben, ihre häßliche Gestalt, ihr unangenehmer Geruch oder selbst die Fortspinnung alter, aus anderen Ländern und von anderen Arten übertragener Legenden und Sagen grundlosen Abscheu und unberechtigte Verfolgung zugezogen hat. Ich werde nicht minder das Vorurtheil des Guten zu zerstören suchen, das andere Thiere unverdienter Weise sich zu erwerben das Glück hatten. Trotz aller Belehrungen, die seit Jahrzehnten ausgestreut wurden, ist hier dennoch stets fort ein reiches Feld für denjenigen, der sich bemüht, die Thatsachen, welche die Wissenschaft beobachtet hat, in das Volksbewußtsein überzuführen.

Es gilt mir mehr darum, die Selbstbeobachtung zu wecken, als Beobachtetes mitzutheilen. Wer einmal den eigenthümlichen Reiz kennen gelernt hat, welchen Beobachtungen über das Leben und Weben der kleinen Geschöpfe gewähren, die im Feld und Garten sich umhertreiben, der wird nicht leicht von solcher Beschäftigung sich wieder abwenden, wenn sie gleich schwierig und zeitraubend ist. Geduld ist hier die erste Eigenschaft, mit welcher sich der Beobachter waffnen muß; Geduld, um stundenlang regungslos in glühender Sonnenhitze dem rastlosen Treiben eines unmherschwirrenden Insectes zu lauschen; Geduld, um ein Käferchen, das sein Ei in die Schosse einer Pflanze unterzubringen sucht, bei der Beobachtung mit der Lupe nicht zu stören; Geduld und kritische Sichtung des Beobachteten, das durch Vernachlässigung scheinbar geringfügiger Nebenumstände zu einem der Wirklichkeit gerade entgegengesetzten Resultate führen kann.

Die größte Gewissenhaftigkeit des Beobachters kann selbst solche Fehler nicht verhindern, die aus der mangelhaften Kenntniß der Naturgeschichte hervorgehn. Ein eifriger Landwirth findet an gewissen Gartengewächsen, die ihm lieb sind, Auswüchse und Knollen, die von Larven und Würmchen bewohnt sind. Um das Uebel in seinem ganzen Umfange kennen zu lernen, pflegt er seine Knollen sorgfältig bis zur Verpuppung der Würmchen und hat endlich die Freude, ein herrliches, goldschimmerndes Wespchen aus diesen Puppen zu erzielen. Welcher Schluß ist gerechtfertigter, als der, daß dieses Wespchen es gewesen sein müsse, welches durch seinen Stich den Auswuchs erzeugt und in das Innere desselben seine zu Würmchen und Püppchen entwickelten Eier abgelegt habe? Und dennoch ist dieser Schluß durchaus falsch in dem speciellen Falle. Das erzogene Wespchen gehört in die Gattung der Schlupfwespen, welche ihre Eier in die Eier und Larven anderer Insecten legen, damit sie sich auf deren Kosten schmarotzend ernähren. Die Mutter des erzogenen Wespchens hat mittelst ihres langen Legestachels, von unserem Beobachter unbemerkt, nicht nur den von einer wirklichen Gallwespe erzeugten Auswuchs, sondern auch die darin lebende Larve des rechtmäßigen Besitzers angebohrt, in die sie ihr Ei gelegt, und so ihre Nachkommen statt derjenigen der Gallwespe zur Entwicklung gebracht.

Darf man sich bei solchen nur allzu häufig unterlaufenden Verwicklungen noch wundern, wenn selbst die Lebensgeschichte ganz gewöhnlich vorkommender Insecten, die durch ihre Verwüstungen bedeutenden Schaden anrichten, nur unzureichend gekannt ist, und wenn aus dieser Unkenntniß als nothwendige Folge für den Menschen die Ohnmacht hervorgeht, diesen Feind zu bekämpfen? Von hundert und aber hundert Arten kennt man hier nur die Larve, dort nur das vollkommene Insect oder selbst nur eines der verschieden gestalteten Geschlechter. Die Lebensbedingungen der meisten Arten in diesem oder jenem Zustande ihrer Verwandlung sind durchaus nur unvollständig gekannt. Von dem gemeinsten unserer kleinen Feinde, dem Maikäfer, weiß man an dem heutigen Tage noch nicht mit vollständiger Gewißheit, ob der ganze Umlauf seines Lebens eine Periode von drei oder vier Jahren umfaßt, oder ob er in der republikanischen Schweiz ein Jahr früher zur Reife und Zeugungsthätigkeit gelangt, als in dem monarchischen Deutschland, wo seine Entwicklung unter hoher obrigkeitlicher Vormundschaft vielleicht längerer Zeit bedarf.

Sie sehen also, es ist noch viel zu thun auf diesem Gebiete, und jeder Einzelne, der ein Stückchen Feld oder Garten begehen kann oder auch nur einige bescheidene Topfgewächse an seinem Fenster cultivirt, ist im Stande, wenn er nur Zeit und Mühe daran wenden will, seinen Beitrag zur Bereicherung der Wissenschaft zu liefern.

Ich habe für meine Vorträge die Reihenfolge der zoologischen Classification gewählt und setze die bekanntesten Thatsachen derselben auch in der That als bekannt voraus, indem es bei dem beschränkten Raume, der mir zugemessen ist, unmöglich wäre, in die naturgeschichtlichen Einzelnheiten einzugehen, welche ja ohnedem in jedem Handbuche zu finden sind. Indem aber das natürliche System, auf die Gesammtorganisation gegründet, diejenigen Thiere als verwandte zusammenstellt, welche die größte Summe von Eigenthümlichkeiten mit einander gemein haben, nähert es auch nothwendiger Weise diejenigen Thiere, deren Leben und Treiben in seinen allgemeinen Zügen mit einander übereinkommt. Denn dieses Leben ist ja nur ein Resultat der gesammten Organisation, nur der Ausdruck derselben in der Ausübung der verschiedenen Thätigkeiten. Was also in den Einzelheiten des Körperbau’s mit einander übereinstimmt, muß auch nothwendiger Weise übereinstimmende Lebensweise und gemeinsame Züge der geistigen Functionen besitzen. Ich gestehe zu, daß es für Manchen vielleicht angenehmer wäre, den Stoff vielleicht nach den verschiedenen Pflanzen, die man cultivirt, oder nach besonderen vorstechenden Gewohnheiten der Thiere vertheilt zu sehen. Allein dieser Eintheilung stellen sich um so mehr Schwierigkeiten entgegen, als einerseits sehr verschiedene Thierarten auf einer und derselben Pflanze hausen können und wiederum dieselbe Thierart einen höchst mannigfaltigen Wirkungskreis besitzen kann. Die Werre und der Engerling nagen alle Pflanzenwurzeln ohne Unterschied an, und die deutsche Eiche, dieser knorrige Sumpfbaum, hat mehr Schmarotzer, als alle übrigen Gewächse unserer Zone zusammengenommen.

Ich werde nur wenig von den zahlreichen Vorbeugungs- und Vertilgungsmitteln reden, mit welchen häufig ein unbegreiflicher Köhlerglaube die Welt beglückt hat. Kennt man die Thiere und die Eigenthümlichkeiten ihres Lebens einmal genau bis in die kleinsten Einzelheiten, so ergeben sich die Vertilgungs- und Pfegemittel gegen Feinde und für Freunde bei einigem Nachdenken ganz von selbst. Kennt man dieselben nicht, so wird man stets mit der Stange im Nebel herumfahren und bester thun, sich zu resigniren, als ungeschickte Mittel anzuwenden. Es ist unglaublich, wieviel in dieser Hinsicht schon gesündigt wurde und noch täglich gesündigt wird. Man wird einen Landwirth, der Maulwurfsfallen an den Aesten der Bäume befestigte, in der Hoffnung, daß die Maulwürfe dem dort aufgehängten Köder nachfliegen würden, unbedenklich für einen Narren erklären. Aber man macht mit großem Ernste den Vorschlag, die Erdflöhe dadurch von den jungen Saaten abzuhalten, daß man die Beete mitten in Grasplätzen anlegt, in welchen [108] die Erdflöhe sich verirren und, durch die Grashalme aufgehalten, nicht weiter kommen sollen; während die einfachste Beobachtung uns zeigen kann, daß die Thierchen nach dem Zerfressen eines Beetes in Schaaren ausfliegen, um sich ein anderes Feld zur Befriedigung ihres Appetites zu suchen. Eine Menge von solchen Mitteln sind auch unwillkürlich der menschlichen Natur angepaßt und sehen gerade darnach aus, wie wenn man Schmeißfliegen, Aaskäfer und Raben durch den Geruch faulenden Aases verjagen wollte.

In den wenigsten Fällen nur kann der Mensch durch seine Arbeit allein wirksam den Verheerungen entgegen treten, welche seine Feinde sich zu Schulden kommen lassen. Meist muß er sich im Gegentheile darauf beschränken, die Hülfsquellen, welche die Natur bietet, entweder nicht muthwillig zu zerstören oder durch sorgsame Pflege selbst zu erhöhen. Sämmtliche Kammerjäger Deutschlands fangen in einem Jahre nicht so viel Feldmäuse, als die Eulen Thüringens in einem Monate, und die Kammerjäger lassen sich bezahlen, während die Nachtvögel es ganz umsonst thun. Wäre es da nicht bester, die Eulen zu hegen, statt sie zu verfolgen, und nöthigen Falls das Geld, welches die Rattenfänger kosten, zur Erziehung der natürlichen Mausjäger zu verwenden?

Bei dem Beispiele, welches ich hier anführe, handelt es sich noch um verhältnißmäßig kolossale Feinde. Wie aber, wenn wir es mit jenen kleinen Feinden zu thun haben, die sich unserem Auge fast entziehen und die wir nur mit größter Anstrengung und nach langem Suchen in unseren Besitz bringen können? Bei jeder Gelegenheit tritt uns hier die Unzulänglichkeit unserer Mittel entgegen. Ein Beispiel. Professor Fabre in Avignon, der mit bewundernswürdiger Geduld das Treiben einer Grabwespe verfolgt hat, und den ich später noch Gelegenheit haben werde anzuführen, hatte beobachtet, daß dieselbe sich stets einen großen Rüsselkäfer, der durch seine schwarze Farbe und seine Länge von 5 bis 6 Linien leicht in die Augen fällt, zum Opfer erkor. Eine Wespe, welcher er ihren Käfer abgenommen hatte, brauchte im Durchschnitte zehn Minuten, um einen frischen Käfer herbeizuschleppen. Er wünscht, um seine Beobachtungen durch Versuche zu vervollständigen, einige lebende Käfer zu haben, welche noch von keiner Wespe gestochen sind. „Weinberge, Kleefelder, Getreidefelder, Hecken, Steinhaufen, Wegränder – Alles habe ich durchsucht,“ erzählt er, „und nach zwei tödtlich langen Tagen, die ich zu diesen Untersuchungen verwandte, war ich im Besitze (kaum wage ich es zu sagen) von drei bestaubten enthaarten Rüsselkäfern, die zum Theil Fühlhörner oder Beine verloren hatten, wahrhaft verstümmelte Veteranen, welche die Wespen vielleickt nicht einmal angreifen werden. In derselben Zeit hätten unsere Wespen Hunderte jener unauffindbaren Rüsselkäfer herbeigeschleppt; sie hätten sie gefunden an denselben Orten, wo ich suchte, frisch, glänzend, ohne Zweifel unmittelbar nach ihrem Ausschlüpfen aus ihren Puppen.“

Dies eine Beispiel mag genügen, Ihnen zu zeigen, wie ohnmächtig meistens der Mensch allein seinen kleinen Feinden gegenüber steht. Handelt es sich um die Zerstörung einzelner Thiere, so ist meistens die aufgewendete Mühe und Zeit nicht im Verhältniß zu dem hervorgebrachten Schaden; gilt es Vertilgung von Massen, wie z. B. bei Maikäferschaden oder Raupenfraß, so gelingt es freilich besser, die verhältnißmäßig groben und plumpen Mittel, über die wir gebieten, in ihrem ganzen Umfange wirken zu lassen – aber dann tritt auch der Uebelstand ein, daß bei der ungeheuern Zahl des zu vertilgenden Ungeziefers eine Menge desselben der Vertilgung entgeht und so den Keim neuen Verderbens durch seine Fortpflanzung legt. Man glaubt dann oft großartige Erfolge erzielt zu haben, sieht in dem Ausbleiben der Plage im nächsten Jahre den deutlichsten Beweis für die Wirksamkeit der getroffenen Vorkehrungen und vergißt, daß der Feind einen dreijährigen Entwicklungskreis in seinem Leben durchmacht und daß erst in drei Jahren eine neue Plage uns zeigen wird, wie viele Eltern der zerstörenden Nachkommen unseren Nachstellungen entgingen.

Doch ich wende mich ab von diesen allgemeinen Betrachtungen, die sich später, wenn wir der sie stützenden Thatsachen Meister geworden sind, von selbst ergeben werten, um zu der speciellen Betrachtung der einzelnen Classen des Thierreiches überzugehen und mit den Säugethieren zu beginnen.

[124]
Insectenfresser – Fledermaus – Der Maulwurf – Spitzmaus – Igel.

Unter den wesentlich verkannten und vorzugsweise mit Unrecht verfolgten Säugethieren stehen die Insectenfresser oben an. Meist kleine Säugethiere von unschönem, ja selbst häßlichem Aeußeren führen die in unseren Gegenden vorkommenden alle ein nächtliches, verborgenes Leben und erregen somit gegen sich alle jene Vorurtheile, welche Nachtthiere überhaupt erregen. Man sieht hieran so recht die Wahrheit des alten Sprüchwortes, daß die Nacht keines Menschen Freund sei. Was nur irgend in der Dunkelheit fleugt und kreucht, wird von dem Volksgefühle schon ohne weitere Untersuchung gehaßt und verabscheut, und es hält außerordentlich schwer, der Allgemeinheit die Ueberzeugung beizubringen, daß die Späher und Häscher, welche dem im Dunkeln schleichenden Verderber auf die Spur kommen wollen, auch den Gängen desselben nachspüren müssen und nicht am hellen Tageslichte ihrer Verfolgung obliegen können.

Fledermaus, Igel, Spitzmaus und Maulwurf sind die vier verschiedenen Gestalten, welche die Insectenfresser in unserer Zone repräsentiren. Ein Blick in den geöffneten Rachen eines dieser Thiere überzeugt uns unmittelbar, daß diese Thiere nur Fleischfresser sein können, noch fleischfressender, wenn man sich so ausdrücken darf, als Katzen und Hunde, die das System vorzugsweise Fleischfresser nennt. Die beiden Kiefer starren von Spitzen und geschärften Zacken; dolchähnliche Zahnklingen treten bald an der Stelle der Eckzähne, bald weiter hinten über das Niveau der Kronzacken hervor; scharfe Pyramiden, den Spitzen einer aus zwei Reihen doppelt geschärften Säge ähnlich, wechseln mit Zahnformen, welche den Klingen der englischen Taschenmesser nicht unähnlich sind. Die ganze Einrichtung weist darauf hin, daß diese Zähne dazu bestimmt sind, selbst hartschalige Insecten, wie Käfer, zu packen und zu halten. Diese Charaktere können nicht trügen; denn wie Brillat-Savarin, der berühmte französische Gastronom, den Satz aufstellen konnte: „Sage mir, was Du ißt, und ich sage Dir, was Du bist;“ so kann man auch von den Säugethieren sagen: „Zeige mir Deine Zähne, und ich, sage Dir, was Du ißt.“ Der Insectenfresser kaut und mahlt nicht mit seinen Zähnen; er beißt und durchbohrt nur. Seine Zahnkronen werden nicht von oben her abgerieben, sondern nur geschärft durch das seitliche Ineinandergreifen der Zacken des Gebisses. Man nehme sich nur die Mühe, das Gebiß eines kleinen Nagers, z. B. einer Ratte, mit demjenigen einer Fledermaus oder eines Maulwurfes zu vergleichen, und der unterscheidende Charakter Beider wird mit größter Bestimmtheit in die Augen springen. Das Gebiß einer Hufeisennase, zu den Maßen desjenigen eines [125] Löwen vergrößert, würde ein wahrhaft schauderhaftes Zerstörungswerkzeug darstellen.

Die Gefräßigkeit aller dieser Thiere übertrifft meistens noch diejenigen der eigentlichen Fleischfresser, und man behauptet wenigstens von vielen derselben, daß sie täglich so viel Nahrung verzehren, als ihr eigenes Gewicht beträgt, was mir einigermaßen übertrieben vorkommt. Aber sie sind klein, unscheinbar und müssen ihre Beute meistens in denjenigen Thierkreisen suchen, wo des Menschen Feinde überwiegen. Kein Zweifel, daß es ihnen zuweilen gelingt, eine größere Beute zu erhaschen, daß der Maulwurf zuweilen einen Frosch unter die Erde hinabzieht oder der Igel ein auf dem Boden angebrachtes Nest mit jungen Vögeln aushebt. Allein das sind doch nur Ausnahmen, außerordentliche Feste, und im gewöhnlichen Leben müssen sie durch rastlose, unermüdliche Jagd nach Insecten, Schnecken und anderem Gewürm den Forderungen ihres unersättlichen Magens Genüge thun.

Die Fledermäuse stehen in der ersten Reihe. Was hat man nicht aus den unschuldigen Flatterern gemacht, die dem jüdischen Gesetzgeber schon für eine unreine und verfluchte Bestie galten und welchen die Griechen die Flügel ihrer Harpyien, die Christen diejenigen des Teufels entlehnten! Ein allgemeiner Schreck bemächtigt sich jeder Gesellschaft, in deren Nähe solch’ ein armes Thier sich verirrt, vielleicht angezogen durch den Lichtschimmer, bei welchem man in der Abendfrische eines heißen Sommerabends tafelt. Die Nähe schon gilt den Abergläubischen für ein böses Anzeichen, und die muthigen unter den Damen entschuldigen ihren Schreck mit der Behauptung, das Thier könne ihnen leicht in die Haare gerathen – freilich wohl ist das zu fürchten, wenn Insecten darin zu suchen sind.

Es ist wahr, sie sind weder schön, noch liebenswürdig, diese Flatterer der Nacht. Die nackten, schwärzlichen, dünnen Flügelhäute, die zwischen den verlängerten Fingern ausgespannt sind, wie der Taffet eines Regenschirmes zwischen seinen Stäben; die häßlichen Krallen an den Hinterfüßen; die mausfahle Farbe des Leibes; die nackten Anhänge, womit Nasen und Ohren oft auf die bizarreste Weise verunstaltet sind; das unheimliche Huschen und Flattern ohne bestimmte Richtung um Büsche und Bäume; das geräuschlose Erscheinen und Verschwinden in der Stille der Nacht, und selbst der scharfe, quiekende Schrei, den nicht alle Ohren vernehmen können, so bedeutend ist die Höhe des Tones – alle diese Eigenschaften sind nicht dazu angethan, die Liebe des Menschen dem Gethier zu erwerben.

Aber nicht umsonst haben wir eine Menge Arten dieser fliegenden Säugethiere in unserer Gegend; Arten, deren jede ihre eigene Lebens- und Flugweise hat. Die einen, wie die Hufeisennasen, die empfänglich gegen die Kälte sind, erscheinen spät und fliegen langsam und niedrig bei trockenem und heißem Weiter, während sie gerne in Höhlen und Ruinen den Tag verbringen; – die andern, wie die großohrige Fledermaus, ziehen Bäume, Wälder und Gebüsche vor; – die Bartfledermaus verfolgt lieber die Insecten, welche über den Gewässern schweben, während die Zwergfledermaus einer Schwalbe gleich die Lüfte durchschneidet und, wie die Speckmaus, die Wohnungen der Menschen und namentlich die warmen, schützenden Kamine allen übrigen Aufenthaltsorten vorzieht. Es scheint sogar, als ob aus ziemlicher Ferne her die Speckmäuse sich an gewissen Lieblingsorten sammelten, um dort klumpenweise an den Hinterfüßen, den Kopf nach unten hängend, ihren Winterschlaf durchzumachen. Vor einer Reihe von Jahren schon wurde im Schlosse Lucens bei Morges in dem Kamine eines Zimmers Feuer gemacht, das man seit Jahren nicht benutzt hatte. Das Feuer wollte nicht ziehen; die aus dürren Reisern und Sägespanen gemachte Flamme schlug mit dem Rauche zurück in das Zimmer. In dem Kamine erscholl seltsames feines Quieken, sonderbares Rascheln; einige Fledermäuse fielen halbverbrannt in die Lohe, andere flatterten ängstlich im Zimmer umher; draußen aber erhob sich aus dem Kamine endlich eine wahre Wolke von Fledermäusen, die in der Kälte ängstlich nach einem Zufluchtsorte suchten und so zahlreich waren, daß es schien, als hätten sich alle Fledermäuse des Cantons Waadt in dem Kamine von Lucens zu gemeinschaftlichem Winterschlafe Rendezvous gegeben.

Nur deshalb, weil sie zum Lieblingsaufenthalte Kamine wählt, trägt diese Art den Namen Speckmaus und den irrigen Ruf, als fresse sie dem Bauer den Speck und die Würste im Rauchkamine. Im Winter, wo Speck und Salzfleisch im Rauche hängen, hängt das im Winterschlafe erstarrte Thier friedlich daneben und fühlt weder Hunger, noch Durst. Mit den scharfen Hakenkrallen der Hinterfüße hat es sich irgendwo angeklammert, Kopf und Leib in den weiten Mantel der Flügel gehüllt, und so harrt es, vollkommen erstarrt und bewegungslos, der erwärmenden Sonne des Frühlings entgegen, die auch die Insectenwelt wieder zum Leben erweckt. Dann sucht es seine Nahrung, und ein Dutzend wohlgenährter Maikäfer ist nicht zu viel für eine Speckmaus oder 60 bis 70 Stubenfliegen für eine Ohrfledermaus zu einer einzigen Abendmahlzeit. Lasse man sie also ruhig gewähren, denn selbst in der Gefangenschaft nehmen sie nur lebende Insecten und höchstens ein Bischen Milch, und wer seine Stube oder Küche von Fliegen reinigen will, kann nicht besser thun, als Tags über ein Rothkehlchen und Nachts über eine Fledermaus zu halten. Im Freien aber sind die Fledermäuse die unersättlichen Kammerjäger, die sich mit Vertilgung der Mai- und Mistkäfer und namentlich jener schädlichen Nachtfalter beschäftigen, die als Spinner, Spanner, Wickler und Motten uns so empfindlichen Schaden zufügen. Der Ringelspinner, der Goldschwanz, die Obstglucke, deren Raupen unsere Bäume verwüsten und schon so manche reiche Obsternte vernichtet haben, sind Leckerbissen für diese harmlosen Thiere, die unseren Feinden nachstellen, während wir im süßen Schlummer von den Aepfeln und Birnen träumen können, deren Erhaltung sie uns sichern. Lasse man sich also nicht irre machen durch Erzählungen von Vampyren und ähnlichen gespenstischen Spukgestalten – in südlichen Gegenden mag es Fledermäuse geben, die Blut saugen und Vieh und Menschen bis zur Entkräftung abzapfen – wir leben aber nicht unter den Wendekreisen, und unsere einheimischen Arten dürsten nur nach dem kalten weißen Blute schwirrender Insecten, nicht nach dem warmen rothen Blute lebender Menschen. Auch saugen die Fledermäuse keine Milch aus den Eutern der Kühe und Ziegen, noch bringen sie, wie man an manchen Orten glaubt, den Kindern Läuse oder den Erwachsenen Krätze – sie werden freilich von eigenthümlichen Schmarotzerinsecten, sogenannten Lausfliegen, geplagt, die aber eben so wenig auf den Menschen übergehen, als die Tauben- oder Hühnerläuse, von welchen die Ställe dieser Vögel wimmeln.

Sowie die Fledermäuse unermüdliche Jäger über der Erde, so sind die Maulwürfe unermüdlich unter der Erde hinter Regenwürmern, Werren und Engerlingen drein. Das Thier ist zum Wühlen gebaut; der dicke, walzige Körper mit dem glatt anliegenden feinen Pelze; die spitz kegelförmige Schnauze mit dem langen, äußerst empfindlichen Rüssel, der durch einen Knochen besonders gestützt ist; die breiten, schaufelförmigen Grabfüße; das außerordentlich kleine, von Borsten umstellte und geschützte Auge und der Mangel eines äußeren Ohres – all’ diese Charaktere sind eben so viele Hülfen zum beständigen Leben und Graben unter der Erde. Aber es giebt auch Grabmäuse, die nicht minder gewaltig die Erde durchfurchen und die sich hauptsächlich von Wurzeln nähren. Besehen wir also das Zahnsystem. Vierundvierzig Zähne im Ganzen, alle schneidend und scharfspitzig, Eckzähne wie Dolchklingen, Backzähne wie Mauerkronen oder Sägeränder – sieht so das Gebiß eines Pflanzenfressers aus? Aber die fast allgemeine Ansicht der Gärtner und Landwirthe ist doch, daß der Maulwurf Wurzeln fresse, wenn es uns auch schwer begreiflich scheint, wie er mit seinen spitzigen, nur zum Reißen geeigneten Zähnen die Pflanzenfasern zermalmen soll. Volkesstimme – Gottesstimme; vielleicht frißt der Maulwurf doch Wurzeln trotz seines Fleischfresser-Gebisses; vielleicht bildet er allein eine Ausnahme in der Säugethierwelt? Was er gefressen hat, muß er im Magen haben. Sehen wir also im Magen nach. Halbverdaute Stücke von Regenwürmern; braune Hornstücke, die wir ohne Mühe für Kopfplatten, Kneipzangen und Beine von Engerlingen erkennen; Flügeldecken, Ringe, Füße und ähnliche unverdauliche Horntheile des Hautpanzers von Käfern, Werren, Tausendfüßen und Larven finden sich in dem Speisebrei; aber keine Pflanzenfaser, kein Blattgrün, kein Stückchen Rinde oder Holz, keine Spur von vegetabilischem Gewebe. Selbst mit dem Mikroskope gelingt es nur schwer, hie und da eine vegetabilische Zelle zu entdecken, die aus dem Darme der gefressenen Thiere stammt, deren Reste der Mageninhalt aufweist. Ich habe Dutzende von Maulwürfen secirt und niemals Pflanzenreste im Magen oder Darme gefunden.

Die Beobachtungen an gefangenen sind nicht minder überzeugend. Flourens, der jetzige Secretair der Akademie der Wissenschaften [126] in Paris, hatte behufs physiologischer Versuche zwei lebende Maulwürfe in ein Gefäß zusammengesperrt und ihnen in der Meinung, daß sie Pflanzenfresser seien, einige Wurzeln und Rüben zur Nahrung beigegeben. Des anderen Tages fand er von dem einen Maulwurfe nur den umgestülpten Balg; alles Uebrige war verzehrt, die Wurzeln dagegen nicht angerührt, obgleich der überlebende Maulwurf offenbar sehr unruhig und hungrig aussah. Flourens that einen lebenden Sperling mit ausgerupften Schwungfedern dazu. Der Maulwurf schnoberte an ihm herum, bekam einige Schnabelhiebe und wich 2–3mal zurück, stürzte sich dann blindlings auf den Vogel, riß ihm den Unterleib auf, erweiterte die Oeffnung mit den Tatzen und hatte in kurzer Zeit die Hälfte unter der Haut mit einer Art Wuth aufgefressen. Flourens stellte sodann ein Glas Wasser hinein, welches auswendig naß war; als es der Maulwurf bemerkte, stellte er sich aufrecht an das Glas, hielt sich mit den Vordertatzen an dem Rand und soff sehr viel mit großer Begierde; dann fraß er noch etwas vom Sperling, und war sodann völlig gesättigt. Es wurde ihm nun Fleisch und Wasser weggenommen; nach 6 Stunden war er aber schon wieder hungerig, höchst unruhig und schwach; der Rüssel schnüffelte beständig herum. Kaum kam ein neuer lebendiger Sperling hinein, so fuhr er auf ihn los und biß ihm wieder den Bauch auf, um zuerst zu den Eingeweiden zu kommen. Als er die Hälfte gefressen und gierig gesoffen hatte, so sah er wieder strotzend aus und war vollkommen ruhig. Den anderen Tag war das Uebrige aufgefressen bis auf den umgestülpten Balg, der Maulwurf aber schon wieder hungerig. Er fraß sogleich einen Frosch auf, und fing immer mit den Eingeweiden an. Als er des Nachmittags schon wieder hungerig war, bekam er eine Kröte. Sobald er an sie stieß, blähte sie sich auf, und er wendete wiederholt die Schnauze ab, als wenn er einen unüberwindlichen Ekel empfände; dann bekam er in der Nacht nichts als Wurzeln von Möhren, Kohl und Salat. Den andern Tag war er Hungers gestorben, ohne etwas angerührt zu haben. Wenn er mithin den Pflanzenwurzeln schädlich ist, so geschieht es, weil er Würmer, Insecten, besonders Larven daran, oder darin findet. Darauf wurden wieder drei Maulwürfe bloß zu Wurzeln und Blättern gesperrt; sie starben alle drei vor Hunger; mehrere dagegen, welche mit lebendigen Sperlingen und Fröschen, oder mit Rindfleisch, Regenwürmern, Kellerasseln, die sie besonders lieben, genährt wurden, lebten sehr lange.

„Ich habe ein Vierteljahr lang,“ fügt Oken diesem Auszuge aus Flourens’ Aufsatz bei, „einen Maulwurf in einer Kiste mit Sand gehabt, durch welchen er sich fast so schnell wühlte, wie ein Fisch durchs Wasser, die Schnauze voran, dann die Tatzen den Sand zur Seite werfend, die Hinterfüße nachschiebend. Ich stellte ihm auf Tellerchen Wasser und geschnittenes Fleisch hin, bald rohes, bald gekochtes, wie es zur Hand war. Er zeigte aber keineswegs eine besondere Gefräßigkeit. Brod und Pflanzenstoffe rührte er nicht an. Uebrigens befand er sich immer wohl, und schlüpfte fast unaufhörlich durch seinen Sand. Endlich bekam ich einen zweiten, den ich zu ihm setzte. Kaum bemerkten sie einander, so gingen sie auf einander los, packten sich mit den Kiefern und zerbissen sich Minuten lang mit einander. Darauf fing der Neuling an zu fliehen; der alte suchte ihn überall, indem er blitzschnell durch den Sand fuhr. Ich machte nun dem Neuling eine Art Nest zurecht in einem Zuckerglas, und stellte es während der Nacht in den Kasten. Den andern Morgen lag er todt im Sande, aber unversehrt. Er muß also von selbst aus dem Zuckerglas gekommen, und von dem andern todt gebissen worden sein, aber offenbar nicht aus Hunger, sondern aus bösartigem Naturell. Der schwache Unterkiefer war entzwei gebissen. Am andern Tag war auch der alte todt, nicht an einer Verwundung, sondern, wie es schien, an Ereiferung und Erschöpfung im Kampfe.“

So haben wir denn auf alle Weise die Bestätigung, daß der Maulwurf ein rein fleischfressendes Thier ist; daß er höchstens durch die Haufen, die er aufwirft, den Pflanzungen und namentlich den Wiesen schädlich werden kann; daß er ein unersättlicher Feind aller jener unterirdischen Thiere ist, die, wie z. B. Werren, Engerlinge und Würmer, die Wurzeln unserer Nutzpflanzen schädigen. Der Maulwurf ist ein grausames, bissiges, unverträgliches Thier, das mit allen lebenden Wesen, die ihm in den Weg kommen, und wären es seines Gleichen, auf Tod und Leben kämpft und das ganze Jahr hindurch in Thätigkeit auf seiner Jagd sich findet.

Die feste Burg, die der Maulwurf bewohnt, ist ein höchst eigenthümlicher kunstvoller Bau, der gewöhnlich an einem geschützten Orte unter einer Hecke, einer Mauer oder zwischen den Wurzeln eines Baumes ein bis drei Fuß unter dem Boden angelegt wird. In der Mitte befindet sich eine innen wohl geglättete Kammer von Flaschenform, die mit Moos und feinen Grashalmen ausgepolstert ist, welche der Maulwurf nächtlicher Weile an der Oberfläche holt. Die Kammer hat verschiedene Ausgänge; einen heberförmig gebogenen nach unten, der später horizontal wird und die gemeinschaftliche Laufröhre bildet, und drei kurze Röhren nach oben, welche in einen kreisförmigen Gang münden, der einige Zoll über der Kammerdecke ausgehöhlt ist. Aus diesem oberen Kreisgange führen 5 bis 6 schiefe Röhren in einen zweiten größeren Kreisgang, welcher die Kammer etwa in gleichem Niveau umgiebt. Aus dem größeren unteren Kreisgange strahlt nun manchmal ein Dutzend Röhren nach allen Seiten aus, die indessen nach kurzem Verlaufe umbiegen und alle in die gemeinschaftliche Laufröhre einmünden. So hat denn der Maulwurf in seiner Kammer Ausgänge nach allen Seiten, die ihm gestatten, nach jeder Richtung hin zu entfliehen, sobald irgendwo eine Gefahr droht. Die Laufröhre selbst ist ein weiter Gang, innen hart geschlagen und geglättet, der manchmal 100 bis 150 Schritte weit in horizontaler Richtung fortführt und an dessen Ende erst das eigentliche Jagdrevier des Maulwurfs beginnt, das sich durch die aufgeworfenen Haufen kennzeichnet. In der unmittelbaren Umgebung seines Nestes jagt der Maulwurf nie; dort hält er seine Ruhe nach beendigter Jagd und Mahlzeit. Wenigstens dreimal im Tage rennt er nach Beute aus, und wenn man einmal die Laufröhre selbst kennt, die sich meist durch gelindes Gelbwerden des Grases an der Oberfläche kenntlich macht, so kann man leicht das Ein- und Ausziehen des Maulwurfes und die große Geschwindigkeit, mit welcher er sich innerhalb der Laufröhre bewegt, auf die Weise beobachten, daß man dünne Strohhälmchen mit Fähnlein an den Enden in die Laufröhre hineinsticht, die dann durch ihre Bewegung das Fortschreiten des Maulwurfes kund thuen. Wehe der unglücklichen Maus oder Spitzmaus, die sich in eine solche Laufröhre verirrt – sie ist unrettbar verloren; wehe auch dem schwächeren Maulwurfe, dem der Herr des Ganges auf seinem Wege begegnet: er wird zur Bethätigung der Nächstenliebe nach hartem Kampfe gespeist, und wenn es das eigene Kind wäre.

An dem Ende der Laufröhre beginnt das Jagdrevier, aus unregelmäßigen Gängen bestehend, die während der Jagd selbst ausgehöhlt werden, indem der Maulwurf die Erde vor sich her stößt und von Zeit zu Zeit zu einem Haufen aufwirft. Bei jeder Jagd werden neue Gänge gegraben, neue Haufen aufgeworfen, und selten nur läßt sich ein Maulwurf zum zweiten Male in einem Jagdgange betreten. Die erfahrenen Maulwurfsfänger wissen dies sehr wohl und stellen deshalb ihre Fallen stets in der Laufröhre auf, durch welche der Maulwurf wenigstens sechs Mal im Tage auf seinen Jagdgängen hin und her passirt, freilich zur großen Verwunderung der Laien, welche die Fallen an Orten stehen sehen, in deren Nähe gar keine Haufen sich finden.

Die Familienbande fesseln den Maulwurf wenig – nichts desto weniger ist er ein wahrer Blaubart in Beziehung auf Eifersucht. Im Frühjahre streift er umher, ein Weibchen zu suchen, und bemächtigt sich seiner mit Gewalt. Naht ein Nebenbuhler, so wird das Weibchen schnell in einigen Gängen eingeschlossen, aus denen es nicht entweichen kann, und dann dem Störenfried muthig entgegen gegangen. Sobald sich die beiden Nebenbuhler treffen, entspinnt sich unter der Erde in einem schnell ausgewühlten Raume ein hitziger Kampf, der mit dem Tode oder der Flucht des Schwächeren endet. Aber treu dem leider so oft vernachlässigten Grundsatze, daß nur die Todten nicht wiederkehren, frißt auch der Sieger den Unterliegenden erst auf, bevor er zu dem harrenden Weibchen zurückkehrt. Nun wird an einem geschützten Orte ein warmes wohlgefüttertes Nest mit sternförmig ausstrahlenden Gängen angelegt, in welchem die Gatten sehr treu und friedlich mit einander hausen; die eheliche Zärtlichkeit soll sogar während des Honigmondes der Liebe so bedeutend sein, daß man Maulwurfsmännchen gefunden haben will, die in der Nähe des Ortes, wo das Weibchen gefangen wurde, an gebrochenem Herzen zu Grunde gegangen waren. Allzu heftige Leidenschaft dauert gewöhnlich nicht allzu lange. Sobald die nackten, unbeholfenen Jungen, die erst nach zwei Monaten etwa das Nest verlassen, geboren sind, scheint den Papa das Gequieke derselben [127] zu beunruhigen, so daß er bald die Familie verläßt und sein Hagestolzleben von neuem beginnt, bis im nächsten Frühjahre wieder die allmächtige Liebe ihn in die Arme einer anderen Gattin treibt.

Und nun, wo wir die Lebens- und Nahrungsweise des Maulwurfs kennen, ziemt es sich nun nicht zu untersuchen, ob dies Thier denn wirklich so schädlich sei, als man behauptet hat und als man nach den unaufhörlichen Nachstellungen, denen es ausgesetzt ist, glauben sollte? Es ist wahr, die Haufen, die der unermüdliche Wühler namentlich in den Wiesen aufwirft, entwurzeln einige Grashälmchen, die sich indessen schnell wieder in der feinzertheilten Erde festsetzen, und hindern, wenn man zugiebt, daß sie sich bewachsen, in sehr auffälligem und ärgerlichem Maße das Mähen der Wiesen. Auch in den Gärten sind die Haufen keine angenehme Erscheinung, und manches Pflänzchen wird in die Höhe gehoben und verdorrt, wenn der Gärtner nicht bei Zeiten da ist, um die Haufen niederzudrücken. Stehen aber diese Unannehmlichkeiten in irgend welchem Verhältnisse zu dem Schaden, welchen Engerlinge und Werren anzurichten im Stande sind? Sieht man nicht ganze Grasstrecken vollkommen verdorren und veröden, weil die Engerlinge sämmtliche Wurzeln des Rasens zerbissen haben, und liegt man nicht in verschiedenen Gärten in beständigem Kampfe mit diesen gefräßigen Feinden, die sogar Baumschulen und Rosenbeete verwüsten, indem sie fingerdicke Wurzeln vollständig zernagen? Eine geringe Ueberlegung zeigt uns, daß ein Maulwurf, der im Durchschnitte die Hälfte seines Gewichtes täglich an solchen Larven verzehrt, um seinen Hunger zu stillen, eine unendliche Menge dieses Gewürmes vertilgen muß, mehr als wir jemals vertilgen könnten. So gut als die englischen Gärtner den Widerwillen gegen die Kröten in Berücksichtigung des ungemeinen Nutzens dieser Thiere besiegt haben und sie jetzt als Jäger zur Vertilgung der Schnecken anstellen, so gut könnten wir auch die Maulwürfe als Kammerjäger anstellen und durch sie, die sich leicht wieder wegfangen lassen, während einiger Zeit im Frühjahre unsere Gärten und Wiesen von dem unterirdischen Geschmeiße reinigen lassen, das uns so vielen Schaden zufügt. Ich kenne Landwirthe, welche dieses Verfahren befolgt und sich dabei sehr wohl befunden haben, die gerne einige Groschen für einen lebenden Maulwurf zahlten, um ihn in ein Stück Land zu setzen, wo Werren oder Engerlinge ihnen Schaden zufügten, und sich die Mühe nicht verdrießen ließen, alltäglich seinen Haufen nachzugehen, sie niederzutreten oder auseinander zu rechen, und endlich den Maulwurf wieder herausfingen, sobald er seine Schuldigkeit gethan hatte. Ich kenne freilich zum Gegensatz auch noch ganze Länder, wo man von Amtswegen ein kleines Fanggeld für jeden gefangenen Maulwurf zahlt, und ich habe sogar von einem Gutsbesitzer gehört, der eine Art fanatische Wuth gegen die Maulwürfe entwickelte und eine unendliche Menge zusammenfangen ließ, aus deren Fellen er dann seinem Könige einen Pelz machen ließ, den er der Majestät verehrte in der festen Ueberzeugung, einen Verdienstorden für seine edlen Bestrebungen um die Landwirthschaft sich erworben zu haben. Kühler Dank für den die Haare lassenden Pelz und ein alles Maß überschreitender Engerlingfraß waren sein Lohn!

Die Spitzmäuse sind nahe Verwandte der Maulwürfe, nur nicht so exclusiv unterirdisch wie diese, aber eben so kühn, zänkisch, bissig und fleischfressend, eben so unermüdliche Jäger von Larven, Insecten, Würmern und jungen Mäusen, die sie mit unsäglichem Appetite vertilgen. Ihre unglückliche Ähnlichkeit mit den eigentlichen Mäusen, von denen sie sich durch die spitze Schnauze, das scharfe Gebiß, den nackten, kaum behaarten Schwanz und den durch eine seitliche Drüse bedingten Moschusgeruch auszeichnen, zieht ihnen leider dieselben Feinde zu, wie den Mäusen, obgleich einige derselben und namentlich die Katzen sie nur todt beißen, ohne sie zu fressen. Die Hausspitzmaus allein greift auch trockenes Fleisch und Milchspeisen an; alle übrigen jagen in Feld und Wald, in Gärten und Gebüschen, Ställen und Scheunen, die Wasserspitzmaus sogar im Wasser nach Krebsen, Fröschen und Fischen, vor allen aber nach Insecten und Würmern. Ueber eine Beute zanken sie sich oft mit grimmigen Bissen, was ich mehrmals beobachtet habe, verdienen aber gewiß Schonung und Pflege, da sie unmittelbar auf dem Boden und in der oberflächlichen Kruste dieselben Dienste leisten, wie der Maulwurf in größerer Tiefe.

Ihr Bisamgeruch ist wahrscheinlich schuld daran, daß der Volksaberglaube sie empfindlich verleumdet. Ihr Biß soll nicht allein den Menschen giftig sein, sondern auch den Pferden unheilbare Geschwüre an den Fesseln verursachen – lieber Himmel! ihre Zähne sind kaum stark genug, um die Haut eines Pferdes oder eines Menschen empfindlich zu verletzen. Ja selbst ihre Berührung soll giftig sein und die Hand mit dem Arme aufschwellen machen. Wenn dies wahr wäre, so müßte wahrlich mancher Naturforscher schon seinen Arm in der Schlinge getragen und Gift genug auf diese Weise eingesogen haben, um sich von allen Gegnern und Nebenbuhlern befreien zu können.

Auch den Igel erlaube ich mir noch ganz speciell Ihrer Fürsorge zu empfehlen, denn er ist ein harmloses, ruhiges und nützliches Thier, dem freilich unsere deutsche Legende in der bekannten Geschichte von dem Wettlaufe mit dem Hasen mehr List zuschreibt, als es wirklich besitzt. Sonderbarer Weise ist es den Naturforschern noch nicht gelungen, die Unterschiede, welche der deutsche Bauer bei dem Igel bemerkt haben will, und die er mit den Namen Schweinsigel und Hundsigel bezeichnet, in gehöriger Weise zu constatiren. Der Schweinsigel, der einen breiten Rüssel, etwa wie ein Schwein habe, sei eßbar, der Hundsigel dagegen nicht. Ich erinnere mich noch sehr wohl, daß mir die Bauern in der Wetterau in dem Geburtsdorfe meines Vaters, wo wir gewöhnlich die Ferien zubrachten, mit Abscheu von den Franzosen erzählten, sie hätten sogar Hundsigel am Spieße gebraten und mit großer Befriedigung verzehrt. Wir suchten damals alle Igel zusammen, deren wir habhaft werden konnten, um den Unterschied kennen zu lernen; der alte Bauer aber, der unser Orakel war, erklärte sie insgesammt für uneßbare Hundsigel und fügte endlich mit malitiösem Lächeln hinzu, daß die Schweinsigel wohl viel eher an anderen Orten, als im Felde, zu finden seien. Vielleicht, daß die Unterschiede sich nur auf das Alter oder das Geschlecht beziehen.

Ich nannte den Igel ein harmloses Thier, das Winters über in einem warmen Lager von Blättern und Moos unter Hecken oder Steinen schläft, im Sommer aber besonders gerne in Hecken und Zäunen, sonnigen Halden und Waldesrändern langsam nach Nahrung umherschleicht und vorzugsweise bei Nachtzeit auf seinen Raub ausgeht, während des Tages aber zusammengekugelt schläft. So sehr diese Eigenschaft des Zusammenkugelns, die durch einen großen Hautmuskel bedingt wird, den Igel vor seinen Feinden schützt, indem er ihnen überall die Stacheln entgegen kehrt, so sehr reizt sie Buben und Erwachsene, an ihm ihren Muthwillen zu üben. Man wirft ihn ins Wasser, kitzelt ihn mit Halmen und Dornen, um ihn zum Aufrollen zu bewegen, und tödtet ihn endlich, meist im Aerger über die Vergeblichkeit dieser Ursache. Um dann diese Grausamkeiten zu entschuldigen, hat man ihm eine Menge abenteuerlicher Dinge aufgebürdet, zu welchen er meist sogar gänzlich unfähig ist. Es ist wahr, daß er weniger exclusiv fleischfressend ist, als Fledermaus und Maulwurf, und daß er auch zuweilen Früchte nascht, die von den Bäumen herunterfallen, oder in einem Milchkeller Butter und Käse sich schmecken läßt. Aber daß er auf Obstbäume hinaufklettere, sie schüttele, dann sich in den Früchten wälze und sie, auf die Stacheln gespießt, seinen Jungen nach Hause schleppe, ist eine Fabel, wie so viele andere. Der Igel kann weder klettern, noch seine Stacheln anders benutzen, als zur passiven Vertheidigung, indem er sie emporsträubt.

Seine Hauptnahrung sind Insecten, Ackerschnecken, Käfer, Engerlinge, die er schnoppernd aufspürt und mit Nase und Krallen aus der Erde hervorgräbt, alle Arten von Gewürm, ganz besonders aber Mäuse. Hätte der Igel nicht einen so unangenehmen Geruch und wäre seine Jagd nicht so geräuschvoll, tolpatschig, so daß er damit die übrigen Hausbewohner im Schlafe weckt, so würde man ihn gewiß den Katzen als Kammerjäger vorziehen. Denn was ihm an Gewandtheit und Schnelligkeit abgeht, ersetzt er durch List und Geduld, und sein geräuschvolles Umherklappern verscheucht noch viel mehr Mäuse, als von ihm vertilgt werden. In Scheunen und Ställen, wo man seine Unannehmlichkeiten nicht zu fürchten braucht, wird er deshalb stets ein nützliches Hausthier sein.

Vor allen Dingen aber empfehle ich Ihnen den Igel als ein thierischen Giften gegenüber gewissermaßen gefeites Thier. Ich behaupte dieses nicht der Volkssage nach, sondern nach Beobachtungen und Untersuchungen bekannter Naturforscher. Pallas, ein wohlbekannter Zoolog, der uns namentlich die Thiere des russischen Reiches kennen lehrte, wie keiner vor oder nach ihm, Pallas sah einen Igel ganze Mahlzeiten nur von spanischen [128] Fliegen halten, die wir bekanntlich zur Anfertigung unserer Blasenpflaster benutzen und die eben dieser ätzenden Eigenschaft wegen von keinem anderen Thiere gefressen werden. Lenz in Schnepfenthal stellte Versuche über sein Verhalten zu den giftigen Vipern an, von welchen ich einen aushebe.

Lenz hatte in einer großen Kiste ein Igelweibchen, das seine Jungen säugte. Er that eine große, kräftige Kreuzotter hinzu, welche sich in der entgegengesetzten Ecke zusammenknäuelte. Der Igel näherte sich langsam, beschnüffelte die Schlange, fuhr aber anfangs zurück, als diese sich aufrichtete und gegen ihn züngelte. Als er sich abermals unbedachtsam näherte, erhielt er einen Biß in die Schnauze, der ein Tröpfchen Blut hervorlockte, er wich zurück, beleckie sich die Wunde, drang wieder vor, erhielt einen zweiten Biß in die Zunge, ließ sich aber nicht irre machen und rückte der Schlange auf den Leib. Beide Gegner wurden nun zornig; der Igel pfauchte, schüttelte sich, die Schlange ihrerseits schleuderte Biß auf Biß und verwundete ebensowohl mehrfach den Igel, als sich selbst an seinen Stacheln. Plötzlich packte der Igel ihren Kopf, zermalmte ihn und verzehrte sodann ohne weitere Gemüthsbewegung die vordere Hälfte der Schlange, worauf er ruhig zu seinen Jungen zurückkehrte, um dieselben zu säugen, und am anderen Morgen den Rest der Schlange verzehrte. Dieselben Versuche wurden mehrfach mit demselben Erfolge wiederholt: weder der Igel, noch die Jungen kränkelten einen Augenblick. Ein neuerer Beobachter, Linck in Blaubeuren, drückt sich folgendermaßen aus: „Es ist in der That überraschend, mit welcher Gleichgültigkeit der Igel in der Hitze des Kampfes die Bisse der Kreuzotter hinnimmt, die er, ihm zum leckern Mahle, abzuschlachten bemüht ist. Daß er übrigens von den Bissen gar nicht litte, kann ich nicht bestätigen. Von einer frisch gefangenen Kreuzotter zweimal blutwund gebissen, kränkelte mir ein sehr kräftiges Thier dieser Art mehrere Tage lang. Ich bin jedoch überzeugt, daß ein Hund, vielleicht sogar ein Mensch, den beiden Wunden erlegen wäre.“

Ob indessen diese Giftfestigkeit soweit geht, daß ein Igel, wie Oken behauptet, ungestraft Blausäure, Arsenik, Opium und Sublimat fressen könne, wollen wir einstweilen noch dahin gestellt sein lassen und uns begnügen, die Physiologen aufzufordern, herüber Versuche anzustellen. Bedenken wir aber, daß der Igel sich gerne namentlich an solchen Orten aufhält, wo auch die Kreuzottern sich gefallen, so dürften schon die bis jetzt wohl constatirten Eigenschaften hinreichen, zu seiner Schonung und Pflege dringlichst aufzufordern und ihm ein Plätzchen unter denjenigen Thieren einzuräumen, die Jedermann, wie die Hausschwalbe, achtet und schützt.



  1. Es bedarf wohl nur der Namensanführung des berühmten Verfassers, um unsere Leser auf die Wichtigkeit der nachfolgenden Vorlesungen aufmerksam zu machen. Wir werden die einzelnen Abschnitte einer geschlossenen Vorlesung stets hintereinander folgen lassen. Die Red.