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Vor der Sündfluth – Im Krystallpalaste

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Textdaten
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Titel: Vor der Sündfluth – Im Krystallpalaste
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 536–538
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Vor der Sündfluth – im Krystallpalaste.

Die Welt hat schon Manches gehört, geschrieben und gelesen über den neuen ungeheuern Krystallpalast, der sich im Süden von London als Universaltempel aller Künste und Wissenschaften, aller Zonen und Nationen erhebt. Jedes Bereich der Künste und Wissenschaften wird körperlich und gleichsam persönlich vertreten.

Das Megatherium.

Selbst die fabelhaften Ungeheuer, die einst Millionen von Jahren vor der mosaischen Schöpfung der Erde sich ihres riesenmäßigen Daseins freuten und über deren in Eis oder in Felsen begrabene Gebeine Jahrhunderte, Jahrtausende, Hunderte von Jahrtausenden und Tausende von Jahrtausenden hinweggingen, ehe die Cuviers der Thierwissenschaft Spuren derselben fanden, selbst diese Schöpfungen vor der Schöpfung werden in ganzer Vollständigkeit und in voller Lebensgröße die ungeheuern Räume des neuen Krystallpalastes füllen helfen. Eins der bekanntesten vorsündfluthlichen Thiere ist im Wesentlichen schon fertig, das sogenannte Megatherium, wie es der Leser hier abgebildet findet. Es ist in Sandstein ausgehauen [537] und wird von den besten Geologen für ein naturtreues Portrait dieser Thiergattung gehalten. Die Originale dazu hat man in verschiedenen Theilen der Erde ausgegraben und daraus das ganze wissenschaftlich gewissenhaft zusammengesetzt.

Es besteht eine gewisse verwandtschaftliche Beziehung zwischen dem Krystallpalast und der Geologie; nämlich die der Großartigkeit und Neuheit.

Die Wissenschaft, welche die Geschichte der Entstehung und Entwickelung unserer Erde bis auf die gegenwärtige Epoche schreibt – denn nichts Geringeres ist die Aufgabe der Geologie – ist die jüngste aller Wissenschaften. Vor dem Beginn unseres Jahrhunderts finden wir nur schwache, und, man darf es wohl sagen, zaghafte Versuche dieser großartigsten aller Geschichtschreibungen.

Plesiosauren und Paläotherium.

Die ganze Erde ist ein sich selbst schreibendes Geschichtsbuch. Die Geologie bemüht sich, es zu lesen und in die Sprache des Menschen zu übersetzen.

In diesem Buche sind die Versteinerungen die Illustrationen, die wie immer das Verständniß des Textes mächtig fördern.

Unsere Abbildungen illustriren einige Abschnitte der Erdgeschichte. Das Megatherium und Paläotherium einen neueren, die Plesiosauren einen älteren.

Das Megatherium gehört zu den Edentaten der Säugethiere, d. h. denen ohne Schneidezähne. Sie stehen zwischen den Säugethieren mit Klauen und denen mit Hufen und zeichnen sich durchweg durch schwerfällige Bewegung, wenig Gehirn und noch weniger Geist, aber durch ein sehr dichtes, oft sogar horniges Fell aus. Sie sind das Verbindungsglied zwischen Säugethieren und Reptilien. Die Edentata findet man jetzt nur noch in tropischen Gegenden, während sie in einer frühern Periode auch in Deutschland und Frankreich lebten. Man scheidet die Edentata wieder in vier Familien. Die Megatherien (die dritte) sind jetzt ausgestorben. Unser Bild stellt den Typus derselben dar, entworfen und modellirt nach einem bei Buenos-Ayres gefundenen vollständigen Skelett, mit Vergleichung anderer, die in Londoner Privatsammlungen aufbewahrt werden. Das Megatherium ist ziemlich so groß wie der Elephant und viel größer als das Rhinoceros, etwa 30 Fuß lang. Die Hirnschale erinnert an die des Faulthiers und ist ungemein klein im Vergleich zu der ungeheuern Körpermasse, die freilich nicht viel Witz brauchte, um sich in der gigantischen Ueberfülle von [538] Wurzeln und Pflanzen zu nähren. Dagegen ist die Schnauze eine Maschine von mindestens 50 Pferdekraft. Der ganze Kopf ist Freßapparat. Und in dieser Beziehung lebt das Megatherium in veredelter Gestalt unter den Engländern und andern civilisirten Völkern rühmlich fort. Es hat blos Zermalmungszähne, jeder 9 Zoll lang und tief in die furchtbaren Balken von Kinnladen eingemauert. Der Rüssel vorn diente theils zum Aufwühlen des Schlammes, theils zum Heranziehen von Zweigen. Die Vorderfüße sind kaum halb so groß als die Ungeheuer von Hinterfüßen, die doppelt so dick sind als beim Elephanten. Die Vorderklauen sind beinahe Fingern ähnlich, die hintern dagegen so groß, daß man von jeder einzelnen ein Butterfaß machen könnte. Die Rückenwirbelsäule dehnt sich in einen mächtigen Schwanz aus. Die beiden Hinterfüße und diese Verlängerung der Rückenwirbelsäule bildeten für den Vordertheil einen Dreifuß von sehr fester Arbeit, um das Thier zu halten, wenn es sich einen guten Tag machen, d. h. die Rinde von den Bäumen schälen oder das junge Gemüse frischer Blätter zu seinem Fleische, d. h. Wurzeln, genießen wollte.

Das ist eins von den „vorsündfluthlichen“ Thieren. Man kennt deren schon viele Arten. Wir fügen in einer zweiten Abbildung nur noch drei der bekanntesten hinzu, wie sie im Krystallpalaste in einem besonders urweltlich eingerichteten Raume unter Leitung von Mr. Waterhouse Hawkins in Lebensgröße ausgeführt und aufgestellt werden.

Der plumpe Vierfüßler im Hintergrunde ist ein Paläotherium, und unterscheidet sich hauptsächlich nur, wie die Figur zeigt, von dem Megatherium durch äußerliche Gestalt, dem es in Lebensart im Uebrigen ziemlich ähnlich gewesen sein mag. Merkwürdig ist das Paläotherium besonders wegen der ungeheuern Verschiedenheit seiner Größe. Man hat Ueberbleibsel dieses Thieres in allen Größen, von der eines Hasen bis zu der des größten Pferdes gefunden. –

Die scheußlichsten Ungeheuer im Vordergrunde gehören zu dem zahlreichen Geschlechte der Plesiosauren, die Fisch und Fleisch, Reptil, Land- und Wasserthier in sich auf eine rohe Weise vereinigten. Die Natur hat sich später eines Bessern besonnen und die geschmacklose Vereinigung verschiedener Thierformen auch in bestimmte Thierarten geschieden. Die Plesiosauren hatten riesige Eidechsenköpfe, darin ungeheure Alligatorzähne, einen Hals, von dem man ganze Riesenschlangen hätte machen können, und einen Rumpf, der an die Körper vierfüßiger Thiere erinnert, wenigstens Rippen, wie ein Kameel und Versuche zu Füßen in Gestalt von Wallfischflossen. Sie schwammen in seichten Gewässern umher, mit dem langen Halse und dem grimmigen Rachen über der Oberfläche umhertuckend und bald Fische, bald ungestaltete fliegende Mißgeburten von Vogel und Säugethier erhaschend und verschlingend. Nach vollkommen erhaltenen Skeletten hat der zoologische Blick das ganze Thier leicht wieder herstellen und vervollständigen können. Nach naturwissenschaftlich und naturgesetzlich geprüften Modellen sind die Exemplare für den Krystallpalast ausgeführt worden. Da die Sammlung sehr reich und wohl die in Entsetzlichkeit für den Laien erhabenste des Krystallpalastes wird und auch das Labyrinthodon, größer wie der zum Ochsen aufgeblasene Frosch – der König der Frösche, das Iguanodon, Mammuths u. s. w. bald fertig sind, haben wir wohl später Veranlassung, diesen Gegenstand wieder aufzunehmen und zu vervollständigen.

Die Geologie wird das Reich dieser unserer Vorfahren noch fortwährend vermehren, so daß man gut thut, sich wenigstens übersichtlich mit ihnen bekannt zu machen. Der Leser, dem jedenfalls in seinem Leben noch einige davon vorkommen werden – wer kann dafür stehen, daß sich nicht noch die ganze Erde unter unsern Füßen in Denkmale der schöpferischen Erdkraft von Millionen von Jahren gestaltet, wie sich die Milchstraße dem bewaffneten Auge in Tausende von ungeheuern Sternen auflöst – der Leser, sag’ ich, braucht nicht zu brummen, wenn er diese Skizze etwas mit wissenschaftlichen Anflügen und Namen beschwert fand. Unsere Mittheilung entlehnten wir aus einem wissenschaftlichen Gebiet, das sich über Millionen von Jahren und über eine gegenwärtige Wissenschaft ausdehnt, die alle Tage reicher, wichtiger, interessanter und unentbehrlicher für Jeden wird, der unter „gebildeten Menschen“ mitzählen will, mag er im Uebrigen seine Pferde vor dem Pfluge oder ganze Staaten regieren.